Der neue Sexismus

Debatte. Über junge Frauen im Journalismus, die sich durchaus gegen Politiker und Pressesprecher wehren können

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Von Anna Giulia Fink

Ich bin 27 Jahre alt und gehöre zu jenen Journalistinnen, die neben ihrem Studium mit Anfang 20 ein Praktikum nach dem anderen belegt haben. Die da und dort einen Artikel unterbrachten und dann angefangen haben, regelmäßig für Redaktionen großer Zeitungen zu arbeiten. Die Erfahrung mit Pressesprechern haben, die ungefragt ihren sexuellen Erfahrungsschatz ausbreiten, mit Politikern, deren Andeutungen mehr als zweideutig sind, und die nicht selten Adressatin oder zumindest Zeugin schlüpfriger Witze und unangebrachter Kommentare wurden.

Wir gehören zu einer Generation, die Politiker wie Rainer Brüderle für „aus der Zeit gefallen“, so der „Stern“, hält. Weil wir aufgewachsen sind in einer Zeit, in der Buben und Mädchen gleichermaßen mitgegeben wurde, dass sie alles werden können, was sie möchten. Wo eine Intellektuelle schön und eine Hausfrau emanzipiert sein kann. Wo es nicht nur Frauen gibt, die es geschafft haben, sondern auch Männer, die sich dadurch nicht infrage gestellt fühlen. Eine Generation, die aufgewachsen ist im Zeitalter der Gleichberechtigung, in dem die Errungenschaften des Feminismus eine Selbstverständlichkeit darstellen. Und wo offener Sexismus als primitiv gilt – und als etwas, von dem man sicher ist, damit umgehen zu können.
Zumindest dachten wir das.

Doch irgendwann standen wir plötzlich und gänzlich unvorbereitet an dem Punkt, wo sich die Gleichheit, die wir für selbstverständlich genommen hatten, als trügerisch herausstellte.

Denn der neue Sexismus kommt subtiler und diffuser daher als Brüderles Altherrenwitze: Er begegnet uns in der Form von schmierigem Schmäh, zweideutigen Bemerkungen, Abfälligkeiten und der Reduzierung auf Äußerlichkeiten. Er greift auch selbstbewusste Frauen in einem heiklen, intimen Bereich an und weist sie in die Schranken. Bei aller Emanzipation kennt auch meine Generation eine Menge Schilderungen von Belästigungen, denen man im beruflichen Umfeld ausgesetzt ist. Ihre Wirkung aber hängt unmittelbar von der Umgebung ab, in der sie passieren. Auf Anmachen in der U-Bahn oder in einer Bar kann man reagieren. In der Berufswelt, die aus Abhängigkeiten besteht, ist man hingegen machtlos. Man kann sich zwar wehren, aber nur zu einem hohen Preis.

Im besten Fall gilt man als schwierig, hysterisch und prüde, im schlechtesten Fall ist man seinen Job los. Ein unpassender Spruch im Umkreis von Kollegen und Vorgesetzten kann noch so billig sein – er ist deswegen nicht weniger wirksam. Die Diskriminierung, mit der junge Journalistinnen konfrontiert sind, ist weniger derb und deswegen nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar. Gerade deswegen tut man sich manchmal schwer, sie als solche wahrzunehmen.

Es ist auch für uns eine Illusion, dass wir alle tatsächlich überall gleich sind. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Machtpositionen weiterhin vorwiegend von Männern besetzt werden. Damit bleibt in der Arbeitswelt oftmals eine Atmosphäre erhalten, in der man sich mehr gefallen lässt, als man sich selbst gern eingesteht. In der sich nur schwer ein Gespür dafür entwickeln lässt, was richtig und was falsch ist, ab wann eine Linie übertreten wurde und ab wann es wert ist, sich darüber zu beklagen.

In der Debatte um Sexismus gibt es Empörung und Anklage – nur eine Debatte, die zu einem bewussteren, respektvolleren Umgang führen könnte, die gibt es nicht.

Es macht tatsächlich einen Unterschied, wenn – wie selbst von Frauen in der Debatte eingebracht – statt Rainer Brüderle George Clooney an jenem Abend an der Bar gestanden wäre. Nur: nicht weil George Clooney charmant ist, Rainer Brüderle hingegen ein Endsechziger und sein Flirt ein misslungener ist.

Sondern weil es sich um ein Hintergrundgespräch gehandelt hat, das für Journalisten ebenso zum Job gehört wie das Aufbauen von Beziehungen und Nähe. Dennoch gibt es klare Fronten zwischen privat und beruflich. Laura Himmelreich hat sich vor Ort noch gegen die Vermischung der beiden Welten verwahrt. Wäre die Anmache von einem Vorgesetzten gekommen, hätte die junge Journalistin sie wohl wortlos über sich ergehen lassen. Vielleicht hätte sie mit Kollegen darüber gesprochen, aber ganz sicher keinen Artikel darüber geschrieben.

Mit stumpfen Politikern oder Pressesprechern kommen wir klar. Das wahre Problem liegt bei den Grenzüberschreitungen, die innerhalb der beruflichen Hierarchien passieren.

Bei allem Selbstbewusstsein: Gegen das sind wir bis heute machtlos.