Die Koalition und die Früchte des Zorns

Die Koalition und die Früchte des Zorns: Kein Rezept gegen die Wirtschaftskrise

Regierung fehlt Rezept gegen Wirtschaftskrise

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Von Eva Linsinger

In Frankreich nehmen Angestellte einen Manager als Geisel und zünden Autoreifen an, in Schottland wird das Haus des Chefs der Royal Bank of Scotland verwüstet, in den USA belagern Demonstranten die Wohnhäuser von Managern der Versicherungsgesellschaft AIG. Und der US-Geheimdienst hält die ökonomische Instabilität mittlerweile für eine ernstere Bedrohung als den Terrorismus.

In Österreich manifestiert sich der Protest gemütlicher. Aber auch hierzulande wird der Unmut lauter: „Wir zahlen nicht für eure Krise“, unter diesem Motto demons­trierten vergangenen Samstag über 200 Organisationen in Wien. An vorderster Front marschierten Gewerkschaften und die Katholische Aktion – auch gegen ihre eigenen Regierungsparteien. Denn das Unbehagen über SPÖ und ÖVP wächst: Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll haben zwar schneller als andere Regierungschefs Akutprogramme wie Konjunkturpakete und Bankenrettungspläne beschlossen. Doch profunde Konzepte gegen die Krise haben sie nicht vorgelegt.

Von links und rechts steigt nun der Druck: „Wir brauchen eine Kurskorrektur“, sagt Rudolf Kaske, Vorsitzender der mitgliederstarken Gewerkschaft vida. Er pocht auf ein „Sozialpaket“, einen „Schutzschirm für Erwerbslose“ und auf Umverteilung: „Wir brauchen wieder Vermögen- und Erbschaftssteuern.“ Im internationalen Vergleich ist Österreich Schlusslicht bei der Besteuerung von Vermögen, mit der Folge einer markanten Konzentration: Das reichste Promille der Österreicher besitzt acht Prozent des gesamten Geldvermögens – und damit so viel wie die gesamte ärmere Hälfte aller Haushalte. Nicht nur Arbeitnehmervertreter, sondern auch die Katholische Aktion fordern eine andere Verteilung der Steuerlast. Denn sonst, so die Befürchtung, würden die Banken- und Konjunkturpakete unweigerlich Sparpakete und damit soziale Einschnitte nach sich ziehen. Selbst des Marxismus völlig unverdächtige Experten wie Martin Schürz, der oberste Vermögensforscher in der Nationalbank, sind daher überzeugt: „An Steuererhöhungen für die Vermögenden führt in der aktuellen Lage kein Weg vorbei.“

Schürz legt Wert auf die Feststellung, dass es sich dabei um seine Privatmeinung handelt. Denn die Diskussion über die Besteuerung von Vermögen ist unpopulär. Selbst die Debatte, ob die Gehälter von Managern in Betrieben, die Staatshilfe in Anspruch nehmen – also etwa Banken oder Industrieunternehmen, die sich Kurzarbeit aus Steuergeld finanzieren lassen –, beschränkt werden sollen, ist Anfang Februar nur kurz im Parlament aufgeflammt, aber sofort wieder eingeschlafen. Die Regierung rief lieber zu „maßvollen Lohnabschlüssen“ auf – und zog sich damit den Zorn der Gewerkschaft zu. Denn die Reallöhne sind in den vergangenen zehn Jahren, auch wegen hoher Inflationsraten, kaum gewachsen: Jene der Arbeiter fielen sogar um sechs Prozent, jene der Angestellten stiegen um lediglich drei. Nur die Durchschnittseinkommen der Beamten kletterten in die Höhe.

Jetzt bei Lohnabschlüssen und im Sozialsystem zu sparen, sei der falsche Weg, auch deshalb, weil das die Kaufkraft schwäche, poltert Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel. Er fordert eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, das derzeit das zweitniedrigste in der EU ist. Bei Frauen etwa beträgt es im Durchschnitt 690 Euro und liegt damit unter der mit 733 Euro definierten Armutsschwelle. Die Mindestsicherung hätte geholfen, wurde aber von der Regierung unter dem Vorwand „technischer Probleme“ verschoben. Die Regierung müsse nun die private Nachfrage stärken, die Mindest­sicherung sei dafür wichtig, kritisiert Wiens Bürgermeister Michael Häupl.

Radikalere Konzepte. Auch über die Steuerreform, die von SPÖ und ÖVP als Entlastung gepriesen wird, will keine große Begeisterung aufkommen – im Gegenteil. Die Katholische Aktion, der Dachverband katholischer Verbände, lässt neuerdings in den Pfarren Wandzeitungen aufhängen, in denen „mehr Steuergerechtigkeit“ gefordert wird. Luitgard Derschmidt, die Präsidentin der Katholischen Aktion, argumentiert, dass in der Steuerreform zwar Kinderabsetzbeträge enthalten seien, was Niedrigverdienern aber kaum helfe: „Das kommt doch vor allem Bessergestellten zugute.“ Sie bedauert, dass „derzeit keine Bereitschaft zu einer Systemdebatte“ vorhanden sei.

Ein Befund, dem Gabriele Michalitsch, Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien, nur zustimmen kann: „Wir brauchen viel radikalere Konzepte zur Krisenbewältigung.“ Bisher steht die Regierung auf dem Standpunkt, dass zunächst abgewartet werden müsse, ob die Konjunkturpakete Wirkung zeigen. Erst dann könne man überlegen, ob noch ein Konjunkturpaket beschlossen werden soll. Bis dahin ist Sparen beim Budget das erklärte Ziel eins.

Diesen zögerlichen Ansatz hält der ehemalige Wirtschaftsminister Johannes Ditz, heute Präsident des ÖVP-nahen Zentrums für soziale Marktwirtschaft, für falsch: „Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir nur ein paar Impulse brauchen, und dann läuft die Wirtschaft wieder.“ Er hielte es für zielführender, ein großes Zukunftspaket zu schnüren und die Krise dafür zu nutzen, endlich Dinge anzugehen, die seit Jahren zwar allgemein für notwendig gehalten, aber nie umgesetzt wurden. „Gerade jetzt in der Rezession sollte man die Entlastung des Faktors Arbeit angehen und die Lohnnebenkosten senken“, rät Ditz. Das könne helfen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit abzumildern. Auch sonst harren in vielen Ministerien gut abgelegene Vorschläge schon lange ihrer Verwirklichung, etwa die Gesundheits- oder die Verwaltungsreform. Letztere sei besonders wichtig, damit es nicht zu „Spannungen zwischen dem privaten und dem geschützten öffentlichen Sektor“ kommt, so Ditz. Nicht zuletzt würde er sich energisch einer Frage widmen: „Wir müssen überprüfen, ob unser Transfersystem optimal ist.“

Diese Frage beantwortet etwa Franz Prettenthaler von der Grazer Joanneum Research mit einem entschiedenen Nein. Er hat in einer Studie das System der Sozialleistungen und Förderungen untersucht und kommt zu dem vernichtenden Schluss: Die Transfers seien ein „Wildwuchs“: „Das ursprüngliche Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, wurde aus den Augen verloren.“

Nur ein Beispiel: An Wohnbauförderung werden vom Bund jährlich 1,7 Milliarden Euro ausgeschüttet, dazu kommen Zahlungen der Länder. Manche von ihnen haben mit Wohnbaudarlehen spekuliert – und viel Geld dabei verloren. Das könnte ein schöner Anlass sein, das Sozialsystem auf seine Treffsicherheit zu überprüfen. Dazu bräuchte es aber mehr Mut, als Faymann und Pröll bisher bewiesen haben.

Fotos: Monika Saulich