CSSR - Die Öffnung der Giftschränke

Die Öffnung der Giftschränke

Agenten. Gab es außer Helmut Zilk noch weitere Promi-Spione?

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Es war eine warme Nacht, und sie verhieß guten Fang. Nach Einbruch der Dunkelheit rückten die Erdölarbeiter Walter Wawra und Karl Benedikt aus Bernhardsthal (NÖ) am 4. August 1956 aus, um in der Thaya zu fischen. Man fand von -ihnen nicht mehr als einige am österreichischen Ufer des Grenzflusses zurückgelassene Kleidungsstücke. Anfragen bei den tschechoslowakischen Behörden blieben ergebnislos. Selbst dem Roten Kreuz wurde beschieden, man habe keine Informationen über die -beiden Österreicher, sie seien wohl er-trunken.
Seit einigen Monaten wissen die Angehörigen, was in jener Sommernacht vor 54 Jahren geschah: Die beiden Fischer waren dem Ufer auf tschechoslowakischer Seite zu nahe gekommen. Von CSSR-Grenzsoldaten unter Feuer genommen, kenterte ihr Boot. Aus zwölf Meter Entfernung wurden -Wawra und Benedikt erschossen, als sie sich schwimmend retten wollten. Ihre Leichen wurden in einem Massengrab deutscher Soldaten in der Grenzstadt Breclav (Lundenburg) bestattet.
Der Geheimdienst ließ alle mit dem Vorfall in Zusammenhang stehenden Dokumente verräumen – bloß eine Rechnung für zwei Holzsärge blieb erhalten, die nun den Anstoß zur Aufklärung dieser Gewalttat gab.
Seit sich die geheimen Archive in der ehemaligen Tschechoslowakei öffnen, werden immer mehr Dramen und Spionagefälle bekannt, die das Verhältnis zwischen der kommunistischen CSSR und dem neutralen Österreich in der Zeit des Kalten Kriegs geprägt hatten.
Der bisher spektakulärste Fall ist jener des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk, über den profil im März 2009 ausführlich berichtete. Zilk hatte zwischen 1965 und 1968 dem tschechoslowakischen Geheimdienst StB („Statni Bezpecnost“) Informationen über die Ostpolitik der damaligen ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus und die ideologische Linie des neuen SPÖ-Vorsitzenden Bruno Kreisky geliefert. Wiederholt berichtete Zilk (Deckname: „Holec“) auch über die geheime Taktik der Österreicher bei den bevorstehenden Restitutionsverhandlungen für die vertriebenen Sudetendeutschen nach Prag. Der damalige Journalist und Fernsehdirektor des ORF – ein Mann mit Zugang zu allen Mächtigen der Republik und als Spitzel daher besonders wertvoll – traf sich im Durchschnitt alle zwei Wochen in Wien, Brünn oder einem Prager Innenstadt-Hotel mit seinen Führungsoffizieren vom CSSR-Geheimdienst. Für seine Dienste wurde er mit Bargeld, Pelzmänteln und Kristalllustern entlohnt.
Bald wird noch mehr Licht auf ein dunkles Kapitel in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten fallen. Das Grazer Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung hat vergangene Woche einen Vertrag mit den Prager Geheimdienst-Archiven unterzeichnet, der dem Institut die Möglichkeit gibt, alle für Österreich relevanten Akten zu kopieren – ein Kilometer an Ordnern wartet auf seine Bearbeitung. In den Dokumenten wurden zwischen 1945 und 1989 die Namen Tausender Österreicher verzeichnet: Politiker, Künstler, Journalisten, Emigranten, aber auch unprominente Einzelpersonen. Zum größeren Teil standen sie selbst unter Beobachtung der Geheimdienstler vom StB; einige waren wie Zilk Informanten oder Agenten. Um Ideologie ging es den für die CSSR spionierenden Österreicher kaum je, mit Kommunismus hatten sie nichts am Hut. Entweder lockte sie das Geld, oder sie waren mit eingefädelten Liebesaffären gefügig gemacht worden.
Bis April 2012 soll das Material inventarisiert sein. Ein „Hexenjäger“ will der Projektleiter, der Grazer Historiker Stefan Karner, aber nicht sein: „Solche Veröffentlichungen kann es später geben, aber sicher nicht in der ersten Phase unserer Arbeit.“ Zunächst interessiere man sich vor allem für Struktur und Arbeitsmethoden der CSSR-Geheimdienste in Österreich.

Schauprozesse. Bereits die grobe Sichtung der Bestände zeigt eine Welt, die jener der Agententhriller Marke Hollywood stark ähnelt, wie etwa im Fall Ladislav Maly (siehe Dokumente Seite 19). Maly, Jahrgang 1920, war nach dem KP-Putsch von 1948 aus der Tschechoslowakei geflohen und hatte in Wien beim US-Geheimdienst CIC angeheuert. Schlepper brachten ihn im Juli 1951 wieder über die Grenze. Mit einem Komplizen überfiel Maly in Babice eine Sitzung der örtlichen Kommunisten, drei von ihnen wurden erschossen. Maly und sein Helfer wurden auf der Flucht in einem Getreidefeld mit MG-Salven niedergemäht. Maly hatte österreichische Ausweispapiere bei sich. Die CSSR-Führung nahm den Anschlag zum Anlass für eine „Säuberungswelle“ gegen den katholischen Widerstand. In den ihr folgenden Schauprozessen von Iglau wurden elf Menschen zum Tod und mehr als 100 zu Haftstrafen verurteilt. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, der Geheimdienst StB habe den Überfall auf das Parteilokal selbst inszeniert, um sich einen Vorwand für das Losschlagen gegen Regimegegner zu verschaffen. Die österreichischen Historiker hoffen, auch dieses Rätsel nun lösen zu können.
Filmreif ging es auch im Fall Hošek her. Jan Hošek, Jahrgang 1904, im Krieg ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis, war nach der Machtergreifung der KP zuerst nach Deutschland geflüchtet und hatte dort sowohl für den amerikanischen als auch für den französischen Geheimdienst gearbeitet. 1951 erhielt er den Auftrag, in Verstecken in Südböhmen Funkgeräte zu deponieren. Seine Operationsbasis war die Forsthütte des Grafen Seilern nahe Litschau (NÖ), dem das Waldgebiet diesseits des Eisernen Vorhangs gehörte. Im Juli 1951 – Hošek nächtigte wieder einmal in Seilerns Forsthaus – überquerten StB-Agenten die Grenze und verschleppten ihn. In Hošeks Archivakt sind Fotos der bei ihm gefundenen Waffen und eines von ihm aufgestellten „toten Briefkastens“ enthalten. Im Jänner 1952 wurde Jan Hošek in Prag hingerichtet.
Auch im Fall des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei der Tschechoslowakei, Bohumil Laušmann, arbeiteten die StB-Agenten mit dem Mittel der Verschleppung. Laušmann, Jahrgang 1903 und seinerzeit Mitglied einer Partisaneneinheit gegen die Nazis, war nach der Machtergreifung der KP im Jahr 1948 nur durch Flucht nach Österreich seiner Festnahme entgangen. Seine Familie wurde inhaftiert. Der exilierte Sozialdemokrat ließ sich in Salzburg nieder. 1953 beschloss der tschechische Geheimdienst, ihn als Warnung für alle missliebigen Exilanten zu kidnappen. Man hatte ausgespäht, dass Laušmann gern dem Trunk zusprach. Ein Agent des CSSR-Geheimdienstes StB erschlich sich sein Vertrauen, indem er ihm anbot, Pakete für seine inhaftierte Familie über die Grenze zu bringen. Als Lauš-mann die Toilette aufsuchte, mischte ihm der Agent K.-o.-Tropfen in den Wein. Mithilfe der noch im Land stehenden sowjetischen Besatzer wurde Lauš-mann über die Grenze gebracht. Er wachte im Prager Ruzyne-Gefängnis auf. Laušmann wurde zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt, er starb sechs Jahre -später.
Mastermind der Laušmann-Entführung war der StB-Offizier Bohumil Molnar. 15 Jahre später sollte er ein kleines Stück Geschichte schreiben: Im August 1968, nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen, gab Molnar als Vize-Innenminister den Befehl zur Verhaftung des Reformers Alexander Dubcek.
All die Jahre über hatte die Geheimdienstführung in Prag versucht, Vertreter der österreichischen Bürokratie und des Sicherheitsapparats als Informanten zu gewinnen, was oft genug gelang.
Im Oktober 1968 wurde ein Mitarbeiter des Bundespressediensts als Spitzel enttarnt, einen Monat später machte man dem ehemaligen Stapo-Mann Johann Ableitinger wegen Spionage den Prozess. Ins Netz ging auch ein Ministerialrat des Handelsministeriums, welcher der CSSR Unterlagen über Österreichs Kohle- und Energiewirtschaft zugespielt hatte. Alois Euler, Pressereferent des Innenministers, wurde 1969 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er für den StB streng vertrauliche Akten seines Ministeriums fotokopiert hatte.
1971 flog ein weiterer Mitarbeiter des Bundespressediensts auf. Karl Erwin Lichtenecker hatte einen für einen jungen Beamten recht großzügigen Lebenswandel geführt. Zweiflern beschied Lichtenecker, er verdiene als Übersetzer englischsprachiger Bücher ganz gut dazu.
In Wahrheit versorgte er den tschechoslowakischen Geheimdienst mit Informationen aus dem Bundeskanzleramt und über dessen neuen Chef Bruno Kreisky. Als „toter Briefkasten“ wurde eine Mülltonne am Hohen Markt in der Wiener Innenstadt verwendet. Verschiedenfarbige Plastilinkügelchen zeigten an, ob der „Briefkasten“ neu befüllt wurde. Dem nunmehr eingesehenen Akt Lichteneckers im Prager Geheimdienstarchiv liegt auch ein Foto der Mülltonne bei.
Nach Verbüßung einer mehrjährigen Gefängnisstrafe machte sich Lichtenecker einen Namen als Übersetzer der Bücher Frederic Mortons ins Deutsche.

Ausgeliefert. Manchmal arbeiteten die Österreicher blendend mit den Kollegen von drüben zusammen. Im Dezember 1949 floh das Ehepaar Kouba über die Grenze nach Österreich, um in die USA auszuwandern. Schon in Gmünd wurde das Paar von der österreichischen Zollwache aufgegriffen und zwölf Tage lang eingesperrt. Dann übergab man sie der sowjetischen Kommandantur (Niederösterreich war sowjetische Besatzungszone). Die Sowjets verhörten die Koubas abermals tagelang und brachten sie dann in die CSSR zurück, wo sie zu langen Haftstrafen verurteilt wurden.
Manche der in den Geheimdienstakten festgehaltenen Zwischenfälle wirken eher skurril. Am Silvestertag 1962 meldete sich bei der Gendarmerie in Regelsbrunn (NÖ) ein 54-jähriger Arzt namens John Simonic und erzählte folgende Geschichte: Er sei schon 1949 nach Chicago ausgewandert und US-Staatsbürger. Wegen schweren Heimwehs nach seiner auf der slowakischen Seite der March lebenden Mutter sei er nach Österreich gekommen, habe sich bei Angern mit einer Feuerwehrzille übersetzen lassen, sei aber sofort festgenommen worden. Nach drei Monaten Haft habe man ihn einfach auf die österreichische Seite der Grenze gestellt, ihn aber vorher seiner Barschaft beraubt. Er sei völlig blank.
Dass auch die „Flucht“ in die CSSR unangenehme Folgen haben konnte, erlebte der Sohn eines oberösterreichischen KPÖ-Funktionärs. Aus Begeisterung für die tschechoslowakischen Kommunisten und offenbar etwas verwirrt überschritt er im September 1951 die Grenze Richtung CSSR. Er wurde postwendend geschnappt und als möglicher Spion sechs Monate lang eingesperrt, bevor man ihn wieder nach Österreich entließ. Ob er danach noch immer -begeisterter Kommunist war, ist nicht -aktenkundig.