Die Imitation des Kalten Kriegs

Dmitri Medwedew & seine Rolle als Machthaber

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Zuerst bietet die NATO der Ukraine den „membership action plan“ an, die Vorstufe zur Mitgliedschaft. Die russophile ukrainische Partei der Regionen organisiert daraufhin Demonstrationen, die in Ausschreitungen ausarten. Der prowestliche Präsident Viktor Juschtschenko löst das Parlament auf. In Kharkow, im Osten des Landes, rufen die Anhänger einer Spaltung ein neues Parlament aus und erklären Juschtschenko zum Staatsverräter. Geheimdienstkreise lassen in der Nähe ein Massaker veranstalten. Die Ostukrainer rufen die Russen zu Hilfe. Diese lassen sich nicht lumpen und rollen mit Panzern auf Kiew zu.

Wird die Ukraine das nächste Schlachtfeld zwischen einem neoimperialen Russ-land und dem Westen? Sergej Markow entwirft das obige Szenario und sagt mit sorgenvoller Miene: „Leider könnte uns dies ganz schnell drohen.“ Der Politologe ist auch Duma-Abgeordneter für die kremlnahe Mehrheitspartei Geeintes Russland. Er meint zwar, Präsident Dmitri Medwedew hätte mit der Anerkennung
Südossetiens und Abchasiens vorigen Dienstag zuwarten können, um die Lage nicht weiter anzuheizen. Doch die Kreml-Logik versteht er durchaus: „Die denken: Washington will Krieg. Und tatsächlich: Der Chef von CNN agiert wie Goebbels.“
An schrillen historischen Vergleichen und dramatischen Deklarationen mangelt es derzeit auf der Ost-West-Bühne nicht. Seit dem 8. August, als erst der georgische Präsident Michail Saakaschwili seine Truppen in die abtrünnige Provinz schickte und daraufhin russische Panzer tief nach Georgien eindrangen, sind die Ost-West-Beziehungen in eine schwere Krise gestürzt. Die Befürchtung des französischen Außenministers Bernard Kouchner, Russland wolle auch die ukrainische Krim angreifen, beantwortete sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow am Donnerstag harsch: Dies sei eine „krankhafte Fantasie“.

Kouchner wiederum drohte Russland mit „Sanktionen und anderen Maßnahmen“, die beim EU-Sondergipfel am 1. September in Brüssel beschlossen werden könnten. Die Europäer bemühen sich trotz ihrer Abhängigkeit von Russland in Energiefragen um moralische Oberhoheit und überlegen ernsthaft, die Gespräche über ein neues EU-Partnerschaftsabkommen mit Russland oder die WTO-Verhandlungen auf Eis zu legen. Die Zusammenarbeit mit der NATO hatte Russland bereits am 21. August ausgesetzt. Bisher erlaubt Russland allerdings noch den Landtransfer für Versorgungsgüter zu den internationalen Truppen nach Afghanistan.

Die angedrohten EU-Strafaktionen würden die Moskauer Machtelite allerdings keine schlaflose Nacht kosten. Kreml-Insider berichten, es habe wegen des Georgienkriegs und der hastigen Anerkennung Südossetiens zwischen Premier Wladimir Putin und seinem ehemaligen Taschenträger Medwedew erstmals gekracht. Medwedew dürfte Gefallen an eigenen Entscheidungen und seiner neuen Rolle als entscheidungskräftiger Präsident finden – im Gegensatz zu seiner bisherigen als Putins niedlicher kleiner Bruder. Medwedew klang richtig stolz, als er vorige Woche verkündete: „Wir wollen ihn nicht, aber wir fürchten auch keinen Kalten Krieg.“ Russland ist reich an Öl und Gas und neoimperialer Selbstherrlichkeit. Geht es dem Land längst um mehr als die südkaukasischen Armenviertel? Ende der Woche verstärkte Russland die Sicherheitsmaßnahmen für den Stützpunkt seiner Schwarzmeerflotte auf der ukrainischen Krimhalbinsel, „weil Provokationen zu befürchten“ seien, wie aus der Marineführung verlautete. „Russland lässt auf der Krim bereits russische Pässe verteilen“, rief Georgiens Außenministerin Ekaterine Tkeschelaschwili vorigen Donnerstag bei einem Treffen der OSZE in Wien – was Russlands OSZE-Botschafter Anwar Asimow gegenüber profil umgehend dementierte. Ein Großteil der Bevölkerung auf der Krimhalbinsel ist russischer Abstammung, historisch war die Krim bis 1954 russisches Staatsgebiet. Obwohl heute Teil der unabhängigen Ukraine, bildet Sewastopol noch immer einen Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, was seit der orangen Revolution in der Ukraine 2004 zu permanenten Spannungen führt. Die georgische Außenministerin malte mit ihrer Behauptung den Teufel an die Wand: Russland hatte in Südossetien in den vergangenen Jahren russische Pässe an die Bevölkerung verteilt, die ihren georgischen Pass ablehnte und deren südossetische Dokumente international nicht anerkannt wurden. Russland nutzte diese Tatsache im August als Vorwand für die militärische Intervention – um russische Staatsbürger zu retten. Dass Russland auf der Krimhalbinsel Ähnliches vorhat, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Die Einwohner der Krim haben ukrainische Pässe und leben damit ganz gut.

„Russland greift sicher nicht militärisch in der Ukraine ein“, beruhigt Stanislav Belkowski vom kremlkritischen Institut für nationale Strategie: „Die Kalte-Kriegs-Rhetorik ist in Kiew wie in Moskau für die heimische Konsumation gedacht. Niemand will einen Krieg.“ Tatsächlich wurde vorige Woche nach dem Initialschock über den ersten russischen Waffengang seit Ende der Sowjetunion zwischen Washington, Moskau und den europäischen Hauptstädten offiziell und inoffiziell intensiv beraten, wie die neue Eiszeit wieder zu entschärfen sei. Die OSZE verhandelte über ein Mandat für Friedenstruppen in Georgien. Amerika schien sich schon fast mit der südkaukasischen Niederlage seines Verbündeten Saakaschwili abgefunden zu haben und ließ das mit 34 Tonnen Hilfsmitteln beladene Kriegsschiff „Dallas“ in Georgiens südlichem Hafen Batumi anlegen und nicht in Poti, um die russischen Truppen nicht zu provozieren, die dort immer noch stationiert sind. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama verurteilte die russische Anerkennung eher abwägend, wie es seine Art ist: „Die Vereinigten Staaten sollten den UN-Sicherheitsrat anrufen, um Russlands Entscheidung in Koordination mit unseren europäischen Alliierten zu verurteilen.“

Auch die russische Führung muss ihr imperiales Abenteuer erst verdauen. Ein Abbruch der Beziehungen zum Westen ist dem großen Projekt der Machthaber, ihren Reichtum im Westen anzulegen, jedenfalls nicht zuträglich. „Im Kreml sitzen nicht Kommunisten, sondern Milliardäre“, meint selbst der machtnahe Politologe Sergej Markow. Ein Kalter Krieg ohne Ideologie, eine Elite mit Interessen an westlichen Investitionen – das sei am Ende eben nur eine „Imitation des Kalten Kriegs“.
Das ist zwar nicht sehr beruhigend, aber das Beste, was es derzeit aus Moskau zu berichten gibt.

Von Tessa Szyszkowitz/Moskau; Mitarbeit: Andrej Iwanowski, Martin Staudinger