Die Artenvielfalt der Aktivisten

Gekämpft wird auf unterschiedliche Weise

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Es klatscht, wenn der Knüppel den blutüberströmten Körper trifft. Jedem Hieb folgt ein Schrei; ein Brüllen zuerst, später nur mehr ein Wimmern. Daneben skandieren Tierrechtsaktivisten „Stopp Killing“. Es ist eine Demonstration gegen Robbenjagd. Der Wiener Aktivist im Planschbecken voller Kunstblut stöhnt, während sein Kollege im schwarzen Fischerdress ein Messer zückt.
Nicht immer geht es Tierschützern um das Wohl von Waldi und Hansi. Nicht immer sind Tierschutzaktionen schön anzusehen. Und nicht immer wahren alle Tierschützer die Grenzen des Gesetzes. Auch in Österreich nicht.
So simpel wie früher, als es vor allem darum ging, herrenlose Hunde zu versorgen, ist Tierschutz schon lange nicht mehr. Die Szene ist gewachsen und heillos zersplittert: Angepasste Tierschützer und militante Aktivisten, Tierheime und Veganer-Vereinigungen, Anti-Pelz-Offensiven, Stiftungen wie die Vier Pfoten und unzählige Kleinstvereine preisen heute ihre unterschiedlichen Vorstellungen von Tierschutz an. Nicht zur Freude aller Österreicher.

1846, die Hofkanzlei in Wien hatte erstmals „jede in der Öffentlichkeit begangene, Ärgernis erregende Tierquälerei“ verboten, formierten sich die ersten Tierschützer: Anfangs kümmerte sich der Wiener Tierschutzverein nur um ausgesetzte Tiere, heute versucht er generell, auf Tierleid aufmerksam zu machen. Präsidentin Madeleine Petrovic hat darin Erfahrung: „Ich bin schon den Grünen mit meinem Tierschutz auf die Nerven gegangen.“ Der Bevölkerung gefällt’s: Mehr als 15 Millionen Euro wanderten 2007 aus den Sparstrümpfen der Österreicher zu den sieben größten Tierschutz-NGOs – Sachspenden und Erbschaften nicht eingerechnet. Der Bund gab 800.000 Euro für Vierbeiner aus, Projekte werden separat gefördert.

Die Vier Pfoten kampagnisieren gegen alle möglichen Tierrechtsverletzungen – Tanzbären, Zuchtkarnickel und Wale stehen auf ihrer Agenda: Österreichs größte Tierschutzorganisation agiert heute weniger aktionistisch als früher. Sie sei „zu zahm“ geworden, lästern manche Tierschützer. Lautstarke Demonstrationen vor mit Pelz handelnden Textilketten sind das Ding von Aktivistengruppen wie „RespekTiere“ oder der „Basisgruppe Tierrechte“. Jene hatte wie auch der Verein gegen ­Tierfabriken (VGT) zwei Jahre lang jede Woche vor dem Modehaus Peek & Cloppenburg in der Wiener Mariahilfer Straße protestiert. „Wir sind damals arg in Bedrängnis geraten“, erinnert sich eine Mitarbeiterin. 2007 verschwanden pelzbesetzte Kleidungsstücke aus dem Sortiment. Seither stehen die Aktivisten ein paar Meter weiter vor einer Kleider-Bauer-Filiale. Vegane Vereine empfehlen gar, gänzlich auf Tierisches zu verzichten, vom Leberkäse bis zum Lederfußball – Menschen hätten kein Recht, über das Leben von Tieren zu bestimmen. Als Argumentationshilfe dienen Videos aus Mast- und Schlachtbetrieben oder Menschen- Fleischtassen in der Wiener Innenstadt. Die Lust auf Schnitzel ist da schnell passé.

Nicht alle Aktivisten wollen jedoch warten, bis der Appetit vergangen ist. Sie greifen nach englischem Vorbild zur Selbstjustiz. Dort hatte in den Siebzigern die „Band of Mercy“ Trompeter in Wälder geschickt, um Treibjagden zu sabotieren. Wann immer die Jäger ihren Hunden Signale gaben, tröteten die Aktivisten andere Kommandos. Die Hunde waren verwirrt und die Jagd vorbei, noch ehe sie begonnen hatte. Die Tierrechtsbewegung aber kam dadurch in Schwung, auch in Österreich. Bald radikalisierte sich die britische Clique; Brandanschläge auf Tierfarmen schienen ihr ein probates Mittel. Die Aktivisten wurden festgenommen. Nach ihrer Freilassung drei Jahre später gründeten sie die Animal Liberation Front, ALF. Sie wurde ein – wenn auch zweifelhafter – Erfolg: Die ALF ist mittlerweile das wohl größte internationale Netzwerk militanter Tierschützer.

Mäßiger Erfolg. In Österreich gehen fast alle Sabotageakte auf das Konto der ALF, vom Umsägen von Hochständen ­über ­Buttersäureattentate auf Pelzläden bis zu „Befreiungen“ von Masttieren. Der Verfassungsschutz beobachtet seit zehn Jahren das illegale Treiben (siehe Grafik). Mit mäßigem Erfolg: Außer der Schadenssumme konnte wenig Fassbares festgestellt werden. Im Mai 2008 sollten schließlich Nägel mit Köpfen gemacht werden; zehn Tierschützer sitzen seither in U-Haft – sie hätten eine „kriminelle Organisation“ gegründet, lautet der Vorwurf. Konkrete Taten konnte ihnen die Polizei bis heute nicht nachweisen, es ist nur von diversen Anschlägen im Zusammenhang mit ALF die Rede. In Österreich sei die Tierschutzkriminalität vergleichsweise gering, der Frust auf die Behörden wegen des guten Tierschutzgesetzes relativ klein, sagt Szenekenner Harald Balluch, VGT-Chef und einer der Inhaftierten, gegenüber profil: „Auf legalem Weg ist hier viel zu erreichen. Es braucht halt etwas länger.“

1996 hatte eine halbe Million Österreicher das Volksbegehren für ein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz unterschrieben. Es dauerte neun Jahre, bis es kam. Die ÖVP hatte sich dagegengestemmt: Die ­Interessen von Jägern, Bauern und Unternehmern decken sich nicht unbedingt mit jenen von Tierschützern. Die ebenso tierliebe wie einflussreiche „Kronen Zeitung“ vergalt es mit verbalem Dauerbeschuss. Kurz vor der Nationalratswahl 2002 verkündete Wolfgang Schüssel – natürlich exklusiv im Kleinformat – dann den schwar­zen Schwenk: Es werde bis zum Frühjahr 2004 ein Tierschutzgesetz geben.

Eineinhalb Jahre später lag ein fauler Kompromiss am Tisch. Tierschützer und „Krone“ bangten um das Wohl des „lieben Viehs“, Hans Penz, Direktor des mächtigen niederösterreichischen Bauernbundes, um seinen Berufsstand: „Das neue Gesetz kommt einem Berufsverbot für Bauern gleich.“ Richtung ÖVP: „Diese wird es sich nicht leisten können, ihre solideste, treues­te Teilorganisation im Stich zu lassen.“

Doch der öffentliche Druck war zu stark, am 1. Jänner 2005 trat das erste ­bundesweite Tierschutzgesetz in Kraft: keine Anbindehaltung von Kühen mehr und das Aus für Legebatterien. Wenige Monate zuvor hatte die Bauernschaft noch die Tierschützer belächelt, die das Verbot gefordert hatten. Die Stimmung in der Bevölkerung war da schon längst gekippt: Die gemäßigten Organisationen wie WWF und Vier Pfoten hatten jahrelang über das Leid der Hennen informiert, etwas aktionistischer Angehauchte führten Medien wie profil nächtens illegal in Hühnerfarmen. Der VGT „befreite“ in Salzburg zwanzig Legebatterie-Insassen und brachte das vom engen Käfig federlose Federvieh zum Tierarzt. Der Farmbesitzer zeigte VGT-Chef Balluch an. Das Gericht sprach ihn frei: Balluch habe nichts gestohlen, sondern eine dauerhafte Sachentwendung im gesellschaftlichen Interesse durchgeführt.
Die Bauern haben für derartige Besuche naturgemäß wenig Verständnis. Adolf Marksteiner von der Landwirtschaftskammer: „Wir leben in einer Demokratie, da gibt es kein Recht auf Einbrüche in Ställe. Die Tierschützer sollen demonstrieren.“

Auch das ist nicht immer gern gesehen. Am Rande der Abschlusskundgebung der ÖVP im Kärntner Landtagswahlkampf im März 2004 hatten sich Tierrechtler zu einer (angemeldeten) Demonstration versammelt, um lautstark die Tierschutzpolitik der ÖVP zu kritisieren. Einigen Funktionären ging das zu weit. Sie entrissen den Aktivisten das Megafon und zerfetzten die Plakate. Einem ÖVP-Landtagsabgeordneten kam die Hand aus – er verpasste dem Demonstrationsleiter eine Ohrfeige.

Von Martina Lettner; Mitarbeit: Cornelia Absmanner und Carina Besl