'Der Weltpräsident' Barack Obama

Ein wichtiger Schritt Richtung Präsidentschaft

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Johann ist extra aus Holland gekommen. „Obama ist ein Star“, sagt der Mittvierziger. „Politiker wie ihn gibt es vielleicht drei-, viermal in einem halben Jahrhundert.“ John F. Kennedy etwa, der einst vor dem Schöneberger Rathaus gesagt hat: „Ich bin ein Berliner.“ Johann hat Obama schon einmal in New Hamp­shire gesehen und ihm da sogar die Hand geschüttelt. Die Girls mit den „Britain for Obama“-Shirts schauen ganz neidisch. „Er ist der Mann der Zukunft“, sagt Kurt aus Berlin ins Mikrofon von Christine Amanpour von CNN. Später wird sie ihren Sehern erstaunt berichten, dass die Leute stundenlang vor den verschlossenen Tretgittern ausharrten und dann, auch noch drei Stunden vor Obamas Auftritt, einen Massensprint um die besten Plätze hinlegten.

„Wahnsinn, wie nah wir ihm sind“, freut sich Raul aus Spanien mit seiner Freundin. Rund um ihn: Mädchen aus Japan und aus Wien, Burschen aus Polen, Amerikanerinnen, Franzosen. Aus Griechenland sind sie gekommen und auch aus Norwegen. Obamaniacs aus allen Ländern, hier vereinigen sie sich. Ein Bild wie aus der Benetton-Werbung. Die allermeis­ten sind unter dreißig. Das Wetter: Really Presidential. Woodstock im Tiergarten. Als Obama dann im Laufschritt von der Siegessäule zur Rednertribüne eilt, kennt der Jubel keine Grenzen mehr. Die ersten Mädchen kollabieren. „Yes we can“, rufen die, die auf den Beinen bleiben. In den Gesichtern: Entzücken. Es ist kein Auftritt, es ist eine Erscheinung. Mehr als 200.000 Menschen sind fest entschlossen, Barack Obama, bisher nicht mehr als designierter Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl, wie einen Messias zu feiern. „Das ist unser Moment, dass ist unsere Zeit. Unsere Generation muss ihre Spur in der Geschichte hinterlassen“, sagt Obama und beschwört wenig und viel zugleich: Kooperation in Afghanistan und im Irak, im Kampf gegen den Terror und für den Klimaschutz, weil die Probleme zu komplex sind, als dass sie ein Land alleine lösen könne. Aber immer ist da ein Schuss Utopie: Dass die Reichtümer „für alle, nicht für die wenigen“, da seien. Und dass es uns etwas angehe, wenn in Darfur Menschen massakriert würden.

„Dieser Mann wird der 44. Präsident der USA“, kommentierte später „Spiegel“-Online. Mehr noch: „Ein Weltpräsident.“ Würden die US-Wahlen in Deutschland abgehalten, Obama käme auf 72 Prozent. In Frankreich, Großbritannien, Russland, Italien – überall das gleiche Bild. Bloß in Tansania erhielte Rivale John McCain 50 Prozent. Gott weiß, warum. Berlin, vergangener Donnerstag – das war für Barack Obama der Höhepunkt eines Triumphzugs. Vorher war er in Afghanistan, dann im Irak, in Jordanien, in Israel. Anschließend ging es nach Paris und London. Noch ist die Außenpolitik Obamas gefährdete Flanke im Wahlkampf. Zwar liegt der demokratische Präsidentschaftskandidat in den Umfragen deutlich vor seinem Rivalen John McCain, aber in der Sicherheitspolitik halten die Amerikaner den 72-jährigen Vietnamkriegshelden McCain einfach für erfahrener als den jungenhaften Obama. McCain lässt keine Gelegenheit aus, über Obamas „Naivität“ zu spotten. Aber die vergangenen Tage haben Obama seinem Ziel – der Präsidentschaft – einen gewaltigen Schritt nähergebracht.

Obama kündigte an, er wolle alle US-Kampftruppen bis Sommer 2010 aus dem Irak abziehen. Dafür sollten die Einheiten in Afghanistan aufgestockt werden, denn der Kampf gegen Al Kaida werde dort gewonnen. Der irakische Premier Nuri al-Maliki begrüßte Obamas Ankündigung ausdrücklich. Sogar Noch-Präsident ­George W. Bush spricht jetzt von einem „Zeithorizont“ für den Abzug aus dem Irak. Und dass Bush jetzt direkte diplomatische Gespräche mit dem Iran über dessen Atomprogramm führt, ist Wasser auf die Mühlen Obamas – zuvor hatten die Republikaner noch seine Ankündigung direkter Verhandlungen mit Teherans Präsident Mahmoud Ahmadinejad und seinen Mullahs als gefährliches „Appeasement“ gegeißelt.

Rohrkrepierer. Für Obama läuft es also ziemlich rund. Und für John McCain geht im Moment alles schief. Dabei hat es der Präsidentschaftsanwärter der Republikaner ohnehin schwer genug. Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich auf Obama, den Mann mit dem „Etwas“. Den Neuen. Das Phänomen. Obama begleiteten die führenden Stars der wichtigs­ten TV-Stationen auf seine Weltreise. McCain blieb daheim, schrieb einen Leserbrief an die „New York Times“ – und holte sich vom zuständigen Redakteur eine Demütigung. In dem Brief stünde nichts Lesenswertes, beschied der in seinem Antwortschreiben.

Fast scheint Obama wie ein Zauberer, dem alles, was er anfasst, gelingt. Schon fragt das US-Magazin „Time“, ob denn die Novemberwahl überhaupt noch ein Wettkampf werde. Schließlich werden die Republikaner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Kongresswahlen verlieren, die Demokraten haben Rückenwind wie noch nie. Die Finanzkrise kostet die Republikaner weiteres Vertrauen. „Es ist Zeit, die Frage zu stellen: Ist McCain ein Rohrkrepierer?“, ätzt „Time“. Aber es ist nicht nur die Gunst der Stunde, die Obama nützt. Dem Glück und dem Zufall wird nichts überlassen in der Obama-Kampagne. Obama erwies sich bei seinem kometenhaften Aufstieg nicht nur als Mann mit Charisma, sondern auch als erstaunlicher Manager, der eine schlagkräftige Wahlkampfmaschine aufgebaut hat. Seine Rockstar-Aura half ihm dabei: Die besten Leute wollen für ihn arbeiten. Chefstratege David Axelrod gilt als Meis­ter seines Fachs, Stabschef Pete Rouse war der engste Mitarbeiter von Ex-Senatssprecher Tom Daschle und galt wegen seines politischen Gewichts lange als „101. Senator“. Obamas On­line-Guru ist kein Geringerer als Chris Hughes, den alle nur „the wunderkind“ nennen, seit der das Social Network Facebook gründete. Nach dem Netzwerkprinzip orches­trierte er auch die Obama-Kampagne. „Hope“ – „Hoffnung“ – ist das Schlüsselwort von Obamas Wahlkampf. Dass die Botschaft überall ankommt, dafür sorgt eine veritable „Machinery of Hope“, witzelt das Magazin „Rolling Stone“.

Auch in der Außenpolitik kann sich Obama längst auf ­eine Art Mini-State-Departement stützen. Chefaußenpolitikerin ist Susan Rice, die schon in der Clinton-Regierung als Staatssekretärin arbeitete. Die Afroamerikanerin gilt als heißester Tipp für den Pos­ten der Nationalen Sicherheitsberaterin, sollte Obama ins Weiße Haus einziehen. Ihr zur Seite steht Anthony Lake, der unter Clinton dieses Schlüsselamt innehatte. Ex-Nahostverhandler Dennis Ross begleitete Obama durch die Weltkrisenzone. Und im Hintergrund sorgt ein legendärer alter Mann für die großen Linien: Zbigniew ­Brzezinski, Veteran des Kalten Kriegs und Sicherheitsberater unter Jimmy Carter, zählt ebenso zum Beraterkreis Obamas wie sein Sohn Mark und seine Tochter Mika Brzezinski. Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass Obama, damals noch ein unbekannter Senator im Lokalparlament des Staates Illinois, mit einer furiosen Rede bei der Convention der Demokraten die nationale Bühne betrat. Gerade einmal dreieinhalb Jahre ist er Senator in Washington. Aber in dieser kurzen Zeit scharte Obama einen Brain Trust um sich, dessen Effektivität selbst die legendäre Clinton-Maschine in den Schatten stellt. Mit nahezu genialen Taktiken schlugen Obamas Strategen Hillary Clinton aus dem Rennen. Punktgenau konzentrierten sie sich bei den Primaries auf jene Staaten, die die meisten Delegierten zu vergeben hatten, und auf jene Wahltermine, bei denen der Sieg das meiste „Momentum“ versprach. „Der beste Beweis für Obamas Fähigkeit, die Nation zu führen, ist die Fähigkeit, mit der er seinen Wahlkampf führt“, urteilt Dick Morris, einstmals gefürchteter Strippenzieher unter Bill Clinton.

Genie-Aura. „Obama ist das politische Äquivalent zu einem Regenbogen – ein plötzliches übernatürliches Ereignis, das Ehrfurcht und Ekstase auslöst“, schrieb Joe Klein, der Politbestseller-Autor („Primary Colours“) über den Shootingstar. Inzwischen hat die Obamamanie etwas Selbst­referenzielles: Man ist ein bisschen über Obama begeistert, weil so viele Menschen von ihm begeistert sind. Obama ist Kult. Längst sprießt um ihn der schönste Personenkult. Obama hat seine eigene Person in eine Bewegung verwandelt. Doch mehren sich auch die warnenden Stimmen, und oft ist da der Realismus verdammt schwer von Miesepetertum zu unterscheiden. Weckt Obama mit seiner Rhetorik von „Change“ und „Hope“ nicht Hoffnungen, die er notwendigerweise enttäuschen muss? Obama steuert nun, nachdem er den innerparteilichen Wettbewerb bei den progressiven Demokraten für sich entschieden hat, in die Mitte. Sprich: nach rechts. Denn wenn er die Präsidentschaft für sich entscheiden will, muss er die Wechselwähler, die Unentschlossenen für sich gewinnen, am besten noch ein paar Wankelmütige aus dem Lager der Gegner. Da darf er auch Konservative nicht abschrecken. Vor allem in der Außenpolitik solle man nicht zu viel von Obama erwarten, warnen die Skeptiker. Amerika bleibe auch unter Obama eine Hypermacht, die zunächst ihre eigenen Interessen im Auge habe. Und gerade ein demokratischer Präsident werde wohl auch als „harter Kerl“ auftreten müssen, weil das amerikanische Heimpublikum die Demokraten in Sicherheitsdingen als Feiglinge ansehe.

Obama war gegen den Krieg im Irak, aber er wird seine Folgen erben. Und er wird die US-Streitmacht nicht Hals über Kopf abziehen. Schon redet er von einem „verantwortlichen“ Abzug, was Interpretationsspielraum lässt. Überdies hat er ohnehin nur den Rückzug der „Kampftruppen“ für Sommer 2010 versprochen. Von den nicht kämpfenden Einheiten war ebenso wenig die Rede wie von den privaten Sicherheitsfirmen, die nichts anderes als Söldnermilizen sind, die aus dem US-Budget bezahlt werden. Obama kündigte auch an, den Kampf gegen Al Kaida auf jene Regionen Pakistans auszuweiten, die de facto als Rückzugsgebiet der Gotteskrieger dienen – ohne Konflikt mit dem Verbündeten Pakistan wird das nicht gehen. Und die neue transatlantische Kooperation, die Obama beschwört, wird auch ihren Preis haben: Der Druck auf Europa wird wachsen – Obama wünscht sich sowohl im
Irak wie auch in Afghanistan stärkeres ­Engagement.

Aber Obama ist auch ein kluger Kopf, und er sieht die Welt auf andere Weise als die Konservativen, die in den vergangenen Jahren den Ton angaben. „Weil viele Konservative Amerika als außergewöhnlich tugendhaft ansehen – und davon ausgehen, dass diese Tugendhaftigkeit für andere ebenso selbstverständlich ist –, können sie gar nicht begreifen, wie aggressiv manche US-Aktionen von fremden Nationen angesehen werden, und dass die Ängste, die diese Aktionen auslösen, wiederum zu gefährlichem Verhalten der anderen führen“, formulierte in diesen Tagen Samantha Powers, lange Zeit Obamas Außenpolitik-Strategiedenkerin mit Genie-Aura. Zwar musste Powers diesen Posten räumen, weil sie Hillary Clinton im Vorwahlkampf als „Monster“ bezeichnete, aber man darf durchaus voraussetzen, dass Obama ziemlich ähnlich denkt wie sie.

Obama ist kein Pazifist. Für jeden US-Präsidenten ist Krieg eine Option. Aber für Obama wird Krieg sicher nicht die ers­te Option sein. Und es spricht einiges dafür, dass er sich mit Korrekturen in Nuancen nicht begnügen wird. „Ich spreche zu Ihnen heute nicht als Präsidentschaftskandidat, sondern als Bürger. Als Bürger der Vereinigten Staaten, aber auch als Mitbürger, als Welt-Mitbürger“, erklärte Obama der ergriffenen Menge vor der Berliner Siegessäule. Das war schön gesagt – aber dennoch mehr als nur ein schönes Wort. Als Sohn eines Kenianers und einer Amerikanerin wuchs er zwischen den Kulturen auf. Die prägenden Kinder- und Jugendjahre verbrachte er in Indonesien. Er lernte, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen. Und er lernte auch, sich selbst mit den Augen der anderen zu sehen. In seinem Senatsbüro in Washington hängen Fotos von Martin Luther King, von Mahatma Gandhi, von Nelson Mandela – und das berühmte Bild von Muhammad Ali über dem ausgeknockten Sonny Liston. Obamas rasanter Aufstieg verdankt sich auch seiner Fähigkeit, seine Gegner zu verstehen. So hat er sehr oft auch Konservative für seine Projekte gewonnen – erst in Harvard, wo er erster schwarzer Präsident des renommierten „Law Journal“ wurde, später in der Lokalpolitik, danach im Senat.

Glückskind. Obama ist auch ein Getriebener, der sich nicht mit halben Sachen be­gnügt. Schon als er in Illinois aufstieg, war er von derart überbordendem Selbstbewusstsein, dass ein Kollege später über ihn sagte, er hätte, ohne mit der Wimper zu zucken, für den Posten des „Königs der Welt“ kandidiert, wenn das Amt zu haben gewesen wäre. „Ja, ich möchte jemand sein, ich möchte der Typ vor diesem Mikrofon sein, ich möchte der Typ im Fernsehen sein“, sagte er einmal in einem Interview. „Nur der Präsident zu sein ist nicht das, worüber ich nachdenke. Man will doch ein großer Präsident sein.“ Noch ist er nur ein großer Kandidat. Wie ein Glückskind sieht er aus, wenn er da auf dem Podium steht, über ihm der imposante Berliner Wolkenhimmel, unter ihm eine Viertelmillion Menschen, die in ihm irgendwie das Versprechen einer besseren Welt sehen. Und Barack Obama dazwischen. Allein.

Wenn einem das Glück zufliegt, dann hat ein anderer Pech. John McCain, unter dessen Wahlkampfplanern sich schon Frus­tration breitmacht, schaltete vergangene Woche einen Werbespot, um Obamas „Change“-Parole zu konterkarieren. „Der Wandel, den du verdienst“, lautete der Slogan. Alle seine Marketingleute hatten übersehen, dass dieser Spruch schon von einem großen Pharmazieunternehmen verwendet wird.
In einer Werbung für ein Antidepres­sivum.

Von Robert Misik