Der erfolgreichste Torschütze Europas

Der erfolgreichste Torschütze Europas: Allround-Talent Marc Janko im Porträt

Allround-Talent Marc Janko im Porträt

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Dass es dem Tabellenführer der österreichischen Bundesliga nicht an liquidem Kapital mangelt, zeigt er gern und in möglichst vielen Bereichen. Die Salzburger Stadionkantine zum Beispiel gleicht eher einem Szenerestaurant als einer Sportlergaststätte: Businessanzüge, edle Weine, viel Glas, noch mehr helles Holz, Flachbildschirme, properes Servierpersonal. Das Geschäft läuft bestens. Im Hinterzimmer residiert eine Abordnung der Wirtschaftskammer, an der Bar die Blackberryfraktion, in der Mitte der Superstar: Marc Janko, 25, der derzeit erfolgreichste Torschütze Europas. Eine Schar dienstbarer Geister kreist um den Fixstern Janko: Pressesprecher, Presseassistentin, Marketingchef, Hausfotograf, Schulterklopfer. Der Küchenchef kommt persönlich vorbei, um sich nach den werten Menüwünschen zu erkundigen (Steak, medium, mit Caesar’s Salad). Der Marketingleiter erzählt inzwischen von seinem jüngsten Coup: Die neuen Notizblöcke mit Spielermotiven gehen weg wie kalte Dosen. Das Janko-Motiv kommt besonders gut an, vielleicht sollte man dafür mehr verlangen. Janko winkt ab: Der Kollege Sekagya hätte eine Preiserhöhung verdient. Den Janko-Block könne man ruhig verschenken.

Ein Erfolg, wie ihn Marc Janko gerade erlebt, könnte einem durchschnittlich veranlagten 25-Jährigen durchaus zu Kopf steigen, in der notorisch erfolgsorientierten Red-Bull-Welt fällt derlei ohnehin leicht. Janko bleibt aber am Boden, der Statistik zum Trotz: 27 Tore in 19 Liga-spielen, allein in den letzten vier Spielen zwei Hattricks, Führung in der österreichischen und der gesamteuropäischen Torschützenliste, jeweils mit deutlichem Abstand. Die „Süddeutsche Zeitung“ erklärte ihn schon zum „neuen Krankl“, das Fachblatt „Kicker“ widmete dem „Janko Express“ ein ausführliches Porträt, auch der Fußball-Weltverband FIFA wies auf seiner Homepage bereits nachdrücklich auf das Phänomen Janko hin. Sein Trainer Co Adriaanse, vormals Coach von Ajax Amsterdam und FC Porto, erklärte öffentlich, er habe „noch nie einen Stürmer trainiert, der so einen Lauf hatte“. Sogar die Konkurrenz (in Gestalt von FC-Kärnten-Coach Frenkie Schinkels) streut Rosen: „Janko ist kein Österreicher und kein Ausländer, er ist ein Außerirdischer.“

Nobeladressen. Eine ganze Reihe prominenter Fußball-Scouts teilt diese Einschätzung. Mehr als 20 europäische Spitzenclubs haben in den vergangenen Wochen ihr Interesse an Janko signalisiert, darunter Nobeladressen wie Tottenham, AS Roma, Hertha Berlin und Bayern München. Jankos Manager Georg Stanggassinger verbringt seine Arbeitstage derzeit großteils mit der Entgegennahme, Sortierung und Sondierung lukrativer Wechselangebote. Der Marktwert seines Lieblingskunden wird aktuell auf mindestens fünf, eher acht Millionen Euro beziffert. Als Janko im Jahr 2005 von der Admira nach Salzburg wechselte, belief sich die Ablösesumme noch auf 350.000 Euro.

Einstweilen will sich Janko, dessen Vertrag erst 2011 ausläuft, jedoch auf keine Zukunftsprognose festlegen: „Im Sommer gibt es vertraglich einige Möglichkeiten, mein erster Ansprechpartner bleibt aber Red Bull. Ich habe dem Verein schließlich viel zu verdanken. Klar ist: Ohne meine Unterschrift läuft nichts, Fußball ist kein Sklavenhandel.“ Dass sein Verein – dank eines relativ großzügigen Hauptsponsors – keine Geldsorgen hat und auf ertragreiche Spielertransfers auch ganz gut verzichten könnte (auf einen treffsicheren Mittelstürmer hingegen eher nicht), hält Janko für kein Karrierehindernis: „Das ist doch auch für Red Bull eine schöne Sache: einen jungen Spieler aufzubauen, der danach europaweit gefragt ist. Das zeigt, dass der Verein einheimischen Talenten keine Steine in den Weg legt.“

In der Partie gegen Austria Kärnten am 16. November zeigte Janko exemplarisch, von welchem Talent hier die Rede ist. Es war ein typisches Janko-Spiel: in der ersten Hälfte weitgehend unsichtbar, im zweiten Durchgang zwei wie aus dem Ärmel geschüttelte Treffer, später eine leichte Muskelverhärtung, in der Schlussminute trotzdem noch ein Traumtor. Endstand 4:1, Janko reißt die Hand hoch und humpelt aus dem Strafraum. Die Blessur sollte sich später als harmlos erweisen.

Nicht immer hatte der gebürtige Wiener so viel Glück. Verletzungen prägten über Jahre hinweg seine Karriere, weshalb diese auch erst spät in Gang kam: Erst mit 21 Jahren schaffte Janko den Sprung in den Profifußball – bei seinem Stamm- und Heimatverein Admira Wacker. Seit seinem achten Lebensjahr hatte der Mödlinger bei den Südstädtern gespielt, nach der Matura an einem Wiener Sportgymnasium bei den Admira-Amateuren angeheuert. Es war nicht die einfachste Zeit seiner Laufbahn: „Sportlich war die Amateurliga ziemlich unbefriedigend und auch finanziell nicht wirklich lukrativ.“ Janko jobbte nebenbei, inskribierte schließlich am Juridicum in Wien. „Dort war ich aber eher Karteileiche als regulärer Student.“ Energie und Zeit flossen nach wie vor in den Fußball, bis Janko seine Chance bekam: Die Admira-Kampfmannschaft musste mangels fitter Stammspieler aushilfsweise auf den jungen Stürmer aus der Amateurmannschaft zurückgreifen. Man bereute es nicht: Janko bewährte sich im A-Team und wurde schon nach einer Saison vom Salzburger Liga­krösus abgeworben.

Lebenserfahrung. Der Karrieresprung provozierte Skepsis: „Viele Zeitungen haben damals schon das Ende meiner Laufbahn heraufbeschworen, und auch Freunde und Kollegen haben mich gewarnt: In ein paar Monaten spielst du bei den Salzburg-Amateuren.“ Die Prophezeiung erfüllte sich nicht, Janko konnte sich in der prominent besetzten Salzburger Legionärs­truppe behaupten – auch dank seiner Lebenserfahrung, wie er selber meint: „Vielleicht hätte ich mit etwas mehr Vertrauen von meinen damaligen Trainern schon früher Karriere machen können. Aber weil ich so lange auf meine Chance warten musste, habe ich gelernt, dass man manchmal durchhalten und sich eben schrittweise herankämpfen muss. Man muss sich Dinge zutrauen, an sich glauben. Aber natürlich braucht man auch einen Trainer, der einem vertraut.“

Dieser Trainer wurde ihm im vergangenen Frühjahr beschert. Der neue Salzburg-Coach Co Adriaanse verpasste der (von seinem Vorgänger Giovanni Trapattoni in hochwertigen italienischen Verteidigungsbeton gegossenen) Mannschaft eine Offensivkur. Janko lässt keinen Zweifel daran, dass sein jüngster Erfolgslauf dadurch erst möglich wurde: Ohne verwertbare Flanken bleiben auch die besten Mittelstürmer Strafraumstaffage. „Ich profitiere unendlich von meinen Mannschaftskollegen“, sagt Janko, dem der aktuelle Rummel um seine Person nicht zuletzt aus diesem Grund suspekt bleibt.

Trotzdem ist Janko natürlich mehr als nur ein Nutznießer effektiver Flügelspieler. Er ist – im Moment zumindest – der kompletteste Mittelstürmer des Landes: blitzschnell, dank 1,96 Meter Körpergröße enorm kopfballstark und dazu ein echtes Bewegungstalent. Während ähnlich stattlich gewachsene Stürmer wie Luca Toni oder Jan Koller bisweilen etwas behäbig wirken, beherrscht Janko den Strafraum in artistischer Manier. Das könnte familiäre Gründe haben: Beide Eltern waren Spitzensportler, Eva Janko gewann bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko die Bronzemedaille im Speerwurf, ihr Mann Herbert war mehrfacher Hochsprung-Staatsmeister. An sportlich wertvollen Anregungen mangelte es im Hause Janko denn auch keineswegs: „Man bekommt schon durch die Blume mitgeteilt, was wichtig wäre, um im Leistungssport zu bestehen. Aber es ist immer mir selbst überlassen geblieben, was ich machen möchte. Meine Eltern würden mich genauso lieben, wenn ich Jurist geworden wäre.“

Vielleicht liegt hier, in dieser wohlbehüteten, zwanglosen Mittelstandsjugend, die Basis für Jankos herausragende Eigenschaft: seine Offenheit. Wo andere Kicker, um den Vereinsfrieden und die eigenen Karriereaussichten zu wahren, ein professionelles Duckmäusertum entwickeln, pflegt Janko die dezidierte Meinung, selbst wenn sie schmerzhaft ist – für ihn, seine Mannschaftskollegen, seine Trainer. Natürlich spult auch Marc Janko die branchenüblichen PR-Phrasen routiniert
(wenn auch vielleicht eine Spur zu rasant) herunter, sagt dann aber auch Sätze wie diese: „Ich bin ein mündiger 25-jähriger Mensch, und ich werde nicht darauf verzichten, gewisse Dinge richtigzustellen.“ Unter „gewisse Dinge“ rubriziert er in diesem Zusammenhang vor allem die österreichische Sportberichterstattung: „Ich verstehe schon, dass der Journalismus ein schnelllebiges Geschäft ist, aber was hier manchmal geschrieben wird, hat so viel mit der Wahrheit zu tun wie Äpfel mit ­Birnen.“

Kritikfähigkeit. Aber auch in der eigenen Branche ortet Janko streitkulturelles Verbesserungspotenzial: „Von uns Spielern wird ständig Selbstkritik gefordert, aber sobald wir selbst Kritik üben, wird uns das als Charakterschwäche ausgelegt. Ich will niemanden in die Pfanne hauen, ich will nur einige wichtige Sachverhalte auch aus Spielersicht darstellen.“ Das gilt vor allem für das Nationalteam: Nach dem missratenen WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer-Inseln im Oktober sorgte Janko mit seiner Kritik am damaligen ÖFB-Präsidenten Friedrich Stickler (der, ganz Gentleman, den ersten verfügbaren Rückflug für sich und Sponsoren beansprucht und seine Spieler bis drei Uhr früh am Flughafen ausharren lassen hatte) für einigen Aufruhr – so etwas ist man im österreichischen Fußball nicht gewohnt; der Spieler hat hier auch abseits des Platzes möglichst pflegeleicht (sprich: Streber) zu sein. Darauf hat Marc Janko freilich keine Lust. Es ist das ganz pragmatische Selbstbewusstsein des Erfolgreichen, das ihn daran hindert, in den Modus operandi österreichischer Durchschnittsfußballer zu verfallen: die professionelle Schönfärberei. Zum Nationalteam fällt ihm trotzdem nicht nur Negatives ein: „Das Nationalteam leidet an der verzerrten Außenwahrnehmung. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist zu groß. Wir sind nicht so schlecht, wie es nach dem Färöer-Spiel geheißen hat, aber auch nicht so gut, wie nach dem Frankreich-Spiel (3:1 für Österreich, Anm.) behauptet wurde.“

Wahrscheinlich hatte der ehemalige Salzburg-Trainer Giovanni Trapattoni Spieler wie Marc Janko vor Augen, als er seinen berühmten Aphorismus prägte: „Fußball ist immer Ding, Dang, Dong. Es gibt nicht nur Ding!“ Ein Fußballspieler sollte nach Möglichkeit nicht nur technisch, sondern auch charakterlich gefestigt sein. Janko erfüllte diesen Anspruch mühelos. Und nicht nur diesen, wie auch sein Pressesprecher beim Fotoshooting feststellen muss – mit ehrlicher Begeisterung: „Fotogen ist er auch noch. Jetzt wird’s schön langsam kitschig.“

Von Sebastian Hofer

Fotos: Philipp Horak