„Die ideale Mutter ist eine Utopie“

Interview. Star-Feministin Elisabeth Badinter erklärt Mutterschaft als größte Gefahr für die Gleichberechtigung

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profil: Ihr Buch „Der Konflikt“, in dem Sie gegen das gesellschaftliche Konzept von Mütterlichkeit antreten, löste bei seinem Erscheinen in Frankreich vor einigen Monaten einen Skandal aus.
Badinter: Ja, sie sind sowohl von rechts als auch von links auf mich gesprungen und haben gebrüllt: „Was will die Alte eigentlich? Sie ist eine Bourgeoise des 20. Jahrhunderts und längst nicht mehr zeitgemäß!“ Natürlich habe ich mir vonseiten der „ökologischen Religion“ Reaktionen erwartet – wenn auch nicht mit dieser Vehemenz. Aber ich bin Debatten gewohnt, ich habe inzwischen die harte Haut eines Krokodils.

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Die französische Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet, die eine Ökosteuer für Wegwerfwindeln fordert, schrieb in ihrem Blog: „Ich werde mich nicht um die Freiheit des Stillens bringen, nur weil Madame Badinter das als reaktionär empfindet.“ Empfinden Sie stillende Mütter als reaktionär?
Badinter: Nein, wenn eine Frau das möchte – fein. Aber dieser nahezu religiöse Naturalismus, der die Frauen, die noch nicht einmal 40 sind, prägt, macht mir Angst. Sie schreien nach Baumwollwindeln, weil Wegwerfwindeln die Umwelt belasten, stattdessen sollten sie sich mit der Herstellung von biologisch abbaubaren Wegwerfwindeln beschäftigen. Sie verteufeln Babynahrung aus dem Glas und Milchpulver, weil Chemie drin ist. Sie propagieren eine Rückkehr zur Natur, indem sie die Epiduralanästhesie bei Geburten verdammen, und sie ersticken ihre Kinder, die sie den ganzen Tag in diesen schrecklichen Umhängtüchern herumschleppen. In Skandinavien ist es am allerschlimmsten. Da stillen Mütter ihre Kinder noch im Alter von zwei, drei Jahren und machen sich somit zu deren Sklavinnen. Das wäre in Frankreich zumindest undenkbar. Es ist doch völlig lächerlich, dass wir uns im 21. Jahrhundert überhaupt noch mit diesen Fragen beschäftigen.

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Mit zwei Kindern pro Frau im Schnitt hat Frankreich noch immer die höchste Geburtenrate in Europa …
Badinter: … und die meisten Mütter, die nach dem viermonatigen Mutterschutz wieder voll arbeiten. Mir wäre lieber, dieser Mutterschutz würde auf sechs Monate erweitert.

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Wie kann man sich erklären, dass die französischen Mütter sich der Teilzeitfalle erfolgreicher entziehen als die österreichischen und deutschen?
Badinter: Das liegt in der Kulturgeschichte unseres Landes begründet. Es ist hier völlig normal, dass man seine Kinder im Alter von vier Monaten in einer Kinderkrippe abgibt. Man wird deswegen nicht scheel angesehen – weder von seinen Freunden noch von seiner Mutter oder der Schwiegermutter. Wenn in Skandinavien eine Frau nach sechs Monaten wieder einsteigen will, ist das zwar per Gesetz möglich, sie steht aber unter hohem moralischem Druck und wird gleich als Rabenmutter stigmatisiert. In Deutschland ist es noch schlimmer.

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In Deutschland und Österreich ist das Thema Mutterschaft noch durch den Mutterkult des NS-Regimes historisch belastet.
Badinter: Es wird noch Generationen dauern, bis diese Last gänzlich verschwindet. Dazu reicht es nicht, dass der Staat Krippen baut, da muss sich das gesellschaftliche Moralverständnis von Mutterschaft ändern. Eine Frau muss vor allem ein menschliches Wesen sein dürfen und erst dann Mutter. Wie ich in meinem vor 30 Jahren erschienenen Buch „Die Mutterliebe – Geschichte eines Gefühls“ geschrieben habe, kam im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich für die Frau zuerst der Mann und dann erst die Kinder. Sie hatte vor allem in ihrer Rolle als Ehefrau soziale und gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen.

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Hängt diese Gewichtung nicht auch mit der größeren Bedeutung der Sexualität und Erotik in Frankreich zusammen?
Badinter: Absolut. Es herrschte ja damals der Irrglaube, dass Spermien die Muttermilch beschädigen – Gott sei Dank, muss man im Rückblick sagen! Deswegen hat man seine Kinder von angeheuerten Ammen stillen lassen oder mit der Flasche gefüttert, weil ein erfülltes Sexualleben einen höheren Stellenwert besaß.

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Viele Männer, die die Geburt ihrer Kinder im Kreißsaal miterlebt haben, können danach über Monate nicht mehr mit ihren Frauen schlafen.
Badinter: Diese schreckliche Unsitte, die in den achtziger Jahren begann! Natürlich: Wenn ein Mann das will, dann kann man ihm das zugestehen. Aber die Männer, die das nicht wollten, wurden regelrecht verdammt und dämonisiert. In Frankreich ist dieser Trend glücklicherweise wieder stark im Abnehmen.

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Sie haben drei Kinder zur Welt gebracht. War Ihr Mann Robert Badinter bei den Geburten anwesend?
Badinter: Nein! Das wollten wir beide nicht. So bin ich für meinen Mann Frau geblieben.

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Ihr erstes Kind bekamen Sie mit 22.
Badinter: Ich habe alle drei Kinder in einem Abstand von nur dreieinhalb Jahren bekommen. Mein Mann ist 16 Jahre älter und wollte damals unbedingt und möglichst schnell Kinder. Ich war noch Studentin und ging regelmäßig hochschwanger zu meinen Philosophie-Prüfungen.

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Wie haben Sie die Balance zwischen Ihrer Karriere und Ihrer Rolle als Mutter geschafft?
Badinter: Als Universitätsprofessorin für Philosophie habe ich meine Stundenpläne an jene meiner Kinder angepasst. Und was werfen sie mir heute, über 40 Jahre später, vor? „Immer wenn wir nach Hause gekommen sind, warst du schon da!“ Es liegt im Wesen der Mütter, dass sie immer zu viel sind – entweder zu viel da oder zu viel weg. Ich war mit Sicherheit eine mittelmäßige Mutter. Ich habe mich oft geirrt, wollte natürlich, dass meine Kinder glücklich sind, habe ihnen aber nicht meinen Hedonismus gänzlich geopfert. Mein Mann war so nett und ist manchmal am Wochenende mit den Kindern verreist, damit ich mich ausruhen konnte.

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Hat die feministische Forderung der siebziger Jahre „Gebt uns die Hälfte der Welt, ihr kriegt die Hälfte des Hauses“ in der Familie Badinter funktioniert?
Badinter: Nein, die Kinder waren großteils meine Aufgabe. Aber mein Mann hat sich nie meinen Karriereambitionen in den Weg gestellt, sondern mich immer dazu ermutigt. Selbst als er unter François Mitterrand Justizminister war, habe ich keinen Fuß in sein Ministerium gesetzt, ich musste dort auch keinen Weihnachtsbaum schmücken, und auch zu offiziellen Diners ist er dankenswerterweise ohne mich gegangen.

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Sie selbst schreiben in „Der Konflikt“ auch von der Krise der Männlichkeit, auf die Psychologie und Populärwissenschaft zurzeit ihren Fokus richten. Ist der krisengeschüttelte Mann ein Produkt des Feminismus?

Badinter:
Ein Produkt jenes „Zurück zur Natur“-Feminismus, den ich eingangs beschrieben habe und der sich für die Avantgarde hält. Meiner Meinung nach ist das aber nichts anderes als eine reaktionäre „Arrièregarde“, in der Frauen, polemisch formuliert, sich selbst wieder zu Säugetieren degradieren möchten. Im Zuge der neuen Verherrlichung der Mutterschaft haben sich die Männer auch wieder auf Zehenspitzen aus ihrer Verantwortung als Vater gestohlen. Da die Öko-Feministinnen seit geraumer Zeit auf totale Fusion mit ihren Kindern eingestellt sind, haben sie die Männer entlassen. Und diese können so ungestraft ihr altes, traditionalistisches Benehmen reanimieren. Vor allem bei jungen Männern beobachte ich, dass sie neuerdings gern unter sich bleiben und nicht die Gesellschaft von Frauen suchen. So fühlen sie sich anscheinend sicherer.

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Die Entwicklungspsychologie vertritt immer noch den Standpunkt, dass die Mutter im ersten Lebensjahr des Kindes die wichtigste Bezugsperson ist.
Badinter: Sigmund Freud und die Psychoanalyse erklärten die Mutter zur Hauptverantwortlichen für das Glück ihres Kindes – und schlossen sie damit aus der Erwerbstätigkeit aus. Es ist belegbar, dass es unter den Kindern, die Vollzeitmütter hatten, nicht weniger Neurotiker, Versager, Unglückliche und Kriminelle gibt. Das sieht man auch in Deutschland, wo die Frau in ihrer Funktion als Mutter viel präsenter war und ist als bei uns. Und ich möchte nicht wissen, was später mit diesen Knaben passiert, die noch als Kleinkind von ihren Müttern die Brust bekommen haben. Die ideale Mutter mit dem perfekten Kind – das ist eine gesellschaftliche Utopie, von der wir uns verabschieden müssen.

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Manche Frauen empfinden es jedoch nicht als Strafe, sich zumindest im ersten Jahr ganz ihrem Kind zu widmen. Sind sie deswegen Anti-Feministinnen?
Badinter: Ich möchte eines klarstellen: Mit keinem meiner Bücher möchte ich irgendjemandem ein Modell aufzwingen. Jede Frau hat die Freiheit der Wahl – das ist der entscheidende Vorteil, den wir gegenüber Männern haben. Wir können uns aussuchen, ob wir ganz zu Hause bleiben, Teilzeit arbeiten oder mit einem Baby voll wieder berufstätig sein wollen. Männer besitzen diese Entscheidungsfreiheit nicht, denn so genannte Hausmänner werden noch immer belächelt. Wenn eine Frau es als Glück empfindet, 24 Stunden am Tag mit ihrem Baby eine Fusion einzugehen, so ist das in Ordnung. Aber ich wohne hier neben dem Jardin du Luxembourg, wo viele Mütter rund um die Sandkiste sitzen.

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Eine sehr elitäre Wohngegend. Sind das nicht vor allem Nannies?
Badinter: Ich behaupte, die Zahl der Mütter steigt. Und diese Mütter sehen mir nicht besonders glücklich aus. Sie wirken entnervt, gelangweilt und haben leere, graue Gesichter. Es ist wahrscheinlich langweilig, den ganzen Tag mit einem Kleinkind verbringen zu müssen. Nur traut sich das keine zuzugeben. Aber wenn man das so empfindet, ist man nicht zwangsweise eine schlechte Mutter.

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Nehmen wir an, Sie wären eine kinderlose Frau. Hätten Sie das Buch „Der Konflikt“ genauso geschrieben?
Badinter: Wahrscheinlich nicht. Ich erinnere mich nur zu gut an die Hexenjagd auf Simone de Beauvoir, der sie beim Erscheinen von „Das andere Geschlecht“ ausgesetzt war. Die Attacken rührten vor allem daher, dass eine kinderlose Frau sich nicht anmaßen durfte, Kritik an der gesellschaftlichen Idealvorstellung von Mutterschaft zu äußern. Bei Männern hingegen, die das ja auch ständig tun, ist das natürlich kein Problem.

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Sie schreiben in „Der Konflikt“ auch, dass sich der Feminismus von einem Geschlechter- zu einem Klassenkampf gewandelt hat.
Badinter: In der privilegierten Schicht nähern sich Männer und Frauen mehr und mehr an und verfügen über die annähernd gleichen Möglichkeiten. Dennoch registriere ich vor allem in Deutschland die wachsende Zahl von sehr gut ausgebildeten Frauen in Top-Jobs, die zugunsten ihrer Karriere auf Kinder verzichten.

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Die höchste Kinderlosenrate wird auch in Österreich unter Akademikerinnen verzeichnet.
Badinter: Sehen Sie! Und damit sind wir schon beim Klassenkampf. Denn vor allem jene unterprivilegierten Frauen, die schlechte, uninteressante Jobs verrichten, denken sich: „Bevor ich hier weiter mies bezahlt herumsitze, bekomme ich lieber ein paar Kinder.“ Die, die keine anderen Chancen haben, bekommen die Kinder. Und dieser soziale Bruch beunruhigt mich sehr.

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Steht dieser Bruch in Zusammenhang mit einer defizitären Integrationspolitik?
Badinter: Es sind vor allem die Moslems selbst, die sich gegen eine Integration zur Wehr setzen. Frankreich ist ein säkulares Land. Es gilt ein Kopftuch-, aber auch ein Kippa-Verbot an öffentlichen Orten. Jedes Zeichen religiöser Zugehörigkeit wird nicht geduldet. Selbstverständlich habe ich mich auch vehement für das gesetzliche Burka-Verbot ausgesprochen.

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Und wie kontern Sie die gängige Argumentation, dass diesen Frauen somit die Freiheit der Wahl genommen wird?
Badinter: Wenn eine Frau auf dieses Recht pochen sollte, kann ich ihr nur antworten: Es ist ein Bruch des zivilen Pakts, jemanden ins Gesicht schauen zu können, ohne dass der andere die Chance hat, das Gesicht des Gegenübers sehen zu können. Außerdem: Ich spaziere auch nicht nackt durch die Straßen von Paris. Freiheit der Bekleidung hin oder her: Die Burka oder Nacktheit sind Statements und keine Kleider.

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Welchen Rat geben Sie der neuen Generation von Frauen, die eben eine Familienplanung andenken?
Badinter: Seid mittelmäßige Mütter! Und gebt unter gar keinen Umständen eure Unabhängigkeit auf! Denkt nicht daran, euch – mit oder ohne Kinder – mit beruflichen Teilzeitlösungen zufrieden zu geben! Ist man einmal aus dem ökonomischen Kreislauf gefallen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man danach dieselben Bedingungen vorfindet, sehr gering. Und: Durch die Verlängerung der Lebenserwartung wird das Muttersein nur einen kleinen Teil eurer Biografie ausmachen! Es ist so traurig: Ich sehe auch in Frankreich junge Frauen, die erfolgreiche Ärztinnen, Anwältinnen, Journalistinnen sind und sich dennoch mit ihren Kindern zu Hause verkriechen.

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Vielleicht sind sie von der Erinnerung an ihre feministischen Mütter getrieben, die vor Überanstrengung, alles unter einen Hut bringen zu müssen, graue, leere Gesichter hatten.
Badinter: Genau, das ist der Punkt. Die sagen sich: „Warum soll ich mich so anstrengen, wenn ich es auch bequemer haben kann?“ Dazu gehört natürlich ein Mann, der sich das alles auch leisten kann. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz – jede Frau jeder Generation sagt sich: „Bloß nicht so werden wie meine Mutter.“

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War Ihre Mutter Hausfrau?
Badinter: Sie hatte eine Karriere und gab sie zugunsten von Mann und Kindern auf. Doch die jungen, gut ausgebildeten Frauen, die den Rückzug antreten, kann ich nur laut warnen: Denkt daran, dass jede zweite Ehe geschieden wird – und dann steht ihr vor dem Nichts! Wenn junge Leute heute heiraten, dann tun sie das mit einem sehr pragmatischen Zugang und sagen oft noch am Tag der Hochzeit: „Würde mich wirklich sehr wundern, wenn diese Angelegenheit ein Leben lang halten würde.“

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Die First Lady Frankreichs ist ein trällerndes Ex-Model – ist das gut oder schlecht für den Feminismus?
Badinter: Den Intellektuellen von Frankreich ist diese Frau komplett egal. Sie ist überhaupt nicht politisch. Und über ihren Glamourfaktor zu reden ist auch sterbenslangweilig.