Die Onkel-Offensive um die Hofburg

Die Onkel-Offensive um die Hofburg: Erwin Pröll erwägt Antreten bei Präsidentenwahl

Erwin Pröll erwägt Antritt zur Präsidentschaftswahl

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Das Angebot kam am Vormittag. Das Landesstudio Niederösterreich meldete in die ORF-Zentrale am Küniglberg, man habe da einen recht interessanten Beitrag für die abendliche „Zeit im Bild“: Landesstudio-Chefredakteur Richard Grasl interviewt Landeshauptmann Erwin Pröll. Nun wäre das an sich noch keine besondere Rarität – der Inhalt des Gesprächs hatte es freilich in sich: Erwin Pröll, immer noch ein nicht zu umgehender Machtfaktor innerhalb der ÖVP, legte sich darin auf die innerparteilich nicht unumstrittene Position fest, die Volkspartei solle im Herbst auf jeden Fall einen Kandidaten für die spätestens im April 2010 stattfindenden Bundespräsidentenwahlen aufstellen – selbst wenn der laut Umfragen höchst populäre Amtsinhaber Heinz Fischer noch einmal antritt. Der Landeshauptmann ließ keinen Zweifel offen, wen er für den geeigneten Mann hält, Fischer die hohe Stirn zu bieten: sich selbst.

Damit flammte kurz vor dem Wochenende eine Debatte hoch, die hinter den Kulissen der Politik seit Monaten dahinköchelt – vor allem in der ÖVP.
Ein Teil der schwarzen Granden argumentiert, eine große Partei wie die ÖVP könne es sich nicht leisten, bei einer so wichtigen Wahl keinen eigenen Kandidaten zu präsentieren (ähnlich hatten Teile der SPÖ 1998 erfolglos argumentiert, als ihre Partei keinen Kontrahenten gegen Thomas Klestil aufstellte). Selbst wenn Heinz Fischer noch einmal antrete, was er bisher noch nicht dezidiert erklärt hat, solle die Partei jemanden ins Rennen schicken, weil die ÖVP sonst in einer monatelangen Wahlauseinandersetzung überhaupt nicht präsent sei, meinen die Befürworter eines solchen Schritts.

Mehrheit der Partei ist skeptisch
Sollte Fischer nicht mehr antreten, ist eine eigene Kandidatur logisch. Wenn der Amtsinhaber aber eine zweite Periode anhängen will, plädieren die Gegner einer Auf-jeden-Fall-Kandidatur aber für noble Zurückhaltung. Noch nie habe jemand gegen einen amtierenden Präsidenten gewonnen, die ÖVP hole sich nur eine unnötige Niederlage und gäbe in einem Wahlkampf sinnlos viel Geld aus. Seit sich herauskristallisierte, dass Erwin Pröll gewaltiges Interesse an einer Kandidatur um die Präsidentschaft zeigt, führten die Skeptiker weitere Argumente an: Selbst der in Niederösterreich populäre Landeshauptmann habe nur geringe Chancen, gegen den fast fehlerfrei amtierenden Bundespräsidenten zu gewinnen. Nach einer Wahlniederlage müsse er arg geschwächt nach Sankt Pölten zurückkehren. Vor allem aber: Pröll sei ja nicht nur Landeshauptmann, sondern auch der Onkel des Vizekanzlers und ÖVP-Obmanns Josef Pröll. Sollte Onkel Erwin – allen Widerständen zum Trotz – tatsächlich Bundespräsident werden, seien Josefs Kanzlerträume möglicherweise ausgeträumt, weil die Wähler die Macht nicht in der Hand ­einer Familie sehen wollten. Immer wieder wurde das Beispiel der etwas merkwürdig einherkommenden polnischen Zwillingsbrüder Kaczynski strapaziert, die zur gleichen Zeit Staatspräsident und Regierungschef waren.

Zoff mit Schüssel
Erwin Pröll hatte schon einmal, vor sechs Jahren, Anlauf zum Sturm auf die Hofburg genommen. Im August 2003, wenige Wochen vor der Kandidatennominierung, hatte das Fessel-Institut damals in einer nie veröffentlichten Umfrage erhoben, Pröll liege mit 46 zu 35 Prozent vor dem wahrscheinlichen SPÖ-Kandidaten Heinz Fischer, zu dieser Zeit Zweiter Natio­nalratspräsident. Der damalige ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel mutmaßte, mit Erwin Pröll würde ein ebenso schwieriger Parteifreund in die Präsidentschaftskanzlei einziehen wie der notorische Schwarz-Blau-Kritiker Thomas Klestil, und favorisierte seine Außenministerin Benita Ferrero-Waldner als Kandidatin.

Pröll kämpfte nicht unbeherzt. In einem „Format“-Interview meinte er in Anspielung auf Schüssels Favoritin, heute sei außenpolitische Kompetenz nicht mehr so gefragt, „jahrzehntelange Erfahrung und eine runde Persönlichkeit“ seien viel wichtiger. Schüssel schickte wenige Tage später Elisabeth Gehrer vor: Sie persönlich würde es „sehr freuen, wenn es einmal eine Frau wird“, sinnierte die Unterrichtsministerin.

Die Würfel fielen für Ferrero, Pröll zog sich grollend nach Sankt Pölten zurück. Ferrero verlor mit fünf Prozentpunkten Abstand gegen Fischer.
Pröll behielt den Präsidenten im Auge. Als einziger ÖVP-Grande übte er immer wieder Kritik am Staatsoberhaupt. Einmal warf er Fischer vor, sich nicht genügend für die Eurofighter ins Zeug zu werfen, dann wieder meinte er, Fischer reduziere sich zu einer Repräsentationsfigur. Im Juli vergangenen Jahres zieh er Fischer der Parteilichkeit, weil dieser „der SPÖ von der Hofburg aus die Mauer“ bei ihrem Schwenk in der EU-Politik mache. Damals hatten Werner Faymann und der noch amtierende Kanzler Alfred Gusenbauer einen allenthalben als peinliche Unterwerfungsgeste gewerteten Brief an „Krone“-Herausgeber Hans Dichand, 88, geschrieben, in dem sie – wie vom greisen Zeitungszaren gewünscht – einen 180-Grad-Schwenk in der SPÖ-Europapolitik vornahmen.

Überraschungscoup
Vergangene Woche überstürzten sich in der Causa Pröll & Präsidentschaft die Ereignisse – und abermals spielte der alte Mann aus dem Pressehaus eine tragende Rolle. Am Montag war durchgesickert, Dichand werde in der am Freitag erscheinenden Freizeitbeilage seines Blattes ein Interview geben, in dem er seinen Wahlneffen Werner Faymann verwirft und der Nation die beiden Prölls anempfiehlt – den einen als Bundespräsidenten, den anderen als Bundeskanzler.

Donnerstagabend war Dichands absonderliche Volte gedruckte Wirklichkeit. ­Faymann ließ er wie einen begossenen Pudel stehen, indem er ihm etwas gespreizt bescheinigte, „dass ein Weg gegenseitiger Verständigung und echten demokratischen Alltags nicht so leicht zu gehen ist“. In Klarsprache: Baba und foi net. Gleichzeitig forderte Dichand „Beide Prölls an die Spitze“ und äußerte in Richtung Erwin den sehnlichen Wunsch: „Ich möchte ihn schon gern als Nummer eins unseres Staates sehen.“ Fischer habe halt „nicht den Weg zur großen Wendung gewagt“, zeigte sich Dichand enttäuscht, ohne näher auszuführen, wohin sich dieser wenden hätte sollen.

Zur selben Zeit, als die „Krone“ Donnerstagabend mit Onkel Hansens Neffenaustausch-Interview auf den Markt kam, begann in Grinzing der traditionelle Heurige des Herausgeberverbands, bei dem sich einmal im Jahr die Verleger und Chefredakteure mit der politischen Führung des Landes treffen. Vor allem Bundespräsident Heinz Fischer und Vizekanzler Josef Pröll, nun ein Doppelneffe, wurden heftig um eine Interpretation der Sprüche aus dem „Krone“-Hauptquartier gebeten. Pröll warnte vor ­einer Überbewertung und unterstrich, Dichand höchstens dreimal in seinem Leben getroffen und ihm noch nie einen Brief geschrieben zu haben. Heinz Fischer zeigte sich höchst erfreut – offenbar weil nun wieder etwas Leben in die manchmal zu ruhige Bude Hofburg zu kommen scheint.

Boulevardgrößen
Im Kreise des Herausgeberverbands wusste man ohnehin mehr, als die meisten der anwesenden Politiker. So erzählten Eingeweihte, Dichand sei furchtbar böse auf Kanzler Faymann, weil der auch Wolfgang Fellners „Österreich“, am Boulevard eine lästige Konkurrenz für die „Krone“, großzügig mit Inseraten des Bundes oder ausgelagerter Unternehmen wie der ÖBB und der Asfinag versorge. Auch den Umstand, dass die SPÖ-nahen Aufsichtsräte in der staatlichen Förderbank Austria Wirtschaftsservice für die Haftungsübernahme für einen Millionen-Kredit für Fellners „Österreich“ votiert hatten (zu dem es letztlich nicht kam), habe „Onkel Hans“ dem Wahlneffen bitter nachgetragen.

Nur wenige Stunden nach dem Erscheinen von Dichands Parforceritt tief ins Niederösterreichische war auch die Morgenausgabe von „Österreich“ auf dem Markt – und hatte ebenfalls mit einer Überraschung aufzuwarten. Wie aus der Hüfte geschossen und wohl dennoch nicht zufällig meinte nun auch Wolfgang Fellner in seinem Leitartikel, „Erwin Pröll wäre ein idealer Präsident“. „In der ÖVP nimmt der Druck der Basis zu“, konstatierte der im Allgemeinen eher selten in schwarzen Basisorganisationen anzutreffende Fellner. Am amtierenden Bundespräsidenten nörgelte der „Österreich“-Herausgeber übellaunig herum: „Zu wenig Volksnähe, zu wenig Dynamik, zu viel kritiklose Verteidigung der großen Koalition.“ Fellners Blatt konnte sogar schon einen leibhaftigen ÖVP-Politiker aufbieten, der ebenfalls Erwin Pröll in der Präsidentschaftskanzlei sehen wollte. Bei diesem handelte es sich um den ÖVP-Klubobmann im steirischen Landtag, Christopher Drexler, der in den vergangenen Jahren mit seinen Forderungen nach der Homo-Ehe und Tempo 160 auf Autobahnen für Sommerthemen gesorgt hatte. Schon im selben Artikel, in dem Drexler Pröll als Präsidenten einforderte, nahm der niederösterreichische ÖVP-Landesgeschäftsführer Gerhard Karner dazu Stellung: „Wir registrieren, dass der Wunsch nach einem eigenen Präsidentschaftskandidaten in der Partei immer größer wird.“
Abermals wenige Stunden später machte Erwin Pröll in seinem „Zeit im Bild“-Interview diesen Wunsch zu seinem eigenen: „Es gibt viele Stimmen in der Volkspartei, die meinen, die ÖVP solle auf alle Fälle einen Kandidaten aufstellen. Auch ich halte das für vernünftig und gut.“ Vor erdfarbener Kulisse und den Landesfahnen nannte Pröll Dichands dickes Lob „eine Kraftquelle, und ich kann jede Kraft brauchen, um die Aufgaben, die vor mir stehen, zu bewältigen“.

"Ich bin entspannt"
Parteiobmann Josef Pröll ging es dann Freitagabend, nach der „Zeit im Bild“, vor allem darum, Dampf herauszunehmen. „Ich bin entspannt. Diese Diskussionen beeinträchtigen weder meine Arbeit noch meine Linie. Über eine Präsidentschaftskandidatur entscheiden wir im September oder Oktober – und zwar unabhängig davon, ob Heinz Fischer wieder kandidiert“, meinte Pröll in einem Telefonat mit profil.

Tatsächlich hat sich Fischer längst zu einer Kandidatur entschlossen. Die offizielle Bekanntgabe ist seit mehreren Monaten für Ende September geplant, weil der Präsident damit den Wahlkampf abkürzen will.
Durchaus möglich freilich, dass dieser Zeitplan nun über den Haufen geworfen wird. Fischer ist am 5. Juli Gast in der ORF-„Pressestunde“ – eine Gelegenheit für klare Worte. In der Umgebung des Bundespräsidenten wird auch nicht ausgeschlossen, dass der Bundespräsident noch in dieser Woche in einem „ZiB“-Interview Klartext reden wird. Dann wäre wieder die ÖVP am Zug.

Aufholjagd erforderlich
Sollte Pröll tatsächlich gegen Fischer antreten, müsste er eine gewaltige Aufholjagd schaffen:
- Im Jänner erhob das Gallup-Institut für „Österreich“, bei einer fiktiven 4-Kandidaten-Wahl würden 54 Prozent für Fischer, 17 Prozent für Pröll, zehn Prozent für H. C. Strache und neun Prozent für Alexander Van der Bellen stimmen.
- Im März konstatierte das market-Institut für den „Standard“, nur 13 Prozent der Österreicher hielten die bisherige Arbeit des Bundespräsidenten für „schlecht“. Bloß 18 Prozent trauten Pröll zu, es besser zu machen als Fischer.
- Im April erhob schließlich die Karmasin-Motivforschung 61 Prozent für Fischer, 14 Prozent für Pröll und sechs Prozent für Van der Bellen. 20 Prozent verweigerten die Antwort oder konnten sich für keinen der drei erwärmen.

Die wilden Spekulationen riefen bereits die Oppositionsparteien auf den Plan. Während die Grünen andeuten, eher niemanden aufzustellen, pokern die beiden Rechtsparteien schon beherzt. Erstes Ziel der FPÖ sei es, „den Kandidaten der SPÖ zu verhindern“, meinte Generalsekretär Harald Vilimsky zu profil. Daher sei nicht auszuschließen, dass die FPÖ einen ÖVP-Kandidaten unterstützt. Erwin Pröll müsse allerdings vorher sein „im Moment völlig unzureichendes“ Verhältnis zur FPÖ neu definieren, meint Vilimsky. Einen originellen Reflex gibt es wieder einmal beim nicht eben erfolgsverwöhnten BZÖ. Dort träumt man von Claudia Haider als Spitzenkandidatin. Gefragt wurde sie allerdings noch nicht.

Chance für richtige Politik?
In der zuletzt ebenfalls schwer gebeutelten SPÖ hofft man auf ein klares Wort Fischers und auf neue Freiheiten nach Dichands Liebesentzug. Ein verständlicherweise ungenannt bleiben wollender Minister: „Werners Haupteinflüsterer Dichand und Androsch waren gegen die Vermögensteuerdebatte, also war auch er dagegen. Jetzt, wo die beiden Onkel die Gunst abgezogen haben, können wir vielleicht versuchen, richtig Politik zu machen.“