SPÖ: Die Chronik eines Kniefalls.

Die Krone-Prinzen

Das Buhlen um die Gunst des Hans Dichand

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Freitag vergangener Woche bohrte Herbert Bösch in Dornbirn harte Bretter. Der sozialdemokratische Vorarlberger EU-Abgeordnete hatte im Stadtzentrum einen Gefechtsstand errichtet, sich mit Prospekten bewaffnet und unerschrocken Feindkontakt aufgenommen. Mehrere Stunden lang diskutierte der EU-Mandatar mit seinen alemannischen Landsleuten und versuchte wacker, die Bürger von den Vorzügen der Europäischen Union zu überzeugen. Böschs Botschaft: Auf sich allein gestellt könne Österreich in einer globalisierten Welt nicht viel erreichen. Und der heftig kritisierte Vertrag von Lissabon würde gerade kleine Länder innerhalb der EU bevorzugen. Doch eigentlich verstand Bösch zu diesem Zeitpunkt die Welt nicht mehr, vor allem die eigene rote: „Es ist ein katastrophaler Fehler. Ich erwarte mir, dass sich die Herren Gusenbauer und Faymann von ihrer Vorgangsweise distanzieren.“
Die „Herren“ Gusenbauer und Fay­mann, Bundeskanzler der eine, operativer SPÖ-Vorsitzender der andere, hatten vergangene Woche neue Standards der politischen Kommunikation gesetzt. In einem am Freitag veröffentlichten Brief an den „sehr geehrten Herausgeber“ der „Kronen Zeitung“, Hans Dichand, verkündeten sie den U-Turn der SPÖ in der Europapolitik. Forthin, so die frohe Botschaft an den „Krone“-Chef, wolle auch die SPÖ Volksabstimmungen über EU-Verträge abhalten, nach irischem Vorbild und ganz so, wie es Dichand in einer monatelangen Trommelfeuerkampagne gefordert hatte. Noch im März hatte Gusenbauer eine Volksabstimmung zum Lissabon-Vertrag dezidiert abgelehnt: „Es gibt keinen Grund für ein Referendum.“

Kapitaler Fehler. Dass ein derart radikaler Richtungswechsel ohne Parteibeschluss und Befassung der SPÖ-Gremien, sondern via Post an den „Krone“-Herausgeber erfolgt, kommentierte der frühere SPÖ-Vorsitzende und Bundeskanzler Franz Vranitzky mit bissigem Sarkasmus: „Das erklärt vielleicht auch die Doppelspitze in der SPÖ, weil einem allein ein so kapitaler Missgriff gar nicht gelungen wäre.“ Jene SP-Politiker, so Vranitzky, die bisher stets die „richtige Parteilinie“ zur EU vertreten hätten, „müssten sich ja verschaukelt vorkommen, wenn sie über Nacht das Gegenteil vertreten müssen“.
Die medialen Kommentare über die „Krone“-Brieffreunde fielen deftig bis ­­de­saströs aus. Alfred Gusenbauer und Werner Faymann – „Speichellecker“ („Salzburger Nachrichten“) des Boulevards, die sich „in Selbsterniedrigung“ („Die Presse“) mit „zirkusreifen Verrenkungen“ („Vorarlberger Nachrichten“) und „unbeschreiblicher Kaltschnäuzigkeit“ („Kurier“) vor Hans Dichand „in den Staub werfen“ („Ober­österreichische Nachrichten“). Das Fazit der „Kleinen Zeitung“: „Die SPÖ kennt keine Scham mehr. Die Parteispitze geht politisch auf den Strich.“
Die wichtigsten roten Länderchefs und die ÖGB-Spitze waren von Faymann kurzfristig vorab informiert worden. Manche Minister erfuhren vom Richtungswechsel erst aus den Medien. Und selbst die Eingeweihten ahnten nichts von der ungewöhnlichen Verkündung der neuen EU-Linie via „Krone“-Leserbrief. Den Koalitionspartner erwischten Faymann und Gusenbauer sichtlich am falschen Fuß. Donnerstagnachmittag zogen sich Vizekanzler Wilhelm Molterer, Klubobmann Wolfgang Schüssel und Ursula Plassnik zu Beratungen zurück. Die Außenministerin richtete die schärfste Spitze gegen die SPÖ: „Das ist eine Panikattacke an der Regierungsspitze, ein intellektueller und politischer Kurzschluss. Die neue SPÖ-Linie tarnt Europafeindlichkeit fadenscheinig mit der populären Forderung nach einer Volksabstimmung.“
In der Sitzung des Ministerrats am Mittwoch war es zu einer heftigen Debatte zum Europa-Thema gekommen. Anlass war der Bericht des Kanzlers und der Außenministerin zum EU-Gipfel in Brüssel. Plassnik und Schüssel forderten vom neuen SPÖ-Chef Faymann einen Offenbarungseid. Schüssel zu Faymann: „Herr Kollege, jeder weiß, dass es eine große Tageszeitung gibt, die gegen Europa ist und Politikern gern unmoralische Angebote macht. Wie werden Sie sich verhalten?“ Faymann lavierte. Er stünde zur EU, aber man müsse auch die Bedenken der Bürger ernst nehmen. Kanzler Gusenbauer blieb im Gegensatz zu Faymann auf Regierungslinie und bekannte sich zum ­Lissabon-Vertrag. Was die schwarze Koalitionstruppe nicht ahnte: Zu diesem Zeitpunkt war der Brief an Hans Dichand, datiert mit 25. Juni, unterschrieben von Faymann und Gusenbauer, bereits unterwegs.
In der ÖVP fühlt man sich von Gusenbauer hintergangen. Parteichef Molterer: „So etwas Wichtiges wie die Regierungslinie zur EU kann doch nicht einfach geopfert werden, weil es einer der Parteien nicht gut geht.“ Der Vizekanzler selbst hatte vor Monaten bei Kaffee und Kuchen ein „unmoralisches Angebot“ von Hans Dichand erhalten. Das Offert des mächtigen Zeitungsmachers, in sanften Worten und klausuliert vorgetragen: Sollte der Vizekanzler eine Volksabstimmung zum EU-Vertrag befürworten, würde es der ÖVP und seinen Kanzlerchancen nicht schaden. Molterer lehnte ab – wie das zuvor schon Wolfgang Schüssel und Ursula Plassnik im Zwiegespräch mit Dichand getan hatten. Nicht ungestraft: Vor allem die Außenministerin musste in den vergan­genen Monaten mit biblischen Zornes­attacken aus der „Krone“ leben.
Nicht so Werner Faymann: Seit der Wiener vor zwei Wochen zum von Gusenbauer ernannten SPÖ-Vorsitzenden aufstieg, überbieten Dichands Dichter einander mit Elogen. Der vorläufige Höhepunkt: Vergangene Woche pries „Krone“-Oldie Michael Jeannée Faymann schwüls­tig als „Hoffnungsträger, Deus ex Machina, auf den unser Land … sehnsüchtig gewartet hat“ und schloss mit der Bitte: ­„Lieber Herr Faymann: Gehen Sie Ihren steinigen Weg, und räumen Sie die Felsbrocken, die die Straßen Österreichs unpassierbar gemacht haben, beiseite.“

Tycoon & Aspirant. Dichand und Fay­mann, der Medientycoon und der „Kanzler-Aspirant“ (Wirtschaftsminister Martin Bartenstein), verbindet eine selbst für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich intensive Verleger-Politiker-Freundschaft. Die beiden werden regelmäßig beim vertraulichen Meinungsaustausch in einem Café im 19. Wiener Gemeindebezirk gesichtet. Auch Treffen in Venedig sind überliefert. Schon als Stadtrat in Wien trug Faymann mit Millioneninseraten viel zur positiven Umsatzentwicklung der „Krone“ bei. Im neuen Job im Infrastrukturministerium sind die Gestaltungsmöglichkeiten noch weitaus größer. Immerhin verfügen neben Faymanns BMVIT auch die zu ihm ressortierenden ÖBB und die Autobahngesellschaft Asfinag über ansehnliche Werbeetats. Im Herbst vergangenen Jahres deckte die grüne Abgeordnete Gabriela Moser ungewöhnliche Geschäfte – über den kurzen Dienstweg – auf. Eine Zeitschrift hatte der Asfinag Inserate in Rechnung gestellt, die eigentlich von Faymann bestellt worden waren. Moser: „Wenn der Minis­ter höchstpersönlich staatseigene Unternehmen beauftragt, Inserate zu schalten, kann man nicht ausschließen, dass er sich davon Umwegrentabilitäten in eigener Sache erwartet.“
Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache setzt bei Faymann an der höchsten Stelle an. Kaum ein Verleger, Herausgeber oder Geschäftsführer einer Tageszeitung in Wien und den Bundesländern, der nicht schon Besuch vom Herrn Minister erhalten hätte. Im amikalen Gespräch über Wirtschaft und Politik erzählt Faymann gern beiläufig über geplante „Inseratenkampagnen“ oder angedachte „Medienkooperationen“ seines Ministeriums. Auf Wiener Ebene mag der einfache Mechanismus – Steuergelderinserate gegen publizistisches Wohlgefallen – funktioniert haben. Doch die Wirklichkeit in der Bundespolitik ist rauer. Bei den jüngsten Turbulenzen in den Führungsetagen um Asfinag und ÖBB geriet auch Faymann ins mediale Kreuzfeuer. Auf kritische Berichterstattung an seiner Person reagierte der Minister nach außen ungerührt, nach innen beleidigt.

Autor Dichand. Die Zusammenarbeit mit der „Krone“ fällt da schon leichter. Bei der Formulierung des Leserbriefs sollen Hans Dichands eigene Gedanken mit eingeflossen sein. Der Entschluss zur Korrektur des roten EU-Kurses dürfte bereits am Sonntag vor zwei Wochen bei einem Treffen von Gusenbauer, Faymann, der heutigen Bundesgeschäftsführerin Doris Bures und Verteidigungsminister Norbert Darabos im Wiener Gartenhotel Altmannsdorf gefallen sein. In konspirativer Sitzung hatte das Quartett den Geheimplan zur Kür Faymanns zum SPÖ-Chef und die Ab­sicherung Gusenbauers als Bundeskanzler entworfen. Tags darauf wurde das ahnungslose Parteipräsidium überrumpelt.
Die neue EU-Linie wird von den roten Spitzengenossen – teils mit zusammengebissenen Zähnen – mitgetragen. Offener Widerstand würde den neuen Parteichef beschädigen. Und der Zweck heiligt die medialen Mittel: Die internen Analysen der Landtagswahlen von Niederösterreich und Tirol ergaben, dass die Ergebnisse der SPÖ vor allem bei Arbeitern und Pensionisten eingebrochen waren. Schon im März meinte ein SPÖ-Manager im Hintergrund: „Wir verlieren bei den klassischen ,Krone‘-Lesern.“
Die Volte des Koalitionspartners dominierte auch die Sitzung des ÖVP-Parteivorstands Freitag vergangener Woche und überlagerte den eigentlichen Haupttagespunkt: die Kür der neuen Innenminis­terin Maria Fekter. Parteichef Molterer kündigte an, Bundespräsident Heinz Fischer um ein klärendes Gespräch zu bitten. Auch das Staatsoberhaupt war vom Vorstoß der SPÖ überrumpelt worden. Noch Mittwochnachmittag hatte Fischer in der Präsidentschaftskanzlei eine Stunde lang mit Gusenbauer die Regierungsumbildung erörtert. Den Leserbrief an Hans Dichand erwähnte Gusenbauer dabei mit keinem Wort. Der Zorn des Bundespräsidenten soll durchaus mächtig gewesen sein, schließlich hatte er selbst eine Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon abgelehnt und das entsprechende Gesetz Ende April „nach gewissenhafter Prüfung aller Gesichtspunkte“ unterschrieben.
Die Wut der ÖVP kann sich derzeit freilich nur verbal entladen. Der sofortige Absprung aus der Koalition wegen der EU-Position der SPÖ würde ins politische Verderben führen. Doch intern glauben nur noch wenige an die Überlebensfähigkeit der rot-schwarzen Regierung, schon gar nicht unter einem SPÖ-Chef Werner Faymann. ÖVP-Wissenschaftsminister Johannes Hahn gab sich am Freitag fassungslos: „Ich weiß nicht, wer da wo dagegengerannt ist.“

Von Gernot Bauer
Mitarbeit: Josef Barth, Edith Meinhart