Der letzte Revoluzzer: Eduardo Rozsa-Flores

Der letzte Revoluzzer Eduardo Rozsa-Flores: Tod eines schillernden Weltenwanderers

Tod eines schillernden Weltenwanderers

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Von Gregor Mayer, Budapest

Dass er im Kugelhagel umkam, einer Übermacht trotzend, passte gut zu Eduardo Rozsa-Flores. Doch die näheren Umstände seines Todes hatte er sich wohl anders vorgestellt. Der 49 Jahre alte Sohn eines ungarisch-jüdischen Malers und einer bolivianisch-katholischen Mutter wäre als ausgebildeter Soldat sicher lieber im Kampf gefallen – im Dienste dessen, was er gerade für sich als die gute Sache definiert hatte. Das war ihm nicht vergönnt.

In der Nacht auf Donnerstag, den 16. April, drang ein Anti-Terror-Kommando der bolivianischen Behörden in das Hotel Las Americas in der ostbolivianischen Metropole Santa Cruz de la Sierra ein und stürmte das Zimmer von Flores und seinen beiden Gefährten, dem Studienabbrecher Arpad Magyarosi, 28, einem ethnischen Ungarn aus dem zu Rumänien gehörigen Szeklerland, und dem irischen Abenteurer und Waffennarren Michael Martin Dwyer. Alle drei Männer wurden im Schlaf überrascht und in Unterhosen von Kugeln durchsiebt. Flores blieb nicht einmal die Zeitspanne eines Wimpernschlags, die einem wie ihm genügt hätte, um zur Waffe zu greifen. Zwei weitere Mitglieder der seltsam zusammengewürfelten europäischen Truppe, der gleichfalls aus dem Szeklerland stammende Elöd Toaso und der Kroato-Bolivianer Mario Tadic, wurden festgenommen.

„Diese Terroristen wollten Attentate gegen den Vizepräsidenten und gegen mich verüben“, gab Boliviens sozialistischer Präsident Evo Morales kurz nach der Aktion bekannt. Das bolivianische Fernsehen zeigte Bilder des halbnackten, blutigen Leichnams von Flores, die umgehend via Internet dessen Heimat Budapest erreichten. Freunde und Fans des „national-anarchistischen Weltrevolutionärs“, wie er sich einmal ironisch selbst bezeichnete, waren erschüttert. „Er war ein Kämpfer, aber kein Terrorist, nie im Leben“, meinte Zoltan Bolek, das Oberhaupt der kleinen islamischen Gemeinschaft in Ungarn. „Edu“, wie ihn seine Freunde riefen, war vor sechs Jahren in einer weiteren Volte seines an Wandlungen reichen Daseins zum Islam konvertiert und amtierte zuletzt als Stellvertreter an der Seite von Bolek.

Die Regierung in La Paz blieb bislang Beweise für konkrete Attentatspläne seitens der von Flores geführten Gruppe schuldig. Tatsächlich schwelt in Bolivien ein Konflikt zwischen Morales, dem ersten Indio-Präsidenten Boliviens, und den reichen Ostprovinzen, und Eduardo Flores stammte selbst aus Santa Cruz und lebte dort bis zum Alter von elf Jahren. Dienstag vergangener Woche tauchte in Budapest ein Dokument auf, das Flores’ Aktivitäten in Santa Cruz enthüllte. Flores hatte im September 2008 vor seiner Abreise in seine alte Heimat Bolivien dem ungarischen Fernsehjournalisten Andras Kepes ein Interview gegeben, mit der Auflage, dieses erst auszustrahlen, wenn ihm etwas zugestoßen sei.

Wie sich nun herausstellte, war das Band ein bizarres Vermächtnis. „Man hat mich gebeten, die Verteidigung von Santa Cruz zu organisieren“, sagt Flores in dem Interview. Er kündigt an, er werde unter seiner Führerschaft eine bewaffnete Miliz aufbauen, um den Autonomieforderungen der Ostprovinzen Nachdruck zu verleihen. Sollte es mit der Autonomie nach ein paar Monaten nicht klappen, so Flores auf dem erst jetzt zugänglichen Filmdokument, „dann rufen wir die Unabhängigkeit aus und machen uns unser eigenes Land.“ – „Das passte zu ihm, so tickte er“, sagt die Filmregisseurin Ibolya Fekete, die 2001 in dem dokumentarischen Film „Chico“ Flores’ Leben nachzeichnete. Flores spielte darin sich selbst.

Die Biografie des Jorge Hurtado Flores alias Eduardo Rozsa-Flores ist so vielfältig, dass sie als Panoptikum der Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts taugt. Flores irrlichterte als ewiger Provokateur vom Neo-­Marxismus über den Katholizismus und Kleinstaaten-Nationalismus bis zum Rechtsextremismus und zum Sufismus, der mystischen Spielart des Islam – und oft war Waffengewalt im Spiel, denn Flores sah sich gern als Mann des Krieges. Die jeweiligen Ideologien schienen für den Bürgerschreck nur als Kostüme zu dienen, in die er schlüpfte, um die gleiche Rolle in immer neuen Varianten zu spielen: Flores, der Retter der Unterdrückten dieser Erde.

Kommunistischer Agent
profil traf Flores Ende 1997 in Budapest. Der kleine, dunkle Latino-Magyare mit den lebhaften Augen galt damals als schräger Vogel, der im Kroatien-Krieg gekämpft hatte und in einer lokalen TV-Soap den Schurken spielte. Einigen Zeitungen hatte er erzählt, dass er Anfang der achtziger Jahre vom ­ungarischen Auslandsgeheimdienst be­auftragt worden sei, dem internationalen Terroristen Carlos bei dessen Ungarn-Besuchen Gesellschaft zu leisten. Das Thema war damals aktuell, denn Illich Ramirez Sanchez alias Carlos, der Schakal, war eben von einem Pariser Gericht zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden. Der einst meistgesuchte Terrorist der Welt hatte Ungarn und andere Ostblockländer als Rückzugsraum und Basis für Waffenlager benutzt.

Mit seinem Hund, den er Tito nannte, bewohnte Flores eine mit Kriegsreliquien – Geschosshülsen, Fahnen, Autokennzeichen –, Büchern und Zeichnungen vollgestopfte Altbauwohnung in der Budapester Theresienstadt. Stundenlang erzählte er freimütig über seine Begegnungen mit Carlos und über sein eigenes Leben.

Sein Vater György (Jorge) Rozsa war Kommunist, Maler, Kunsthistoriker, Theatermacher. Der ungarische Jude überlebte als einziges Mitglied seiner Familie den Zweiten Weltkrieg. 1948 emigrierte er nach Bolivien, heiratete die bolivianisch-spanische Lehrerin Nelly Flores. Rozsa senior kannte Che Guevara, der später das Idol des jungen Flores werden sollte, persönlich. Nach Che Guevaras Tod im bolivianischen Dschungel half Rozsa den wenigen Über­lebenden der Gruppe bei der Flucht nach Chile. Vor dem Putsch des rechtsgerichteten Führers Hugo Banzer im Jahr 1971 floh die Familie von Bolivien nach Chile, wo der Sohn Eduardo eine Jesuitenschule besuchte. Als 1973 Augusto Pinochet in Chile eine Militärdiktatur errichtete, reisten Eduardo und seine Eltern über Schweden 1975 wieder nach Ungarn.

Hier wurde Eduardo an der Militärakademie zum Abwehroffizier ausgebildet. Im sowjetischen Minsk verbrachte er ein halbes Jahr an der Dserschinski-Akademie des KGB. Als Carlos nach Ungarn kam, war Flores dort gerade Unteroffizier bei den Grenztruppen. Sein Oberst wollte ihn zu einem Spion vom Kaliber des legendären Sowjetagenten Richard Sorge machen. „Das war auch mein Traum“, erzählte Flores später. Flores’ Auftrag war es, das Vertrauen von Carlos zu gewinnen. „Du als Lateinamerikaner bist der Einzige, der ihm näherkommen kann“, sagten seine Führungsoffiziere. Der Geheimdienst sei mit dem Venezolaner nicht glücklich gewesen, erinnerte sich Flores: „Ich glaube, ich war auf der ungarischen Seite Carlos’ einziger Freund.“

Carlos und Flores hatten gleichermaßen eine Zeit lang mit dem osteuropäischen Kommunismus sympathisiert, dann aber das System zunehmend als zu lasch und bürokratisch empfunden. Carlos verriet Flores seine Haltung zu den kommunistischen Machthabern: „Bruder, wir brauchen sie nicht zu lieben, wir benützen sie einfach. Denk an Machiavelli: In der Revolution sind alle Mittel erlaubt.“ Als Flores einwandte, dass bei den von Carlos durchgeführten ­Terroranschlägen auch Unschuldige den Tod fanden, antwortete der Berufsrevolutionär: „Erstens gibt es keine Unschuldigen, und zweitens ist das der Preis jeder Revo­lution.“

Kroatischer Nationalist
„Eduardo kann man mit den herkömmlichen Begrifflichkeiten von ‚links‘ und ‚rechts‘ weder beschreiben noch verstehen“, meint die Filmregisseurin Ibolya Fekete. „In ihm brannte ein Gerechtigkeitssinn, er war da völlig radikal. Wenn er wo eine Ungerechtigkeit sah oder wähnte, konnte er richtig in Wut geraten. Und er wollte sofort handeln. So etwas ist heute nicht mehr unbedingt in Mode.“ Der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa öffnete ihm die Augen für die Verbrechen und Sünden dieser Regime.

Ein Erlebnis in Kroatien sollte ihn schließlich auf einen anderen Weg bringen. Flores bereiste damals als Reporter das im Umbruch befindliche Albanien und landete im Sommer 1991 in der ostkroatischen Stadt Osijek, die von der jugoslawischen Volksarmee belagert wurde. Für Journalisten war das ein gefährliches Terrain. Als ein befreundeter Kameramann von serbischen Heckenschützen erschossen wurde und der jugoslawische Armeesprecher in Osijek kaltschnäuzig erklärte, dieser sei unbefugt in eine Sperrzone eingedrungen und deshalb ein „legitimes Ziel“ gewesen, platzte Flores mitten in einer Pressekonferenz der Kragen. „Herr Oberst“, schleuderte er dem Offizier entgegen, „wenn das so ist, dann schieße ich ab morgen zurück.“ Am nächsten Tag meldete sich Flores tatsächlich als Freiwilliger bei der kroatischen Nationalgarde. Diese hatte damals noch einen schweren Stand und freute sich über den „Spanier“ umso mehr, als sich herausstellte, dass er auch tatsächlich mit der Waffe umgehen konnte.

Flores war in dieser Zeit bereits gläubiger Katholik und Mitglied der ultrakonservativen katholischen Laienorganisation Opus Dei. Im Kroatien-Krieg gründete er eine internationale Brigade, einen bunten Haufen, dem sich Söldner, Abenteurer, Neonazis und Wirrköpfe anschlossen. Er wurde dreimal verwundet, zum Major und später zum Oberst befördert und erhielt die kroatische Staatsbürgerschaft. Nach dem Fall der kroatischen Stadt Vukovar und der Konsolidierung der Front in Ostkroatien kehrte Flores 1992 nach Ungarn zurück.

Dort blieb er ein Außenseiter, ein charismatischer Sonderling, der sich für Hilfslieferungen nach Bosnien, in den Sudan und in den Irak engagierte. Er liebte es zu pro­vozieren. Im Herbst 2008 interviewte ihn
der Reporter Andras Kepes in einem Straßen­café in Osijek, einer inzwischen friedlichen ­kroatischen Kleinstadt. Flores trug ein grünes T-Shirt, auf dem eine Kalaschnikow prangte. Kepes sprach ihn auf die Provokation an. „Das ist Humor“, antwortete Flores, „das passt einfach hierher.“

Die späten Jahre
Der alternde Veteran hatte einen leichten Schmerbauch angesetzt und trug einen fassonierten Vollbart mit ersten grauen Strähnen. Er kaufte sich ein Bauernhaus in dem malerisch gelegenen nordungarischen Dorf Szurdokpüspöki. Der ewige Revoluzzer schien fast ein wenig häuslich geworden zu sein. Doch das Ambiente verriet einiges über Flores’ Gedankenwelt. Im Garten stand eine Stalin-Büste mit der Aufschrift „Kotz-Ecke“. Weiter hinten wehte die Fahne der Gemeinde Rackeve bei Budapest, die so ähnlich aussieht wie die mittelalterliche Arpad-Fahne, die von den ungarischen Rechten und Rechtsextremisten geschwungen wird. Die obligaten Kriegsreliquien – Geschosshülsen, ein verrosteter Minenwerfer-Untersatz – zierten eine Balustrade. Daneben lehnte eine zerschossene Autotür, im Fenster stand eine fratzenhafte Maske des bei der Rechten verhassten sozialistischen Ex-Premiers Ferenc Gyurcsany. Ein Schrebergarten jener Obsessionen, die Flores offenbar bis zuletzt umgetrieben haben.

Der einstige Marxist publizierte in obskuren rechtsextremen Blättern und Internetportalen. Die Wut und Empörung des ewigen Rebellen richtete sich gegen das in Ungarn regierende linksliberale Lager. Flores teilte die in rechten Kreisen beliebte Phantasmagorie, dass das Land mehr oder weniger unverändert von einer „kommunistischen Clique“ beherrscht und unterdrückt werde. Er hing einem versponnenen Nationalismus an, der die ungarische Nation als „Gemeinschaft freier Ungarn unter dem Schirm der heiligen Krone“ definiert, die es zu „erwecken“ gelte. Der Ton seiner politischen Glossen war schrill, unduldsam und aggressiv. Er hetzte gegen die Roma und beschimpfte die Zionisten im Staat Israel wegen der Übergriffe im Gazastreifen als „vergammelte Nazis“. In seinem Dorf organisierte er ein SS-Traditionstreffen („Tag der Ehre“), und er nahm an Aufmärschen der rechtsextremen, paramilitärischen Ungarischen Garde teil.

Flores wehrte sich stets dagegen, als Söldner abgestempelt zu werden. „Er hat es nie für Geld gemacht“, meint die Filmregisseurin Fekete. „Es ging ihm immer nur um irgendeine ‚Sache‘, egal, ob wir dieser etwas abgewinnen konnten oder nicht.“ Tatsächlich lebte Flores bescheiden, ohne große Ansprüche. In dem Interview mit dem Journalisten Kepes spricht Flores von Nostalgie, allerdings „nicht, was das Kämpfen betrifft, sondern die Gemeinschaft, die Kameradschaft“. Doch auch da liegt der Schatten eines Verdachts über dem Soldaten Flores. Der Schweizer Christian Würtemberg, der sich 1991 Flores’ Truppe in Osijek anschloss, wurde unter mysteriösen Umständen erwürgt. Flores behauptete, der junge Mann sei bei einem Streifengang zurückgefallen und von Serben überwältigt worden.

Freunde von Würtemberg sind aber überzeugt, dass dieser von einem Söldner aus der eigenen Truppe ermordet wurde. Flores’ Leute hatten herausgefunden, dass sich der Schweizer als Undercover-Journalist eingeschleust hatte, um über das Innenleben der Brigade zu schreiben. Der Budapester Schriftsteller Ivan Bächer war ein Jugendfreund von Eduardo Flores – die Familien wohnten in Ungarn im selben Haus. In der Pubertät gingen aber ihre Wege langsam auseinander, erinnert sich Bächer. Eduardo begann, manisch Waffen zu sammeln. „Wir trafen uns immer seltener“, so Bächer, „einmal war er Jude, dann wieder Protestant, geendet haben soll er als Moslem und kämpferischer Faschist.“ Bächer nimmt die Rollen, in die sein einstiger Jugendfreund im Lauf seines Lebens geschlüpft ist, nicht ernst: „Ich weiß, dass er nichts davon war. Er wollte um jeden Preis kämpfen, für irgendeine gute Sache, und wenn es keine gab, dann eben für eine schlechte.“ Vorvergangenen Freitag wurde Eduardo Rozsa-Flores in Santa Cruz begraben.

Gedicht von Eduardo Rozsa-Flores
Nichts anderes bleibt mir,
als die Erinnerungen zu liquidieren.
Erschossen liegen sie da,
eine neben der anderen,
reglos und schön.
Vielleicht gönne auch ich mir eine solche stille und albtraumlose Nacht.