Letzter Kampf

Dichand: Sein letzter Kampf

Tauziehen um die Kronen Zeitung

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Wenn der in den Zeitläuften gegerbte Kapitän Dichand Sturmwarnung gibt, dann steuert das Boot in schwere See. Immerhin hatte er schon 1941 als Matrose auf einem deutschen Kriegsschiff dessen Versenkung im Mittelmeer überlebt.

Im Stellungskrieg auf dem österreichischen Zeitungsmarkt hat kein Journalist in Österreich ein feineres Sensorium.
Hans Dichand war schon Chefredakteur – ab 1948 jener der „Kleinen Zeitung“ –, als in Österreich Blätter von mythischen Gestalten wie Oscar Pollak und Friedrich Funder geführt wurden. Dichand leitete bereits Redaktionen, als kaum einer der heute amtierenden Chefredakteure überhaupt geboren war.
Keine Journalistenkarriere war glänzender: Schon im dritten Jahr ihrer Existenz machte die 1959 von ihm gegründete „Kronen Zeitung“ eine Million Schilling Gewinn; seit Anfang der siebziger Jahre ist sie die größte Tageszeitung Österreichs und heute – gemessen an der Einwohnerzahl ihres Verbreitungsgebiets – die größte Europas.
In schlechten Jahren – 2002 war das schlechteste seit langem – verdient der jetzt 82-Jährige vor Steuern etwas mehr als 20 Millionen Euro. In guten das Doppelte.
Wenn Hans Dichand also Stürme aufziehen sieht, dann wird es heftig.
Viele Gegner hat er niedergerungen: den ÖGB, der 1966 per Gerichtsbeschluss die Redaktion von der Polizei besetzen ließ, weil der gestürzte Gewerkschaftschef Franz Olah geheime ÖGB-Sparbücher zur Kreditbesicherung beigesteuert hatte; acht Jahre später wurde er seinen schwierigen Kompagnon Kurt Falk los, den die Redaktion damals aus dem Unternehmen streikte.
Man werde auch diese Prüfung überstehen, versichert Dichand – an die frühen Heldentage gemahnend – seiner Belegschaft immer wieder.
Aber diesmal ist der Gegner stärker: Die Mediengruppe „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) mit Sitz in Essen, die Dichand 1987 als Mitgesellschafter geholt hatte, um Falk auszahlen zu können, ist einer der großen Kommunikationskonzerne Europas.1)

Patriarch.
Nach 15 Jahren eher friedvoller Partnerschaft prallen nun in Österreichs größter Tageszeitung zwei konträre Unternehmensphilosophien aufeinander: Hie der barock-patriarchalische Führungsstil Dichands, da die nüchtern-protestantische Wirtschaftsethik der Herren aus Essen.
Lange Zeit hatten die deutschen Miteigentümer, die sich in ihren Blättern penibel aus dem redaktionellen Geschehen heraushalten, auch bei der „Krone“ bloß auf die Zahlen geschaut – und die waren nicht schlecht.
Freilich blieb den 50-Prozent-Eigentümern im Laufe der Jahre auch manche Besonderheit ihrer Zeitungsbeteiligung im Ösi-Land nicht verborgen. Spätestens seit Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Vernehmen nach WAZ-Geschäftsführer Erich Schumann fragte, wie die Anti-Temelin-Kampagne der „Krone“ in Bezug auf die Osterweiterung zu sehen sei, verwandelte sich das latente Unbehagen der WAZ-Männer über den Kampagnejournalismus der „Kronen Zeitung“ zur Gewissheit, dass solche Macht Kontrolle brauche.
Tatsächlich ist das Phänomen „Kronen Zeitung“ schwierig zu verstehen – nicht nur für Manager aus dem Ruhrpott.
Denn wohl mag es – alles in allem genommen – stimmen, dass Hans Dichand ein „Fürst der Gegenaufklärung“ ist, wie ihn Armin Thurnher, Herausgeber der linksalternativen Stadtzeitung „Falter“, einmal nannte.
In der Detailansicht ist die Lage widersprüchlicher:

Hans Dichands „Kronen Zeitung“ agitierte heftig gegen den Bau des Kraftwerks Hainburg und trug damit maßgeblich zu dessen Verhinderung bei – aber viele Vertreter der aus diesem Konflikt hervorgegangenen „Grünen“ bekämpft sein Blatt wie die Pest. Die „Krone“ hat durch ihre Berichterstattung erheblich zum Aufstieg Jörg Haiders beigetragen – aber Hans Dichand feuerte seinen langjährigen Starkolumnisten Richard Nimmerrichter („Staberl“), weil dieser im Streit zwischen Ariel Muzicant und Haider die Partei des Freiheitlichen eingenommen hatte. Dichand ließ seine Kolumnisten „Staberl“ und Wolf Martin („In den Wind gereimt“) immer wieder an antisemitischen Insinuationen entlangschrammen. Kein anderes österreichisches Blatt als die „Krone“ veröffentlichte allerdings vergangene Woche ein Gebet zum jüdischen Neujahr. Keine Zeitung hat im Jänner 2000 entschlossener gegen die Bildung der schwarz-blauen Regierung agitiert – keine andere schaltete aber so schnell um, als die EU-Partner Sanktionen gegen die neue Regierung verhängten. Patriotismus und Chauvinismus sind benachbarte Begriffe – in der „Krone“ verrinnen sie ineinander. Und das nicht nur im Politikressort. Als der wegen seiner Tischtenniskünste in Österreich eingebürgerte Chinese Ding Yi bei den vorletzten Olympischen Spielen ins Viertelfinale vordrang, jubelte die „Krone“: „Unser Ding Yi!“ Als er im Halbfinale ausschied, vermeldete das Blatt kühl, „der Austrochinese Ding Yi“ habe den Einzug ins Endspiel verpasst. Freitag vergangener Woche brüstete sich die „Krone“-Sportredaktion in einem doppelseitigen Titel, Österreich habe entscheidenden Anteil an den tollen Leistungen des deutschen Bundesliga-Spitzenreiters VfB Stuttgart („Stuttgarter Wunder hat rot-weiß-rote Wurzeln“). Hintergrund: Die Kicker hatte im Sommer ein paar Tage im Tiroler Going trainiert. „Häupl: Kronen Zeitung muss in österreichischer Hand bleiben“, hieß es in „Krone“-Logik vergangenen Jänner in einem Blattaufmacher, als der Konflikt Dichand gegen WAZ erstmals öffentlich aufgelodert war. In einem bitteren Brief warnte WAZ-Geschäftsführer Erich Schumann den Wiener Bürgermeister davor, sich von Dichand „für nationalistische Parolen instrumentalisieren zu lassen“. „Die Massen“, schrieb Elfriede Jelinek im März 2002 in der „Süddeutschen Zeitung“, „lesen die ,Kronen Zeitung‘, das heißt, sie hören sich selber beim Denken zu, ohne zu ahnen, dass man ihnen nur gibt, was sie immer schon gedacht haben, … sie freuen sich, dass es welche gibt, die sagen, was sie immer schon gesagt haben …“ So werde der Prozess des Denkens unterbrochen, ehe er noch beginnen kann, meint Jelinek.

Verkaufszahlen stabil.
Gerd Bacher, über Jahrzehnte ein großer Gegenspieler des „Krone“-Chefs, formulierte knapper: „Dichand hat einen einzigartigen Geruchssinn für Massenausdünstungen.“
Einzigartig stimmt: Die „Krone“ wird laut Media-Analyse von nahezu drei Millionen Österreichern gelesen (insgesamt greifen fünf Millionen zu einer Tageszeitung, manche davon auch zu mehreren). Die „Krone“ hat mehr Leser als die sechs nächstgrößen Blätter zusammen.
An den Verkaufszahlen macht die WAZ ihre Kritik auch nicht fest. „Man hat einfach gesehen, dass man Herrn Dichand nicht mehr allein werkeln lassen kann“, meint der 74-jährige Friedrich Dragon, der 42 Jahre lang Dichands Chefredakteur und engster Freund gewesen war.
Als Dragon mit 65 in Pension gehen wollte, ließ Dichand seinen Blattmacher nicht ziehen und beschäftigte ihn als Konsulenten weiter. Im Juni 2001 warf er ihn mit der Begründung hinaus, Dragon habe sich in „geheimen Redaktionskonferenzen“ gegen ihn verschworen.
Im vergangenen Jänner stattete die WAZ Dragon mit der Prokura für die „Kronen Zeitung“ aus – für Dichand eine Schwerstprovokation.
Vordergründig war der Konflikt an der Bestellung von Dichands Sohn Christoph, 38, zum Chefredakteur ausgebrochen. Die WAZ-Seite hält den Filius – trotz beeindruckender Ausbildung – schlicht für ungeeignet. Tatsächlich ist kein einziges Œuvre aus der Feder des scheuen Doctor juris bekannt, von dem es bis vor kurzem nur ein unscharfes Foto gab. Überdies ist den Westdeutschen das dynastische Prinzip fremd – den Österreichern ist es in 650 Habsburger-Jahren in Fleisch und Blut übergegangen.

Konfliktfelder.
Durch den Streit um Christoph Dichand werden andere Konfliktfelder verdeckt. Die WAZ führt den Gewinneinbruch von 60 auf 28 Millionen Euro innerhalb von zwei Jahren nicht nur auf das konjunkturbedingt lahmende Anzeigengeschäft, sondern auch auf interne Fehlentscheidungen zurück.
So sei etwa die in Wiener U-Bahn-Stationen gratis ausliegende Tageszeitung „U-Express“ ein unangenehmer Kostenfaktor ohne Mehrwert. Überdies seien die Blattumfänge der „Krone“ und damit auch die Papierkosten zu hoch.
Auch wegen des Vertriebs geriet man sich in die Haare. Dichand wirft der WAZ-Seite vor, durch die Verringerung der Selbstbedienungstaschen die Auflage gedrückt zu haben.
Unsinn, argumentiert man bei der WAZ: Es seien nur Taschen abgehängt worden, aus denen seit Wochen kein Exemplar entnommen worden war. Da die „Krone“ immer mehr Sonntags-Abos an die Haustüren liefere, sei die Verringerung der Verkaufsstellen nur sinnvoll.
Die „Krone“ benötige auch ein neues Layout und ein besseres Marketing, monierte WAZ-Vertreter Dragon gleich nach Amtsantritt. Die Dichand-Seite schäumte.
Tatsächlich hat das Blatt, das nicht viel anders aussieht als anno ’70, ein Strukturproblem: Alle großen Namen kommen in die Jahre.
„Staberl“-Ersatz Günther Nenning ist wie Dichand Jahrgang 1921. Ombudsmann Helmut Zilk ist heuer 76, der geniale „Telemax“ Robert Löffler 72, Außenpolitik-Kommentator Ernst Trost 70. Der in der Redaktion beliebte Sportchef Michael Kuhn, auf Betreiben der WAZ neben Christoph Dichand gleichberechtigter Chefredakteur, wird dieser Tage 66. Fernsehredakteur Werner Urbanek ist 64 und damit ebenso alt wie der Innenpolitiker Dieter Kindermann. Dessen Kollege Peter Gnam ist mit 62 fast noch ein Junger.
Andere Größen der „Krone“ verließen das Haus oder wurden kaltgestellt wie Society-Löwe Michael Jeannée. Ihm sei neben einem bösen Konflikt mit einer Kollegin auch seine Jagdfreundschaft zu WAZ-Geschäftsführer Erich Schumann angekreidet worden, heißt es. Dem bei den Lesern äußerst beliebten Geschichte-Erzähler Georg Markus, ein Freund Dragons, wollte Dichand massiv die Gage kürzen. Markus wechselte zum „Kurier“.
Als eine der großen Sünden der Dichands vermerkt die WAZ mehrere redaktionelle Beiträge, in denen Unternehmen sehr gut wegkamen, an denen Christoph Dichand beteiligt ist, etwa das Internet-Auktionshaus Onetwosold.
Lächerlich, entgegnet Hans Dichand vergangene Woche in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: Der WAZ stünden jährlich 50 „Krone“-Inseratenseiten zur Bewerbung anderer Verlagsprodukte kostenlos zur Verfügung.

Schlammschlacht.
Falsch, hält nun wieder die WAZ dagegen: Die Seiten seien nicht gratis (was übrigens steuerlich relevant wäre), sondern es werde ein „Gesellschafterpreis“ bezahlt. Den gebe es seit der „Krone“-Gründung, erinnert sich Dragon: Dichand und Falk hätten immer schon nebenbei private Unternehmen besessen und sie in der „Krone“ beworben, Dichand etwa einen kleinen Versandhandel.
Sticheleien ohne Ende. Gerne merkt Hans Dichand in Interviews an, sein großer Widersacher, „der Dr. Schumann“, sei eigentlich nur ein Dr. h.c.
Endgültig eskaliert ist die Lage jetzt wegen einiger Interviews von Dichands Erstgeborenem Michael, 41. Nach einem kostspieligen Selbstversuch als Biobauer und einem längeren Aufenthalt in Kuba versucht Michael im Moment der kroatischen Regierung den Ökostrom-Gedanken nahe zu bringen.
Kroatien gehört zum Interessengebiet der WAZ. Um 16 Millionen Euro hat sie sich dort zu 49 Prozent an der „Europe Press Holding“ (EPH) beteiligt. 51 Prozent gehören dem kroatischen Medienunternehmer Ninoslav Pavic.
Schon im Sommer hatte Michael Dichand der kroatischen Zeitschrift „Nacional“, ein Konkurrent der EPH, ein böses Interview über die WAZ gegeben.
Anfang September deponierte er nun im Branchenblatt „Der österreichische Journalist“, die WAZ habe beim Kauf der EPH-Anteile „mit der organisierten Kriminalität in Kroatien zusammengearbeitet“.
„Nacional“ schob bestätigend nach, WAZ-Partner Pavic sei schon einmal in U-Haft gesessen und die Mafia habe im März sein Auto in die Luft gesprengt.
Tatsache ist, dass Pavic wegen angeblicher Verstöße gegen das Kartellgesetz einen Tag in U-Haft genommen worden war. Das Attentat wertet die kroatische Regierung als Anschlag auf die Meinungsfreiheit, die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ solidarisierte sich mit Pavic.
Jetzt seien Dichand jun. wohl „alle Sicherungen durchgebrannt“, kommentierte WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach den Sager. Für ihn, als ehemaligen Balkanbeauftragten der EU, wiegt der Vorwurf besonders schwer.
Die WAZ hegt den Verdacht, hinter der Attacke Michaels stecke in Wahrheit Dichand senior. Dieser hatte schon im Jänner im „WirtschaftsBlatt“ düster geraunt: „Ich halte diese Leute also alle für a bissl … die Geschäfte machen am Balkan, am Rande des Gesetzes, will ich das nennen.“ Einem „Presse“-Redakteur hatte er kürzlich avisiert: „Sie werden sehen, da kommt noch was.“

Schiedsrichter.
Wie um die Wut der WAZ noch zu steigern ließ Dichands Anwältin Huberta Gheneff-Fürst – die Advokatin aus der Kanzlei Böhmdorfer vertritt auch die FPÖ – dieser Tage in Essen anfragen, was es denn mit der kroatischen Mafia nun eigentlich auf sich habe.
WAZ-Anwalt Daniel Charim, geeicht in vielen Prozessen, in denen er von Jörg Haider geklagte Künstler und Journalisten vertrat, arbeitet nun an einem Schriftsatz, der dem laut Übereinkunft zuständigen Schiedsgericht bei der neutralen Schweizer Handelskammer vorgelegt werden soll. Dieses soll auf Wunsch der WAZ entscheiden, ob sich Hans Dichand als Hauptgeschäftsführer zurückziehen muss.
Der Spruch wird für die erste Jahreshälfte 2004 erwartet.