Die Intelligenz der Tiere

Die Intelligenz der Tiere: Können sie denken, lieben, lügen?

Die Wissenschaft sucht den Menschen im Tier

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Das tierische und das menschliche Auge haben viel gemeinsam: einen Glaskörper, eine Hornhaut, eine bizarr geformte Iris und eine Pupille, die sich beständig weitet oder verengt. Das tierische Auge schaut nicht anders als das Auge eines Menschen, egal, ob es einem Hund, einer Katze, einem Schimpansen oder einem Vogel gehört – es blickt manchmal ängstlich, manchmal fragend, manchmal dankbar für die Zuwendung, die dem Tier entgegengebracht wird.

„Haben Tiere eine Seele?“, fragte Conny Bischofsberger in der „Kronen Zeitung“ vom vergangenen Sonntag anlässlich der Parteieneinigung über ein bundesweites Tierschutzgesetz. Der Grundgedanke: Es soll garantieren, dass Tiere stärker als Lebewesen betrachtet und daher nicht länger in Ketten oder in Käfigen gehalten werden.

Ein Schritt in Richtung Zivilisation, und das umso mehr, als die Wissenschaft immer mehr Anhaltspunkte dafür liefert, dass der Mensch sich von Tieren nicht so fundamental unterscheidet, dass es gerechtfertigt wäre, diese wie Dinge zu behandeln. Dass Tiere vergleichbare Gefühle haben, lässt schon ein Hund vermuten, der mit dem Schwanz wedelt und Freudentänze aufführt, wenn sein Herrl nach Hause kommt. Wenn seine Bezugsperson Kummer hat, ist er traurig oder gibt Wehlaute von sich. Aber ist er deshalb schon intelligent?

Der Budapester Ethologe Vilmos Csányi beantwortet die Frage so: „Hunde sind in der Lage, die Regeln des menschlichen Umfelds zu lernen und zu befolgen. Sie zeigen alle Elemente des menschlichen Verhaltensmusters, ausgenommen die Sprache.“ Der Hund hat sich also im Verlauf von tausenden von Jahren an den Menschen angepasst. Aber zur Klärung der Frage nach seiner eventuellen Intelligenz bedarf es zunächst einer Begriffsbestimmung, die Kurt Kotrschal von der Konrad Lorenz Forschungsstelle im oberösterreichischen Grünau im Almtal (siehe auch Kasten) so formuliert: „Wir definieren Intelligenz normalerweise im Hinblick auf komplexe soziale Verhaltensweisen. Als intelligent bezeichnet man beispielsweise jemanden, der die Fähigkeit besitzt zu kooperieren oder zu betrügen.“ Demnach wäre der Schimpanse viel eher als intelligent anzusehen als der Hund oder andere Haustiere.

Genom-Entschlüsselung. Doch selbst gegenüber dem Schimpansen, seinem evolutionär nächsten Verwandten, fühlte sich der Mensch aufgrund seiner vermeintlich viel höheren Anzahl von Genen lange erhaben – bis die Entschlüsselung der beiden Genome im Jahr 2001 ergab, dass sich diese zu 98,4 Prozent decken. „In dieser winzigen Abweichung von gerade einmal 1,6 Prozent verbirgt sich das Geheimnis, was Menschen zu Menschen macht – vom aufrechten Gang bis zur Poesie“, formuliert es der US-Genomforscher und Buchautor Edwin H. McConkey von der University of Colorado in Boulder. Die für Erfahrung, bewusste Wahrnehmung und Wiedergabe von Gefühlen zuständigen Hirnregionen sind aber auch bei Primaten vorhanden, weshalb diese bei entsprechendem Training erstaunliche Fähigkeiten entwickeln.

Jane Goodall, die britische Schimpansenforscherin, welche die Tiere jahrzehntelang in ihrem angestammten Lebensraum am Gombe-Strom in Tansania beobachtete und mit ihnen lebte, widerlegte zwei Annahmen, die den Menschen bis dahin vom Affen unterscheiden sollten: dass nur der Mensch, nicht aber der pflanzenfressende Affe in der Lage wäre, Tiere zu jagen und deren Fleisch zu essen. Und dass nur Menschen Werkzeuge herstellen und benutzen. Goodall machte in diesem Zusammenhang eine der zentralen Entdeckungen der Verhaltensforschung: Sie hatte Schimpansen dabei beobachtet, wie sie die Blätter von 30 bis 40 Zentimeter langen Halmen oder Zweigen zupften, um mit den Ruten Termiten zum Verzehr aus dem Bau zu angeln.

Auch andere Tiere helfen sich durch Werkzeuggebrauch: Afrikanische Schmutzgeier etwa zertrümmern Straußeneier, indem sie diese mit Steinen bombardieren; Elefanten operieren sich mit Stöcken Blutegel aus der Haut; japanische Krähen werfen Nüsse auf die Straße, um sie durch vorbeifahrende Autos knacken zu lassen; Galapagos-Spechtfinken brechen Kaktusstachel zurecht und holen damit Insekten aus der Baumrinde. Aber Goodall beobachtete ein von Schimpansen hergestelltes Werkzeug, das in seiner Machart noch mehr erstaunt: Die Menschenaffen formen Blätter zu einer Art Schwamm, um damit Wasser aus unzugänglichen Stellen zu saugen. Um die Saugfähigkeit des Materials zu erhöhen, kauen sie zuvor die Blätter.

Doch, so fragt Kotrschal, wenn die Schimpansen derart befähigt sind, „warum bauen sie keine Kathedralen, warum ist es der Mensch, der am Laptop sitzt“?

Die Hominisation (Menschwerdung) vollzog sich nach bisherigem Wissensstand im afrikanischen Savannengebiet. Die Vorfahren des Menschen entwickelten das beidäugige (binokulare), räumliche Wahrnehmung ermöglichende Sehen, den aufrechten Gang sowie die Fähigkeit, gezielt aufzutreten und zu greifen. Die ältesten bisher bekannten Steinwerkzeuge stammen vom Australopithecus garhi, einem frühen, in Äthiopien entdeckten Vorläufer des Menschen, 2,5 Millionen Jahre alt. Sein Gehirn war nicht viel größer als das eines Schimpansen.

Ein paar hunderttausend Jahre später, vor etwa 1,8 Millionen Jahren, tauchen diese so genannten Oldowan-Werkzeuge unter den Funden von Dmanisi, Georgien, den ältesten Frühmenschenspuren in Asien, auf. Laut dem Wiener Anthropologen Horst Seidler war das Hirnvolumen dieser Frühhominiden kaum halb so groß wie das des späteren Homo sapiens. Dennoch reichte ihre „hohe soziale Intelligenz“ in Verbindung mit „Kommunikationsstrategien“ (Seidler) aus, um eine transkontinentale Wanderung erfolgreich bewältigen zu können.

Hirnvolumen. Die Größe des Hirnschädels und damit des Hirnvolumens ist aber für die Entwicklung solcher Intelligenzleistungen nicht allein ausschlaggebend: „Was uns von Tieren unterscheidet, ist die Ausprägung einzelner Zonen des Gehirns“, erklärt Ethologe Kotrschal. So ist das Sprachzentrum des Menschen im Broca-Areal des linken vorderen Stirnlappens lokalisiert. Bei Gorillas und Schimpansen wurden in dieser Hirnregion die so genannten „Rechts-links-Asymmetrien“ entdeckt, die auch als „Broca-analoge Region“ bezeichnet werden. Dieses Hirnareal muss schon um jene Zeit vorhanden gewesen sein, als sich die Entwicklungslinien von Menschen und Menschenaffen trennten, also vor sechs bis acht Millionen Jahren.

Die Neurophysiologen Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma machten bei Menschenaffen eine bemerkenswerte Entdeckung: Die Nervenzellen in dieser Broca-analogen Region haben eine besondere Funktion, nach der sie ihren Namen „Spiegelneuronen“ tragen: Diese Spiegelneuronen werden immer dann aktiv, wenn Affen entweder Manipulationen mit den Händen ausführen oder Handlungen ihres Gegenübers erkennen und imitieren.

Überlegte Handlungen. Dass Tiere in hohem Maße in der Lage sind, Handlungen ihrer Artgenossen nachzuahmen, ist lange bekannt. Fraglich ist, inwieweit diese überlegt sind und inwieweit sich die Tiere in andere einfühlen können – Fähigkeiten, die man bis vor kurzem selbst Schimpansen ausnahmslos abgesprochen hatte. Dies würde beispielsweise bedeuten, dass sie nicht anders können, als von zwei Futternäpfen den volleren zu nehmen, auch wenn klar ist, dass der Napf einem anderen Tier gehört. Michael Tomasello vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie konnte jedoch nachweisen, dass Schimpansen eine Vorstellung davon haben, was Artgenossen wissen und sehen.

In einem der Experimente wurde zwei Schimpansen Futter vorgelegt. Fühlte sich der Schwächere beobachtet, traute er sich nicht, davon zu nehmen. Wurde aber nur ihm das Futter gezeigt, stürmte er sofort hin, wissend, dass der Überlegene von der vohandenen Nahrung keine Ahnung hatte.

Unterdessen gibt es Hinweise darauf, dass dieses Einfühlungsvermögen in das, was der andere weiß, keineswegs nur Primaten besitzen. Denn Tomasellos Institutskollegin Juliane Kaminski hat ähnliche Versuche mit Ziegen angestellt – mit dem gleichen Ergebnis. In einer Reihe weiterer Experimente zeigte sich, dass manche Tierarten im sozialen Kontakt genau registrieren, wie sich andere ihnen gegenüber verhalten. So beobachteten Forscher der Universität Cambridge, dass sich Saatkrähen und Dohlen merken, welche ihrer Artgenossen ihnen schon Futter abgegeben haben.

Michael Tomasello untersuchte auch die Bereitschaft von Schimpansen zu altruistischem Verhalten. In einem der Experimente, in dem ein Affe eine Belohnung bekam, wenn ein anderer einen Hebel betätigte, registrierten die Tiere genau, wer wie oft geholfen hat. Sie lernten offenbar sogar mitzuzählen. Wie bei ähnlichen Versuchen mit Menschen, kam Gewalt ins Spiel, sobald eines der beiden Versuchstiere nicht mehr zur Zusammenarbeit bereit war.

Soziale Intelligenz. Kooperation und Kommunikation waren ein zentraler Punkt, als der Mensch vor Jahrtausenden begann, Tiere zu domestizieren. Dabei bevorzugte er ihm sozial ähnliche Arten, im Besonderen solche, die Hierarchien akzeptieren. Hunde zeigen erstaunliche Leistungen sozialer Intelligenz. Sie sind etwa in der Deutung menschlicher Gesten Schimpansen oder Gorillas überlegen, was sich durch das jahrtausendelange Zusammenleben offenbar in ihrem Erbgut fixiert hat. Lange Zeit hatte man angenommen, dass die Domestizierung eher einen kognitiven Rückschritt bewirkt habe, weil sich der Hund im Gegensatz zum Wolf bei der Problemlösung oft zu sehr auf den Menschen verlässt. Tatsächlich erwiesen sich Hunde in entsprechenden Experimenten einer Budapester Forschungsgruppe zwar als abhängig, aber dennoch geschickter, wenn sie ihre Bezugsperson in der Nähe wussten.

So problematisch es ist, menschliche Eigenschaften eins zu eins auf das Tier zu übertragen, so ist es doch bemerkenswert, in welchem Maß tierische Eigenschaften an unsere eigenen erinnern – und zwar nicht nur an die positiven: Manipulation, Täuschen und Lügen gibt es auch bei Tieren. Männliche Vögel sind im Täuschen besonders geschickt. Sie hüpfen, um ihr angestammtes Gebiet und ihr Weibchen zu verteidigen, von Baum zu Baum, singen an verschiedenen Orten und lassen auf diese Weise ihre Artgenossen in dem Glauben, dass es sich um eine Vielzahl von Konkurrenten handle. Auch Schimpansen können um ihres Vorteils willen andere täuschen. Entdeckt ein rangniedriges Tier Futter, wird es möglichst nicht hinsehen, um nicht die Aufmerksamkeit eines ranghöheren Männchens darauf zu lenken. Ein ähnliches „Pokerface“ beobachtete Thomas Bugnyar an der Grünauer Konrad Lorenz Forschungsstelle bei Kolkraben. Diese können nur Teile der Beute fressen, weshalb sie den Rest verstecken. Artgenossen geben vor, das nicht zu bemerken, und holen sich später die Leckerbissen.

„Jedes Individuum passt seine Fähigkeiten den jeweiligen Bedürfnissen an“, erklärt der Ethologe John Dittami vom zoologischen Institut der Universität Wien. „Es ist also nicht verwunderlich, dass sich Tiere, die ähnliche Bedürfnisse haben wie wir Menschen, annähernd gleiche Verhaltensweisen aneignen.“ Demnach besitzt jedes Tier so viel Intelligenz, wie es für sein Überleben benötigt. Bei einigen Spezies lässt sich eine gewisse Fähigkeit zur Planung vermuten. So organisieren beispielsweise Turmfalken ihren Tag danach, wo und wann sie am Vortag Mäuse fangen konnten. Der Eichelhäher ist imstande, sich bis zu 30.000 verschiedene Futterverstecke zu merken. Zwar ist dies aus seiner Begabung für Verstecken und Finden und nicht aus Intelligenz zu erklären. Es bedeutet aber, dass manche Vogelarten eine Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft besitzen müssen.

Orientierung. Zeitliche und räumliche Orientierung hilft beispielsweise Delfinen zu überleben, sobald sie sich in den großen Fangnetzen der Fischkutter verfangen. Sie haben gelernt, dass das Netz beim Einholen für etwa 20 Sekunden absinkt und dabei die Möglichkeit zur Flucht bietet. Aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten werden die Tiere auch zur Minensuche eingesetzt, wie im Vorjahr zu Beginn des Golfkrieges im Hafen von Basra.

Andere Tierarten haben eigene Fertigkeiten zur Orientierung entwickelt. Die schimpansenähnlichen Bonobos beispielsweise markieren den von ihnen benutzten Weg im Wald durch abgebrochene Zweige oder Früchte. Und Ratten können mithilfe einer mentalen Landkarte Futter selbst in einem Labyrinth wiederfinden. Dazu ist es notwendig, dass die Tiere ihre Erinnerung vor einem inneren Auge ablaufen lassen, etwa so, wie wenn Menschen versuchen, sich zu erinnern, wo sie ihre Schlüssel verlegt haben. Solche geistigen Landkarten, wie sie auch Elefanten oder Bienen entwickeln, lassen sich laut dem deutschen Wissenschaftsjournalisten Ernst Meckelburg nicht durch das Prinzip „Versuch und Irrtum“ erklären, sondern weisen auf eine Art von Intelligenz hin.*)

Der amerikanische Tierrechtsanwalt Steven Wise beruft sich auf all diese Fähigkeiten, um für bestimmte Tierarten wie etwa Schimpansen ein minimales Grundrecht zu erstreiten (siehe Kasten Seite 111). Wo dabei allerdings die Grenze zwischen Tieren, die offensichtlich nur genetisch programmierte Instinkthandlungen ausführen, und solchen, die auch bewusst agieren, zu ziehen wäre, ist unklar. Diese Festlegung wäre keineswegs einfach. Denn auch genetische Vorprogrammierung schließt Bewusstsein nicht aus – auch der Mensch verfügt über beide Möglichkeiten. „Nachdem wir Menschen ein Bewusstsein haben, sollte man eher fragen, warum Tiere partout keines haben sollten“, sagt Kotrschal. Der Ethologe lehnt es ab, die Frage tierischer Intelligenz nur danach zu entscheiden, ob etwas erlernt oder angeboren ist, weil beides genetisch fundiert sei.

Die Verhaltensforschung setzte sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Frage auseinander, ob Tiere ein Ich-Bewusstsein besitzen. Experimente, bei denen sich Tiere im Spiegel sahen, führten zu unterschiedlichsten Ergebnissen. Während Delfine interessiert ihr Spiegelbild beobachten und Primaten versuchen, einen aufgemalten Fleck aus ihrem Gesicht zu wischen, schenken Hirsche ihrem Abbild keinerlei Aufmerksamkeit. Dass Hunde und Katzen auf ihren Rufnamen reagieren, könnte laut Buchautor Meckelburg ein mögliches Indiz für Ich-Bewusstsein sein. Andernfalls, so seine Begründung, würden sie auf Zuruf jedes beliebigen Wortes reagieren.

Obwohl die Wissenschaft bereits seit Charles Darwin vermutet, dass Tiere ähnlich wie wir Menschen fühlen, sind Verhaltensforscher vorsichtig. Konrad Lorenz beispielsweise meinte, man könne die Frage, ob oder wie Tiere Gefühle erleben, niemals seriös beantworten. Grundemotionen wie Freude, Angst, Wut und Trauer werden einigen dem Menschen nahe verwandten Tieren zugebilligt. „Doch kann man auch von Gefühlen sprechen, die mit Ethik, Moral oder Verachtung zusammenhängen?“, fragt Kotrschal.

Jedenfalls muss es irgendeine Art von Gefühlsleben geben, nachdem auch Tiere seelische Krisen durchmachen. Hunde beispielsweise leiden besonders unter Einsamkeit. Wenn sie trauern, fressen sie nicht. Bei jungen Menschenaffen kann der Verlust der Mutter zu Depressionen und Entwicklungsstörungen führen. Um einander in Krisensituationen beizustehen, zeigen die Tiere ähnliche Verhaltensweisen wie Menschen. Sie beweisen Mitgefühl, beruhigen durch körperliche Nähe, Handauflegen oder Umarmung, besonders dann, wenn, wie etwa bei Makaken, Schimpansen oder Berberaffen, das Sozialleben besonders ausgeprägt ist. Sie wirken deshalb in ihren Aktionen menschlicher als weniger entwickelte Tierarten.

„Die Regulation der Emotionen geschieht im Mandelkern, im Hippokampus und im Hippothalamus, der Kommandozentrale des Gehirns“, erklärt Verhaltensforscher Dittami. „Da diese Strukturen auch bei vielen Tieren zu finden sind, ist es nahe liegend, dass auch sie zu ähnlichen Gefühlen fähig sind wie wir Menschen.“

Die vor allem unter Schlachtern und Viehzüchtern verbreitete Meinung, Tiere würden bei der Schlachtung den Schmerz nicht spüren, da der Schockzustand diesen unterdrücke, ist so nicht mehr haltbar. Das Schmerzsystem der Säugetiere ist dem menschlichen sehr ähnlich. Schmerzsensoren leiten die Reize über das Nervensystem ins Rückenmark weiter und von da an die Schmerzrezeptoren des Gehirns. Verletzt sich ein Hund auch nur leicht an der Pfote, humpelt er. Ohne Schmerzempfinden hätte er keine Veranlassung, das Bein nachzuziehen.

Als absolute Domäne des Menschen galt lange Zeit die Sprache. Doch etliche Experimente der Verhaltensforschung bringen nun auch diese ins Wanken. So brachte etwa Sue Savage-Rumbaugh vom Yerkes National Primate Research Center an der Emory University in Atlanta ihrem Bonobo Kanzi bei, sich mithilfe von 250 auf Tasten angeordneten geometrischen Symbolen zu artikulieren. Kanzi verlangt in der von den Forschern „Yerkisch“ genannten Tastensprache etwa nach einer Banane oder nach einem Spielzeug, ja er kommuniziert auf diese Weise auch mit seiner nicht minder begabten Schwester.

Geometrische Wortsymbole. „Sie sprechen nicht nur nach, sie antworten auch auf unsere Fragen“, behauptet Savage-Rumbaugh. Als Kanzis Betreuerin die geometrischen Wortsymbole begleitend auf Englisch artikulierte, lernte Kanzi im Laufe der Zeit ansatzweise auch diese Sprache zu verstehen. Die Forscherin meint, Kanzi hätte auch schon selbstständig Laute entwickelt, die den Begriffen „Banane“, „Trauben“, „Saft“ und „Ja“ zuzuordnen seien.

Da Kanzi und seine Schwester im Primatenforschungzentrum in Atlanta aufwuchsen, warnen Kritiker davor, aus derartigen Experimenten auf wild lebende Bonobos zu schließen. Der Wissenschafterin Savage-Rumbaugh ging es aber darum nachzuweisen, dass die Tiere eine prinzipielle vorsprachliche Fähigkeit besitzen. Der Mensch verfügt zwar über komplexe sprachliche Fähigkeiten, aber einen Teil seiner Kommunikation wickelt auch er außerhalb sprachlicher Mittel über Gesten und Laute ab.

Die Ornithologin Irene Pepperberg von der Rudgers University im US-Bundesstaat New Jersey hat zahlreiche Sprachexperimente mit ihrem Graupapagei Alex durchgeführt. Laut Pepperberg plappere der Vogel nicht nur zusammenhanglos nach, sondern beherrsche mehr als hundert Begriffe und könne sogar einfachste Sätze mit drei Wörtern bilden. Außerdem sei er imstande, Objekten Eigenschaften wie Material, Farbe und Form zuzuordnen. „Alex hat gezeigt“, so Pepperberg, „dass er selbst abstrakte Konzepte auf Primatenniveau verstehen kann.“ Im Gegensatz dazu wird Hunden eine nur passive Sprachfähigkeit zuerkannt. Nach heutigem Stand der Wissenschaft können sie Befehle nicht nur am Tonfall erkennen, sondern an bis zu 50 verschiedenen Wörtern.

In der Natur bedienen sich Tiere unterschiedlicher Arten der Kommunikation. Während Vögel, Delfine oder Primaten vorwiegend auf akustischem Weg kommunizieren, tauschen Ameisen chemische und Fische elektrische Signale aus. Der österreichische Biologe Karl von Frisch erhielt 1973 den Nobelpreis für seine Entdeckung, dass sich Honigbienen durch bestimmte Tanzmuster über die Lage und Erreichbarkeit von Futterplätzen verständigen. All diese Kommunikationsformen beziehen sich jedoch auf die Gegenwart. Vergangenes oder Zukünftiges können nicht zum Ausdruck gebracht werden.

Mensch im Tier. Viele Tiere verfügen also über mehr Fähigkeiten, als man von ihnen allgemein erwartet. So manches, was bisher als alleinige Domäne des Menschen galt, ist zumindest in Ansätzen auch anderen Arten zuzusprechen. „Wenn eine angeblich nur dem Menschen eigene Fähigkeit gefunden wird“, sagt Tierforscher Kotrschal, „können Primatologen diese zumeist auch bei Schimpansen nachweisen.“

Während der österreichische Wildtierforscher Antal Festetics die in der Wissenschaft als „Anthropomorphismus“ bezeichneten direkten Vergleiche zwischen Mensch und Tier für problematisch hält, betrachtet sie Kotrschal als legitim – allerdings mit Einschränkungen: „Menschen sollten davon abkommen, die Fähigkeiten verschiedener Tiergruppen zu unterschätzen. Sie sollten diese aber auch nicht überschätzen.“ Konrad Lorenz war der Meinung, dass zwar alles Tier im Menschen, jedoch nicht aller Mensch im Tier zu finden sei.