Die Rezession als Schreckgespenst

Bartenstein: "Die besten Zeiten sind vorbei"

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Notenbanker gelten als schmallippig. Beim ehemaligen Chef der amerikanischen Zentralbank FED, Alan Greenspan, ging die Interpretationswilligkeit der Finanzwelt sogar so weit, dass man schon anhand der Dicke seiner Aktentasche abzuschätzen versuchte, ob die Zinsen erhöht oder gesenkt würden. Zieht man in Betracht, welche Auswirkungen die Leitzinsen auf die Wirtschaftswelt haben, ist verständlich, warum jede noch so kleine Äußerung der Währungshüter auf die Goldwaage gelegt wird. Unlängst sagte ­Jean-Claude Trichet, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB): „Die zuletzt verfügbaren Daten deuten auf ein schwächeres Wirtschaftswachstum zur Jahresmitte 2008 hin.“ Diese trockene Tatsachenfeststellung genügte, um die Sorgen vor der hohen Inflation in den Hintergrund zu stellen und den Blick auf ein neues Schreckgespenst zu lenken: die Rezession. Davon spricht man, wenn die Wirtschaftsleistung schrumpft.

Dabei hätte eigentlich jetzt alles gut werden können. Der Ölpreis sinkt, der Preis der Lebensmittelrohstoffe ebenso, sogar der Euro gibt gegenüber dem Dollar nach und hilft den Exporten auf den Sprung. Doch wenn neben diesen Parametern auch die Konjunktur zur Talfahrt ansetzt, ist jeglicher Jubel fehl am Platz. Der österreichische Wirtschaftsminister Martin Bartenstein ist sich dessen bewusst. „Die besten Zeiten sind vorbei“, sagt er gegenüber profil. „Doch im europäischen Vergleich ist die österreichische Wirtschaft immer noch robust.“ Tatsächlich steht die heimische Wirtschaft noch besser da als andere. Gleich sechs EU-Ländern droht die Rezession: Dänemark, Großbritannien, Irland, Italien, Portugal und Spanien. Auch Deutschland ließ am Donnerstag der vergangenen Woche mit negativen Zahlen aufhorchen: Zum ersten Mal seit vier Jahren ging die Wirtschaftsleistung zurück – sie fiel im zweiten Quartal gegenüber dem ersten um 0,5 Prozent. Ist auch das dritte Quartal negativ, so spricht man nach der amerikanischen Definition bereits von einer Rezession, in Europa erst dann, wenn das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt zum Vorjahr schrumpft. Obwohl die Experten nicht von einer unmittelbar drohenden Rezession in Österreich ausgehen, so kann das Land sich von dieser Entwicklung nicht abkoppeln. „Wir stehen an der Trendwende – Österreich befindet sich bereits im Abschwung“, sagt Markus Marterbauer, Konjunkturexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo).

Die schwächelnden Länder reißen die noch florierenden mit nach unten: Am vergangenen Mittwoch präsentierte das renommierte Münchner ifo-Institut seinen Wirtschaftsklimaindikator für den gesamten Euroraum: So schlecht wie in diesem Quartal hatten die befragten Unternehmen die Wirtschaft zuletzt vor 15 Jahren eingeschätzt. 2007 wuchs das österreichische Bruttoinlandsprodukt zwar noch um 3,4 Prozent. Doch für 2008 rechnet das Wifo nur noch mit 2,3 Prozent Wachstum, 2009 mit 1,4 Prozent. Vermutlich wird das Wifo diese Prognosen im Oktober nach unten revidieren müssen. Denn schon diese Woche hat sich gezeigt, dass sowohl das zweite Halbjahr 2007 als auch das erste Quartal 2008 überschätzt wurden. Auch die Frühindikatoren sind durch die Bank schlechter als erwartet: Unternehmensumfragen zeigen Auftragsrückgänge, die offenen Arbeitsstellen gehen zurück. Minister Bartenstein glaubt, dass sich Österreich von seinem Umfeld nicht abkoppeln kann: „Die konjunkturelle Eintrübung durch den hohen Ölpreis, die stark gestiegenen Rohstoffpreise sowie die noch nicht ausgestandene US-Finanzkrise wirken sich auch auf Österreich aus.“ Die Gründe für den Abschwung sind vielfältig.

Ursachen. Zum einen drückt der anhaltend hohe Ölpreis auf die Güterproduktion. Allerdings ist dieser Effekt in Österreich niedriger als anderswo. Hierzulande wird wesentlich energiesparender produziert als in anderen Ländern. Im Allgemeinen machen die Energiekosten nur drei bis zehn Prozent der Herstellungskosten aus, schätzt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV): „Wenn sich der Ölpreis verdoppelt, kostet uns das einen Viertelprozentpunkt Wachstum.“ Noch vor wenigen Jahren waren die Ökonomen von einem wesentlich höheren Einfluss ausgegangen. Weitaus mehr Effekt hat der Ölpreis in Schwellenländern wie China. Das macht sich bereits im wirtschaftlichen Ausblick bemerkbar: Die Zeichen mehren sich, dass der asiatische Gigant erheblich langsamer wächst als bisher. „Die Entwicklung in China ist ein wahres Damoklesschwert, das über uns hängt“, so Helmenstein. Bisher hat Asien – und dort vor allem China – die zunehmende Schwäche der USA ausgeglichen und die Funktion der weltweiten Konjunkturlokomotive teilweise übernommen. Bleibt dieser Ausgleich weg, bekommt das die ganze Welt zu spüren.

Vorerst hatten sich die Befürchtungen, dass die Folgen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft auch in Europa durchschlagen, nicht bewahrheitet. Doch jetzt, mit einem Jahr Verspätung, ist ein Effekt spürbar: Die Vergabekriterien für Kredite sind strenger geworden, Unternehmen können schwerer als früher auf Pump investieren, Privatpersonen wird ein Leben in Saus und Braus auf Kredit immer schwerer möglich. „Das hemmt die Nachfrage, weil es nicht mehr so leicht ist, sich zu verschulden. Und das wiederum hemmt das Wachstum“, sagt der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Gravierend trifft es europäische Länder, die wie die USA einen überhitzten Immobilienmarkt hatten. Auch in Irland und Spanien sind die Immobilienblasen geplatzt. Die Hauspreise sinken rapide, mit ihnen die vom Bauboom ausgehende regionale Beschäftigung und damit die Nachfrage. „Zwei Drittel aller neuen Arbeitsplätze in Spanien waren dem Immobilienboom zuzurechnen. Es ist klar, dass diese Übertreibung nach oben jetzt einen Multiplikatoreffekt nach unten hat“, sagt Helmenstein.

Thomas Mayer, Chefvolkswirt Europa der Deutschen Bank, geht sogar noch weiter: „Die Krise wird Europa stärker treffen als die USA.“ Im Durchschnitt sei der Verfall der Immobilienpreise in den betroffenen europäischen Ländern genauso stark wie in Amerika, zudem seien auch die Abschreibungen der europäischen Banken im Vergleich mit den amerikanischen relativ ähnlich. „Den Unterschied macht jedoch die Zinspolitik der EZB. Während hier zuungunsten des Euro und des Wachstums die Zinsen angehoben wurden, hat die FED die Zinsen gesenkt“, so Mayer. „Die Wirtschaftspolitik in Europa war wesentlich weniger hilfreich als die in den USA.“ Er sieht im zweiten Quartal in Europa ein negatives Wachstum, das sich auch bis zum Ende des Jahres nicht erholen wird.

Ließe sich Österreich isolieren, müsste uns die Finanzkrise nicht weiter stören, da weder österreichische Banken stark involviert noch der Immobilienmarkt überhitzt war. Doch das Problem sind die wirtschaftlichen Verflechtungen, insbesondere durch den Export. Wenn diejenigen Länder, die zuvor – wenn auch aufgrund einer Immobilienblase – für einen Großteil der europäischen Binnennachfrage gesorgt haben, nun nicht mehr konsumieren können, so geht die Nachfrage nach österreichischen Exporten zurück. Und die sind laut einer aktuellen Wifo-Studie für mehr als ein Viertel der heimischen Wirtschafts­leistung maßgebend.

Export. 30 Prozent der österreichischen Exporte gehen nach Deutschland, das damit Österreichs wichtigster Handelspartner ist. „Nach ganz Zentral- und Osteuropa gehen nur halb so viele Ausfuhren“, sagt Helmenstein. Wifo-Experte Marterbauer weist darauf hin, dass die meisten Exporte nach Deutschland wiederum in die deutsche Exportwirtschaft gehen. „Das ist jetzt besonders problematisch, da von der deutschen Konjunkturflaute vor allem der Export betroffen ist“, so Marterbauer. Doch selbst wenn Deutschland auch im dritten Quartal weiter an Wirtschaftsleis­tung einbüßt, ist noch lange nicht gesagt, dass Österreich diesem Beispiel zwingend folgen muss. „Wir werden uns besser schlagen als Deutschland“, ist sich Helmenstein sicher. Die Gründe ortet er bei einer erfolgreicheren Wirtschaftspolitik in den guten Jahren: Der Arbeitsmarkt sei flexibler, die Unternehmenssteuern wurden gesenkt und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöht.

Eine positive Nachricht ist, dass der Euro gegenüber dem Dollar wieder billiger wird (siehe Kasten links). Der starke Euro lastet auf dem Exportsektor, da er die Produktion im Vergleich zum Dollar-Raum verteuert und die Preise drückt. „Eine zehnprozentige Wechselkursveränderung schlägt sich auf das Bruttoinlandsprodukt mit einem Viertelprozentpunkt durch“, sagt Helmenstein. „Deswegen ist es ein wahrer Segen, dass der Euro nachgibt.“

Jedoch: Der Euro gibt nach, weil die Konjunktur in Euroland nachlässt – und somit erwartet wird, dass die Zinsen nicht angehoben werden. Der Wechselkurseffekt ist also Folge der Wirtschaftsflaute, wirkt aber abfedernd. Noch vor zwei Wochen kamen Experten des Wirtschaftsministeriums, des Arbeitsmarktservice, der Sozialpartner und Wirtschaftsforscher bei einem Treffen zum Ergebnis, dass Österreich kein Konjunkturpaket brauche. Inzwischen haben sich die Vorzeichen geändert, doch vor den Wahlen wäre wohl kaum mit einer Einigung zwischen den großen Parteien zu rechnen. Da kommt es den Politikern durchaus zupass, dass die Wirtschaftsforscher mit einer signifikanten Eintrübung erst in der zweiten Jahreshälfte rechnen. Also nach den Wahlen. Bis dahin wurde dann ja auch genug gestritten.

Von Andrea Rexer; Mitarbeit: Clemens Piber