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Die Moderne

Die Moderne

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Ehe wir andächtig den Kunst-Begriff „Die Moderne“ würdigen, ist ein jüngeres Jubiläum zu feiern. Seit 30 Jahren kürt die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden das „Wort des Jahres“. Ein interessantes Unterfangen. Beinahe gespenstisch, wie ein aus den Tiefen steigendes Lot von Einzelwörtern die komplette Geschichte eines Landes abbilden kann. In Deutschland etwa von „Szene“ (1977) und „konspirative Wohnung“ (1978) bis „Hartz IV“ (2004) und „Klimakatastrophe“ (2007).

Der schmerzhafte Mangel aller deutschen Einfälle: Sie spiegeln das heliozentrische Weltbild unserer Nachbarn, in dem Deutschland die Rolle der Sonne spielt. Nach einer Schrecksekunde von 20 Jahren reagierte die Karl-Franzens-Universität in Graz mit einem österreichischen Gegenstück. Grausame Revanche: Kein braver Deutscher versteht unsere wichtigsten Jahres-Wörter. Zur Erinnerung die vollständige Liste von 1999 bis heute: „Sondierungsgespräch“, „Sanktionen“, „Nulldefizit“, „Teuro“, „Hacklerregelung“, „Pensionsharmonisierung“, „Schweigekanzler“, „Pent-
house-Sozialismus“, „Bundestrojaner“.

Good News: Die Wissenschafter sind lockerer geworden. Sie begriffen das „Wort des Jahres“ allein als zu fad. Seit 1991 gibt es daher in Deutschland das „Unwort des Jahres“. Die Grazer haben es von Anfang an eingebunden. Die Unworte Österreichs seit 1999: „Schübling“, „soziale Treffsicherheit“, „nichtaufenthaltsverfestigt“, „Rücktritt-vom-Rücktritt“, „Besitzstandswahrer“, „Bubendummheiten“, „Negativzuwanderung“, „Ätschspeck“, „Komasaufen“.
Einmal in Schwung gekommen und durch das Medien-echo aufgeziegelt, haben die Wissenschafter nach Menschenart übertrieben. Es folgten „Der Satz des Jahres“ und der „Unspruch des Jahres“, in Liechtenstein, wo man hurtig auf den Zug aufsprang, gar das „Dialektwort des Jahres“.

Man wünschte, die Sprachforscher hätten diese Innovationen bleiben lassen. Nicht nur, weil die Ergebnisse die tiefste Seelenprovinz spiegeln. Die Juroren müssen sich auch fragen lassen, in welcher Gesellschaft sie sich bewegen, um ihre Fundstücke als typisch zu begreifen. In Deutschland fand man Sätze wie „Und das ist gut so“ (2001), „Es gibt nur ein’ Rudi Völler“ (2002) und „Deutschland sucht den Superstar“ (2004), hat dann aber die Suche eingestellt. Die Karl-Franzens-Uni blieb leider konsequent und fand Jahres-Sätze wie: „Bin schon weg – bin schon wieder da!“, „Kinder statt Partys“, „Österreich ist frei!“, „Nimm ein Sackerl für mein (???) Gackerl“ und „The world in Vorarlberg is too small“. Weil das noch nicht nah genug am Plafond der Unerträglichkeit ist, installierten die Grazer den „Unspruch des Jahres.“ 2006: „Daham statt Islam.“ 2007: „Wir säubern Graz.“

Nehmen wir an, diese Sprachsuche sei pädagogisch wertvoll, weil aufrüttelnd. Dann sollten wir trotzdem, um die Vergiftung loszuwerden, schnell zum gesündesten Grundnahrungsmittel des Lebens greifen, der Kunst.
Dort begleitet uns zwar auch ein Unwort, aber ein hohes. Der Begriff „die Moderne“ ist schön, aber leider systemisch dumm, anmaßend und hätte niemals akzeptiert werden dürfen. Sprachlich ernst genommen, erfindet sich „die Moderne“ jeden Tag neu. Sie kann immer nur ein Durchgangswort, niemals ein Endpunkt sein. Warum es vor 100 Jahren als Dauerbegriff akzeptiert wurde, ist schleierhaft.

Unseren Urahnen rund um das Fin de Siècle ist kein Vorwurf zu machen. Sie begriffen sich wahrscheinlich wirklich als Endpunkt der Entwicklung. Dass sie in puncto „Veränderung pro Zeiteinheit“ tatsächlich bis heute überragend blieben, politisch wie künstlerisch, ließe sich argumentieren. Nur konnte man dies nicht voraussehen. Es gab keinen Grund für die Nachgeborenen, den Begriff „die Moderne“ an ihren Altvorderen kleben zu lassen – mit der blödsinnigen, schafsgleich hingenommenen Folge, dass man sich bei der Bezeichnung aller späteren Kunstsprünge sprachlich verrenken musste. Bis heute werden junge Kunstinteressierte und schöne Mäzene durch Begriffe wie „klassische Moderne“, „Moderne der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ und „Postmoderne“ abgeschreckt.

Warum gerade jetzt die Festlegung des runden Hunderters der Moderne? Weil ich mich damit in die Herzen der Frauenbewegungsfrauen schleimen will. Nur 1908 hatten die Frauen einen gleich hohen Anteil an der Werdung der „klassischen Moderne“. Die Paare Jawlensky-Werefkin und Kandinsky-Münter malten damals gemeinsam. Sie malten mit reinen Farben, brachten ihre Gefühle ein und wollten einer neuen Gesellschaft auf die Sprünge helfen.

Was schenken wir der „Moderne“ zum Hunderter? Am besten die Vernichtung ihres Namens. Erstens weil „klassische Moderne“ das lächerlichste Beispiel für contradictio in adjecto ist. Zweitens weil wir unsere heutigen Künstler und alle künftigen schützen müssen, als Postpostpostmoderne anzutreten. Das klingt wie Regionalunterliga Süd.

Eine Neuschreibung ist angesagt. „Trans-Avantgarde“ wurde vorgeschlagen. Nicht übel, aber bildungseitel, wie es im Wichser-Kollektiv der Kunstkritiker üblich ist. Warum nicht Avantgarde 1905 für Matisse-Derain-Vlaminck, die als „wilde Tiere“ (Fauves) bezeichneten Säulenheiligen der Moderne? Warum nicht Avantgarde 2008 für jene KünstlerInnen, die uns in den nächsten Monaten bezaubern? Die Zeit der Ismen ist sowieso vorbei. Am Beginn der Moderne kannten wir die leicht fasslichen Unterscheidungsbegriffe wie Fauvismus, Expressionismus und Futurismus. Allein dies zeigt „die Moderne“ als alten Hut. Die heutige Kunst ist endlich dahin erlöst, wo sie hingehört: in die Einzigartigkeit aller KünstlerInnen, die ihren eigenen Weg suchen.