Die Finanzkrise erfasst Österreich

"Von allen die geringsten Möglichkeiten"

Drucken

Schriftgröße

Nur nichts anmerken lassen. Wann immer Repräsentanten des heimischen Geldgewerbes in den vergangenen Tagen öffentliche Auftritte absolvierten, bemühten sie ein und denselben Stehsatz: Österreichs Banken sind – Finanzkrise hin oder her – sicher. Gewissen Herren war die Nervosität freilich anzusehen. Denn hinter den Kulissen wird es immer hektischer. Seit Tagen herrscht in den Kreditinstituten des Landes Hochbetrieb. Der Beinahekollaps mehrerer europäischer Geldhäuser lässt Mitarbeiter zwischen Wien und Bregenz rotieren. In den Abteilungen, die für die Veranlagung von Bankgeldern verantwortlich sind; in den Kundenzentren, die sich mit verunsicherten Sparern herumschlagen müssen; bei der Nationalbank-Tochter Geldservice Austria, die für die Versorgung der Filialen mit Bargeld verantwortlich zeichnet.

Einlagenschwund. Auch wenn es zur Stunde niemand offen zugeben will – die Finanzkrise hat jetzt auch Österreichs Kreditsektor erfasst. Seit Tagen werden in den Kundenzentren der Großbanken überdurchschnittlich hohe Einlagenabflüsse verzeichnet. Über das wahre Ausmaß der Abhebungen ist vorerst nichts bekannt. „Wir hatten gleich mehrere Fälle, wo Kunden die Einlagen abgezogen und anschließend Cash in unseren Safe gelegt haben“, berichtet ein Banker, der namentlich nicht genannt werden will.

Die Regierung und Notenbankspitze sind alarmiert. Dienstag und Mittwoch vergangener Woche herrschte zwischen Kanzleramt und Finanzministerium ungewöhnlich reger Parteienverkehr: Vertreter von Oesterreichischer Nationalbank, Finanzmarktaufsicht sowie Repräsentanten der Kreditwirtschaft gaben einander da wie dort die Türklinken in die schweißnassen Hände. Begriffe wie „Bankengipfel“, „Verunsicherung“ oder gar „Krise“ wollte hinterher wenig überraschend keiner der Beteiligten in den Mund nehmen. „Es handelt sich hier um reine Routinegespräche, in denen hauptsächlich über die laufende Tätigkeit der Oesterreichischen Nationalbank berichtet wurde“, beteuert der neue OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny. Gusenbauer ließ zumindest durchblicken, dass man die Lage der Kreditwirtschaft in Europa und mögliche Folgen für Österreich analysiert habe. Und seitens des Finanzministers wird betont, dass die Erschütterungen an den internationalen Finanzmärkten zwar nicht ausgestanden, Österreichs Banken aber jedenfalls „schockresistent“ seien. Tatsächlich soll bei den jüngsten Unterredungen aber nicht nur die Verfassung der österreichischen Geschäftsbanken, sondern vor allem auch die der OeNB selbst zur Sprache gekommen sein. Ewald Nowotny, der das Amt mit 1. September von Klaus Liebscher geerbt hat, lässt in diesem Zusammenhang mit einer nicht eben vertrauensbildenden Äußerung aufhorchen: „Schon mein Vorgänger hat darauf hingewiesen, dass es notwendig wäre, die OeNB mit mehr Eigenkapital auszustatten. Das wäre gerade jetzt wichtig.“ Und weiter: „Die OeNB hat von allen Notenbanken im Euro-Raum die geringsten Möglichkeiten, Reserven zu bilden.“

Seit dem Eintritt Österreichs in die Eurozone hat die OeNB, wie alle anderen nationalen Notenbanken auch, zwar an Einfluss verloren, Europas Geldpolitik wird heute von der Europäischen Zentralbank mit Sitz in Frankfurt bestimmt. Dessen ungeachtet ist die OeNB aber weiterhin für die „Sicherung der Stabilität der Finanzmärkte“, insbesondere des österreichischen, verantwortlich. Dafür braucht es – im sehr theoretischen Falle des Zusammenbruchs einer österreichischen Großbank – nicht nur Umsicht und ein ruhiges Händchen, sondern vor allem auch Geld.
Schon Liebscher hatte über Jahre erfolglos versucht, das Finanzministerium zu einer Änderung des OeNB-Gesetzes zu bewegen. Tatsächlich ist es der Nationalbank selbst nicht gestattet, Gewinnrücklagen zu bilden. Was jedes Jahr unter dem Strich übrig bleibt, muss ans Budget abgeliefert werden. Die Notenbank verfügt natürlich nach wie vor über Reserven in Gold- und Fremdwährungen. Aber auch die sind in den Jahren nach der schwarz-blauen „Wende“ drastisch zurückgegangen. Zwischen 2000 und 2006 wirkte ein gewisser Karl-Heinz Grasser als Finanzminister. Und der hatte es besonders eilig, die Staatsfinanzen mittels generöser OeNB-„Sonderdividenden“ zu behübschen, um so öffentlichkeitswirksam ein Nulldefizit zu simulieren.

Reserven. Allein zwischen 2000 und 2005 musste die Nationalbank aus den Titeln „Körperschaftsteuer“ respektive „Gewinnanteil des Bundes“ insgesamt 6,15 Milliarden Euro an den Bund überweisen. Weil das aus eigener Kraft nicht zu bestreiten war, mussten erhebliche Gold- und Währungspositionen aufgelöst werden – die jetzt fehlen. Ende 1999, das Jahr der Einführung des Euro als Buchgeld, disponierte die OeNB noch über Goldreserven in Höhe von 408 Tonnen. Ende 2000, kurz nach Antritt der schwarz-blauen Regierung, waren es noch 378 Tonnen, und als die Konstellation Ende 2006 endgültig zerfiel, nur mehr 289 Tonnen (Stand Dezember 2007: 280 Tonnen). Das hatte natürlich Auswirkungen auf die Veranlagungsbasis der Nationalbank. Zum Jahresschluss 2000 disponierte die OeNB über Reserven in Gold und Fremdwährungen im Gegenwert von annähernd 20 Milliarden Euro – Ende des Vorjahrs waren es gerade noch zwölf Milliarden Euro. Was wiederum direkt auf die Ertragskraft durchschlug. Für 2007 führte die OeNB bloß 229 Millionen Euro an das Budget ab – einer der niedrigsten Werte der vergangenen 30 Jahre.

„Es wäre gerade jetzt wichtig, wenn wir die Ausschüttungsraten an den Bund reduzieren könnten, um bilanzielle Reserven aufzubauen,“ betont Gouverneur Nowotny. Wahr ist, dass bisher kein einziges österreichisches Institut wirklich in Bedrängnis geraten ist. Wahr ist aber auch, dass die Turbulenzen bereits echtes Geld gekostet haben – und wohl noch kosten werden. Seit Tagen geistert eine Relation durch die Vorstandsetagen der heimischen Großbanken, die freilich niemand bestätigen will. Demnach könnte die Finanzkrise die 2008er-Bilanzen des heimischen Geldsektors mit einem Gesamtbetrag in der Größenordnung von gut einem, möglicherweise sogar zwei Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts belasten, also irgendwo zwischen drei und sechs Milliarden Euro.

Dabei könnte es sich einerseits um allfällige Rückstellungen auf unbesicherte Forderungen gegenüber klammen amerikanischen oder europäischen Geldhäusern handeln, andererseits auch um potenzielle Verluste aus der Neubewertung von Wertpapieren und Derivaten. Ewald Nowotny will davon nichts hören. „Der Höhe nach sind diese Zahlen eine reine Erfindung. Ich weiß nicht, wer das in die Welt setzt.“ Er selbst bleibt, auf mögliche Ausfälle angesprochen, vage: „Die Struktur des österreichischen Finanzsektors unterscheidet sich doch substanziell positiv von anderen. Dass er nicht völlig unbeeinflusst sein kann, wissen wir alle.“ Auch die betroffenen Banken geizen mit Zahlen. Jeder Hinweis auf möglicherweise wackelige „Exposures“ im Ausland würde die bereits manifeste Verunsicherung unter Sparern – sie bilden nach wie vor das Rückgrat des österreichischen Finanzsektors – nur noch weiter verstärken. Kein Zufall, dass nun totgesagte Veranlagungsformen wie Gold stärker nachgefragt werden; kein Zufall, dass die Funktionsweise der österreichischen Einlagensicherung ausgerechnet jetzt öffentlich diskutiert wird.

Kreditkosten. Dazu kommt, dass die Banken auch einander nicht mehr wirklich über den Weg trauen. Die Europäische Zentralbank hat in den vergangenen Wochen, analog zum US-Notenbanksystem Fed, Milliarden in den europäischen Geldmarkt gepumpt, um die Marktteilnehmer mit billigem Geld zu alimentieren. Allein, die Zinsen steigen weiter. Der so genannte Euribor, also der Satz, zu dem sich europäische Banken gegenseitig Geld leihen, ist hoch wie lange nicht. Für eine dreimonatige Refinanzierung wurden zuletzt fast 5,3 Prozent fällig – der höchste Stand seit 14 Jahren. Der alles andere als angenehme Nebeneffekt: Unternehmens- und Privatfinanzierungen werden immer teurer. Wer heute in Österreich für seinen Konsumkredit noch weniger als 7,5 Prozent Effektivzinsen bezahlt, ist bereits gut bedient. Das heißt aber: Wer nun mehr für seinen Kredit zu bezahlen hat, muss seine Konsumgewohnheiten anpassen. Weniger Nachfrage bedeutet weniger Geschäft für den Handel und in weiterer Folge weniger Aufträge für die Industrie, Arbeitsplätze gehen verloren. Wer aber keinen Job mehr hat, wird auch gehörige Schwierigkeiten haben, seinen Kreditverpflichtungen nachzukommen, was wiederum die finanzierenden Banken in Bedrängnis bringen kann. Und am Ende dieser Abwärtsspirale steht gemeinhin das Schlagwort „Rezession“.

Konjunkturflaute. Sowohl das Institut für Höhere Studien als auch das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut haben ihre Wachstumsprognosen für dieses und das kommende Jahr bereits empfindlich nach unten korrigiert. Dem satten Wachstum von 3,1 Prozent im Jahr 2007 stehen nun Prognosen von nur mehr 0,9 und 1,2 Prozent gegenüber. Um die ärgsten Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft einzudämmen, hat der US-Senat vergangene Woche ein 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket verabschiedet. In einem ersten Anlauf hatte das Repräsentantenhaus den Plänen nicht zugestimmt – und einen beispiellosen Kursrutsch an den Börsen weltweit ausgelöst. Die heftige Reaktion zeigt, welche Bedeutung die Märkte dieser staatlichen Hilfe einräumen.

Nun laufen auch in Europa Gespräche über ein ähnliches Paket auf Hochtouren. So wurde ein europäischer Notfonds ins Spiel gebracht, in den jedes Mitgliedsland je drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einzahlen soll. Bei einem BIP der EU-Staaten von insgesamt rund 12.000 Milliarden Euro wäre das Paket damit mehr als 300 Milliarden Euro schwer. Für vergangenen Samstag lud Sarzkozy eine hochkarätige Runde von Notenbank- und Regierungschefs zur Besprechung eines gemeinsamen Vorgehens ein. Der Ausgang war zu Redaktionsschluss ungewiss. Während Irland bereits im Laufe der Woche im nationalen Alleingang vorgeprescht war und eine großzügige Bürgschaft für alle irischen Banken gab und sich auch Deutschland für Lösungen im Einzelfall anstelle eines generellen Pakets aussprach, ziehen der Internationale Währungsfonds und EU-Politiker eine gesamteuropäische Lösung vor. Wifo-Chef Karl Aiginger befürchtet, dass nationale Alleingänge „wettbewerbsverzerrend“ sein könnten.

Rettungspaket. Auch Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz sprach sich bei einer Tagung in Wien vergangenen Donnerstag sehr deutlich für die Notwendigkeit eines europäischen Pakets aus: „Wir sind ja sehr dankbar, dass uns die Europäer so viel von dem fauligen Zeug abgekauft haben. Aber genau das ist der Grund, warum auch in Europa ein Rettungspaket Sinn macht.“ Seiner Einschätzung nach müsse man genau überlegen, wie eine solche Hilfe ausgestaltet sei. Denn wenn man es falsch angehe, nütze sie nichts. „Nur, viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht. Deswegen ist ein Rettungspaket mit Mängeln immer noch besser als gar keines.“

Ob und in welcher Form Österreich daran partizipieren kann und soll, ist mittlerweile auch hierzulande Gegenstand hektischer Konsultationen. Das unmittelbar vor den Wahlen auf Betreiben der SPÖ im Parlament durchgesetzte „Konjunkturpaket“ dürfte einerseits kaum reichen, die Wirtschaft tatsächlich auf Kurs zu halten. Umgekehrt fehlen jetzt budgetäre Mittel, um für den Fall der Fälle vorzusorgen. Um einen staatlichen Sicherungsfonds mit einem Betrag von bis zu drei Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts zu dotieren, bräuchte es knapp mehr als acht Milliarden Euro. Woher die kommen sollen, ist unklar.

Von Michael Nikbakhsh und Andrea Rexer