Ayaan Hirsi Ali: „Der Papst hat Recht“

„Der Papst hat Recht“

Die in Somalia geborene Intellektuelle im Interview

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profil: Der Papst scheint Ihre Bücher nicht zu lesen. Anstatt einen obskuren byzantinischen Kaiser aus dem 14. Jahrhundert hervorzukramen, der den Islam runtermacht, hätte er auch Sie zitieren können. Sind Sie enttäuscht?
Hirsi Ali: Nein, aber ich werde ab sofort die Reden des Papstes verfolgen.
profil: Sie kommen in Ihren Büchern und Essays zu einem ähnlichen Schluss wie der erwähnte Kaiser Manuel II.: Der Islam sei eine gewalttätige Religion, die der Welt nichts Gutes gebracht hat.
Hirsi Ali: Was ich sage, ist: In Europa und in den USA behandeln wir den Islam wie den nackten Kaiser in „Des Kaisers neue Kleider“. Jeder kann sehen, dass der Islam gewalttätig ist. Aber niemand will es sagen. Alle sagen, er sei friedvoll. Im Märchen bedarf es eines kleinen Kindes, um laut zu sagen: Der Kaiser ist ja nackt! Und wir brauchen dazu offenbar den Papst.
profil: Papst Benedikt XVI. hat sich allerdings anschließend mehrfach entschuldigt. Bedauern Sie das?
Hirsi Ali: Er hat sich nicht für den Inhalt seiner Rede entschuldigt. Der Papst ist ein cleverer Mann. Er hat sich dafür entschuldigt, die Gefühle von Moslems verletzt zu haben. Ich glaube nicht, dass seine Rede ein Versehen war. Er weiß genau, was er tut, und er wusste, was passieren würde. Es war eine öffentliche Rede. Er sucht die Konfrontation mit der islamischen Welt.
profil: Wird uns das weiterhelfen?
Hirsi Ali: Ja. Es ist Zeit, dass jemand den Moslems die Wahrheit sagt.
profil: Glauben Sie, dass der Islam reformierbar ist?
Hirsi Ali: War das Christentum des 15. Jahrhunderts reformierbar? Niemand hätte es für möglich gehalten, und doch gelang es. Dasselbe gilt für den Islam. Moslems brauchen Spiritualität wie alle anderen religiösen Menschen. Aber sie müssen einsehen, dass die islamische Philosophie, wie sie der Prophet Mohammed hinterlassen hat, in unserer modernen Welt keinen Halt mehr geben kann. Der Islam ist zu einer Religion der Gewalt und der Unterwerfung der Frauen und des Individuums geworden. Ein Albtraum. Zwei Drittel der Gewalt in der Welt werden von Moslems im Namen des Islam begangen. Vor dieser Wahrheit kann man nicht davonlaufen. Der Papst hat Recht.
profil: Das Christentum und der Islam sind direkte Konkurrenten am Markt der Weltreligionen. Wie klug ist es, wenn der eine Mitbewerber dem anderen ausrichtet, sein Produkt sei ein gefährlicher, nutzloser Quatsch?
Hirsi Ali: Jede Firma sagt, ihr Produkt sei das beste. Aber mich beunruhigt ein anderer Aspekt der Papst-Rede: Benedikt XVI. behauptet, die Erlösung des Menschen sei nur durch das Christentum möglich. Sehen wir uns den spirituellen Markt an. In Afrika und Asien ist der Islam Marktführer. Dorthin wird der Papst verstärkt Missionare schicken.
profil: Sind Sie dagegen?
Hirsi Ali: Es ist eine Warnung für uns säkulare Menschen. Für alle, die glauben, dass Religion nicht die Erlösung bringt. Die saudischen Scheichs werden Missionare finanzieren, der Papst tut dasselbe. Er will Vernunft und Glauben verknüpfen. Wir aber, die an die säkulare Vernunft glauben, an die Trennung von Vernunft und Glaube, wir sind faul und untätig.
profil: Sollen wir atheistische Missionare losschicken?
Hirsi Ali: Ja. Auf einem Markt, wo Menschen nach einer Antwort auf die Fragen des Alltags suchen, bieten ihnen derzeit nur zwei Religionen solche Antworten an.
profil: Die brennende Frage in Europa lautet: Wie können wir Moslems in unsere Gesellschaft integrieren? Sie schreiben in einem Essay, es gebe im Westen drei Kategorien von moslemischen Frauen: die Willensstarken, die dem Islam zuwiderhandeln und dafür ihr Leben riskieren; die Frauen, die ein Doppelleben führen, und schließlich die völlig Unterworfenen. Was aber ist mit den Mosleminnen, die in unserer Gesellschaft ein völlig normales Leben im Einklang mit ihrer Familie führen?
Hirsi Ali: Das ist eine kleine Minderheit.
profil: Wieso glauben Sie das?
Hirsi Ali: In den Niederlanden gibt es Frauenhäuser, in denen 60, 70, manchmal bis zu 90 Prozent der Frauen Mosleminnen sind. Die gesamte moslemische Minderheit umfasst nur eine Million Menschen, bei insgesamt 16 Millionen Einwohnern. Wenn man die Frauen fragt, warum sie im Frauenhaus sind, antworten sie: „Weil ich meinem Mann nicht gehorcht habe.“ Sie suchen die Schuld bei sich. Hingegen findet man in den Institutionen, die gewalttätige Männer betreuen, kaum Moslems. Sie gehen dort nicht hin, weil sie nicht das Gefühl haben, etwas Falsches getan zu haben. Zur oft religiös motivierten Gewalt kommt noch die Rückständigkeit bei der Bildung. Rund 63.000 Kinder gehen in den Niederlanden im Jahr ohne Abschluss von der Schule ab, 60 bis 80 Prozent davon sind Immigrantenkinder, die meisten davon Moslems.
profil: Das ist doch ein soziales Problem, nicht?
Hirsi Ali: Oberflächlich betrachtet schon. Tatsächlich steckt hinter dem Misserfolg eine Kultur, in der Jugendliche verheiratet werden, die noch nicht dazu bereit sind. Ihre ökonomische Situation gestaltet sich dann entsprechend schwierig. Woher kommt das? Die Ursache ist die rigide Sexualmoral im Islam.
profil: Wie soll man das Problem lösen? Sie selbst beschreiben in Ihrem Buch „Mein Leben, meine Freiheit“ (siehe Kasten) ein Erlebnis, das Sie in einer Sekretärinnenschule in Nairobi hatten. Die anderen Schülerinnen lebten ein freizügiges Leben, während Sie in der Öffentlichkeit einen Hidschab, ein schwarzes Übergewand, trugen. Eines Tages jedoch beschlossen Sie, den Hidschab einmal nicht zu tragen. Hätte man Ihnen das Tragen dieses Gewandes hingegen verboten, wie hätten Sie darauf reagiert?
Hirsi Ali: Ich hätte das nicht akzeptiert.
profil: Sollten wir also in Europa solche äußeren Zeichen der Integration verordnen, wie man das in Frankreich durch das Verschleierungsverbot an Schulen versucht hat?
Hirsi Ali: Nein, aber man kann in Schulen und in der Öffentlichkeit mit Moslems darüber diskutieren, worin die Logik hinter der Verschleierung der Frauen besteht.
profil: Zurzeit wird uns in Europa permanent vermittelt, wir stünden in einer Konfrontation mit den Moslems und würden dabei ins Hintertreffen geraten. Die „Bild“-Zeitung titelt etwa im Streit um die Inszenierung der Oper „Idomeneo“, bei der Mohammed der Kopf abgeschnitten wird: „Warum kuschen wir vor dem Islam?“
Hirsi Ali: Da muss man zwischen Islam und Moslems unterscheiden.
profil: Mag sein, aber die Leute wollen wissen, wer daran schuld ist, dass die Oper abgesetzt wurde.
Hirsi Ali: Wenn ein Moslem findet, diese Oper dürfe nicht aufgeführt werden, und er deshalb Druck auf die Direktion ausübt, so tut er das wegen des Islam. Den Islam abzulehnen ist legitim, die Moslems abzulehnen ist jedoch falsch. Man müsste zu ihnen sagen: Wir verstehen, dass es für euch schmerzhaft ist, dass der Prophet in dieser Weise gezeigt wird, aber hierzulande ist das eben möglich. Wir sollten aber eine weitere Diskussion mit den Moslems beginnen: Warum werden im Namen von Mohammed so viele Leute getötet? Und warum regt euch das nicht ebenso auf?
profil: Nach einer Gallup-Umfrage haben 40 Prozent der Amerikaner negative Vorurteile gegenüber Moslems. Nach Ihrer Darstellung des Islam liegen die gar nicht so falsch.
Hirsi Ali: Auch denen möchte ich sagen: Man kann den Islam ablehnen, aber man muss jeden Moslem individuell nach seinem persönlichen Verhalten beurteilen.
profil: An den Wahlurnen zeigt sich, wie verbreitet die Islamophobie ist. In Österreich plakatierte die FPÖ im Wahlkampf den Slogan „Daham statt Islam“ und gewann über zehn Prozent.
Hirsi Ali: Man muss untersuchen, wie es zu den zehn Prozent kommt. Wir haben das in den Niederlanden gemacht. Die Dinge, über die sich die Leute beschwerten, waren meist sehr simpel: Lärm, Dreck etc. Das hatte anfangs mit der Religion nichts zu tun. Aber wenn nur eine Partei den Leuten zuhört, wählen sie eben die. Erst in weiterer Folge wurde in den vergangenen Jahren der Islam das Thema. Die Ursache war die islamistische Propaganda. Über Satellitenschüsseln und Audiokassetten wurde den Moslems gesagt: Ihr müsst die westliche Gesellschaft ablehnen! Die Zahl der Einwanderer stieg, Ghettos bildeten sich, die soziale Kontrolle durch andere, radikale Moslems wurde stärker. Dadurch wurde der Islam zu einem Hindernis für die Integration.
profil: Der Schweizer Islam-Gelehrte Tariq Ramadan setzt sich für die Entwicklung eines so genannten „Euro-Islam“ ein. Was halten Sie davon?
Hirsi Ali: Ich stimme mit Ramadan nicht überein. Er meinte, der Papst habe nicht Recht, der Islam sei in Wahrheit friedliebend. Mit dieser Aussage hilft er niemandem. Was ist das für ein Reformer?
profil: Er will wohl dazu aufrufen, die friedlichen Aspekte des Islam zu stärken.
Hirsi Ali: Der Islam ist per Definition nicht friedlich.
profil: Warum wollen Sie ihn dann reformieren? Dann müsste man ihn doch ganz einfach bekämpfen?
Hirsi Ali: Ich spreche als Moslemin, auch wenn ich nicht an einen Gott glaube. Ich sorge mich um die islamische Zivilisation. Das Erste, was wir tun sollten, ist anzuerkennen, dass im Islam viele Dinge schrecklich falsch sind. Etwa die überragende Bedeutung des Jenseits.
profil: Es ist schwierig für eine Religion, ein Dogma aufzugeben, das direkt von Gott stammt. Der Katholizismus verlangt immer noch den Glauben an einen Teufel. Kein Mensch glaubt daran, aber das Dogma behält seine Gültigkeit.
Hirsi Ali: Die Christen hatten eine lange Phase der Aufklärung. Es gab Schismen wegen mancher Dogmen. All das ist auch im Islam möglich. Der Islam als Zivilisation steht an der Schwelle zur Modernität.
profil: Wie sehr wird Ihre Stimme eigentlich unter den Moslems gehört?
Hirsi Ali: Wie jede, die Dogmen angreift, gelte ich bei der religiösen Gemeinde als Verräterin.
profil: Ihre beruflichen Karriereentscheidungen sind von Moslems vermutlich schwer nachzuvollziehen. Seit Kurzem sind Sie Mitglied des American Enterprise Institute (AEI), des neokonservativen Think-Tanks par excellence, der in den vergangenen Jahren vor allem mit der Befürwortung des Irak-Kriegs in Zusammenhang gebracht wurde.
Hirsi Ali: Könnte das vielleicht ein Vorurteil Ihrerseits sein?
profil: Vielleicht. Aber einige der prominenten Gelehrten des AEI sind Neokonservative und Befürworter des Irak-Kriegs, nicht?
Hirsi Ali: Ja. Aber der Grund, warum ich das Angebot des AEI annahm, war, dass man mir dort ermöglicht, ohne jede Zensur zu arbeiten. Ich kann meine Meinung äußern, worüber ich will.
profil: In Ihrer neuen Heimat, den USA, ist die religiöse Rechte politisch sehr einflussreich. In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie zornig Ihre moslemische Mutter wurde, als Sie in der Schule lernten, dass der Mensch vom Affen abstammt. In den USA sind es christliche Gruppierungen, die verhindern wollen, dass die Evolutionstheorie an Schulen gelehrt wird. Werden Sie die auch kritisieren?
Hirsi Ali: Ich lebe an der Ostküste, wo man der religiösen Rechten kaum begegnet. Die USA benötigen mich nicht, um sie auf die christliche Rechte aufmerksam zu machen, es gibt längst eine Kampagne dagegen. In Europa hingegen musste ich die Leute aufrütteln, dass es eine islamistische Rechte gibt. Da hieß es immer: Das ist doch bloß eine Minderheit.

Interview: Robert Treichler