Martin Kusej über sein erstes Programm

„Die Festspiele vertragen schon einiges“

„Die Festspiele vertragen schon einiges“

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profil: Sie inszenieren für die Salzburger Festspiele das Trauerspiel „König Ottokars Glück und Ende“, mit dem 1955 das Burgtheater wiedereröffnet wurde. Erschreckt es Sie, dass so viel repräsentativer Ballast an diesem Stück hängt?
Kusej: Im Gegenteil, das war eigentlich der zentrale Grund, mich für diese Inszenierung zu entscheiden. Jeder zweite Österreicher, der ein gewisses Alter überschritten hat, kennt „König Ottokar“ zur Hälfte auswendig, weil er von Schule oder Elternhaus gezwungen wurde, es zu lernen.
profil: Das weckt Ihren Widerspruchsgeist?
Kusej: Es weckt meine Neugier. Die Uraufführung 1825 war zwar ein großer Publikumserfolg, aber schon Grillparzer selbst war von der Reaktion verunsichert und angewidert. In seinem Tagebuch vermerkte er: „Wer sich unter die volkstümliche Kleie mischt, dem geschieht recht, wenn ihn die patriotischen Schweine fressen.“
profil: „König Ottokar“ ist also keine Theaterhymne auf Österreich?
Kusej: Auf keinen Fall. Genauso wenig wie die österreichische Nation, von der wir reden, ein homogenes, beschauliches Gebilde ist, sondern das Resultat von historischer Gewalt, Unterdrückung und Machtinteressen. Die Geschichte und Entstehung dieses Landes ist ein blutiger Albtraum gewesen, dessen letzte Tote und Opfer bis in unsere Tage herüberreichen. Dies ist gepaart mit der Tendenz des Österreichers, sich jedem noch so fragwürdigen oder großmäuligen Führer allzu schnell devot unterzuordnen. Rudolf von Habsburg wird von Grillparzer nicht wirklich als die Retter- und Lichtfigur gezeichnet, wie man uns das seit der Uraufführung weisgemacht hat.
profil: Was sagt es über die Zweite Republik, dass sie ihre Identität 1955 mit der Aufführung des „König Ottokar“ demonstrativ in einer monarchistischen Vergangenheit gesucht hat?
Kusej: Die Republik musste dem Volk eine neue nationale Identität geben. Im Dritten Reich hatten die österreichischen Nazis ja eine Hauptrolle gespielt – und Menschen des Widerstands oder Kriegsverweigerer werden noch bis heute oft als Parias behandelt. Da blieb außer der „immer währenden Neutralität“ wohl nur das Habsburgerreich, das ein enormes Identifikationspotenzial in sich birgt. Niemand wusste und weiß doch genau, was dieses Österreich eigentlich ist. Daher operierte man aus einer sentimentalen Erinnerung heraus mit dem Begriff Habsburg, dessen provisorisch gekittete Trümmer man nach dem überfälligen Zusammenbruch der Monarchie realpolitisch herüberzuretten versuchte. In diesem Zustand befindet sich die Seele dieses Landes eigentlich immer noch – ein Operettenstaat, in dem alles Dunkle, Bedrohliche und Abgründige eliminiert oder verdrängt wird.
profil: Wird dieser Gestus nun wiederholt, wenn die Festspiele und das Burgtheater „Ottokar“ produzieren, um im Gedenkjahr 2005 an das Jahr 1955 zu erinnern?
Kusej: Nein, wenn ich Grillparzer inszeniere, geht es mir darum, das landläufige Bild zurechtzurücken, das wir von diesem Autor haben. Ich bringe die Stücke mit der Zeit in Verbindung, in der sie geschrieben wurden: der repressiven Metternich-Ära. Kanzler Metternich reagierte auf die Napoleonischen Kriege so, wie die USA auf den Terror vom 11. September reagieren: Die Staatsmacht beginnt ungefragt Menschen zu überwachen und instrumentalisiert die Verunsicherung der Bürger für alle möglichen Methoden der Repression. Grillparzer hingegen stand immer auf Seite der Individuen und hat gezeigt, wie schmerzhaft es ist, dass das System trotzdem und immer gewinnt.
profil: Wird in Ihrer Inszenierung das „Banner von Österreich“ als Symbol des Friedens flattern, wie es das Textbuch vorsieht?
Kusej: Dieses rot-weiß-rote Banner wird mit einer martialischen Kriegsrede und angesichts des verstümmelten und zerschundenen Körpers von Ottokar gehisst. Da erübrigt sich jeder weitere Kommentar. An zentraler Stelle des Stücks steht die Rede des Hornek über Österreich – bei uns wird sie Wolfgang Gasser sprechen, der sicher nicht unter Verdacht steht, die Verse besonders affirmativ zu meinen. Gasser war sieben Jahre alt, als er 1934 durch die Februar-Aufstände gelaufen ist; er hat uns als Zeitzeuge der Zweiten Republik eine Menge zu erzählen. Wir beide möchten die Rede des Hornek gar nicht denunzieren, sondern als Utopie, als Widerspruch verstehen: gegen Österreicher wie Gudenus und Kampl.
profil: Sind Sie als Theatermacher Idealist?
Kusej: In gewisser Weise eigentlich schon.
profil: An welche Ideale glauben Sie?
Kusej: An Solidarität, Toleranz und an grundsätzliche humanistische und aufklärerische Werte. Um aber keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Im Theater kann man darüber nur ex negativo erzählen. Kunst beschreibt Risse, Abgründe, Verunsicherungen und Sehnsüchte, sie stellt Fragen. Theater als „moralische Anstalt“ – untauglicher Ansatz, längst gescheitert …
profil: Was wäre ein taugliches Mittel?
Kusej: Das ist ein unlösbare Frage. Ist es ein taugliches Mittel, ewig gestrige Nazi-Idioten einzusperren? Wie gehe ich mit einem Kinderschänder um? Unsere Liberalität steht heutzutage oft auf dem Prüfstand. Es fällt schwer, an die Zivilisation zu glauben und sich nicht barbarisch zu verhalten. Meinem Salzburger Schauspielprogramm habe ich deshalb das Motto übergeordnet: „Wir, die Barbaren, Nachrichten aus der Zivilisation“. Denn unter der dünnen europäischen Zivilisationsschicht lauern archaische Kräfte, die nur allzu schnell frei werden.
profil: Wozu taugt Theater, wenn nicht zur Moral?
Kusej: Ich halte Widerstand gegen meine Arbeit und meine Person deshalb aus, weil es Menschen gibt, die Theater brauchen. Als im Jahr 2000 die FPÖ in die Regierung kam, habe ich wie viele andere Künstler überlegt, aus Salzburg abzuziehen. Bis mir klar wurde, dass das genau jenen gegenüber ungerecht wäre, die gerade nicht abhauen können. Theater ist ein Zufluchtsort.
profil: „Mut zur lustvollen Kontroverse“, sagen Sie, habe Ihr Programm „wesentlich“ bestimmt: Womit wollen Sie provozieren?
Kusej: Kontroverse heißt für mich, Erwartungen nicht zu erfüllen. Der Regisseur Luk Perceval etwa bricht mit seinem „Othello“ jedes gängige Shakespeare-Bild und wird in Salzburg wohl Debatten auslösen. Auch René Pollesch wird mit seiner Art, Theater zu machen, bei einem Festival wie Salzburg für eine gewisse Irritation sorgen. Er hat eine klare politische Haltung, eine klare Meinung. Das schätze ich extrem.
profil: Welche Erwartungen werden denn an die Festspiele gestellt?
Kusej: Die Auslastungsstatistiken belegen, dass das Publikum noch immer die schönen, altbekannten Klassiker bevorzugt. Titel wie „Hamlet“ oder „König Ottokar“ verkaufen verlässlich Tickets, da darf man sich nicht in die Tasche lügen. Rigide budgetäre Rahmenbedingungen machen den Freiraum für Risiko zudem relativ eng. Deshalb muss man anders kreativ werden, um trotzdem zeitgemäßes und aufregendes Theater zu machen – etwa in Besetzungen oder ästhetischen Lösungen.
profil: Macht Ihnen Ihr erster Direktoren-Job denn unter diesen Umständen Spaß?
Kusej: Riesigen Spaß! Ich kann meine lange Berufserfahrung neu einsetzen: Programmideen entwickeln, aberwitzige Projekte verwirklichen, Künstler zusammenbringen – das macht mir Freude. Und weil wir lauter Premieren haben, ist es auch ein Vabanquespiel. Ich bin neugierig auf das unbekannte neue Gefühl, bis zum letzten Vorhang nicht zu wissen, wie die Vorstellung und die Reaktion genau sein werden.
profil: Genießen Sie es, dass der Kreativdruck des Regieführens beim Programmgestalten wegfällt?
Kusej: Man ist auch als Direktor großem Druck ausgesetzt. Aber wenn ich inszeniere, bin ich fürs Scheitern wenigstens selber verantwortlich. Als Direktor muss ich etwas mittragen, was nicht unmittelbar durch mich beeinflusst werden kann. Da muss man Toleranz und Langmut haben – und echt starke Nerven.
profil: Geraten sich der Regisseur Kusej, der mehr Geld für eigene Inszenierungen fordert, und der Schauspieldirektor Kusej, der sparen und rechnen muss, oft in die Haare?
Kusej: Tagtäglich.
profil: Wer gewinnt?
Kusej: Der Intendant.
profil: Bevorzugen Sie den Regisseur Kusej finanziell wenigstens gegenüber anderen Regisseuren?
Kusej: Überhaupt nicht. Ich bin ein sehr großzügiger Intendant, was meine Salzburger Mitarbeiter tagtäglich in schwere Konflikte stürzt: Ich bin in Salzburg ja nur „Abteilungsleiter“ und einem Direktorium unterstellt. Manchmal würde ich mir mehr Liberalität wünschen, wenigstens wenn meine Projekte Gewinn bringen. Wenn ich mehr erwirtschafte als budgetiert, fließt der Überschuss direkt in die Oper. Mein Vorgänger Jürgen Flimm hat das die „Opernsteuer“ genannt. Und das Schauspiel zählt weiter Groschen, um schwarze Zahlen zu schreiben.
profil: Wird man Sie auf Salzburgs Society-Events antreffen, weil Sie dort für Ihr Programm Werbung machen wollen?
Kusej: Das Wort Society-Event hat berechtigterweise so einen fiesen Beigeschmack. Der steht auch für das, was ich an Salzburg nicht mag. Aber für mein Programm Werbung machen werde ich immer und überall.
profil: Ihre Inszenierungen gelten als dunkel und riefen über viele Jahre heftige Reaktionen hervor. Wie viel Angriffslust verträgt Ihr Festival?
Kusej: Die Festspiele vertragen schon einiges. Als der Schauspieler Samuel Weiss seinerzeit (im Jahr 2000, Anm.) vorgeschlagen hat, dass er als Hamlet nur mit einem Rollkragenpullover bekleidet auftreten möchte – was eine sehr gute Idee für die Szene war –, wusste ich schon: Das wird man mir links und rechts um die Ohren schlagen. Hamlet nackt auf der Bühne! Diese Provokation war inhaltlich motiviert. Aber das Ausreizen von Spießer-Schmerzgrenzen ist für mich relativ passé. Aufreger wie die Salzburger Pinkelstatue interessieren mich nicht. Wunden, die ich schon kenne, weiter aufzureißen, das muss ich nicht mehr haben.
profil: Als Student proklamierten Sie: „Theater ist beseelt von Aggression.“ Sind Sie milder geworden?
Kusej: Nein, Theater erzählt immer von Aggressionen. Aber mit 44 muss man erkennen, dass man nicht mehr so schnell ist wie ein 22-Jähriger. Es ist für mich völlig okay zu sagen: Ihr seid jünger, ihr könnt das jetzt besser, ich habe mein Ding schon gemacht. Aber keine Sorge: Ich bin noch da und wach und kann immer noch einen guten Faustschlag austeilen, wenn es notwendig ist.
profil: Mit Ihrer Grillparzer-Inszenierung „Weh dem, der lügt“ am Burgtheater 1999 trieben Sie einen Teil des Publikums auf die Barrikaden. Rechnen Sie diesmal mit ähnlichen Reaktionen?
Kusej: Ich rechne mit gar nichts, aber es könnte sein, dass gewisse Sichtweisen, die ich gemeinsam mit meinen Schauspielern erarbeitet habe, den üblichen Kreisen nicht passen werden. Das halte ich aber aus. Grillparzer zu inszenieren bedingt heutzutage auch, eine bestimmte kritische Haltung gegenüber Österreich einzunehmen. Das wird halt wieder schwer – und mich rettet nur mein Reisepass: zum einen, weil ich damit wegfahren kann, zum anderen, weil damit meine Zugehörigkeit zu dem Ganzen bewiesen ist – und auch meine Legitimation, etwas kritisch zu hinterfragen.
profil: Warum ist es heute schwer, Kritik an Österreich zu üben?
Kusej: Hier gibt es immer Lagerdenken und Sanktionen. Hier wird zusammengerückt und unreflektiert abgestraft. Hier hat es die Minderheit immer schwer. Hier ist das analytische Denken nicht gefragt. Ich bin oft auch leidenschaftlicher Österreicher und weiß, dass es anders sein kann. Aber angesichts dieser verordneten Sippenhaftung fühle ich mich körperlich unwohl.
profil: Wirkt diese Lagerspaltung auf das kulturpolitische Klima in Österreich?
Kusej: Wenn eine fundierte künstlerische Auseinandersetzung, die auch schmerzhaft sein kann, nicht mehr möglich ist, sind wir doch verloren. Das gehört eben auch zur „Kulturnation“. Diese Gefahr sehe ich aber noch nicht. Eine leidenschaftlich geführte Diskussion – das ist das Reizvolle an der österreichischen Theaterlandschaft – ist mir hundertmal lieber als diese gelangweilte deutsche Spießer-Trash-Pop-Szene, die gar nichts mehr aufregt.
profil: Sie waren als Intendant der Wiener Festwochen im Gespräch. 2009 wird das Burgtheater frei: Hätten Sie Interesse?
Kusej: Burgtheaterdirektor Klaus Bachler ist noch bis 2009 im Amt. Diese typisch österreichische Hektik, schon jetzt eine Nachfolgediskussion vom Zaun zu brechen, sehe ich mit großer Distanz. Ich arbeite unglaublich gerne am Burgtheater und sehe trotz aller Tradition ein großes Potenzial. Alles Weitere ist eine Frage von wohl überlegten Entscheidungen, die irgendwann fallen werden – und hoffentlich seriös sind.
profil: Gegner werfen Ihnen schon jetzt vor, Theaterhäuser regelmäßig an deren Leistungsgrenzen zu treiben. Warum verdient Theater so viel Aufwand?
Kusej: Jedes erfolgreiche Unternehmen wird seinen Betrieb an der Leistungsgrenze führen – da finde ich nichts Anrüchiges daran. Meine Mitarbeiter und ich haben Lust daran, uns für unsere Passion völlig zu verausgaben, ja, das ist richtig.
profil: Vor allem Unstimmigkeiten während Ihrer Arbeit am Salzburger „Don Giovanni“ 2001 werden von Ihren Gegnern als Argumente ins Treffen geführt.
Kusej: Diese Gerüchte, für die sich keine Bestätigung finden lässt, gehören zu einer gezielten, diffamierenden Kampagne. Meine Arbeit beruht im Gegenteil auf Freiheit, Teamgeist und Kompetenz – sonst hätte ich keinen Erfolg. „Don Giovanni“ zählt zu den erfolgreichsten Inszenierungen der Festspiele, obwohl sie unter immensem finanziellem und künstlerischem Druck entstanden ist. Sicher ist es da manchmal eng und streng geworden; aber schon die damaligen Versuche, Zwietracht zu säen, sind längst erledigt. Das Verhältnis zu den Mitarbeitern in Wien und Salzburg ist erstklassig – der Betriebsrat, der damals instrumentalisiert wurde, schenkt mir jedes Jahr zu Weihnachten, zu Ostern und zu meinem Geburtstag eine Flasche Rotwein. Und ich freue mich darüber sehr.

Interview: Peter Schneeberger