Die schwere Geburt der Elite-Universität

Die schwere Geburt der Elite-Universität: Am 1. Juni wird das 'IST Austria' eröffnet

Am 1. Juni wird das 'IST Austria' eröffnet

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Von Robert Buchacher

Die Einladungen für das große „Campus Opening“ waren längst verschickt, aber in der Vorwoche bevölkerten noch an die hundert Bauarbeiter und Professionisten das Areal der ehemaligen Nervenklinik in Maria Gugging. Um einzelne Gebäude standen noch die Gerüste, unter hohem Zeitdruck wurde überall gebohrt und geschraubt, ausgebessert, geschliffen, gemalt und geputzt.

Denn bereits am Pfingstmontag, dem 1. Juni, will sich das neu gegründete Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) nahe Klosterneuburg bei Wien der Öffentlichkeit präsentieren – am ersten von drei für die Eröffnungsfeierlichkeiten ­vorgesehenen Tagen vor allem der lokalen Bevölkerung, darunter auch interessierten Kindern und Schülern.

Der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger, der im Jahr 2002 die Idee zur Gründung eines internationalen Weltklasse-Instituts für Grundlagenforschung geboren hatte, hat sich extra ausbedungen, bei diesem Event eine Vorlesung für Kinder zu halten. Titel: „Von den Sternen bis zu den kleinsten Teilchen: Wir erforschen die Welt“. Aber schon die nächsten Programmpunkte der Eröffnungsfeierlichkeiten geben mit dem Film „Auf der Suche nach dem Gedächtnis – Das Leben des Nobelpreisträgers Eric Kandel“ und einem anschließenden Interview mit Kandel, geführt vom IST-Austria-Pressesprecher Oliver Lehmann, den Anspruch des neuen Instituts vor: in Maria Gugging die besten Köpfe der Welt zu versammeln.

Ob das auch dauerhaft gelingen wird, fragen sich viele Wissenschafter. Vor allem, ob sich auf dem 18 Hektar großen Gelände das nötige intellektuelle Umfeld schaffen lässt, das attraktiv genug ist, um Weltklasse-Professoren sowie talentierte und ambitionierte Jungforscher aus aller Welt anzuziehen wie ein Magnet. Schon in den nächsten ein, zwei Jahren werde sich entscheiden, ob das gelingt. Zumindest bei den bis zum 4. Juni anberaumten Eröffnungsfeiern wird sich der hohe Anspruch erfüllen.

Thomas A. Henzinger, der gewählte Präsident des Instituts, in Linz geborener Computerwissenschafter, der an so renommierten Universitäten wie Stanford, Berkeley und ETH Lausanne lehrte und der als einer der meistzitierten Forscher seines Fachbereichs gilt, kann an diesen Tagen in Maria Gugging eine Reihe von Geistesgrößen begrüßen. Neben Kandel den ehemaligen Präsidenten des Weizmann-Instituts in Tel Aviv und nunmehrigen Leiter des IST-Austria-Vorbereitungskomitees, Haim Harari (siehe auch Interview auf der rechten Seite); den derzeitigen Präsidenten des Weizmann-­Instituts Daniel Zaifman; den früheren ­Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl (Konstanz); den Direktor des Ins­titute for Advanced Study Peter Goddard (Princeton) oder den Wittgenstein-Preisträger Barry Dickson, Direktor des internatio­nal renommierten Instituts für Molekulare Pathologie (Wien), um nur einige Beispiele zu nennen.

Sie alle werden in Maria Gugging ihre Eröffnungs-Lectures halten oder an Diskussionen teilnehmen, werden ihre besten Wünsche für das neu gegründete Institut deponieren und anschließend wieder nach Hause fahren. Dann beginnen für Henzinger & Co die Mühen der Ebene. Der reguläre Forschungsbetrieb startet zwar erst Anfang September, aber schon jetzt muss sich die Gründungs-Crew mit etlichen Altlasten und den damit verbundenen Kollateralschäden herumschlagen.

Elite-Uni. Das interessierte Publikum kennt das Projekt noch immer unter dem Begriff „Elite-Uni“, ein Ausdruck, den die damalige ÖVP-Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer gern im Munde führte und der sich bis heute hartnäckig hält, sosehr die Leute vom IST Austria auch betonen, dass dieser Ausdruck nicht von ihnen stamme und von ihnen auch nie verwendet worden sei. „IST Austria ist weder eine Universität noch eine Institution für soziale Eliten“, erklärt Präsident Henzinger. „Deshalb verwenden wir nie die Bezeichnung ,Elite-Universität‘, und ich hoffe, dass dieser Begriff auch aus der Öffentlichkeit verschwinden wird.“

Schließlich kam diese Bezeichnung der Aufforderung an die anderen österreichischen Universitäten und ihre Wissenschafter gleich, sich fortan als „Nicht-Eliten“ zu verstehen, was freilich viele Professoren verstörte. Wobei sich manche von ihnen fragen, ob es überhaupt geschickt sei, den Anspruch eines Spitzeninstituts derart an die große Glocke zu hängen. Michael Freissmuth, Leiter des Instituts für Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, erklärt im profil-Interview, was er von „selbst ernannten Eliten“ hält.

Der Streit um die Standortwahl wiederum gilt zwar offiziell als erledigt, köchelt aber noch immer unter der mühsam beruhigten Oberfläche. Peter Schuster, Vorstand des Instituts für Theoretische Chemie an der Universität Wien und bis Ende Juni noch Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gehörte am Anfang zu den Proponenten des Projekts, war aber stets ein Gegner des Standorts Maria Gugging. Im Jahr 2005 trat der Forscher zusammen mit Anton Zeilinger und dem Photoniker Arnold Schmidt, dem ehemaligen Präsidenten des Forschungsförderungsfonds FWF, aus dem Proponenten-Komitee aus, „weil das Komitee in der Standortfrage von der Politik überfahren wurde“, wie Schuster berichtet. Im Jahr 2006 kehrten dann Zeilinger und Schmidt wieder in das Komitee zurück, wohl weil sie erkennen mussten, dass sich die Politik nun einmal für Maria Gugging entschieden hatte und dass daran nicht mehr zu rütteln war.

Es war eine rein politische Entscheidung. Die von Wolfgang Schüssel geführte schwarz-blaue Regierung wollte das Institut partout dem niederösterreichischen ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll zuschanzen, der sich für das Projekt auch weit mehr engagierte als die Stadt Wien, die das Ganze mehr oder weniger verschlafen hat. Schmidt gibt sich heute als großer Fan der Neugründung: „Meiner Meinung nach wird IST Austria erfolgreich sein, rasch Anerkennung gewinnen und äußerst positive Auswirkungen auf die österreichische Forschungslandschaft insgesamt haben.“

International kein Thema. Schuster ist sich da nicht so sicher. Zwar ist er überzeugt, „dass das eine gute Einrichtung wird, aber Spitzeninstitute sind dünn gesät, ob IST Austria ein solches wird, bleibt abzuwarten“. Während IST-Austria-Pressesprecher Oliver Lehmann betont: „Der Standort ist international kein Thema. Wir sagen den Bewerbern: Klosterneuburg in the Vienna Woods“, hat Schuster nach wie vor Probleme mit der Location: „Ich habe oft in der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Altenberg bei Klosterneuburg zu tun und weiß, wie die öffentlichen Verbindungen dorthin aussehen.“

Das Land Niederösterreich, das für die Startphase bis zum Jahr 2016 insgesamt 130 Millionen Euro bereitstellt, will solchen Vorhalten mit der Einrichtung eines Shuttle-Dienstes zwischen dem Campus in Maria Gugging und Wiener Universitätsinstituten beziehungsweise dem Vienna Biocenter im dritten Wiener Gemeindebezirk begegnen. Kostenpunkt: 1,5 Millionen Euro im Jahr. Der gesamte Budgetrahmen des Instituts umfasst bis zum Jahr 2016 etwa 490 Millionen Euro, wovon ein Viertel durch – auch vom Wissenschaftsfonds – eingeworbene Drittmittel aufgebracht werden soll.

Die Frage ist, ob den Wissenschaftern die Pendlerei nicht auf die Nerven gehen wird. „Das ­Problem in Wien ist die Zersiedelung der Wissenschaft“, sagt beispielsweise der Wiener Quantenphysiker und Wittgensteinpreisträger Jörg Schmiedmayer, der sich das ganz ­praktisch vorstellt: Wenn es am Campus in Maria Gugging ­einen spannenden Vortrag
gibt, wie viele Wissenschafter aus Wien werden dann hin­fahren, wenn das Ganze samt Fahrzeit nahezu einen Tag kosten kann? „Ich glaube nicht, dass viele Leute von uns ­hinausfahren werden“, sagt Schmiedmayer. Die Wiener Molekularbiologin Renée Schroeder verweist auf das Beispiel des Boehringer-Ingelheim-Instituts für molekulare Pathologie (IMP) in Wien-Landstraße als in jeder Hinsicht gelungene Gründung einer Forschungseinrichtung von Weltklasseformat. Und umgekehrt auf das vor 30 Jahren im 29 Kilometer von Wien ­entfernten Seibersdorf errichtete Forschungszentrum, das nie den erwarteten Stellenwert erreichte.

Passion und Charisma. Der legendäre IMP-Gründungsdirektor Max Birnstiel, ein Schweizer Molekularbiologe, hatte von Anfang an die Ansiedelung von Universitätsinstituten aus dem Bereich Life Sciences rund um sein Institut verlangt. „Mit seinem Charisma zog Birnstiel Spitzenleute aus aller Welt an“, sagt Schroeder. Mittlerweile hat sich rund um das IMP ein lebendiger Campus aus mehreren Top-Forschungsinstituten entwickelt, darunter Josef Penningers Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) oder die Max F. Perutz Laboratories innerhalb des universitären ­Vienna Biocenters. Birnstiel ­bezeichnete die Location Maria Gugging übrigens als „Schnapsidee“.

Nach dem Standortstreit kam im Vorjahr die nächste Panne, als die Gründungs-Crew in Maria Gugging voreilig hinausposaunte, Tobias Bonhoeffer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried bei München, sei der erste Präsident des IST Austria. Dummerweise war aber noch kein Vertrag unterschrieben, und Bonhoeffer sagte vier Wochen später „aus privaten Gründen“ ab. Er wolle außerdem seine Arbeit in Martinsried fortführen. Dabei mag atmosphärisch auch mitgespielt haben, dass Tierschützer Bonhoeffer Quälerei von Versuchstieren vorgeworfen hatten, was Haim Harari, Leiter des Exekutivkomitees von IST Austria, in einer eilends einberufenen Pressekonferenz als „gegenstandslos, absurd und völlig aus dem Zusammenhang gerissen“ bezeichnete.

Für die Leute vom IST Austria ist das Vergangenheit, umso mehr als der nunmehr gewählte Gründungspräsident Tom Henzinger „besser ist als Bonhoeffer“. Mittlerweile hat mit dem britischen Evolutionsbiologen Nick Barton ein Groß­kaliber als erster Professor für das IST Austria unterschrieben. Barton wurde erst im Februar mit der nur alle 50 Jahre verliehenen Darwin-Wallace-Medaille ausgezeichnet.

Die quantitative Biologie, also die Schnittstelle zwischen Biologie und Mathematik, die Schnittstelle Gehirn/Computer sowie Materialwissenschaften sollen die ersten Forschungsschwerpunkte des neuen Instituts bilden. Es soll enge Kooperationen mit der Industrie sowie mit verschiedenen privaten und universitären Forschungsinstituten geben – „auf gleicher Augenhöhe“, wie Heinz Engl, Vizerektor der Universität Wien und Direktor des Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics, betont. „Elite kann man nicht per Bundesgesetzblatt verordnen“, sagt Engl. „Sehr gute junge Leute kommen nur, wenn Leuchttürme der Wissenschaft dastehen.“

Fotos: Philipp Horak