Peter Michael Lingens

Die überfällige Rezession

Die überfällige Rezession

Drucken

Schriftgröße

Allzu groß ist der Abstand zur „Weltwirtschaftskrise“ des Wiener Professors für Volkswirtschaftslehre, Erich Streissler, nicht mehr: Der Konkurs von Lehman Brothers, die nur durch einen „Schluss-Verkauf“ vermiedene Pleite von Merrill Lynch und der folgende Absturz der Weltbörsen dürften auch den größten Optimisten vor Augen geführt haben, dass die USA in eine Jahrhundertkrise eintreten und dass eine Jahrhundertkrise in der größten Volkswirtschaft der Welt natürlich auch nicht spurlos an Österreich vorbeigehen kann.
Die Situation ist so simpel, wie Streissler sie schon vor sechs Jahren präzise dargestellt hat: Der US-Kriegsstaatshaushalt und die US-Bürger sind dramatisch verschuldet. Eine Zeit lang kann man trotz Überschuldung fröhlich leben, indem man weiterhin gute Geschäfte vortäuscht und so weiter Kredit erhält – der die Schulden freilich nur noch größer macht. Nach diesem Muster der fahrlässigen Krida haben die USA seit 25 Jahren agiert.
Doch irgendwann lassen sich hohe Schulden nicht mehr verbergen und werden schlagend. Das geschieht seit Ende vorigen Jahres.
Jetzt können die Amerikaner nichts anderes tun als jeder hoch Verschuldete: Sie müssen sparen.
Und massives Sparen bedingt Rezession.
Rezession in der größten Volkswirtschaft der Welt bedingt Rezession in allen anderen Ländern. Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft oder China können diese Rezession nicht auffangen. Denn China boomt unter anderem wegen seiner Exporte in die USA, die zurückgehen müssen, wenn die USA sparen; und noch mehr wird Japan spüren, dass die Amerikaner nicht mehr wie wild japanische Waren kaufen.
Europa ist nur am relativ besten dran, weil es durch seine Osterweiterung in erfolgversprechende Wachstumsregionen vorgestoßen ist; und Österreich profitiert davon, dass es sich dort besonders stark engagiert hat: Unsere Banken dürften die einzigen sein, die nur marginal im US-Geschäft hängen.
Dass wir eine weltweite Rezession trotzdem deutlich spüren werden, ist selbstverständlich.

Es entspricht nur nationalökonomischer Ahnungslosigkeit, wenn manche Wirtschaftsjournalisten noch immer faseln, dass wir die Talsohle zu Beginn nächsten Jahres durchschritten haben werden. Schulden der Größenordnung der USA trägt man nicht in ein paar Monaten ab.
Wenn die US-Notenbank und Finanzminister Henry Paulson jetzt beständig Hypothekenfinanzierer, Versicherungen oder Banken „retten“, so bedeutet das nur, dass sie deren Schulden ins Budget transferieren: Sie fallen nicht mehr bloß den Aktionären, sondern allen Amerikanern auf den Kopf. Die aber sind im Schnitt bereits mit dem Doppelten ihres Jahreseinkommens privat verschuldet.
Es kommt immer auf das Gleiche heraus: Irgendwie müssen sie diese Schulden zahlen, und das bedingt Sparen. Also Rezession.
Die Schulden, die die USA im Rest der Welt haben, kann niemand eintreiben. So verfallen US-Wertpapiere und Dollars in den Depots unserer Banken – die momentane leichte Dollar-Erholung ist nur kurzfristig. Wir alle zahlen den Irak-Krieg und das amerikanische Wirtschaftsstrohfeuer der letzten 25 Jahre mit.

Nachdem ich Streisslers Argumentation vor sechs Jahren gelesen hatte, habe ich vor Spitzen der Versicherungswirtschaft einen Vortrag gehalten, der die „USA als Vorbild“ zum Gegenstand hatte. Dabei habe ich Verwunderung geerntet, als ich Amerika diese Vorbildrolle in der Wirtschaft abgesprochen habe. Die ständige Behauptung der Wirtschaftspresse, dass Europa „endlich seine Hausaufgaben machen“ müsse, um mit den USA gleichzuziehen, beruhe auf Unkenntnis.
In Wirklichkeit müsste diese Wirtschaftspresse heute in Balkenlettern berichtigen: Wahr ist vielmehr, dass der Boom, den die USA Europa ununterbrochen vorauszuhaben schienen, darauf beruhte, dass sie sich derart verschuldet haben; natürlich boomt eine Wirtschaft, wenn sie ohne Rücksicht auf Rückzahlung Geldspritzen erhält.
Der Mann, der sie verordnet hat, war Alan Greenspan. Streissler hat dessen Rolle schon präzise analysiert, als er noch als „Maestro“ der US-Notenbank Fed gefeiert wurde: Wann immer der US-Aktienmarkt einzubrechen drohte, reduzierte Greenspan die Zinsen drastisch und erhöhte so die Geldmenge, die die Geschäftsbanken locker weiterverliehen: an all die Leute, die jetzt nicht zurückzahlen können.
Wo Geld billig wird, steigen die Aktienkurse, ohne dass die Unternehmen an Substanz zulegen. Das war das Geheimnis der US-Kursrallys. Nach dem gleichen System haussierten die Immobilienpreise. Bis zum Einbruch.
„Mr. Bubble“ wird Greenspan jetzt im neuesten Buch zum Thema genannt – die Lektüre des Streissler-Textes hätte das schon vor sechs Jahren erlaubt.

Mr. Bubble hinterlässt seinem Nachfolger einen verzweifelten Job: Gemeinsam mit Paulson muss Ben Bernanke ständig Finanzunternehmen „retten“, wenn er keinen Finanzzusammenbruch (und damit endgültig die Weltwirtschaftskrise) haben will – aber dieses Retten türmt neue Staatsschulden auf die alten. Gleichzeitig versuchen beide, den Konsum zu stimulieren, um die Rezession in Grenzen zu halten – aber das widerspricht der Notwendigkeit privaten Sparens.
Höchstens wenn Japaner und Chinesen die halben USA aufkaufen, ist das Ende der Rezession absehbar.