Diagnose Brustkrebs: Neue Verfahren

Diagnose Brustkrebs: Die Verfahren zur Früherkennung werden immer besser.

Auch die Diagnostik soll verbessert werden

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Der Leidensweg von Anna K. begann im Sommer 2004, rund um ihren 38. Geburtstag, mit einer Veränderung an der linken Brustwarze. Die gesundheitsbewusste Frau reagierte sofort auf das Alarmzeichen. „Meine Frauenärztin überwies mich zur Mammografie“, berichtet K. „Doch der Befund war negativ.“ Zwei Monate später bildete sich ein Knoten. Eine weitere Untersuchung, eine Sonografie, ergab eine gutartige Gewebsverdichtung. Kommentar der Frauenärztin auf die daraus resultierende Besorgnis der Patientin: „Sie müssen nicht so hysterisch sein. Man kann nicht gleich schneiden.“
Einen Ärztinnenwechsel und mehrere Mammografien später spürte Anna K. im Herbst 2005 Schmerzen in der linken Brust. Die Achsel schwoll an. Aus Sicht der neuen Ärztin war auch dies kein Anlass zur Beunruhigung. Im Dezember des Vorjahres schließlich zog sich die Brustwarze nach innen. Beim Ultraschall zeigte sich ein Tumor, der laut Aussage der Gynäkologin „ein bisschen schnell gewachsen ist, aber noch immer gutartig ausschaut“.

Anna K. fragte einen befreundeten Radiologen um Rat, der „sicherheitshalber“ zu einer Biopsie riet. Aber schon ein Röntgenbild zeigte Alarmstufe Rot: Ein Tumor hatte die ganze linke Brust befallen, eine sofortige Operation war unumgänglich.
Heute, knapp ein halbes Jahr nach dem Eingriff, sagt die Betroffene: „Es wäre wahnsinnig wichtig, dass die Ärzte lernen, die Frauen mit ihren Beobachtungen ernst zu nehmen. Zwei Frauenärztinnen dachten in meinem Fall offenbar: Diese Patientin hat keine Brustkrebsfälle in der Familie, dafür aber zwei Kinder und beide gestillt. Das kann einfach kein Krebs sein.“
Jedes Jahr machen in Österreich mehrere hundert Frauen ähnlich verstörende Erfahrungen: Entweder scheint ein Tumor von einem Routinecheck zum nächsten wie aus dem Nichts ins Röntgenbild geplatzt zu sein, oder aber eine Untersuchung gibt Entwarnung, wenn der Krebs bereits wuchert. Im umgekehrten, noch häufigeren Fall werden Frauen mit dem Verdacht auf einen bösartigen Tumor konfrontiert, der sich später – nicht selten erst nach einer Operation – als unbegründet erweist.

Ein Problem liegt darin, dass die bildgebenden Verfahren – Mammografie, Ultraschall und Magnetresonanztomografie – wenig darüber aussagen, ob auffälliges Brustgewebe gut- oder bösartig ist. Diese Interpretation obliegt den Ärzten, die die Bilder deuten und in zweifelhaften Fällen mitunter an die Grenzen des Erlernten und ihrer Erfahrung stoßen. „Keine medizinische Methode ist hundertprozentig“, sagt Ernst Kubista, Vorstand der Abteilung für Spezielle Gynäkologie an der Wiener Universitäts-Frauenklinik. „Viel hängt aber von den Kenntnissen des Personals und von der technischen Ausrüstung ab.“
Jene Zahlen, die Kubista in Bezug auf die Raten von Fehldiagnosen in Österreich nennt, dürfen jedenfalls als alarmierend gelten: „Bei der Mammografie sind derzeit zehn bis 15 Prozent der Befunde falsch-negativ und 15 bis 20 Prozent – also bis zu jedem fünften – falsch-positiv“, liest Kubista aus den Statistiken.
Deutlich dramatischere Daten liegen etwa aus den USA vor. Bei einer Erhebung an der Mayo-Klinik in Jacksonville, Florida, an der jährlich rund 12.500 Mammografien durchgeführt werden, stellte sich heraus, dass drei Viertel aller Diagnosen unzuverlässig waren: Biopsien zeigten, dass ein zuvor geäußerter Krebsverdacht in nur 25 Prozent der Fälle berechtigt war.

Vorbeigezielt. In der Tat lässt sich nach heutigem Wissensstand letztlich nur per Biopsie feststellen, ob im Gewebe maligne Zellen vorhanden sind oder nicht. In der Praxis spukt aber auch hier der Fehlerteufel: Bei der routinemäßig eingesetzten Feinnadelbiopsie wird ein millimeterdünner Gewebszylinder aus dem verdächtigen Bereich gestanzt. Bei manchen der winzigen Gewächse, die von der Mammografie angezeigt werden, „geht die Stanze aber über das befallene Gewebe hinaus“, erklärt Kubista. Dies bedeutet, dass so gesundes und für die Krebsdiagnose nicht relevantes Gewebe erfasst wird. Daraus ergebe sich, so Kubista, bei Biopsien eine Quote von etwa zwei Prozent für falsch-negative Resultate.

Trotz bestehender Unsicherheiten im diagnostischen Bereich gibt es aber klare Belege dafür, dass Brustkrebspatientinnen gerade in Österreich effiziente Therapien erhalten. Als einen Indikator nennt Kubista das Verhältnis zwischen den Operationen bösartiger und gutartiger Tumoren. Gutartige Verwachsungen müssten nicht entfernt werden – außer sie verursachen Schmerzen, stören bei der Bewegung oder enstellen die Brust. „Wenn auf einen operierten bösartigen Tumor ein gutartiger kommt, so ist das guter westlicher Durchschnitt“, so Kubista. „Mit einem Verhältnis von zwei zu eins liegen wir weit darüber.“
Auch die Statistiken der vergangenen Jahrzehnte zeigen zumindest punktuell Fortschritte in der Krebsbekämpfung. So etwa liegen die Heilungschancen nach der Diagnose Mammakarzinom im Frühstadium – wenn der Krebs noch keinen Lymphknoten befallen hat – derzeit bei 80 Prozent. In den siebziger Jahren war bei der Diagnose Brustkrebs die radikale Entfernung der Brustdrüse (Mastektomie), aller Achsellymphknoten (Axilladissektion) bis zum Schlüsselbein sowie beider Brustmuskeln Standard. Dank verfeinerter Therapie- und Operationsverfahren werden in Österreich heute vier Fünftel aller Mammakarzinome brusterhaltend operiert. Bei Knoten, deren Durchmesser kleiner ist als ein Zentimeter, kann die Brust zu 95 Prozent erhalten werden.

Diese Fortschritte haben dazu geführt, dass die Sterblichkeit bei Brustkrebs seit den frühen achtziger Jahren um fast ein Zehntel gesenkt werden konnte. Doch ändert das nichts an der Tatsache, dass heute immer noch ein Drittel aller Brustkrebserkrankungen tödlich endet. Das Mammakarzinom ist die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen 35 und 55 Jahren. „Unterm Strich“, so der Wiener Gynäkologe Johannes Huber, „liegt der Sieg gegen den Brustkrebs noch in weiter Ferne.“
Weiterentwicklungen der bildgebenden Verfahren versprechen in Zukunft zumindest höhere Treffergenauigkeit bei der Diagnose. Und Frauen werden vielleicht eines Tages weder die Röntgenstrahlung der Mammografie, die ohnehin nur der eines Transatlantikflugs entspricht, noch Biopsien über sich ergehen lassen müssen. „In Zukunft werden bildgebende Verfahren in die Moleküle hineinschauen“, sagt Thomas Helbich von der Wiener Universitätsklinik für Radiodiagnostik. „Dabei geht es darum, die Zellen schon beim Bösartigwerden zu ertappen.“ Bei diesen lasergestützten Verfahren käme Röntgenstrahlung gar nicht zum Einsatz.

Kleinsttumoren. Bis die neuen Techniken ausgereift sind, werden die bestehenden Verfahren weiterentwickelt: Im klinischen Evaluierungsstadium befindet sich etwa eine Methode, die Computertomografie mit Lasermammografie verbindet. Sie wurde in Wien bisher an 800 Patientinnen erprobt. „Dabei schauen wir uns die Durchblutung des Tumorgewebes an, woraus sich wichtige Rückschlüsse auf seine Beschaffenheit ziehen lassen“, berichtet Helbich.
Aber auch die konventionelle Mammografie kann äußerst präzise Daten liefern – etwa über nur wenige Millimeter große und im Milchgang steckende Tumoren, die sich weder ertasten noch mit Ultraschall aufspüren lassen. Die Mammografie macht sie aufgrund bestimmter Muster in den Mikrokalkablagerungen der Brustdrüse erkennbar. Bei diesen „duktalen Carcinoma in situ“ (DCIS) wird allerdings diskutiert, ob eine Entfernung überhaupt sinnvoll ist und „schlafende“ Tumoren dadurch nicht erst geweckt werden. Derzeit herrscht indes Konsens, dass diese Karzinome entfernt werden müssen.
Freilich sind die solidesten Erkennungs- und Operationstechniken relativ wirkungslos, wenn es an der Interpretation von Befunden hapert oder den Patientinnen unklar ist, wie einem Verdacht auf Brustkrebs sinnvoll nachzugehen ist. Um Fälle wie jenen von Anna K. zu verhindern, soll es zu einer einheitlich akzeptierten Systematisierung der Diagnostik kommen.

Einige Bundesländer setzen dazu auf flächendeckendes, kontrolliertes „Mamma-Screening“, zu dem alle Frauen der Hochrisikogruppe der 50- bis 69-Jährigen alljährlich eingeladen werden sollen. Das Prinzip: Die verfügbaren Verfahren sollen kombiniert und einem standardisierten Prozedere folgend eingesetzt werden.
Zum diagnostischen Grundrepertoire zählen dabei die ärztliche Tastuntersuchung, Mammografie in Form von Doppelbefundung (Begutachtung durch zwei Fachärzte), eine Ultraschalluntersuchung und ein persönliches Gespräch mit der Patientin, in dem Verdachtsmomente abgeklärt und die Untersuchungsergebnisse erläutert werden. Das Risiko einer Fehldiagnose soll so reduziert werden. Ein entsprechendes Pilotprojekt läuft in Vorarlberg. Wien startet mit diesen kontrollierten Screenings im Oktober im 15., 16. und 17. Bezirk, und Oberösterreich, das Burgenland und Tirol gehen ebenfalls diesen Weg.
Die Wiener Proponentin des Projekts, die Frauengesundheitsbeauftragte Beate Wimmer-Puchinger, schwört auf die hohe Diagnosesicherheit dieses Verfahrens. Folgenreiche Fehler wie etwa bei Edith M., bei der ein Tumor an der Seite der Brust nahe der Achselhöhle übersehen wurde, oder bei Susanne Büchler, früher Vorsitzende einer Krebs-Selbsthilfegruppe, die 66-jährig erfuhr, dass trotz regelmäßiger Mammografien ein Tumor unter ihrem Herzschrittmacher wuchs, sollen damit ausgeschlossen oder wenigstens auf ein Minimum eingedämmt werden. „Unsere Röntgenassistentinnen werden in Deutschland, wo es das Screening seit einem Jahr gibt, auf den allerhöchsten Stand gebracht“, berichtet Wimmer-Puchinger.
In Innsbruck wiederum wurde ein eigenes Mammografie-Modell entwickelt. An der dortigen Universitätsklinik für Radiodiagnostik läuft seit 1995 eine Initiative zur Brustkrebsfrüherkennung, deren Resultate angeblich sogar das Vorzeigeland Finnland in den Schatten stellen. „Bei uns sind fast 90 Prozent aller entdeckten Karzinome im Frühstadium“, behauptet Dieter zur Nedden, der Leiter der Klinik. „Damit liegen wir an der Weltspitze.“

Die Methodik dieses Modells: „Die Frauen werden von den niedergelassenen Radiologen an uns verwiesen“, so zur Nedden. „Somit bieten wir eine Zweitmeinung.“ Jede Frau bekomme im Regelfall Tastbefund, Mammografie, Ultraschalluntersuchung und, wenn erforderlich, auch eine Magnetresonanztomografie. „Mit Ultraschall und MR erwischen wir noch einmal 15 Prozent mehr Karzinome“, berichtet zur Nedden. „Nötigenfalls machen wir auch sofort eine Biopsie. Der Befund wird innerhalb von zwei Stunden erstellt, und die Frauen müssen nicht mehr zwei Wochen bangen, ehe sie Gewissheit haben.“

Altersdebatte. Während die Mammografie Kleinststrukturen finden kann, liegt die Stärke von Ultraschall darin, dass damit auch dichtes Brustgewebe gut durchdrungen wird und Unterschiede zwischen gutartigem, zystischem und verdächtigem festerem Gewebe deutlich werden. Dadurch lassen sich viele Biopsien und Operationen vermeiden. Mittels des aufwändigen MR-Scans wiederum werden kleinste Abnormitäten noch zuverlässiger sichtbar gemacht als bei der Mammografie.

Eine Besonderheit des Innsbrucker Konzepts besteht darin, dass auch jüngeren Frauen zur Untersuchung geraten wird. „Wir empfehlen die Mammografie bereits ab dem 35. Lebensjahr“, sagt zur Nedden. „Gerade in der Altersgrupppe zwischen 35 und 49 Jahren finden wir fast 25 Prozent aller Mammakarzinome.“

Unumstritten sind routinemäßige Untersuchungen in diesem Alter freilich nicht. Konsens besteht lediglich darüber, so Kubista, dass Mammografien in einem Alter von weniger als 25 Jahren vermieden werden sollen: Denn da befindet sich die Brustdrüse noch in der Entwicklung und könnte durch Strahlen beschädigt werden. Die österreichische Richtlinie empfiehlt die Untersuchung generell ab dem 40. Lebensjahr im Zweijahresrhythmus und ab dem 50. jährlich. In Deutschland wird Frauen ohne Risikofaktoren die Mammografie überhaupt erst ab einem Alter von 50 Jahren empfohlen, und dies auch nur alle zwei Jahre.
Doch nicht einmal das Prinzip des kontrollierten Bevölkerungsscreenings hat nur Befürworter. „Es geht nicht an, dass gesunde Menschen in Massen zu Untersuchungen getrieben werden“, kritisiert Christian Vutuc, Leiter der Abteilung für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien. „Wir sind entmündigt, wenn wir als gesunde Menschen ständig zum Arzt geschickt werden.“

Vutuc findet, dass Frauen verantwortungsbewusst genug seien, um gesundheitspräventive Maßnahmen selbst zu bestimmen. Er rät zu sorgfältiger individueller Konsultation medizinischer Spezialisten wie etwa Radiologen – und empfiehlt, dass sich keine Frau bei der Wahl eines Labors scheuen sollte, kritische Fragen zu stellen. Etwa: Wie viele Brustuntersuchungen werden bei Ihnen jährlich gemacht? Als Richtwert für ausreichende Erfahrung gelten rund 3000 solche Diagnosen pro Jahr. Oder: Wird bei Ihnen der Befund von einem zweiten Arzt überprüft? Wann wurden Ihre Geräte zuletzt erneuert?
Österreichische Frauen, die in Selbstverantwortung entscheiden, wann sie eine Mammografie in Anspruch nehmen, senken laut einer von Vutuc soeben im „European Journal of Cancer Prevention“ veröffentlichten Studie ihr Risiko, an Brustkrebs zu sterben, stärker als Frauen in Finnland und Schweden, wo seit rund 15 Jahren kontrollierte Massenscreenings durchgeführt werden. „Die Patientinnen sollten so gut informiert werden, dass sie in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen“, postuliert Vutuc.

Teamarbeit. Ist eine Operation unvermeidlich, handelt es sich um ein „aufwändiges logistisches Unterfangen“, erklärt Raimund Jakesz, Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeinchirurgie am Wiener AKH. Dabei kooperiert er mit jenem Pathologen, der bereits bei der Biopsie die Erstdiagnose gestellt und den Tumor näher bestimmt hat. Beim Eingriff schneidet der Chirurg das kranke Gewebe samt einem Umfeld von einem halben bis einem Zentimeter heraus. Mithilfe einer blauen Flüssigkeit, die er ins Brustgewebe spritzt, ermittelt er den nächstgelegenen Lymphknoten – den „Sentinel“ oder „Wächter“ –, operiert ihn heraus und schickt ihn mit dem Tumorgewebe via Rohrpost an den Pathologen. Dieser liefert binnen zehn Minuten via Haustelefon den histologischen Befund und informiert den Chirurgen darüber, ob die Ränder frei von Zellbefall sind. Andernfalls muss noch mehr Randmaterial entfernt werden.

Wenn der Wächterlymphknoten frei von Krebszellen ist, werden – anders als noch vor wenigen Jahren – die übrigen Lymphknoten nicht mehr entfernt, wodurch der Patientin eine Reihe möglicher Beschwerden erspart bleibt. „Wir begleiten die Patientin von der primären Verdachtsdiagnose bis zur Nachsorge“, sagt Dontscho Kerjaschki, Vorstand des Wiener Instituts für Klinische Pathologie.
Am Ende der Operation schichtet der Chirurg das Brustgewebe so um, dass möglichst keine Einbuchtungen zurückbleiben. Falls eine Brust durch die Gewebsentnahme bedeutend kleiner geworden ist, kann die andere in einer Nachoperation angepasst werden. „Um die Tumoren schon im Vorfeld der Operation zu verkleinern oder sogar zum Verschwinden zu bringen“, sagt Christoph Zielinski, Vorstand der klinischen Abteilung für Onkologie am AKH, „beginnen wir sofort nach der Erkennung mit einer Chemotherapie. Die Operation wird dadurch schonender, und wir müssen im günstigen Fall nur noch das Tumorbett säubern.“

In einer Studienphase, in der international 600 Frauen involviert sind, befindet sich ein neues Operationsverfahren, bei dem die Strahlendosis zur Abtötung restlicher Tumorzellen noch während der Operation direkt ins Brustgewebe verabreicht wird. Eine österreichische Gruppe unter der Leitung der Professoren Johannes Huber und Sepp Leodolter hat sich zur Erprobung dieses in Salzburg bereits genehmigten Verfahrens am Rudolfinerhaus etabliert. „Die Idee ist, dass die Patientin binnen 24 Stunden das Krankenhaus verlassen kann“, sagt Peter Matthai, Chirurg in diesem Team. Zur Vermeidung sichtbarer Narben erfolgt die Operation durch die mit einem Schnitt geöffnete Brustwarze. „Das birgt auch den Vorteil, dass der Chirurg der Wuchsbahn des Tumors präzise entgegenoperieren kann.“

Lenkwaffen. Der Trend in der Krebstherapie geht zu immer intelligenteren, gezielt auf den Tumor gerichteten Verfahren. Nach der Etablierung der Hormontherapie als Ergänzung zur Chemotherapie, die zuletzt viel von ihrem Schrecken verloren hat, greifen Onkologen derzeit vermehrt zum Medikament Herceptin. Dieses zielt auf die so genannten HER2-Rezeptoren, die in Zellen als Andockstellen für Wachstumsfaktoren dienen.

„Rund 20 Prozent aller Patientinnen haben Tumoren mit HER2-Rezeptoren“, erläutert Zielinski. „Über die Immuntherapie mit Herceptin führen wir genau den Antikörper zu, der diese Rezeptoren blockiert und verhindert, dass das Signal zur Teilung an die Zelle weitergegeben wird.“ HER2-positive Tumoren sind besonders aggressiv und erlaubten bislang keine guten Prognosen. Im Frühstadium reduziert Herceptin die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs, einer Tumorwiederkehr, in den ersten zwei Jahren von 30 auf 15 Prozent. „Das ist sensationell“, befindet Zielinski. „Aber auch bei vorhandenen Metastasen lässt sich mit Herceptin eine Lebensverlängerung von bisher neun, zehn Monaten auf das Dreifache und mehr erreichen.“

Andere Methoden, den Krebs zu bekämpfen, befinden sich in unterschiedlichen Studienphasen. Mithilfe von Antikörpern sollen Tumoren daran gehindert werden, neue Gefäße zu bilden und sich an die Blutversorgung oder das Lymphsystem des Organismus anzuschließen. Ein Impfstoff für Patientinnen mit bestimmten besonders aggressiven Tumoren soll nach Operation und Chemotherapie eine Immunreaktion des Körpers gegen allfällige verborgene Schläferzellen auslösen. Die Innsbrucker Frauenklinik nimmt an einer EU-weiten Studie teil, die untersucht, wie sich bei Frauen, die im Knochenmark Krebszellen tragen, das Risiko eines neuen Tumors senken lässt.
Eine weitere neue Wirkstoffgattung, die bereits breit eingesetzt wird, sind die Aromatasehemmer. Aromatase ist ein Enzym, das Androgene im Organismus zu Östrogen umwandelt. Bei östrogenabhängigen Tumoren kann mittels Hemmung der Aromatase das Risiko eines Rezidivs oder von Metastasen gesenkt werden. Zugleich verringert dieses Prinzip die Gefahr, dass sich in der anderen Brust ein Tumor entwickelt, um mehr als die Hälfte.

Über die Möglichkeit, Aromatasehemmer nicht nur zur Therapie, sondern auch zur Prävention von Tumoren gezielt einzusetzen, denkt der Vorstand der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie am AKH, Johannes Huber, nach. Huber will generell molekularmedizinische Feinabstimmung in die Prävention hineintragen: Er hofft darauf, dass genetisch bedingte Abweichungen im Hormonstoffwechsel, die das Krebsrisiko erhöhen, gezielt ausgeglichen werden, damit eine Erkrankung nicht entstehen kann.

Krebsgene. Zwei Genabweichungen, die so genannten Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2, werden bei der Brustkrebsverhütung schon systematisch berücksichtigt. Eine von 500 Frauen trägt eine solche Anlage in sich. Da bei den Betroffenen die Wahrscheinlichkeit zu erkranken mit 80 Prozent extrem hoch ist, wird für diese Gruppe ein spezielles Präventionsprogramm angeboten (siehe Kasten Seite 92).
„International diskutiert wird außerdem“, berichtet Huber, „ob nicht Soja eine präventive Wirkung entfaltet, wenn man es quasi wie eine Impfung ganz jungen Menschen gezielt während der Entwicklung gibt.“ Die Ursache dafür ist, dass Soja so genannte Phytohormone enthält, also Hormone in natürlicher Form. Ein solches Sojadoping wäre eines Tages vielleicht auch ein Weg aus dem Dilemma der Hormonersatztherapie (HRT) für Frauen in den Wechseljahren. Die Vorteile des Hormonersatzes – feste Knochen, jugendliches Aussehen und geistige Frische – wurden teuer erkauft: Östrogen erwies sich als krebsfördernd für die Gebärmutter, sein Gegenspieler Progesteron für die Brüste.
Dass trotz aller Forschung und vielfach verbesserter Methoden der Diagnostik und Therapie die Zahl der Brustkrebsneuerkrankungen wächst und mit ihr – in geringerem Maß – die Kurve der Sterblichkeit (siehe Grafik Seite 94), liegt einerseits schlicht an der kontinuierlich steigenden Lebenserwartung: Bösartige Tumoren treten in höherem Lebensalter vermehrt auf. Eine von neun Frauen wird nach heutigem Stand bis zum Ende ihres Lebens an Brustkrebs erkranken. Vermutlich gesellt sich dazu eine Kombination aus falschen Lebensgewohnheiten, vor allem Bewegungsmangel und Überernährung, und psychosozialen Faktoren.

Manche Ärzte schätzen den Beitrag der Seele sogar besonders hoch ein. Vor allem sei wichtig, dass sich keine Frau für ihre Krankheit schuldig fühlt, betont Gabriele Traun-Vogt, Psychoonkologin an der Wiener Universitätsklinik für Spezielle Onkologie: „Die Frauen fragen sehr oft: Was habe ich falsch gemacht? Ich sage darauf: nichts“, schildert Traun-Vogt. „Ich betreue erkrankte Marathonläuferinnen und Frauen, die aussehen und leben wie eine Ballerina. Gegen diese Krankheit wirkt nicht der Glaube: Wenn du brav bist, passiert dir nichts."

Von Johanna Awad-Geissler