Populismusoffensive

Die Populismusoffensive

Die Populismusoffensive

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Der Verteidigungsminister tritt für die Verkürzung des Wehrdienstes ein, der Finanzminister befürwortet die Abschaffung der Besteuerung von Trinkgeldern, die Sozialministerin macht sich für die Erhöhung der Mindestpensionen stark, und der Minister für Verkehr, Innovation und Technologie will die Anhebung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen diskutieren.

Gut, die Vorstöße sind noch nicht umgesetzt. Genauer betrachtet, ist eigentlich noch gar nichts davon realisiert. Und einige der Vorhaben werden wohl im Status der Ankündigung verharren, andere könnten sich letztlich sogar als verfassungswidrig erweisen. Macht aber nichts. Denn ein beabsichtigter Effekt wurde bereits erzielt: jede Menge Schlagzeilen.

Ob auch die zweite und mutmaßlich wichtigere Nachwirkung eintreten wird, kann erst in der – vermutlich nicht allzu fernen – Zukunft beurteilt werden. Wenn sich Regierungsmitglieder innerhalb von Wochenfrist scharenweise und ohne zwingend erkennbaren Anlass anschicken, milde Gaben an das Volk zu verteilen; wenn Minister einander mit Forderungen zu übertrumpfen versuchen, die normalerweise ebenso vehement wie erfolglos von Oppositionspolitikern erhoben werden, dann legt das vor allem eine Vermutung nahe: dass schon recht bald gewählt werden könnte.

Finanzminister Karl-Heinz Grasser führte vor, wie ein peinlicher Fauxpas elegant in einen persönlichen Erfolg umzuwandeln ist. Die Kehrtwende des Ministers war jedoch so elegant und flott, dass sich der Verdacht aufdrängt, sie könnte gar nicht spontan, sondern vielmehr mit Bedacht inszeniert gewesen sein.

Eine bislang nicht exekutierte Steuerpflicht abzuschaffen birgt keinerlei Belastungen für das Budget. Besondere Dankbarkeit lässt sich damit beim Wahlvolk unter normalen Umständen freilich auch nicht einheimsen.

Also wurde das Thema, so steht zu vermuten, vorbereitend dramatisiert: Es wurden schärfere Kontrollen verlautbart, Finanzbeamte zu Steuerprüfungen ausgeschickt und schließlich die Pauschalierung aller nur schwierig ausforschbaren Trinkgeldeinkünfte angekündigt. Der Widerspruch betroffener Interessenvertreter war erwartbar, erschütterte das Land jedoch keineswegs in seinen Grundfesten. Im Vergleich zu den Massenaufmärschen und großflächigen Streiks, welche die Pensionsreform nicht verhindern konnten, waren die Proteste von Friseurinnungsmeistern und Gastgewerbegewerkschaftern nicht viel mehr als ein fröhlicher Kindergeburtstag.

Dennoch legte der Minister umgehend den Retourgang ein und tritt nunmehr für die Steuerfreiheit der Trinkgelder ein – und zwar sogar rückwirkend. Ungeachtet der kleinen Einschränkung, dass die Labsal steuerfreier Nebeneinkünfte nur unselbstständig Werktätigen zuteil werden soll, erscheint der Finanzminister nun plötzlich als Held der werktätigen Massen, die dies, so das mutmaßliche Kalkül, Grassers Adoptivpartei ÖVP bei den nächsten Wahlen auch wohlwollend anrechnen sollen.

Dass damit die Logik und Konsistenz des österreichischen Steuersystems untergraben wird, dürfte dem Minister als durchaus vernachlässigbares Übel erscheinen. Umso mehr, als der Minister bereits bei anderer Gelegenheit zur Genüge dokumentiert hat, dass er nicht unbedingt zu den hartnäckigen Anhängern der Steuerpflicht auf finanzielle Zuwendungen zählt. Warum sollte also für Oberkellner und Zimmermädchen nicht gelten, was auch Homepage-Betreiber für sich in Anspruch nehmen?

Auch der von Verteidigungsminister Günther Platter verordneten Verkürzung des Militärdienstes dürften in erster Linie weniger sicherheitsstrategische Überlegung zugrunde gelegen sein als vielmehr wahltaktische Kalkulationen. Eine für die etwas fernere Zukunft mit dem Koalitionspartner bereits vereinbarte Reduktion des Grundwehrdienstes hinter dem Rücken ebendieses Partners abrupt
und vorzeitig zu dekretieren darf als beabsichtigte Provokation betrachtet werden. Dass der Plan, die FPÖ kalt auszutricksen und bei den kommenden Nationalratswahlen den resultierenden Goodwill der Jungmänner samt und sonders für die Volkspartei abzuschöpfen, auf Platters alleinige Initiative zurückgeht und ohne tatkräftige Mithilfe der ÖVP-Parteizentrale entwickelt wurde, darf hingegen bezweifelt werden.

Der ohnedies taumelnden FPÖ blieb nichts anderes übrig, als ein bisschen aufzustrampfen. Selbst die Funktionäre sind mittlerweile davon überzeugt, dass nicht erst 2006, sondern noch im laufenden Jahr, möglicherweise sogar noch vor dem Sommer, gewählt werden wird. Also wurde auch bei den Freiheitlichen rasch nach ein paar Ideen gesucht, um das Volk mit Brot und Spielchen zu beglücken: Ursula Haubner forderte umgehend eine Anhebung der Mindestpensionen, und Vizekanzler Hubert Gorbach versuchte sich als Verkehrsminister für Schnellfahrer zu profilieren.

Da anzunehmen ist, dass die Populismusoffensive der beiden Koalitionsparteien in den kommenden Wochen und Monaten mit unverminderter Großzügigkeit fortgesetzt werden wird, bleibt nur noch abzuwarten, welcher Minister als erster die Senkung des Bierpreises verlangen wird, welches Regierungsmitglied vorpreschen wird, um die Abschaffung der ORF-Gebühr zu begehren, und wem im Kabinett Schüssel die Aufgabe zufallen wird, eine Generalamnestie für Falschparker zu verkünden.
Und dann wird gewählt.