Der Plassnik-Coup

Der Plassnik-Coup

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Die Aktion kann als gelungen bezeichnet werden. Zwei Monate lang ließ Wolfgang Schüssel die von Pensionsharmonisierungs-Unterdetails grenzenlos fadisierten Journalisten darüber spekulieren, wem er nun das Außenministerium anvertrauen werde, um schließlich doch die logische Favoritin zu wählen. Angenehmerweise wurde während der Wartezeit einem halben Dutzend anderer ÖVP-Politiker von den Medien die Eignung für die Ferrero-Nachfolge bescheinigt. Schön sei es, ein so großes Personalreservoir zu haben, pflegt der Kanzler zur Abrundung in solchen Situationen zufrieden zu schnurren.

Schüssel hat in seinen vier Politik-Jahrzehnten ein unnachahmliches Gefühl für Timing entwickelt. Genau in jenen Tagen, in denen die für viele so schmerzhafte Pensionsharmonisierung auf den Tisch des Hauses kommt, in denen das Verfassungsgericht wieder einmal zwei Gesetze seiner Regierung zerzaust und der Koalitionspartner nun auch noch von finanzieller Schwindsucht befallen wird, beschäftigte er das Land mit seiner neuen Ministerin.

Deren nicht eben unauffällige Erscheinung erleichtert das Manöver ungemein. Wen interessiert da noch das Budgetdefizit?

Der Opposition und dem Regierungspartner gibt Schüssel damit keinen Raum. Die FPÖ darf ohnehin nur noch die Claque abgeben: mitleiderregend, wie sich der FPÖ-Abgeordnete Uwe Scheuch in seiner Nationalratsrede in sinnlosem Stolz am Umstand festkrallte, dass Frau Plassnik in Kärnten geboren wurde. Einige prominente Grüne sind persönlich mit der neuen Ministerin befreundet, was manche wieder wohligen Fantasien in Schwarz-Grün nachhängen ließ. Und auch die SPÖ kann Frau Plassnik nicht viel vorwerfen, außer dass sie – aus einer roten Lehrerfamilie stammend – das politische Lager gewechselt hat. Da mochte Alfred Gusenbauer auf seiner Expedition Österreich noch so hartnäckig beteuern, er sei startklar – diese Woche gehörte wieder einmal Wolfgang Schüssel.

Bloß die scheinkritische Vermutung, Frau Plassnik werde gegenüber ihrem ehemaligen Chef nicht genügend Eigenständigkeit entwickeln, mochten sich Opposition wie Kommentatoren nicht verkneifen – als wäre Benita Ferrero-Waldner ein ungestümer Freigeist gewesen, als habe nicht immer der Regierungschef einen guten Teil der Außenpolitik selbst erledigt. Erinnert sich noch jemand an Bruno Kreisky?

Unverständlicherweise verstärkte das Kanzlerbüro selbst den Verdacht mangelnder Selbstständigkeit, indem es der neuen Ministerin sehr selektive Medienkontakte verordnete: Kritischeren Fragern wich man wohlweislich aus. Was alles passieren kann, hatte sich ja am Mittwoch in der „Zeit im Bild 2“ gezeigt, als der quicke Armin Wolf Frau Plassnik das kleinlaute Bekenntnis entlockte, sie sei unmittelbar vor der Ministerkür noch rasch der ÖVP beigetreten. Nicht besonders elegant.

Der Kanzler hat mit seiner ehemaligen Kabinettschefin jedenfalls eine in jeder Beziehung herzeigbare Kraft an prominenter Stelle platziert. Das ist nicht wenig, zumal in dieser Legislaturperiode das Gröbste vom Tisch ist: Eurofighter, Pensionsreform, Doppelbudget – abgehakt. Die Niederlagen von Kärnten, Salzburg und bei der Bundespräsidentenwahl sind ausgesessen – das kann er, der Kanzler.
Die Mühen der Berge liegen jedenfalls hinter ihm.

Punkte hätte sich die Opposition in der ersten Hälfte dieser Gesetzgebungsperiode holen müssen, jetzt wird es für sie verdammt schwer. Gewiss: Die Sozialdemokraten können sich auch bei den Landtagswahlen im Burgenland, in der Steiermark und in Wien Gewinne ausrechnen und damit wieder Wind unter die Flügel bekommen. Aber das wiegt nicht jene wunderbaren Auftrittsmöglichkeiten auf, die sich dem Bundeskanzler im ersten Halbjahr 2006 durch den österreichischen EU-Vorsitz bieten werden. Dann werden zuerst die Regierungschefs der lateinamerikanischen Staaten und schließlich sogar der US-Präsident zu schon anberaumten Gipfelgesprächen mit der EU nach Wien kommen.

Und mittendrin die Gastgeber: Wolfgang Schüssel und Ursula Plassnik.
Danach geht’s übergangslos in den Nationalratswahlkampf.

Die SPÖ wird so viel Glamour Erdiges entgegensetzen. Es hat in den ersten vier Jahren der schwarz-blauen Koalition ja tatsächlich eine „Umverteilung nach oben“ gegeben. Um mehr als 17 Prozent haben die Lohnsteuereinnahmen des Finanzministers in dieser Zeit zugenommen, die von den Unternehmen zu entrichtende Körperschaftsteuer ist um sieben Prozent gesunken. Die viel besungene Steuerreform ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Aber greifen solche Argumente noch? Vor allem: Wird es SPÖ und Grünen gelingen, diese Sachverhalte kampagnegerecht zu bündeln? Die Erfahrungen der vergangenen Monate sprechen dagegen.

In zwei Jahren kann noch viel geschehen, Politik ist heute ungleich schwerer zu prognostizieren als noch vor wenigen Jahren. Derzeit, jedenfalls, scheint Wolfgang Schüssel einem Dacapo näher als der Pension.