Die Krise der Kirche

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Die Kirche in der Krise: Das katholische Lamento schwoll in den vergangenen Jahren zu einem immer kräftigeren Crescendo an. In der Tat gibt es für Gläubige genug Grund zum Klagen. Zunächst schreitet der Unglaube mit Riesenschritten voran. Europa entchristianisiert sich sukzessive. In Lateinamerika, dem Schwerpunktgebiet des Katholizismus – aber auch in anderen Regionen der Dritten Welt –, machen protestantische Sekten der römischen Kirche die Schäfchen zunehmend abspenstig. Die Kirche hat ein grauenhaftes Image in der Öffentlichkeit: tausende Kleriker als Kinderverzahrer, explodierende Doppelmoral, eine Familienideologie und Sexualgebote, die mit dem modernen Leben ganz normaler Menschen nichts mehr zu tun haben. Die katholische Kirche erscheint vielen Menschen wie eine autoritär-absolutistische Organisation, die aus dem Mittelalter in die Neuzeit hereinragt. Die römische Kirche, das Papsttum in der Krise.

Aus sicherer Distanz zur Sancta Ecclesia kann man die vielfach verzweifelten Gläubigen nur beruhigen: So dramatisch ist das alles nicht. Die Kirche hat schon Ärgeres in ihrer Geschichte überstanden: Christenverfolgung, Inquisition, Reformation und Religionskriege und noch viel mehr. Rom blieb Rom. Und erst vor knapp 130 Jahren schien es wirklich zu Ende zu gehen mit dem Papsttum: Der Kirchenstaat, der sich zuweilen von Padua bis Neapel erstreckte, die tausendjährige Machtbasis des Papstes, kapitulierte unter dem Ansturm der Truppen des jungen italienischen Staates.

Die Kirche stand bereits im ganzen 19. Jahrhundert frontal, noch viel extremer als heute, gegen die Welt: Aufklärung, wissenschaftlicher Fortschritt, Demokratie, Gewaltentrennung, Republik, Arbeiterbewegung, alles, was modern war, verurteilten die Päpste als Teufelswerk. In unserer Zeit, wo Johannes Paul II. das Amt mit seinem Sinn für die Massenmedien geprägt hat und zu einem weltweiten Popstar wurde, kann man sich kaum noch vorstellen, was für ein entrücktes Phänomen das Papsttum bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war.

Und wer weiß schon, dass die Totalherrschaft des Papstes über die katholische Kirche durch den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls und quasi befehlsabhängige Bischöfe in aller Welt keineswegs aus dem finsteren Mittelalter stammt, sondern erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert voll ausgebaut wurde.

In einer gewissen Weise muss man das Papsttum bewundern. Wie viele Divisionen hat der Papst? Das war die legendäre abschätzige Frage Stalins, als man ihn auf den Pontifex ansprach. Stalins Kommunismus hielt mit all seiner Militärmacht gerade mal 70 Jahre. Das Papsttum – einmal mit Divisionen, dann wieder ohne – hat über zwei Jahrtausende hindurch Imperien entstehen und untergehen gesehen.

Wenn heute so viel von Globalisierung gesprochen wird: Die katholische Kirche und ihr Chef waren immer schon globalisiert. Und wenn man anlässlich einer Katastrophe irgendwo auf der Welt das Bedürfnis zu spenden verspürt, da fällt einem – ob man nun kirchentreu oder kirchenkritisch, agnostisch oder gar atheistisch ist – als allererste Adresse die Caritas ein. Man weiß, die ist international gut organisiert und hilft verlässlich und halbwegs effizient.

„Man weiß am Ende nicht“, schreibt der deutsche Vatikan-Spezialist Jan Ross, „worüber man sich wundern soll: über die historische Zähigkeit des Papsttums und die Prinzipientreue, mit der es an seiner Mission festgehalten hat, oder über die Biegsamkeit, mit der es in immer neue Rollen und Kostüme geschlüpft ist?“