Papst Benedikt XVI gegen die Kirche

Der Papst gegen die Kirche: Benedikts Kreuzzug gegen fortschrittliche Tendenzen

Kreuzzug gegen fort- schrittliche Tendenzen

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Von Marianne Enigl, Otmar Lahodynsky und Christa Zöchling

Den Herren, die am Donnerstag vergangener Woche bei der Wiener Botschaft des Vatikans in der Theresianumgasse vorfuhren, stand eine gewisse Resignation ins Gesicht geschrieben. Fast vollzählig hatten sich die österreichischen Bischöfe in der Beletage zu einem Mittagsmahl versammelt, um den Apostolischen Nuntius Edmond Farhat zu verabschieden, dem Bundespräsident Heinz Fischer bei dieser Gelegenheit persönlich den höchsten Orden der Republik verlieh. Die Festreden waren artig, von allgemeiner Liebenswürdigkeit. Bei Tisch fiel kein einziges Wort über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die am Dienstag vom Vatikan eine Klarstellung über den Holocaust verlangt und damit eine mittlere bilaterale Krise ausgelöst hatte; keine Anspielung auf die Bestellung des erzkonservativen Pfarrers von Windischgarsten, Gerhard Maria Wagner, zum neuen Linzer Weihbischof kam ihnen über die Lippen; nichts war zu hören über den Aufruhr im Kirchenvolk. Eine geschlossene Veranstaltung, eine Szenerie aus einer anderen Welt.

Gefügig nehmen die österreichischen Bischöfe die neuen Vorgaben aus Rom zur Kenntnis. Doch intern sind die Kirchenherren irritiert. Die Frage treibt sie um, ob sich hinter den jüngsten Entscheidungen des Vatikans der Plan für einen größeren Umbau der Kirche in Europa verbirgt: hin zu einer kleinen, aber feinen wertkonservativen Gesinnungsgemeinschaft, deren Machterhalt nicht in der Öffnung liegt, sondern in einer straff organisierten Führung, die sich im Inbegriff der Wahrheit wähnt und erbarmungslos danach handelt, was in Zeiten der Krise durchaus eine gewisse Faszination entwickeln kann.

Das wäre allerdings eine Trendwende, eine Abkehr von der österreichischen Tradition. Schon im Gefolge der Bischofsernennungen in den neunziger Jahren war es fast zu einer Spaltung im katholischen Kirchenvolk gekommen. Die Bischofskonferenz hatte sich damals mit dem Ersuchen an den Papst gewandt, bei künftigen Ernennungen Priester und Laien einzubeziehen und nur einen Kandidaten aus den von den Ortskirchen eingereichten Listen zu wählen. Dies wurde rundweg abgelehnt. Dennoch hatte man geglaubt, dass nach dem Skandal im St. Pöltener Priesterseminar und dem Rückzug des umstrittenen Bischofs Kurt Krenn eine neue Zeit angebrochen sei.

Vor vier Jahren war Wagner als Linzer Bischof noch verhindert worden. Auch diesmal hatte sich der Netzwerker rechtsfundamentalistischer Kreise nicht auf der Dreiervorschlagsliste befunden, die bereits vor einem Jahr an den Vatikan geschickt worden war. Wagners Name war spät, vermutlich erst im November, im Zuge der Prozedur vertraulicher Befragungen und Beurteilungen von der Nuntiatur nach Rom übermittelt worden. Wer dabei die Fäden zog, wird sehr lange ein Geheimnis bleiben: Akten der Nuntiatur sind für mindestens 50 Jahre gesperrt, derart vertrauliche wohl für immer. Der päpstliche Botschafter informierte denn auch erst vier Tage vor der öffentlichen Bekanntgabe den Kandidaten selbst sowie den düpierten Linzer Bischof Ludwig Schwarz. Ein namentlich nicht genannt werden wollender Bischof hatte noch vor Kurzem von einer „Katastrophe“ gesprochen, sollte die Wahl auf den Pfarrer von Windischgarsten fallen.

Der 54-jährige Oberösterreicher wird von seinen Anhängern als Mann von einfacher Herkunft, als Liebhaber von Bier und Leberkäse und als über alle Maßen fleißig geschildert. Für das konservative Internetforum kreuz.net ist seine Pfarrei Windischgarsten ein „weißer Fleck auf verbrannter Erde“. Wagners Warnungen, in Harry-Potter-Büchern finde sich „Satanismus“ und der Hurricane Katrina in New Orleans sei die Strafe Gottes für „amoralische“ Zustände gewesen, finden nun weltweit Beachtung und wurden unter anderem sogar in der „Los Angeles Times“ zitiert.

„Geschenk Gottes“. Offiziell stellen sich nun alle Bischöfe hinter Wagner. Der Linzer Bischof Schwarz musste sich jedoch insistierende Fragen gefallen lassen, warum er die Personalie Wagner in einer Pressekonferenz gar so überschwänglich als „Geschenk Gottes“ lobte. Im kleinen Kreis soll Schwarz resigniert von „Gehorsam“ gemurmelt haben.

Der Eisenstädter Bischof Paul Iby ließ profil die dürre Stellungnahme zukommen, der Neue verdiene „jenen Respekt, den jeder Mensch, der eine neue Aufgabe übernimmt, für sich in Anspruch nehmen kann“. Bischof Manfred Scheuer aus Innsbruck verweigerte jegliche Stellungnahme. Man hätte ihn beispielsweise fragen können, welchen Eindruck Wagner beim gemeinsamen Studium in Rom bei ihm hinterlassen habe: Die beiden waren im selben Jahrgang gewesen. Auch der Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser schweigt. Bei Wagners erstem ORF-Auftritt soll er sich jedoch entsetzt geäußert haben, dass ein solches Raubein niemals eine integrative Wirkung entfalten könne. Selbst der sonst so couragierte Weihbischof Helmut Krätzl ließ sich entschuldigen. „Was sollen sie auch sagen, sie müssen ja mit Wagner zurechtkommen, und angesichts der demnächst zu erwartenden Neubesetzungen in Graz, Eisenstadt, Salzburg und Feldkirch will es sich keiner mit dem Vatikan verscherzen“, meint ein Kenner der internen Vorgänge. Kardinal Christoph Schönborn verkündete über die Gratiszeitung „Heute“: „Konservativ liegt voll im Trend.“ Und er lobte den Pfarrer von Windischgarsten: „Die Leute mögen ihn, die Kirche ist voll. Was will man mehr?“

Nicht nur der Aufstieg von Wagner, auch die Heimholung der erzreaktionären Pius-Bruderschaft durch den Papst alarmiert die österreichische Kirchenführung. Den steirischen Bischof Egon Kapellari muss dieser Vorgang besonders bitter getroffen haben. Bei einer Mediendelegation im Vatikan vor drei Jahren sprach er recht offen über das Problem des Begriffs des Judas und der Juden in der katholischen Liturgie. Dass die traditionelle Fürbitte für die „perfides“, die treulosen Juden, abgeschafft worden war, empfand er als großen Fortschritt, und er stellte sogar weitere Reformen durch eine modernere Bibelübersetzung in Aussicht. Doch es kam anders. Im Sommer 2007 erlaubte Papst Benedikt XVI. wieder die Fürbitte für die „Erleuchtung“ der Juden, „damit sie Jesus Christus erkennen als Heiland aller Menschen“, ein Missionierungsanspruch, der seitens der jüdischen Glaubensgemeinschaft naturgemäß als Anmaßung empfunden werden muss.

Heute erscheint das wie eine Vorleistung für die Wiederaufnahme der Anhänger des französischen Traditionalisten Marcel Lefebvre in den Schoß der Kirche. Die Geisteshaltung der Pius-Brüder, die das II. Vatikanische Konzil und dessen Dekret über die Religionsfreiheit als „Verrat am Glauben“ ablehnen, den tridentinischen Ritus pflegen und die lateinischen Messen mit dem Rücken zu den Gläubigen lesen, war bekannt – auch schon bevor der britische Bischof Richard Williamson in Fernsehinterviews die Existenz von Gaskammern leugnete.

In Österreich treiben die Pius-Brüder seit geraumer Zeit ihr Unwesen. Öffentlich wahrgenommen wurden sie vor allem durch ihre Nähe zu rechtsextremen und rechten politischen Kreisen. Michael ­Weigl, ein Pfarrer der Pius-Brüder, predigte 2006 bei einer der Trauerfeiern der Burschenschaften, die diese jeweils am Jahrestag von Österreichs Befreiung vom Nationalsozialismus veranstalten. Der rechts­katholische BZÖ-Politiker Ewald Stadler war eine Zeit lang ein glühender Anhänger der Pius-Bruderschaft und hatte Sonntagsmessen auf deren Waldviertler Schloss Jaidhof gefeiert. Die Pius-Brüder fühlen sich heute stärker denn je. Der für Österreich zuständige Distriktobere Pater Helmut Trutt fordert nun auch offensiv, Juden genauso wie Heiden zu missionieren, denn „das jüdische Volk hat Mitschuld an Jesus’ Tod“. Das alte Messritual, das die umstrittene Fürbitte für Juden enthält, pries der Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos, der im Vatikan die Teilrehabilitierung der Pius-Bruder Bischöfe vorbereitet hat, in einem Interview mit profil schon im Jahr 2000 als großes „Mysterium“, das man den Gläubigen wieder eröffnen solle.

Hinter der Kulisse des Ritus verbirgt sich jedoch meist ein reaktionäres Bild der Welt. Dass ausgerechnet der Papst aus Bayern diese Kurskorrektur vornehmen werde, mutmaßten schon bei seiner Wahl einige Vatikan-Experten. In seinen Büchern, die Joseph Ratzinger noch als Chef der Glaubenskongregation herausgab, war immer wieder von der „selbstzerstörerischen Liturgiereform“ die Rede. In seiner Biografie schrieb er, „die Kirchenkrise, die wir heute erleben, beruht weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie“ und dem Wirken allzu progressiver Theologen. Bei einer Audienz, so wird berichtet, soll der Heilige Vater den Linzer Bischof Ludwig Schwarz einmal recht forsch gefragt haben, ob er bei sich zu Hause schon Ordnung geschaffen habe. Die Diözese Linz sieht der Papst offenbar als Hort allzu progressiven Kirchenlebens. In Österreich gilt sie seit Langem als Stätte der aktiven Laienbewegung.

Angeschwärzt. Der Vatikan hatte schon einmal disziplinierend eingegriffen. 1981 wurde der liberale Weihbischof Alois Wagner, der den katholischen Entwicklungs­hilfedienst aufgebaut und gegen Waffen­exporte und „zügelloses Profitdenken“ Stellung genommen hatte, nach Rom abgeschoben, anstatt zum Diözesanbischof berufen zu werden.
1982 übernahm Maximilian Aichern die Diözese. In der Tradition von Kardinal König baute er Kontakte zur Arbeiterschaft auf. Eine eigene katholische Gruppe unter Voest-Stahlarbeitern entstand. Engagierte Laien wurden in die Seelsorge eingebunden. Pastoralassistenten, auch Frauen, durften Taufen vornehmen. Manche Pfarrer ließen sie sogar bei der Sonntagsmesse predigen.

All das stieß bei konservativen Priestern auf wachsenden Widerstand. In zahlreichen Briefen wurde Aichern im Vatikan angeschwärzt. Auf Plattformen wie kreuz.net oder gloria.tv informieren heute konservative Laiengruppierungen regelmäßig über „Abweichungen“ vom rechten Glauben. kreuz.net behauptet, das Bistum Linz sei „durch jahrelange altliberale Misswirtschaft in eine beispiellose Krise geführt“ worden.
Eine zentrale Rolle bei der Vernaderung liberaler Kirchenleute wird dem „Linzer Priesterkreis“ zugeschrieben, dem auch Pfarrer Wagner angehört. Einer der Gründer der jährlichen Sommerakademie des Priesterkreises in Aigen im Mühlviertel ist der frühere St. Pöltener Bischof Krenn. Auch Joseph Ratzinger hatte dort vor seiner Papstwahl Vorträge gehalten.
„Was dort alles gesagt wurde, ist abenteuerlich“, analysiert der Wiener Theologieprofessor Paul Zulehner aufgrund von ihm zugespielten Tonbandaufnahmen. Der Augsburger Theologe Anton Ziegenaus erklärt dort etwa: „Ein Gott, der immer nur vergeben und lieben darf, verliert jede männliche Persönlichkeitsstruktur.“

Zu den Besuchern der Sommerakademie gehört auch Albert Engelmann, Herausgeber der erzkatholischen Zeitung „Der 13.“. Nun wolle er wieder den Kirchenbeitrag zahlen, gab er auf seiner Homepage bekannt. Der Obmann des Priesterkreises, Josef Bauer, Pfarrer von Hohenzell, erwartet nun, dass unter Weihbischof Wagner in der Diözese „wieder der Gnadenstrom der Gesamtkirche fließt, statt sie in das Rinnsaal der Nationalkirche abgleiten zu lassen“.

Wagner hat in seiner Pfarre rigide Beicht- und Kommunionsvorschriften durchgesetzt. Einmal im Monat zu beichten und dann zur Kommunion zu „rennen“ sei zu wenig, sagte er in einem Interview. Er pflegt gegen das „große Übel“ der „Banalisierung“ der Kommunion zu Felde zu ziehen. Wie auch der Papst zog er es vor, die Hostie den Gläubigen nicht in die Hand, sondern in den Mund zu legen. So volkstümlich der Pfarrer unterwegs war, so professionell arbeitete er mit rechten katholischen Internetmedien zusammen. In einem seiner Pfarrbriefe hob er etwa Radio Maria und Radio Horeb als vorbildlich hervor. Der Allgäuer Privatsender Horeb überträgt nicht nur Rosenkranzgebete und Messen, sondern wurde schon einmal ­wegen seiner „fundamentalistischen Art“ vom Verantwortlichen der Erzdiözese München, Pfarrer Klaus Mucha, kritisiert. Anrufer meldeten sich dort zu Wort und riefen zur Umkehr auf, andernfalls „wir als weiße Rasse abgedankt haben“. Von den Sendungsverantwortlichen blieb dies unkommentiert. Einer der Befür­worter von Radio Horeb ist übrigens auch ­Benedikt XVI.

Zu Wagners konservativem Netzwerk zählt auch gloria.tv, wo schon Wochen vor seiner Ernennung zum Weihbischof lange Interviews mit ihm gesendet wurden. Zu den Mitarbeitern dieses Liechtensteiner Privatsenders zählt der ehemalige persönliche Zeremoniär Kurt Krenns, der ­junge Kaplan Markus Doppelbauer. Der 29-Jährige ist auch mit Krenns ehemaligem Sekretär Wolfgang Rothe, der in der Affäre im St. Pöltener Priesterseminar eine zentrale Rolle spielte, gut bekannt. Rothe wiederum hat gute Kontakte in den Vatikan: Sein Doktorvater war Georg Gänswein, der fesche Privatsekretär des Papstes. Nach der Veröffentlichung von Fotos, auf denen Rothe einen seiner Zöglinge küsst, wurde das Priesterseminar vom Vatikan geschlossen und Rothe ein vorübergehendes Berufsverbot auferlegt. Seit Ende des Vorjahres ist es aufgehoben. Rothe arbeitet als Seelsorger in einem Altenheim bei München – sicher mit Unterstützung des päpstlichen Privatsekretärs Gänswein und mit Wissen des Papstes, wie deutsche Zeitungen schrieben.

Die guten Kontakte in den Vatikan dürften geholfen haben, dass die Pfarre Windischgarsten mit dem ehemaligen Krenn-Vertrauten Markus Doppelbauer nachbesetzt wird. Doppelbauer hatte sich nach Krenns Rücktritt in die Diözese Liechtenstein zurückgezogen. Über Wagner sagt Doppelbauer: „Pfarrer Wagner ist ein Top-Mann. Solche gibt es in Österreich nicht sehr viele.“ Auch die Postings zum neuen Weihbischof auf der Homepage des ultrakatholischen Internetportals gloria.tv sind hymnisch und besorgniser­regend: „das kesseltreiben hat begonnen. halali. ob es ihm gelingt, in der verkommenen diözese aufzuräumen?“ Zu den weiteren Fans des umstrittenen Wagner gehört auch der 84-jährige Martin Humer, bekannt als „Pornojäger“. Humer: „Wir haben uns schon oft für ihn an vielen Stellen ausgesprochen. Er hat ja nicht nur den Humer als Freund.“ Leute wie Humer sind angetan von den reaktionären Positionen des Pfarrers, der etwa meint, Homosexuelle seien Sünder und könnten „geheilt“ werden“.

Aber auch kirchliche Gruppierungen dürfen sich von dieser Personalentscheidung eine Aufwertung erwarten: etwa die stockreaktionären Legionäre Christi, eine stramme Ordensgemeinschaft – in ihrem missionarischen Eifer mit Opus Dei vergleichbar –, die sich bisher in Österreich schwertaten, Fuß zu fassen. In Wien wurde von engagierten katholischen Eltern erfolgreich verhindert, dass die Legionäre eine Schule eröffnen.

Austritte. Die einsame Entscheidung für den Hardliner als neuen Weihbischof stürzt die heimische Kirche in ein tiefes Dilemma. Laut jüngster profil-Umfrage (siehe Seite 15) sind beinahe zwei Drittel der Österreicher der Ansicht, der Papst dürfe eine solche Wahl nicht allein treffen. Wie nach dem Skandal rund um den ehemaligen Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer, der 1995 wegen Missbrauchs von Zöglingen zurücktreten musste, wird wieder eine Welle von Kirchenaustritten befürchtet. Dabei war die Zahl der Abtrünnigen schon im Vorjahr erstmals seit Jahren wieder gestiegen: Allein 2008 verabschiedeten sich mehr als 40.000 Gläubige.

Die in der Kirchenkrise entstandene ­Initiative Wir sind Kirche, die für das Kirchenvolks-Begehren 1995 eine halbe Million Unterschriften sammelte, kündigt nun an, sie werde bis zur Weihe Wagners im März im Linzer Mariendom täglich mit Protesten präsent sein. Der Sprecher der Initiative, Hans Peter Hurka: „Jemand wie Wagner, der meint, er habe die absolute Wahrheit gepachtet, betreibt die Spaltung der Kirche, statt sie zu einigen.“
Für Helmut Schüller, Ex-Präsident der Caritas und Mitbegründer der Pfarrerinitiative, ist die Bestellung Wagners „ein ­autoritäres Übergehen des Kirchenvolks“.

Er sieht darin ein klares Indiz der von Papst Benedikt XVI. eingeleiteten Kurskorrektur nach rechts: „Ratzinger hat diese schon in seiner Wahlrede im Konklave angekündigt. Was jetzt alles im Vatikan passiert, überrascht mich gar nicht.“ Für den früheren ÖVP-Chef Erhard Busek, Proponent einer Laieninitiative gegen den Pflichtzölibat, ist Wagners Kür ein Schwächezeichen der österreichischen Bischofskonferenz: „Kardinal Schönborn sollte sich schleunigst darum kümmern, wie die österreichische Kirche in Rom dargestellt wird. Und er muss die Frage klären, wer diesen Mann als Weihbischof in Linz überhaupt vorgeschlagen hat.“

Nach Ansicht des österreichischen Botschafters beim Heiligen Stuhl, Martin Bolldorf, ist die österreichische Kirche in den entscheidenden Vatikan-Gremien „nicht mehr sehr hochrangig vertreten“. Während die heimischen Bischöfe den Kreuzzug des Papstes gegen die liberalen Gläubigen und Geistlichen schweigend zur Kenntnis nehmen, hat die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien massive Bedenken formuliert. In einer Erklärung kritisierte sie scharf die „theologisch unhaltbare Kommentierung von Naturkatastrophen“ durch den künftigen Weihbischof und äußerte „Bedauern und Besorgnis“ über seine Ernennung.

Wiens Kardinal Schönborn hatte vor dem Eklat noch gehofft, dass die Bischofswechsel, die in den kommenden zwei Jahren anstehen, ohne Konflikt mit dem Vatikan über die Bühne gehen würden. Kenner der Erzdiözese gingen bislang davon aus, dass Schönborn zwar keine brillanten Kandidaten fördern, doch immerhin unauffällige, angepasste Kirchenleute auf seine Wunschliste nach Rom schicken werde. Das entspreche der österreichischen Kirchenkultur. Doch selbst dieser pragmatische Umgang mit dem Heiligen Stuhl ist jetzt infrage gestellt. „Die pinkeln uns sowieso ans Bein“, sagt ein maßlos verärgerter Kirchenmann.