Die süße Seuche

Diabetes. Als Folge von Über­ernährung, Bewegungsmangel und Fettsucht erfasst Diabetes immer mehr Junge

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Von Bernadette Németh

Mara geht allein zur Schulärztin. Die anderen Kinder sind schon voraus­gelaufen, Mara hört ihr Lachen hinter der Ecke des Flurs. Niemand wollte auf sie warten. „Dickerchen“ ist noch das Freundlichste, was die anderen Kinder zu ihr sagen. Manchmal wird sie auch schlimmer beschimpft; vor allem, seit sie bei der letzten Turnstunde zwischen den Leitersprossen stecken geblieben ist. Die Schulärztin blickt Mara besorgt an, als diese von der Waage steigt. „Sechzig Kilo, das ist zu viel in deinem Alter“, sagt sie.

Immer öfter sehen Schulärzte dicke Kinder. Jedes fünfte Kind in Österreich ist übergewichtig, jedes zwölfte fettleibig. Bei den Erwachsenen ist der Anteil doppelt so hoch. In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der krankhaft fettleibigen Menschen in Österreich um 30 Prozent gestiegen.

Und mit steigendem Körpergewicht steigt auch die Zahl der Diabetiker – in Österreich derzeit geschätzte 600.000, Tendenz steigend. Weil die Krankheit schleichend und lange Zeit schmerzfrei verläuft, wissen viele Betroffene nichts von ihrem Leiden. Bei der Erstdiagnose sind viele Patienten schon jahrelang Diabetiker – mit weitreichenden möglichen Folgen: Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung, Nervenschäden, Wundheilungsprobleme, Beinamputation, Nierenversagen.
Nie zuvor im Lauf der Evolution hatten die Menschen so viel Nahrung zur Verfügung wie heute in den entwickelteren Ländern, und nie zuvor bewegten sie sich so wenig. Dazu kommt, dass die industriell gefertigte Nahrung besonders viele Kalorien enthält, wie der Grazer Stoffwechsel­experte Thomas R. Pieber kürzlich im „Kurier“ darlegte: Demnach nehmen Babys, die nicht oder nur kurz gestillt werden, mit der industriellen Nahrung um 20 Prozent mehr Kalorien zu sich. Ein Kilo eines industriell gefertigten Lebensmittels enthält heute fast doppelt so viele Kalorien wie vor 40 Jahren. Die Kalorienmenge von Tiefkühlpizzen in den USA hat sich in den vergangenen 25 Jahren verdreifacht.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte die global fortschreitende Fettsucht zur „Epidemie des 21. Jahrhunderts“. Weltweit leiden mit 300 Millionen Betroffenen weit mehr Menschen an Fettleibigkeit als an Untergewicht. Die US-Amerikaner führen mit 108 Millionen Übergewichtigen die Statistik an – gut jeder dritte US-Bürger ist zu dick. Unaufhaltsam schwappt diese Welle auch nach Europa. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass immer mehr Kinder betroffen sind, denn die dicken Kinder von heute sind die Adipositas- und ­Diabetes-Patienten von morgen. Experten warnen vor einem „Gesundheits-Tsunami“: „Es bedarf einer umfassenden Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung“, so der Präsident der Diabetes Initiative Österreich, Bernhard Ludvik, Stoffwechselexperte an der Medizinischen Universität Wien. „Insbesondere die Politik muss handeln.“ Eine Hoffnung für Betroffene gibt es nur in Form einer grundlegenden Änderung des Lebensstils: weniger Kalorien, mehr Bewegung. „Wenn wir mit unserer Lebensweise so weitermachen, werden wir alle Diabetiker“, fürchtet die Wiener Internistin Eli­sabeth Krippl, Leiterin der Diabetesambulanz im Wiener Privatspital „Hera“ und Spezialistin für die Behandlung von offenen Beinen bei Diabetikern – die in vielen Fällen eine bereits geplante Amputation abwenden konnte.

Mithilfe des so genannten „Body-Mass-Index“
(BMI: Körpergewicht, geteilt durch Körpergröße zum Quadrat) kann jeder selbst erkunden, ob er diabetesgefährdet ist. Das Normalgewicht liegt bei Erwachsenen unter 25, zwischen BMI 25 und 30 spricht man von Übergewicht, ab 30 von Adipositas (Fettsucht). Übergewicht bei Kindern ist ein besonderes Alarmzeichen, denn im Kindesalter angelegte Fettzellen verschwinden nicht mehr – sie können später bestenfalls schrumpfen. An den Folgen von Fettleibigkeit tragen Kinder ein Leben lang: Von den hochgradig Übergewichtigen entwickeln etwa 40 Prozent die Neigung zur Zuckerkrankheit. Aus diesem Grund sind Eltern in besonderem Maße gefordert, ihren Kindern das Schicksal des „Dickerchens“ zu ersparen.
Der Fachterminus „Diabetes mellitus“ für Zuckerkrankheit kommt vom lateinischen Wort für „honigsüߓ. Schon Ärzte des Altertums ­stellten fest, dass der Harn von bestimmten Patienten – die, wie wir heute wüssten, zuckerkrank waren – honigsüß schmeckte. Die Mediziner unterscheiden zwischen Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2. Eine Schlüsselrolle bei beiden Formen spielt der körpereigene Botenstoff Insulin. Dieser wird in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse produziert. Muskel-, Leber- und Fettzellen benötigen den Kraftstoff Zucker in Form von Glukose, um zu funktionieren. Das Hormon Insulin ist der Bote, der den mit der Nahrung aufgenommenen Zucker nach jeder Mahlzeit in die Zellen lotst.

Die Veranlagung zum eher seltenen Diabetes Typ 1 betrifft vor allem junge Menschen, in Österreich etwa 50.000 Personen. Diesen Patienten fehlt schlichtweg das körpereigene Insulin. Durch eine Autoimmunreak­tion richtet sich das Abwehrsystem des Körpers gegen eigene Zellen, in diesem Fall die Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Mit fatalen Folgen: Die Betazellen werden zerstört, der Körper kann kein Insulin mehr bilden; das wichtige Hormon muss daher lebenslang durch Insulininjektionen zugeführt werden. Diabetes Typ 1 macht fünf bis zehn Prozent aller Diabeteserkrankungen aus und betrifft auch schlanke junge Menschen, unabhängig vom Lebensstil. Als Ursache werden Virusinfektionen und eine entsprechende Veranlagung vermutet.

Im Gegensatz dazu entsteht der häufigere Typ-2-Diabetes normalerweise in höherem Lebensalter – deshalb wird er auch „Altersdiabetes“ genannt. Diese Bezeichnung führt sich jedoch immer mehr ad absurdum, denn der „Alters­diabetes“ betrifft immer mehr junge Menschen. Bei diesen Patienten sind die insulinproduzierenden Zellen an sich funktionsfähig. Doch durch eine Kombination von Symptomen, in der Fachsprache „metabolisches Syndrom“ genannt, kommt es zu einer mangelnden Insulinwirkung, der so genannten Insulinresistenz. Unter metabolischem Syndrom versteht man die Kombination aus Übergewicht, erhöhten Insulinwerten bei oft noch normalen Blutzuckerwerten, hohem Blutdruck, hohen Blutfettwerten (vor allem das „schlechte“ LDL-Cholesterin sowie die Triglyceride sind erhöht) und zu niedrigem „guten“ HDL-Cholesterin.

Warum entwickelt sich aus der Insulinresistenz der Typ-2-Diabetes? – Körperzellen, die auf Glukose angewiesen sind, um zu funktionieren, besitzen Antennenmoleküle, die auf das Hormon Insulin reagieren. Ein jahrelanges Überangebot an Fetten und Zuckern in der Ernährung führt dazu, dass Muskel-, Fett- und Leberzellen irgendwann streiken. Die „Antennen“ versagen, die Glukose wird nicht mehr in die Zellen transportiert, sondern überschwemmt das Blut, während das Innere der Zellen hungert. Spätestens jetzt werden erhöhte Zuckerwerte im Blut messbar. Doch das ist nicht alles. Um den scheinbaren Mangel auszugleichen, produziert die Bauchspeicheldrüse immer mehr Insulin, das jedoch schlecht wirkt. Nach einigen Jahren sind die Betazellen erschöpft, die Insulinproduktion versiegt ganz.

Die im Blut überreichlich vorhandene Glukose richtet Schäden an Gefäßen, Nerven und Organen an, die oftmals lange unbemerkt bleiben. Etwa ein Drittel aller ­Diabetiker weiß im Anfangsstadium nichts von seiner Krankheit. Die Folgeschäden: Zuckermoleküle neigen dazu, sich gemeinsam mit Fett und abgestorbenen Immunzellen in den Gefäßen abzulagern, und führen so zur Gefäßverengung. Das Herz muss mehr arbeiten, der Blutdruck steigt. Folge der harten Arbeit sind eine Verdickung der Arterienwände des Herzens, eine Herzmuskelschwäche und Infarkte. Der Zucker schädigt auch die Gehirngefäße. Aus den verdickten Gefäßwänden können sich Gerinnsel lösen und Blutkanäle verstopfen – ein Schlaganfall droht. Er ist die häufigste Folge von zu hohem Blutdruck und trifft Übergewichtige doppelt so häufig wie Normalgewichtige. Zudem schädigt hoher Blutdruck das feine Augengewebe, was unbehandelt zur Erblindung führen kann. Weitere Spätfolgen der unentdeckten Zuckerkrankheit sind Wundheilungsstörungen und Nierenversagen. Im schlimmsten Fall endet der unbehandelte Diabetes tödlich.

Insulinresistenz wird durch mehrere Faktoren verursacht: Energiereiche, ballaststoffarme Ernährung, Übergewicht, ­Bewegungsmangel, Rauchen sowie Bluthochdruck gehören dazu. Auch genetische Faktoren tragen zur Entwicklung des Typ-2-Diabetes bei. Wichtig für jeden behandelnden Arzt ist daher die Erstellung einer genauen Familienanamnese, also die Erhebung von Diabetesvorkommen in der Eltern- und Großelterngeneration. Die gute Nachricht: Auch wenn bereits Eltern und Großeltern betroffen waren, lässt sich die Krankheit meist durch gesunden Lebensstil vermeiden. Ist sie bereits fortgeschritten, verordnen die Ärzte Diabetesmedikamente in Tablettenform. Typ-2-Diabetiker müssen nicht von Anfang an Insulin spritzen; versagen die Betazellen jedoch ihren Dienst, müssen auch sie zur Spritze greifen.

Fettleibigkeit geht nicht zwingend mit Insulinresistenz einher. Aber, so erläutert der Internist Hermann Toplak, Stoffwechselexperte an der Grazer Medizinuniversität und Präsident der Österreichischen Adipositasgesellschaft: „Von adipösen Menschen haben bis zu 90 Prozent eine Insulinresistenz.“ Genug Grund also, bei diesen Patienten vermehrtes Augenmerk auf die Diabetesvorbeugung zu legen. Gefährdet sind besonders dicke Menschen mit „Apfelfigur“, in der Fachsprache „Stammfettsucht“ genannt. Sie beginnt, wenn der Taillenumfang bei Männern 94 und bei Frauen 80 Zentimeter überschreitet, und wird bei Männern ab 102 und bei Frauen ab 88 Zentimeter besonders gefährlich.

Von „Bauchspeck“ sind vor allem Männer betroffen. Gute Nachricht für Frauen: Ihr birnenförmiger „Hüftspeck“ ist im Allgemeinen weniger schädlich, da er weiter weg vom Herzen „abgelagert“ wird. Auch der Wiener Stoffwechselexperte Ludvik sieht als Ursachen für Diabetes vor allem jahrelange falsche Ernährung und zu wenig Bewegung: „Hier ist erhöhte Bewusstseinsbildung notwendig. Denn Fettleibigkeit ist nicht nur für Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall, sondern auch für einen Anstieg der Krebshäufigkeit verantwortlich.“ Die genauen Gründe dafür sind noch unklar. Dennoch gilt Fettleibigkeit als Risikofaktor vor allem für Tumore an Speiseröhre, Dickdarm, Brust, Gebärmutter und Nieren. Ein Grund dafür könnte sein, dass die durch Adipositas entstehende Insulinresistenz den ­Anteil der Geschlechtshormone im Blut – und zwar weibliche und männliche – ­ansteigen lässt. Erhöhte männliche Geschlechtshormone beschleunigen im weiblichen Organismus jedoch das Krebswachstum an Brust und Gebärmutter. Das Risiko nach der Menopause ist zusätzlich höher, weil sich der Hormonhaushalt umstellt. Die Hälfte der Brustkrebsfälle bei Frauen nach der Menopause soll so auf vermehrten Bauchspeck zurückgehen.

Ähnlich ist es bei Gebärmutterkrebs: Dicke Frauen haben ein dreifach höheres Risiko, ­daran zu erkranken, als normalgewichtige. Warum auch andere Krebsarten Fettleibige häufiger treffen, ist umstritten. Diskutiert wird, ob das Stoffwechselchaos mehr schädliche Moleküle, so genannte freie Radikale, im Körper entstehen lässt, die das Erbgut verändern, oder ob an der Krebsentstehung beteiligte Botenstoffe (Enzyme) stimuliert werden. Die gute Nachricht: Wer zehn Kilo abnimmt und das Gewicht auf Dauer hält, senkt sein Risiko, an einer Diabetesfolge­erkrankung zu sterben, um 30 Prozent; das Risiko eines Krebstods sogar um 40 Prozent.

In den westlichen Industrienationen sind ­immer mehr jüngere, durchwegs übergewichtige Menschen von Typ-2-Diabetes betroffen. In den USA hat sich die Zahl der Typ-2-Diabetesfälle in der Altersgruppe der Jungen in den letzten 20 Jahren verzehnfacht. Für Europa wird ein ähnlicher Trend befürchtet. Verantwortlich sind auch hier vor allem die deutliche Zunahme von Übergewicht unter Kindern und Jugendlichen, falsche Ernährung und zu wenig Bewegung. Oftmals finden sich schon bei jungen Patienten gleichzeitig erhöhte Blutdruckwerte und eine Fettstoffwechselstörung. Besonders oft wird der Typ-2-Diabetes nach dem Einsetzen der Pubertät beobachtet.

Eine „gestörte Glukosetoleranz“ gilt als Vorstufe von Diabetes. Diese lässt sich durch einen Zuckerbelastungstest diagnostizieren. Dabei muss der Patient 75 Gramm Zuckerlösung schlucken. Dann wird nach zeitlichen Intervallen der Blutzucker gemessen, um zu testen, ob der Körper die Glukose adäquat verarbeitet. Kurt Widhalm, Leiter der Abteilung für Ernährungsmedizin der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, auf die Frage, wie lange es dauert, bis sich aus einer gestörten Glukosetoleranz ein Diabetes entwickelt: „Laut Forschern der Universität Yale ist diese Gefahr in beziehungsweise nach der Pubertät wesentlich größer als bei Erwachsenen. Ein Drittel der Jugendlichen mit gestörter Glukosetoleranz entwickelt bereits nach 21 Monaten die Krankheit Diabetes.“

Bei 20 bis 30 Prozent der übergewichtigen Patienten ist zusätzlich eine Verfettung der Leber zu beobachten, die laut Widhalm nicht nur bei Erwachsenen, sondern bei entsprechendem Übergewicht bereits im Kindesalter auftritt. Die so genannte Fettleber beeinflusst den Zuckerstoffwechsel massiv. Denn die Leber ist für die Umwandlung von Eiweiß (etwa aus Muskelzellen) in Zucker verantwortlich. Verfettet sie, büßt der Körper laut Widhalm „die letzte Bastion der Blutzucker­regulierung“ ein.

Das Problem von Übergewicht und dar­aus resultierendem Diabetes lässt sich allerdings nicht allein auf falsche ­Ernährung und mangelnde Bewegung reduzieren. Auch Stress spielt eine wichtige Rolle. Wer viel Stress hat, greift schneller zu ungesundem Essen. Chronischer Schlafmangel reduziert die Fähigkeit des Körpers, den Fettstoffwechsel zu regulieren. Stress schädigt auch auf mikrochemischer Ebene: Zu viel Fett bringt das körpereigene Abwehrsystem aus dem Takt und produziert Stress für jede einzelne Zelle. Bauchfett fördert nämlich Entzündungen in den Zellen, die zur Entstehung des gefürchteten „bösen“ LDL-Cholesterins führen, das beim metabolischen Syndrom ebenfalls erhöht ist. Randvolle Fettzellen im Bauch senden etwa zehnmal mehr Entzündungsstoffe aus als „leere“ Zellen. Dieser Zellstress hat negative Wirkungen auf sämtliche Funktionen des Körpers. Auch Rauchen verstärkt die Negativspirale: Die Feinstaubbelastung der Lunge, die dabei entsteht, kurbelt Entzündungsprozesse zusätzlich an.

Wenig überraschend, dass Diabetes auch ein soziales Problem ist: Ärmere Bevölkerungsschichten können sich keine teuren, hochwertigen Lebensmittel leisten und greifen zwangsläufig öfter zu Billigprodukten. Lebensmittel, die viele billige, kurzkettige Fettsäuren enthalten, werden vom Körper schlechter in Energie umgewandelt. Diese billigen Fette sind es, die sich besonders schnell in hartnäckigen Fettdepots, etwa im Bauchbereich, ablagern. Stoffwechselexperte Ludvik plädiert für einen EU-weiten Ansatz zur Förderung von gesunden Nahrungsmitteln, etwa in Form einer Fettsteuer, wie es skandinavische Länder bereits praktizieren. Gesunde Lebensmittel sollten günstiger werden als ungesunde.

Nach Meinung des Experten stellen Menschen mit Migrationshintergrund, niedrigem Bildungsgrad und niedrigem Einkommen eine Bevölkerungsgruppe dar, die besonderes Augenmerk verdient. Die Praxis zeigt nämlich, dass diese Menschen tendenziell später zum Arzt gehen und oft erst dann, wenn sie bereits Spätschäden aufweisen. Ein Grund dafür könnten Kommunikationsprobleme sein. Oft fehlt Ärzten das Verständnis für kulturell bedingte Ernährungsregeln. Viele Patienten möchten nur von Ärzten gleichen Geschlechts behandelt werden. Auch die Sprachbarriere spielt eine große Rolle. Nachdem in Österreich rund 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben, wären Aufklärungskampagnen in Schulen und Apotheken sowie in Form mehrsprachiger Folder vonnöten.

Diabetesexperten sind sich darin einig, dass die Politik handeln muss. Angesichts des bevorstehenden Tsunami sei es zum Beispiel völlig widersinnig, dass die Behandlung von Adipositas nicht von der Kasse bezahlt wird. „Es gibt genügend Medikamente, doch es mangelt an Zeit, sinnvollen Betreuungseinrichtungen und nicht zuletzt an Kassenstellen“, klagt Stoffwechselexperte Hermann Toplak. Hinzu kommt, dass adipöse Patienten aus Motivationsgründen oft den Arzt wechseln, was eine kontinuierliche Betreuung schwierig macht. „Ein Patient mit Body-Mass-Index von über 40 konsultiert oft 30 Ärzte bis zur richtigen Therapie“, gibt Toplak zu bedenken. Weil eine Lebensstiländerung Zeit erfordert, geben viele Patienten frustriert auf, wenn sich keine schnellen Ergebnisse zeigen.

Besonders prekär ist die Situation übergewichtiger Kinder:
In den Schulen werden Turnstunden gekürzt, Diätcamps sind für ärmere Bevölkerungsschichten unerschwinglich und führen selten zu einer langfristigen Lebensstiländerung. Viele dicke Kinder leiden unter psychischem Stress. Laut Toplak zeigen beispielsweise dicke Mädchen eine labilere psychische Grundstruktur als junge Krebspatientinnen. „Trotzdem verschließt die Politik nach wie vor die Augen vor dem Problem“, sagt Toplak.

Mara hingegen hatte Glück.
Die Schulärztin erkannte ihr Problem und lud die Großmutter, bei der das Kind aufwächst, zu einem Gespräch. Gemeinsam wurde ein Ernährungsplan erstellt. Beide haben gelernt, wie man schmackhafte Lebensmittel zubereitet, die nicht dick machen. Immer öfter kocht nun Mara für ihre Oma. Innerhalb eines halben Jahres nahm sie so einige Kilos ab. Die Schulärztin sprach auch mit der Turnlehrerin. Der Turnunterricht macht Mara jetzt immer mehr Spaß. Auch die Sprossenleiter macht ihr schon weniger Probleme.

Foto: Sebastian Reich für profil