Die große Kluft: Der Streit um die Einkommen

Verteilungspolitik: Auch in Österreich ein Thema

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Der Innenminister formulierte wie gewohnt am schärfsten: Angesichts der empörenden Abzockerei sollte schleunigst eine gesetzliche Deckelung der Bezüge in den Chefetagen beschlossen werden, ließ er verlauten. Dabei kann dem CDU-Mann Wolfgang Schäuble wirklich niemand vorwerfen, er sei ein rabiater Linker.

Die Stimmung im Land hat er richtig eingeschätzt. 83 Prozent der Deutschen meinen, die Wirtschaftskapitäne seien überbezahlt. Schon 56 Prozent halten laut einer vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vergangene Woche veröffentlichten Umfrage die Verteilung von Besitz und Einkommen für ungerecht. Nur verschwindende 15 Prozent sehen Gerechtigkeit walten.

Zu toll hatten es die oberen Zweitausend zuletzt getrieben. Da wurde etwa ruchbar, dass sich Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, ein Jahressalär von 21 Millionen Euro zugesteht. Ein Bettellohn, verglichen mit dem 60-Millionen-Bezug des zugegebenermaßen erfolgreichen Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking – mehr als das Tausendfache des Durchschnittsgehalts seiner Angestellten.

Das Fass zum Überlaufen brachte aber der Fall des mit seinen Expansionsplänen grandios gescheiterten DaimlerChrysler-Chefs Jürgen Schrempp. Er verdiente nach seinem Hinauswurf weitere 50 Millionen Euro, als er nach der mühevollen Sanierung des Konzerns durch seine Nachfolger seine Aktienoptionen geltend machte.

Das war selbst dem aus der Wirtschaft kommenden Bundespräsidenten Horst Köhler zu viel: Wohl nicht zufällig im „Handelsblatt“ forderte er eine „Kultur der Mäßigung“ ein.

Machtworte des Bundespräsidenten sind in Österreich noch nicht vonnöten. Die Gagen der Top-Manager und Bank-Generaldirektoren bewegen sich fast durchwegs unter der 5-Millionen-Grenze. In Deutschland verdienen die Bosse im Schnitt dreimal, in den USA etwa zehnmal so viel wie in Österreich.

Auch die Stimmung im Volk ist entspannter: Laut einer vergangene Woche im Auftrag von profil durchgeführten OGM-Umfrage (siehe Grafik Seite 27) halten 42 Prozent der Österreicher die Verteilung der Einkommen und Vermögen für ungerecht (Deutschland: 56 Prozent), immerhin 34 Prozent sehen sie als gerecht (D: 15 Prozent).

Aber gleich mehrere jetzt veröffentlichte Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass auch österreichische Manager immer ungenierter in den Topf langen.

• Der Rechnungshof prüfte im Auftrag des Nationalrats die Manager-Einkommen in staatsnahen Betrieben. Ergebnis: Die Vorstände der ÖBB-Holding und ihrer Subfirmen genehmigten sich im Untersuchungszeitraum 2005/2006 Gehaltserhöhungen von bis zu 84 Prozent, wie etwa die ÖBB-Dienstleistungs GmbH. Selbst der Vorstand der ÖBB-Tochter Traktion GmbH verdient so viel wie der Bundespräsident und deutlich mehr als der Kanzler. ÖBB-Chef Martin Huber kassiert mit 600.000 Euro brutto pro Jahr fast dreimal so viel wie der für ihn zuständige Minister und mehr als doppelt so viel wie der Bundeskanzler. Top-Verdiener 2006 waren die AUA-Bosse mit einer Durchschnitts-Jahresgage von fast 700.000 Euro, Vorstandschef Alfred Ötsch dürfte auf etwas mehr kommen. Insgesamt genehmigte sich der AUA-Vorstand um 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

• Die Arbeiterkammer analysierte Ende Dezember den Zuwachs der Managergagen bei den im Börsenindex ATX notierten Unternehmen (also zum Beispiel OMV, Voest, Erste Bank, Telekom). Dort durften sich die Chefs 2006 über eine Gagenerhöhung von 14 Prozent im Jahr freuen. Zum Vergleich: Die Löhne der in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer wuchsen im selben Zeitraum um knapp drei Prozent. 2006 verdiente damit ein durchschnittliches Vorstandsmitglied eines im ATX notierten Unternehmens das 41-Fache eines Arbeitnehmers. Im Jahr zuvor hatte das Verhältnis noch 37:1 betragen. Die höchste Steigerung der Vorstandsbezüge gab es bei der Telekom (plus 128 Prozent), weniger als im Vorjahr verdienten nur die Chefs der OMV (minus 14 Prozent).

• Für die größte Empörung sorgten aber die fetten Ablösen für den ins Ausgedinge geschickten Dreier-Vorstand der Autobahngesellschaft Asfinag. Selbst der nur 16 Monate im Amt gewesene Vorstand Mathias Reichhold streifte 605.000 Euro an Abfindung ein. Anders gerechnet: Für jeden seiner ohnehin fürstlich bezahlten Arbeitstage kassierte der ehemalige Hühnerzüchter und FPÖ-Obmann im Abgang noch einmal 1700 Euro. Einen besseren Schnitt machte nur der steirische ÖVP-Dissident Gerhard Hirschmann, der nach zwölf Monaten beim Energieversorger Estag eine runde Million Ablöse einsackte. Die Benchmark auf diesem Gebiet schlug aber der ehemalige Bawag-Generaldirektor Helmut Elsner ein: Zuerst setzte er seine Bank in den Karibiksand und nahm dann ungeniert 6,8 Millionen Euro in die Rente mit.

Gerechtigkeit. Ist das gerecht? Ein Porsche-Generaldirektor mit einem Stundenlohn von 23.000 Euro? Ein Ex-Politiker, der sich von seiner Partei versorgen lässt und in wenigen Monaten mehr zusammenrafft, als sich ein Durchschnittsverdiener in einem langen Arbeitsleben ersparen kann? Erfolglose Parvenüs, die zuerst das ihnen anvertraute Geld verzocken und dann noch Unsummen kassieren?

Seit mehr als zweitausend Jahren grübeln die Philosophen des Abendlands über den Begriff Gerechtigkeit. Gerechtigkeit sei Tugend in vollkommener Ausprägung, befand der große Ethiker Aristoteles, weil sie sich auch auf den anderen beziehe. Ungerecht seien die Unersättlichen. Freilich: Für hohe Verdienste soll es auch hohe Belohnung geben, das sei gerecht, solange es nicht gegen Gesetze verstoße.

Zweitausend Jahre später, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, sah der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes die Sache eher pessimistisch: Im Naturzustand sei der Mensch immer ungerecht, er sei des anderen Menschen Wolf: „Homo homini lupus est.“ Nur durch Klugheit könne sich der Mensch aus diesem Zustand befreien. Abermals einige Jahrzehnte später – der Kapitalismus war schon ein Silberstreif am Horizont – definierte der schottische Ökonom David Hume den Schutz des Eigentums als oberstes Prinzip der Gerechtigkeit. Bei dessen Verteilung solle allein das Leistungsprinzip gelten, weil dies das Gesamtwohl der Gesellschaft am besten fördere.

Das Leistungsprinzip? Darauf können sich wohl weder Schrempp noch Reichhold oder Elsner und schon gar nicht Stan

O’Neal, der Ex-Boss von Merrill-Lynch, berufen: Der produzierte zuerst 5,7 Milliarden Euro Verlust und zog sich dann mit 113 Millionen Euro ins Privatleben zurück.

Die meisten dieser gewaltigen Summen sind das Ergebnis steuerschonender Tüfteleien, die zu Zeiten von Hobbes, Hume oder gar Aristoteles noch lange nicht ersonnen waren. Das Grundgehalt spielt dabei eine weit geringere Rolle als Bonus-Regelungen, Pensionsverträge und „Stock Option“-Programme: Dabei werden den Managern Optionen zugeteilt, die den Erwerb von Aktien zu einem im Vorhinein festgelegten Preis ermöglichen. Steigt der Kurs über diesen Preis, kann der Manager den Vorteil lukrieren. Besonders günstig: Diese Gewinne sind seit 2003 – Finanzminister Karl-Heinz Grasser sei Dank – mit dem halben Steuersatz belegt.

Noch frappierender sind die Möglichkeiten, die das 1994 von der damaligen SPÖ- ÖVP-Koalition eingeführte Stiftungsrecht den Superreichen einräumt. Besonders plastisch wird das an einem Beispiel aus dem Vorjahr. Die Fries-Gruppe – sie besteht aus vier Unternehmerehepaaren und einigen Einzelpersonen um den Badener Rechtsanwalt Rudolf Fries – verkaufte im April 2007 ihren 20-Prozent-Anteil an Böhler-Uddeholm an die voestalpine. Ein gutes Geschäft: Für das 2003 im Zuge der Vollprivatisierung von Böhler um 130 Millionen Euro gekaufte Aktienpaket erlöste die Gruppe nun 737 Millionen. Gewinn: 607 Millionen. Steuern wurden dafür unter Nutzung der Möglichkeiten des Stiftungsrechts keine bezahlt.

Verschiebungen. Nicht nur die Arbeitnehmervertreter, auch sozial motivierte Unternehmer, wie etwa Böhler-Uddeholm-Generaldirektor Klaus Raidl oder Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner, halten solche Entwicklungen für schädlich, „weil sie die Marktwirtschaft in Verruf bringen“ (Raidl). Wiewohl beide gegen eine Besteuerung der Vermögenssubstanz sind, treten sie für eine Vermögenswert-Zuwachsbesteuerung ein – eine Idee, der auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer inzwischen immer mehr abgewinnen kann. Nach dem Muster der in mehreren Staaten gebräuchlichen Capital Gains Tax würden dann Veräußerungsgewinne wie jener der Fries-Gruppe mit 25 Prozent besteuert, was immerhin 150 Millionen Euro einbrächte. Umgekehrt könnten bei diesem Modell mit Verlust verkaufte Aktien steuerlich gegengerechnet werden – allerdings wiederum nur mit Gewinnen aus Aktien.

Damit würde die in Österreich fast beispiellos geringe Vermögensbesteuerung etwas angehoben. Laut OECD-Statistik machen vermögensbezogene Steuern in Österreich nur 0,6 Prozent des BIP aus – gerade ein Viertel des EU-Durchschnitts. Bloß in Tschechien und der Slowakei sind sie noch niedriger. Und während in Österreich jetzt auch die Erbschaftssteuer ausläuft, die schon bisher nur 0,12 Prozent der Steuereinnahmen ausmachte, decken die sozialistischer Reflexe völlig unverdächtigen USA immerhin 1,2 Prozent der Staatseinnahmen mit der Erbschaftssteuer.

So kam es in den vergangenen Jahren in Österreichs Volkswirtschaft zu beträchtlichen Verschiebungen, wie Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts zeigen: Während die Einkommen aus Gewinnen, Zinsen und Besitz (also Vermietung etc.) zwischen 2000 und 2007 um 52 Prozent stiegen, wuchsen die Steuereinnahmen daraus nur um 22 Prozent. Hingegen nahmen die Löhne um 23 Prozent zu, die Lohnsteuern aber um 31 Prozent.

Wenn dann auch noch die drei landwirtschaftlichen Güter mit den höchsten Agrarsubventionen in adeligem Besitz sind, wie profil vor einigen Wochen aufdeckte, komplettiert das das Bild verteilungspolitischen Ungleichgewichts.

Im diesbezüglichen UNO-Ranking, in dem mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden die Balance von Einkommen und Vermögen gemessen wird, liegt Österreich deshalb nur im Mittelfeld – und das trotz seit 1945 fast durchgängiger Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten (siehe Grafik Seite 23).

Böhler-General Raidl sieht denn auch Handlungsbedarf: „Gesamtwirtschaftlich steigen die Gewinne, innerbetrieblich nehmen bei den Managern die Bonuszahlungen und die Erlöse aus Optionen zu – und den anderen bleibt gerade die Kollektivvertragserhöhung. Das hält eine Gesellschaft auf Dauer nicht aus.“ Raidl plädiert daher für die Einführung einer innerbetrieblichen Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer.

Neidkomplexe. Die Höhe der Managergehälter will er nicht ausschließlich zur Sache des Aufsichtsrats machen. Der Hauptversammlung der Aktionäre sollte zumindest empfehlende Funktion zukommen, dies hätte durchaus seinen Effekt. Einen nicht unähnlichen Vorschlag hat die Arbeiterkammer im Köcher: Ihren Vorstellungen nach sollen die Besitzer von fünf Prozent des Grundkapitals einer AG eine gerichtliche Prüfung der Angemessenheit der Chef-Bezüge verlangen können. Hintergedanke: In den Aufsichtsräten, die über die Vorstandsgehälter befinden, sitzen in vielen Fällen die Vorstände anderer Unternehmen. Das Gehalt von ÖBB-Generaldirektor Martin Huber (Bruttojahreseinkommen ca. 600.000 Euro) hat zum Beispiel der damalige Aufsichtsratspräsident Wolfgang Reithofer, Vorstandschef der Wienerberger AG, abgesegnet. Reithofer (Jahresbezug 1,4 Millionen Euro) hätte schwer argumentieren können, Hubers Arbeitskraft sei nicht einmal ein Drittel so viel wert wie seine.

Wobei im staatsnahen Bereich oft noch Intransparenz zu Erfolglosigkeit tritt: Anders als die großen Privatunternehmen, die nach den Geboten der Corporate Governance die Vorstandsbezüge (wenn auch nicht Zuckerln wie Pensionen und Aktienoptionen) namentlich rapportieren, geben die staatsnahen Betriebe auch gegenüber dem Rechnungshof nur die Gesamtkosten für den meist mehrköpfigen Vorstand bekannt – und ließen sich das 2003 durch einen Spruch des Verfassungsgerichts bestätigen. Für Rechnungshofpräsident Josef Moser ist das ein besonderes Ärgernis: „Die ÖBB haben acht Millionen Aktionäre – und die haben ein Anrecht auf Transparenz.“ Moser fordert deshalb, dass die einzelnen Bezüge, wie in der Privatwirtschaft, im Geschäftsbericht publiziert werden.

Eine weitere Forderung der Arbeiterkammer hat wenig Chance auf Verwirklichung: Die AK schlägt vor, Teile besonders hoher Chefgehälter nicht mehr körperschaftsteuer-mindernd als Betriebsausgabe verbuchen zu können. AK-Steuer-Mann Otto Farny: „Ein Rolls-Royce wird ja nicht mehr als Firmenfahrzeug anerkannt.“ Bei Gehältern liegt die Sache allerdings anders, meinen Verfassungsexperten und geben einer Regelung, wie sie die Arbeiterkammer anstrebt, im Fall einer Klage keine Chance.

Das Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF), in dem etwa 3000 österreichische Manager organisiert sind, hat solche Diskussionen gar nicht gerne. „Wir haben leider etwas unglücklich die deutsche Debatte importiert“, meint WdF-Sprecher Roland Graf. Führungskräfte der ersten Ebene seien im Schnitt für 100 Mitarbeiter und 59 Millionen Budget verantwortlich, machten 16 Überstunden pro Woche und seien zwei Monate im Jahr auf Achse. Das würde hohe Bezüge durchaus rechtfertigen. Graf: „Ja zu Erkenntnisgewinn und Information, Nein zum einseitigen Bedienen von Neidkomplexen.“

Ein anderes Argument für die Notwendigkeit einer großzügigen Dotierung österreichischer Manager äußert ein Sprecher eines heimischen Großunternehmens nur unter Zusicherung der Anonymität: „Glauben Sie, es ist angenehm, wenn unsere Herren vom Vorstand nach Deutschland reisen und ihre Verhandlungspartner verdienen dreimal so viel? Die glauben ja, wir können nichts.“

Von Herbert Lackner
Mitarbeit: Edith Meinhart