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Die Jungfrau und der Wilde

Die Jungfrau und der Wilde

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Sie hätte auch weiterhin, wie zu ihrer Geburt, Kappelhof heißen können; das unnatürlich Unberührte, das kokett Kichernde, das burschikos Biedere konnte auch der Künstlername (den sie nach ihrem Song „Day by Day“ annahm) nicht tilgen.

Er hieß seit jeher knurrig Brando, wurde Schauspieler, „weil mir nichts Besseres einfiel“, wurde, von allen Kollegen neidlos anerkannt, der Beste, den Hollywood je hervorbrachte, und sein Spitzname „Bud“ lud nur wenige dazu ein, leichtfertig mit „Buddy“ (Freund) zu verwechseln.

Doris Day hätte von Walt Disney erfunden sein können: der patente, geschlechtslose Kumpel mit blondem Schopf und blauen Augen, das Idol von Millionen bigott kujonierter US-Muttis, die Jungfrau ohne Unterleib, die den Schmelz von Erdnussbutter und den Pfiff einer Nähmaschine hat. Mögen manche ihrer Filmtitel für Kentucky auch geradezu gewagt gewesen sein („Bettgeflüster“, „Ein Pyjama für drei“) – das Heißeste, was „America’s Sweetheart“ der fünfziger und sechziger Jahre berührte, war die äußere Klinke der Schlafzimmertür.

Einen „letzten Tango in Paris“ hätte sie nie mitgetanzt, für Marlon Brando, der „Der Wilde“ vor gesellschaftlich verschlossenen Türen war, ohnmächtiger Arbeiter, der schon „Die Faust im Nacken“ gespürt und die Herrschaft des Dollars erlitten hatte, der aus innerster Überzeugung die (mexikanische) Revolution anführte („Viva Zapata!“), war der sexuelle Hautgout nicht mehr als ein weiterer Tabubruch. Da er persönlich als Rebell letztlich am System der Schaumfabrik Hollywood scheiterte und da ihn seine mutige Unterstützung der „diskriminierten Ureinwohner dieses Landes“, der würdelos in Reservate gepferchten Indianer (weshalb er auch den Oscar für den „Paten I“ nicht annahm) viel Geld kostete, bediente er sich im Alter schließlich zynisch der „einzigen Mittel, die diese Leute verstehen“. Für sein Debüt in „The Men“ hatte er 1950 noch 50.000 Dollar bekommen – für seine Nebenrolle in „Superman I“ erhielt er 26 Jahre später vier Millionen Dollar (mehr als der Titelheld Christopher Reeve).

Um eine Million herum kassierte die ausgebildete Sängerin Doris Day zuletzt auch und steckte viel Geld in eine Stiftung für herrenlose Hunde und Katzen. 1998 äußerte sie sich letztmals öffentlich, als sie den US-Präsidenten Bill Clinton aufforderte, seinen Hund „Buddy“ kastrieren zu lassen. Dem Hollywood-Tratsch nach musste sie das bei ihren vier Ehemännern nicht; Al Jordan wurde noch reputierlich „Der Posaunist“ genannt, George Weidler war der matte „Saxophonist“, Marty Melcher hieß nur noch „Der Blindenhund“, und Barry Comden galt als „der vielleicht Unglücklichste von allen“. Dabei wollte die Tochter eines deutschstämmigen Musiklehrers in Cincinnati schon als Teenie „nichts als einen Mann fürs Leben“, doch immer mehr verinnerlichte sie die Drehbücher. „Ich kannte sie schon“, sagte Groucho Marx einmal zu ihrer privaten Pleite, „bevor sie noch Jungfrau wurde.“

Auf der Leinwand war sie, obwohl für „Bettgeflüster“ wahrhaftig für den Oscar nominiert, nur zweimal wirklich gut, beide Male in Todesangst: Im Thriller „Mitternachtsspitzen“ (mit Rex Harrison) fürchtet sie, verrückt zu werden, und in Alfred Hitchcocks zweiter Fassung von „Der Mann, der zu viel wusste“ (mit James Stewart) singt sie „Que sera, sera“ ums Leben ihrer entführten Kinder.

Brando, dem Sohn einer Trinkerfamilie in einem Kaff in Nebraska, werden vier Ehefrauen und neun Kinder zugeschrieben („Männer sind von Natur aus nicht monogam“); er zahlte für die Strafverteidigung seines Sohns Christian, der den Liebhaber seiner Halbschwester Cheyenne erschossen hatte, ein Vermögen, ein weiteres an die uneheliche Mutter dreier seiner Kinder, Maria Cristina Ruiz, und ein drittes für sein Südseeatoll bei Tahiti. Darum drehte er „auch eine Menge Scheiß, aber ich hatte nicht die Courage, das Geld zurückzuweisen“.

Doch er drehte eben auch „Endstation Sehnsucht“, „Die jungen Löwen“, „Der hässliche Amerikaner“, „Meuterei auf der Bounty“, die zärtliche Komödie „Das kleine Teehaus“ und „Apocalypse Now“; zu den zwei Oscars kamen noch sechs Nominierungen, vier Golden Globes und eine Goldene Palme in Cannes („Viva Zapata!“). Und er investierte sich in seiner lebenslänglichen Intensivstation Sehnsucht, er wurde des Mammons animalisch gurgelnder „Godfather“, sein nackter Blick war das bei weitem Obszönste im „Tango“, er vermochte noch immer, die Spießer zu schrecken: „Wenn mich Leute treffen, haben sie Angst, ich könnte in ihren Palmenkübel pinkeln und ihnen an den Arsch greifen“ – er griff nicht, er riss ihn ihnen auf.

Brando, jetzt nur noch 115 Kilo bei 178 Zentimetern Größe, ist das Maßlose aller Dinge, die Vergewaltigung der Eulengöttin durch einen Taifun. Seinen Leid-Satz hat er zu unserem Glück nie auf sich selbst angewandt: „Erlaub dir nie, irgendwas zu empfinden, denn du empfindest immer zu viel.“