Affäre Seipel: Die beleidigte Majestät

Die beleidigte Majestät

Auch noch ein brisanter Rechnungshofbericht

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Der Professor schmollt. Hat er sein Haus in den neunziger Jahren nicht aus dem Dornröschenschlaf geweckt? Hat er nicht 1998 mit der Ausstellung „Breughel-Dynastie“ den beeindruckenden Rekord von 1,8 Millionen Besuchern eingefahren? Und hat er sich und seinem Museum nicht beste Verbindungen zur weltberühmten Guggenheim-Foundation und der Eremitage in St. Petersburg verschafft? Doch statt für diese Leistungen gebührend gepriesen zu werden, sieht sich Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums (KHM), zu seinem 60. Geburtstag mit scharfer Kritik konfrontiert: Ein Rohbericht des Rechnungshofes lässt an Seipels Amtsführung kein gutes Haar.

Seipel, heißt es da unter anderem, habe über das Museum ägyptische Grabbeigaben (Uschebtis) für seinen Privatgebrauch erstanden, gegen den Rat von Restauratoren Bilder verliehen und 1998 für das KHM eine Sphinx um vier Millionen Dollar erworben, obwohl der Vertrag zum Zeitpunkt der Unterschrift gesetzeswidrig gewesen sei. Die Repräsentationskosten Seipels seien zu hoch, seine Jahreseinkünfte mit insgesamt 230.000 Euro allzu großzügig bemessen. „Insgesamt“, so Seipel dazu schmallippig, werde „das große Ganze nicht richtig gewürdigt“.

Immerhin: Zwischen der zuständigen Bundesministerin Elisabeth Gehrer und dem schwer unter Beschuss geratenen Museumszampano herrscht weiterhin bestes Einvernehmen. Am 8. Juni beehrt sich Gehrer, „anlässlich des 60. Geburtstages von Professor Dr. Wilfried Seipel zu einem Cocktail einzuladen“, wie es auf dem in Rot und Schwarz gehaltenen Einladungsschreiben heißt. Staatsoperndirektor Ioan Holender wird die Laudatio halten.

Auch Klaus Albrecht Schröder, der Direktor der Albertina, bricht für seinen Kollegen eine Lanze: „Ich kenne Seipel als absolut integren Menschen. Es herrscht eine völlige Missproportion zwischen den vom Rechnungshof erhobenen Vorwürfen und den tatsächlichen Leistungen Seipels.“

Seipel hat im Kunsthistorischen Museum buchstäblich das Licht angeknipst: In der ägyptischen Sammlung und der römisch-griechischen Antikensammlung hatte es zu seinem Amtsantritt 1990 keinen Strom gegeben – eine der berühmtesten Kunstsammlungen der Welt konnte nur bei Tageslicht studiert werden. Auch die Verwaltung funktionierte nach prähistorischen Gesetzen: In den Jahresberichten waren weder Kosten noch Erträge noch der Personalstand ausgewiesen.

Doch allen Modernisierungserfolgen zum Trotz: Die Opposition hält den Direktor nach dem spektakulären, bis heute nicht aufgeklärten Raub von Benvenuto Cellinis Salzfässchen Saliera im Vorjahr und dem aktuellen Rechnungshofbericht nun endgültig für „rücktrittsreif“. „Seipel fehlt jegliches Unrechtsbewusstsein“, kritisiert Eva Glawischnig, die Kultursprecherin der Grünen. In der SPÖ erklärt man den studierten Ägyptologen für „schlichtweg untragbar“.

Machtfülle. Dabei hat Ministerin Gehrer Seipels Vertrag erst vor kurzem bis 2008 verlängert – und damit die gewaltige Machtposition des früheren Protegés von Erhard Busek (ÖVP) zementiert. Denn der Museumsimpresario regiert nicht nur über die Kunsträume im Haupthaus an der Wiener Ringstraße, sondern über ein Museumsreich, wie es mächtiger und prächtiger in Österreich kein zweites gibt.

Seipel ist Herr über die Schatzkammer in der Hofburg, den Theseus-Tempel, die Sammlung Alter Musikinstrumente in der Neuen Burg, die Hofjagd- und Rüstkammer, das Lipizzanermuseum, das Theatermuseum, das Völkerkundemuseum sowie das Innsbrucker Schloss Ambras. Er ist Präsident der Fritz-Wotruba-Stiftung und sitzt im ORF-Stiftungsrat. Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle Wien, kommentiert: „Unternehmenspolitik ist immer auch Macht- und Netzwerkpolitik. Ein Museumsdirektor ohne gutes Netzwerk würde in Amerika sofort gefeuert werden.“

Der Rechnungshofbericht markiert nun endgültig eine Trendumkehr: Seipels Strahlkraft hat sichtbar an Glanz verloren, seine Machtposition beginnt dramatisch zu erodieren. Stellte der Saliera-Diebstahl im Vorjahr die Führungskompetenz des Museumsgenerals infrage, erschüttert der Rohbericht des Rechnungshofes nun Seipels moralische Autorität: Die Prüfer werfen Seipel nicht nur vor, fehlerhaft zu wirtschaften (ihm wird nahe gelegt, den Museumsshop in der Kruger-Straße zu schließen). Laut Rechnungshof agiert Seipel vor allem auch im Graubereich der Legalität, wenn er berufliche Kontakte nutzt, um Kunst für seine private Sammlung zu erwerben.

„In den Statuten der Oberösterreichischen Landesmuseen heißt es sehr klar, dass niemand, der hier angestellt ist, im Rahmen seiner Tätigkeit eine private Sammlung anlegen darf“, führt Peter Assmann, Präsident des österreichischen Museumsbundes und Direktor der Oberösterreichischen Landesmuseen, den Verhaltenskodex seines Hauses aus. Das KHM jedoch kaufte laut Rechnungshof vom Dorotheum sechs ägyptische Grabbeigaben (Uschebtis), von denen zwei in den Besitz Seipels übergingen. Figuren, die er nie erhalten hätte, wäre er nicht Direktor des KHM.

„Die zwei Dubletten, die ich privat aus dem Konvolut übernommen habe, sind irrtümlich im Eingangsbuch eingetragen und deshalb wieder gestrichen worden“, verteidigt sich Seipel. „Im Inventarbuch des Museums waren die Figuren im Wert von 430 Euro nie.“ Was „Standard“-Redakteur Thomas Trenkler, der als Erster aus dem Rohbericht des Rechnungshofes zitierte, zurückweist: „Seipel bestätigt auf einer Rechnung die Inventarisierung.“ Mit einem Kaufpreis von 430 Euro kam Seipel jedenfalls ausgesprochen günstig zu den beiden Uschebtis: Kunsthändlern zufolge kosten Uschebtis zwischen 500 und 500.000 Euro pro Stück – je nach Qualität.

Tatsächlich rechtswidrig dürfte der Generaldirektor beim Ankauf einer Sphinx des Königs Amenophis III. verfahren sein, die er 1998 für das KHM von einem Händler auf Mallorca um vier Millionen Dollar erstanden hat: Seipel unterschrieb damals einen Vorvertrag, ohne die gesetzliche Genehmigung dafür erhalten zu haben. „Zwei Monate später, nach der Ausgliederung, wäre der Vertrag rechtmäßig gewesen. Aber da wäre das Objekt bereits an ein anderes Museum gegangen“, legitimiert sich der KHM-Chef.

Kritik. Neu sind diese Vorwürfe freilich nicht. Seit Amtsbeginn wurde Seipel, der gegenüber profil zu keiner Stellungnahme bereit war, eine zumindest äußerst subjektive Rechtsauffassung attestiert. Der ägyptische Botschafter in Wien hatte, so berichtete die Austria Presse Agentur, dem angehenden Museumsdirektor 1990 in einem Schreiben „den illegalen Ankauf von Kunstschätzen und das illegale Aufstellen von Antiquitäten“ vorgeworfen. Am Tag seiner feierlichen Inauguration wurde Seipel vom damaligen SPÖ-Klubchef Heinz Fischer deshalb als moralische „Hypothek für das renommierte Institut“ tituliert.

Der Journalist Christian Ankowitsch hatte monatelang in der so genannten „Skarabäen-Affäre“ recherchiert. Seipel klagte gegen die Vorwürfe. Das Gerichtsverfahren endete 1995: „Es hat in der Sache keine gerichtliche Klärung stattgefunden“, so Ankowitsch heute. „Nach einem Richterwechsel ist es zu einem Vergleich gekommen, bei dem beide Seiten ihre Kosten selbst gezahlt haben.“

Vielleicht sind all die Ungereimtheiten, Anschuldigungen und Gerichtsprozesse nur die üblichen Marksteine einer steilen Karriere: Seipels Durchmarsch auf den Museumsolymp jedenfalls konnten sie nicht nachhaltig behindern. Vielleicht hat Seipel Recht, wenn er angesichts der Rechnungshofkritik gelassen bleibt und mit Rückendeckung der Ministerin beteuert, „dass es keine Veranlassung gibt zurückzutreten“. Seine Kollegen jedoch verweigern – mit wenigen Ausnahmen – zur aktuellen Causa jeden Kommentar.

Einfluss. Der Mechanismus des Wilfried Seipel ist der Mechanismus des Zauberers von Oz: Von seinem Machtzentrum aus bestimmt er das Ausstellungsgeschehen weltweit mit: „Das KHM ist das einzige österreichische Museum, das aufgrund seiner Macht, seiner Größe und seiner Vielfalt der Sammlungen durch seine Leihgaben andere Ausstellungen mitbestimmen kann“, sagt Albertina-Chef Schröder.

Auf der Klaviatur von Geben und Nehmen versteht Seipel virtuos zu spielen. 1998 durfte der ägyptische Kulturminister Farouk Hosny im Palais Harrach ausstellen, 1999 zeigte dort der Chef aller ägyptischen Museen, Ahmed Nawar, Selbstgemaltes. Die freundschaftlichen Beziehungen zu den Hobbymalern trugen Früchte: 1998 konnte das KHM Mumienporträts aus dem Ägyptischen Museum Kairo zeigen, die bis dahin striktes Reiseverbot hatten.

Natürlich handelt Seipel im Interesse seines Museums, natürlich hat das KHM von Seipels Geschick profitiert, natürlich ist er ein Fachmann erster Güte. In ernsthafte Bedrängnis ist der brillante Stratege nun geraten, weil sein Gebaren pikante Nebenwirkungen hat: Als Vertrauter von Ministerin Gehrer agiert Seipel in der Doppelfunktion von Berater und Begünstigtem.

2001 handelte Seipel mit Gehrer die Übernahme des Theater- und Völkerkundemuseums aus; dies bescherte dem KHM nicht nur einen höheren Einflussbereich, sondern dessen Direktor auch eine saftige Gehaltserhöhung von rund 2400 Euro monatlich. Insgesamt sind Seipels Jahresbezüge laut Rechnungshof zwischen 1998 und 2002 auf das 2,5fache, 230.000 Euro, gestiegen. „Die Höhe dieses Gehalts, auf das Seipel durch sein Naheverhältnis zu Ministerin Gehrer natürlich auch selbst Einfluss hat, ist kaum nachvollziehbar“, kritisiert der Präsident des Museumsbundes Peter Assmann. „Diese astronomischen Summen tragen leider dazu bei, die ohnehin problematische Optik in dieser Causa noch zu verschärfen.“

Seine eigentliche Machtfülle schuf sich Seipel als Konsulent des neuen Museumsgesetzes, das 1999 in Kraft trat: Der Vertraute von Kanzler Wolfgang Schüssel war federführend an der Entwicklung jenes Strukturmodells beteiligt, das sämtliche Kompetenzen im KHM auf den Posten eines einzigen Geschäftsführers bündelte: Wilfried Seipel. Zur Forderung des Rechnungshofes nach einem zweiten, kontrollierenden Geschäftsführer sagt der gewiefte Macher: „Wir sind nicht dagegen, aber es war eine politische Entscheidung von Ministerin Gehrer, für jedes Museum nur einen Geschäftsführer zu bestellen.“

Eine Doppelfunktion ganz anderer Art moniert ein zweiter Rechnungshofbericht: Er untersuchte die Gebarung der teilweise überschuldeten KHM-Tochter Museums Collection, die das Lipizzanermuseum führt. Als Minderheitsgesellschafter (das KHM hielt 49 Prozent) hat Seipel die Geschäftsführung entlastet: Geschäftsführer der Museums Collection jedoch war Seipel selbst.

Auch finanziell profitierte der Tausendsassa von seinen vielfältigen Nebentätigkeiten: Als Geschäftsführer der Museums Collection erhielt Seipel ebenso zusätzliche Honorare wie als Gehrer-Konsulent. Expertisen für die Entwicklung des später nicht realisierten „Museums im Berg“ ließ er sich 2002 von der Stadt Salzburg mit 16.800 Euro vergüten. Für ein fünfseitiges Interview wiederum, das Seipel mit dem Fotografen Franz Hubmann für einen Ausstellungskatalog seines eigenen Museums führte, verrechnete er dem Verlag 30.000 Schilling Honorar.

ÖVP. Seipel hat sich ein Reich erschaffen, das ihm vielfältige Betätigungsfelder eröffnet. Seine Souveränität wiederum wurzelt tief im Machtgefüge der ÖVP, zu der Seipel in einem offen zelebrierten Naheverhältnis steht. Erhard Busek, der ehemalige ÖVP-Chef, kürte ihn seinerzeit zum KHM-General: Neben Busek, Nikolaus Michalek und Heinrich Neisser ist Seipel auch Mitglied im Rotarier-Club Wien-Süd.

Öffentlich Zeugnis von seiner freundschaftlichen Beziehung zu Kanzler Schüssel, dessen Personenkomitee er unterstützte, legte Seipel nach der Nationalratswahl 2002 ab: Das „in diesem Ausmaß unerwartete Ergebnis für die ÖVP“ habe ihn „mit großer Freude“ erfüllt. „Damit ist (...) die Zukunft Österreichs gesichert.“

Auf die Frage, ob ihr unerschütterliches Vertrauen in Seipel etwas mit dessen höchst aufmerksamen Beziehungen zu ÖVP-Granden zu tun habe, reagiert Ministerin Gehrer gelassen: „Das ist an den Haaren herbeigezogen.“ Denn: „Es gibt Schauspieler wie André Heller, die für die SPÖ eintreten. Hat man deswegen schon jemals Hellers Rücktritt von all seinen Shows gefordert?“

Mit ernsthaften Konsequenzen muss Seipel wohl auch nach dem Rechnungshofbericht nicht rechnen. Die Forderung der Opposition, Seipel solle seinen Rücktritt einreichen, hält Gehrer für „überzogen“. Schlimm genug, dass sich der Museumshecht überhaupt mit lästiger Kritik auseinander setzen muss. Im „Format“ zitiert Seipel einen Brief von Hölderlin: „Wahrscheinlich wäre es vernünftiger“, schmollt Seipel, „zuhause in der Schreibstube zu sitzen, als sich dem dummen Geschwätz in der Öffentlichkeit mit unbedeutenden Leuten auszusetzen.“