Schwarze Schwes-tern: Deutschland/Ö.

Deutschland/Österreich: Schwarze Schwestern

Deutsche Rechtswende könnte Schüssel helfen

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Waren das noch Zeiten: Jubel schon am Gartentor, Gedränge auf den Stiegen, Blitzlichter, Kameras! Noch mit Irokesenfrisur bewaffnet, empfing der hoffnungsfrohe SPÖ-Kanzlerkandidat Alfred Gusenbauer am 25. Mai 2001 den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Kreisky-Villa in Wien. Kaum einer der zahlreichen Geladenen bezweifelte, dass es sich de facto um einen vorweggenommenen Kanzlergipfel handelte – noch dazu an einem Ort, wo schon Bruno Kreisky mit seinem Freund und Visavis Willy Brandt in stundenlangem Palaver die Weltpolitik verhandelt hatte.

Kreisky und Brandt sind tot, Gusenbauer ist noch lange nicht Kanzler, und Schröder ist es wohl schon bald nicht mehr.

Mit der vorgezogenen Bundestagswahl zeichnet sich nicht nur eine Wende im deutschen Nachbarstaat ab – auch in Österreich werden die politischen Karten neu gemischt. Seit der deutsche SPD-Chef Franz Müntefering noch am Abend des Wahldebakels seiner Partei im roten Kernland Nordrhein-Westfalen vorvergangenen Sonntag Bundestagswahlen im September ankündigte, rotieren die Spin-Doktoren – in Berlin sowieso, aber auch in Wien.

Die Prognose der Experten: Die ÖVP dürfte ein leicht besseres Blatt bekommen. „Der schwierige Herbst für die ÖVP könnte durch einen CDU-Sieg etwas gemildert werden“, meint Wolfgang Bachmayer vom OGM-Institut. „Wenn Rot-Grün abgewählt wird, ist das natürlich ein Ass im Ärmel der ÖVP“, glaubt der Politologie-Professor Fritz Plasser.

Fernwirkung. Plassers Klagenfurter Kollege Peter Filzmaier sieht das etwas anders: „Ich bin mir nicht sicher, ob eine Ablöse Schröders der ÖVP wirklich helfen würde. Wer sagt denn, dass dies nicht auch in Österreich eine Veränderungsstimmung auslöst?“

Haben Wahlen in Deutschland überhaupt eine Fernwirkung auf die politischen Vorlieben der Österreicher? Auf den ersten Blick kaum – und dennoch sind die politischen Entwicklungen im Nachbarland eng mit jenen hierzulande verknüpft. Dreieinhalb Jahrzehnte lang gab es fast deckungsgleiche Veränderungen im politischen Kräfteverhältnis (siehe Grafik Seite 17):

In beiden Staaten regierten bis Ende der sechziger Jahre christdemokratische Regierungen, obwohl die Ausgangslagen höchst unterschiedlich waren: In der deutschen Bundesrepublik ließen die Alliierten erst 1949 wählen; die CDU musste überdies als Sammelpartei für das in der Weimarer Republik konfessionell zersplitterte bürgerliche Lager neu konzipiert werden – eine Aufgabe, die der ÖVP im katholischen Österreich erspart blieb. In Deutschland wie in Österreich wehte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre der Wind des Zeitgeistes die Sozialdemokraten an die Spitze, wenngleich die roten Kanzler der Bundesrepublik – Willy Brandt und Helmut Schmidt – nie die Traumwerte ihres Wiener Genossen Bruno Kreisky erreichen konnten. In Deutschland stieß Helmut Kohl 1982 die Sozialdemokraten nach dem fliegenden Koalitionswechsel der FDP aus dem Kanzleramt, wenige Monate später verlor auch Kreisky seine absolute Mehrheit. Ab Mitte der achtziger Jahre drifteten die Entwicklungen auseinander: In Österreich kam es zum Aufstieg des Rechtspopulismus, in Deutschland zur Wiedervereinigung und schließlich 1998 zur Wahlniederlage der CDU, welche die gravierenden Probleme beim Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten unterschätzt hatte.

Heute, meint Politikwissenschafter Filzmaier, seien die Entwicklungen weit gehend voneinander abgekoppelt: „Wenn die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen schwierig sind, trifft es die Regierungen. Parallelen gibt es dann nur bei den Stimmungslagen für Opposition und Regierungen.“

Rückenwind. In der ÖVP hat man diese Tatsache bereits registriert: Die vorgezogenen deutschen Wahlen und die sich abzeichnende Wende zur CDU/CSU werden hier nicht unbedingt als Vorteil gesehen. Michael Strugl, VP-Landesgeschäftsführer der oberösterreichischen ÖVP und 2002 in Wolfgang Schüssels Wahlkampfteam: „Hätte Deutschland regulär gewählt, also 14 Tage vor uns, hätten wir natürlich Rückenwind gehabt. In einem Jahr ist kaum noch ein Effekt da, außer, es ginge unter Angela Merkel schlagartig aufwärts.“

2002 war in Deutschland zwei Monate vor dem Urnengang in Österreich gewählt worden. Die ÖVP hatte verzweifelt vor einem „rot-grünen Experiment“ auch in Österreich gewarnt. Als es Gerhard Schröder und Joschka Fischer allen Prognosen zum Trotz doch noch einmal schafften, kam Schüssel – wie so oft in jenem denkwürdigen Wahljahr – das Glück zu Hilfe: Wenige Tage nach der deutschen Bundestagswahl wurde ruchbar, dass SPD-Finanzminister Hans Eichel die tristen Budgetzahlen für den Wahlkampf geschönt hatte.

Die SPÖ verlor wegen der Angriffe der Regierungsparteien auf das Modell Rot-Grün kurz vor dem Wahltag die Nerven: In einer Pressekonferenz distanzierte sich Spitzenkandidat Alfred Gusenbauer von den sozialpolitischen Maßnahmen der deutschen Links-Regierung und verglich sie mit jenen des schwarz-blauen Wendekabinetts in Österreich. Kanzler Gerhard Schröder war darüber so verschnupft, dass er seine Teilnahme an der Abschlusskundgebung der SPÖ absagte. Die Verstimmung zwischen dem SPD-Kanzler und Österreichs SPÖ-Chef scheint sich bis heute nicht gelegt zu haben. Während seiner Wien-Visite im vergangenen März beriet Schröder lange mit Wolfgang Schüssel, für Gusenbauer fiel erst nach heftigem Drängen ein kurzer Fototermin am Flughafen ab.

Eine spätere Analyse der Erdrutschwahlen von 2002 ergab, dass Schüssels eindringliches Warnen vor Rot-Grün maßgeblich zu seinem Wahltriumph beigetragen hatte. 50 Prozent der 2002 von der FPÖ zur ÖVP übergelaufenen Wähler gaben in einer Nachwahlbefragung des Fessel-Instituts an, sie hätten eine rot-grüne Regierung verhindern wollen. Schüssel selbst war nur für 30 Prozent der ehemaligen Freiheitlichen ein Wahlmotiv. Die Fessel-Forscher in ihrem Resümee: „Die Ablehnung der rot-grünen Koalition erwies sich für Zuwanderer zur ÖVP sichtbar mobilisierender als das gleichermaßen koalitionstaktische Motiv zur Verhinderung einer Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition für Zuwanderer zur SPÖ.“ Anders gesagt: Die Angst vor Rot-Grün war rechts der Mitte größer als der Grant auf Schwarz-Blau links der Mitte.

„Das rot-grüne Gespenst hat durch die Wahlvorverlegung jetzt endgültig ausgedient“, glaubt SPÖ-Klubobmann Josef Cap: Wenn Schröder und Fischer doch noch einmal gewinnen sollten, hätten Rot-Grün zum dritten Mal den Prüfstempel der deutschen Wähler bekommen, „und wenn Schüssels Parteifreundin Merkel siegt, muss sie es erst einmal besser machen“.

Neuauflage. Auch Politologe Fritz Plasser glaubt an eine eher beschränkte Wirkung einer Neuauflage der Kampagne von 2002: „Die ÖVP wird bestenfalls versuchen können, Rot-Grün in Erinnerung zu rufen. Ob das klappt, ist fraglich.“

In der ÖVP, wo schon bereits den Wahlkampf vorbereitende Koordinierungssitzungen zwischen der Wiener Zentrale und den Landesbüros stattfinden, stellte man sich vergangene Woche auf die neuen Gegebenheiten ein. Wahlkampfleiter Reinhold Lopatka will trotz der veränderten Lage in Deutschland nicht auf das so erfolgreiche Leitmotiv verzichten: „Klar kann in einem Jahr viel passieren, aber vergessen wird Rot-Grün natürlich nicht.“

Dafür sorgt die schwarze Propagandamaschine schon jetzt vor. Nach dem schwarzen Triumph in Nordrhein-Westfalen beschworen vergangene Woche die Innenministerin, die Bildungsministerin, der Finanzminister, der Vizekanzler sowie eine halbe Kompanie von Abgeordneten in Aussendungen die daraus zu ziehende Lehre: Rot-Grün – ein im Chaos untergegangenes Auslaufmodell.

Neue Daten. Auch der Patient BZÖ, bei dem der ehemalige Haider-Sprecher Karl-Heinz Petritz als Spin-Doktor operiert, will im Wahljahr 2006 die dann vielleicht schon längst verblasste Ära Schröder/Fischer in Österreich auf die Wahlkampf-Agenda setzen: „Deutschland ist einfach ein Mahnmal gegen Rot-Grün. Und Jörg Haider kann es sich auf die Fahnen heften, dass er Österreich diesen Weg erspart und 2000 und 2002 die Regierungsverantwortung übernommen hat.“

Vor der nächsten Wahl könnte freilich das Unbehagen über die bestehende österreichische Regierung größer sein als jenes über das abgetretene Kabinett in Deutschland. In der SPÖ-Zentrale freut man sich derzeit jedenfalls über Daten, welche die Institute IFES und SORA nach der Spaltung der FPÖ in einer Großstudie (2000 Befragte) erhoben haben. Zum einen liegen demnach die Sozialdemokraten mit 43 zu 36 Prozent deutlich vor der ÖVP. Das ist viel, aber noch keine Erfolgsgarantie: Im Wahlkampf 2002 gewann Schüssels ÖVP zehn Prozentpunkte hinzu, die SPÖ nur zwei.

Zum anderen kursieren im roten Hauptquartier Daten, die ein starkes Ansteigen der Proteststimmung signalisieren. So treten derzeit 50 Prozent der Österreicher für eine schnelle Ablöse der Regierung ein – im Wahljahr 2002 hatte dies nur ein Drittel der Befragten befürwortet. 58 Prozent meinen, die Politik dieser Bundesregierung gehe in die falsche Richtung – im Jahr 2002 waren es nur 39 Prozent gewesen.

Dass die Regierung nicht genug gegen die Arbeitslosigkeit unternimmt, glaubten 2002 nur 45 Prozent; heute werfen 60 Prozent der Österreicher Schüssels Team Laxheit in der Beschäftigungspolitik vor.

Überdies dürfe man nicht vergessen, dass die Warnung vor Rot-Grün viel an Dramatik verloren habe, seit die ÖVP in Oberösterreich und zuletzt in Bregenz eine Koalition mit den Grünen bildete, meint SORA-Forscher Günter Ogris.

Ogris unterschätzt dabei freilich den Einfallsreichtum des schwarzen Wahlkampfleiters Reinhold Lopatka. Lopatka vergangene Woche auf die profil-Frage, warum Schwarz-Grün toll, Rot-Grün aber brandgefährlich sei: „Sie wissen ja, wie das mit Paracelsus und der Dosis ist. In einer rot-grünen Koalition drohen die Grünen nach links zu kippen, in einer schwarz-grünen Koalition werden sie Profil bewahren.“

Von Herbert Lackner und Ulla Schmid