Georg Hoffmann-Ostenhof

Die Schlappe der Islamisten

Die Schlappe der Islamisten

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Ausführlich registrierte die Weltpresse die vernichtende Niederlage von Pervez Musharraf und den triumphalen Sieg der moderaten Opposition. Über das Abschneiden der Islamisten Pakistans bei den jüngsten Parlamentswahlen am 17. Februar wurde das Publikum seltsamerweise aber kaum informiert.
Wir holen das hier nach: Die Allianz der islamistischen Parteien wird in Zukunft in der Volksvertretung von Pakis­tan mit drei Mann vertreten sein. 2002 hatten sie bei Wah­len noch 63 Sitze (von insgesamt 272) erobert. Aber auch dort, wo sie angeblich starke Wurzeln geschlagen haben – im Nordwesten, wo die pakistanische Armee seit Monaten gegen kämpfende Taliban und Al-Kaida-Milizen vorgeht –, ging es den radikalen Fundis nicht besser: In diesen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan gewann die Allianz der Islamisten nur fünf Prozent, deutlich geschlagen von einer säkular-nationalen Paschtunen-Partei (Paschtunen sind dort die Mehrheitsethnie), obwohl deren Kandidaten und Unterstützer im Wahlkampf regelmäßig von radikalen Islamisten attackiert wurden.
Dass dieser aufregende Aspekt des pakistanischen Wahlergebnisses so wenig Beachtung findet, ist durchaus erstaunlich: Da wird der Kampf gegen den radikalen Islam seit Jahr und Tag zur Hauptaufgabe unserer Zeit erklärt – und wenn die Fundis dann in einem der großen moslemischen Länder politisch schwer geschlagen und völlig marginalisiert werden, ist das der Erwähnung kaum wert.

Erinnern wir uns: Als es im Spätherbst vergangenen Jahres in Pakistan turbulent wurde, Terroranschläge sich häuften, der 1999 durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Präsident Musharraf den Ausnahmezustand ausrief und schließlich zur Jahreswende die Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto ermordet wurde, war die westliche Öffentlichkeit alarmiert. Bange fragte man, ob nicht eine Talibanisierung Pakistans bevorstehe. Und schon zeichneten viele das Horrorszenario, bei dem die Fundamentalisten im nuklear gerüsteten Pakistan die Atombombe in die Hand bekämen.

Auch höchst seriöse westliche Medien verfielen in Alarmismus. Wer sich ernsthaft und ohne ideologische Scheuklappen mit Pakistan beschäftigte, wusste schon damals, dass das Gerede von den Islamisten, die demnächst die Macht ergreifen könnten, Unsinn war. Warum er trotzdem verbreitet wurde, erklärte die „New York Times“ vergangene Woche in einem Leitartikel: Das Weiße Haus habe die längste Zeit darauf bestanden, „dass Musharraf auch unterstützt werden müsste, wenn er Journalisten und Rechtsanwälte einsperrt, den Obersten Gerichtshof unterwirft und auch sonst Bürgerrechte mit den Füßen tritt“. Er sei das einzige Bollwerk gegen die islamistische Flut. „Man machte uns klar, dass die moslemischen Extremisten jede faire Wahl gewinnen würden“, erkannte das US-Blatt durchaus selbstkritisch. Fast alle waren auf diesen Schmäh hereingefallen, der dann durch die Wahlen so eindrucksvoll als solcher entlarvt wurde.

Beunruhigend und erschreckend ist freilich zu sehen, wie auch die qualifizierte westliche Öffentlichkeit zuweilen der politischen Propaganda auf den Leim geht und wie sehr die US-neokonservative Weltsicht des „Clash of Civilizations“ Eingang in das allgemeine Bewusstsein gefunden hat.
Einige Zeit hatte sich die Regierung von George W. Bush als Beförderer der arabisch-islamischen Demokratie geriert – aber nur sehr kurz. Bald waren wieder die alten Tyrannen, Kleptokraten und Militärmachthaber in den mittelöstlichen Ländern die „verlässlichen Freunde“ Washingtons, die man mit Liberalisierungs- und Freiheitsrhetorik nicht mehr belästigen wollte. Offensichtlich setzte sich in der amerikanischen Regierung bald – nicht zuletzt nach dem Wahlsieg der Hamas in Palästina – die Ansicht durch: Demokratie in diesen Breiten wäre gefährlich, dadurch würden nur die fundamentalistischen Berserker die Oberhand gewinnen.

Dass das nicht so sein muss, zeigt nun Pakistan. Garantien gibt es freilich nicht, dass bei freien Wahlen in anderen islamisch geprägten Ländern – im Unterschied zu Pakistan – nicht doch Allahs radikale Kämpfer an die Macht kommen. Hätten die Islamisten eine Mehrheit, wenn die Ägypter ungehindert ihre Stimme abgeben könnten? Was passiert auf der arabischen Halbinsel, sollte sich dort die Demokratie durchsetzen? Wir wissen es nicht. Klar ist aber, dass die jeweiligen Autokraten das Argument der islamistischen Gefahr zur Stabilisierung ihrer diktatorischen Herrschaft verwenden – im Westen, wie man sieht, mit einigem Erfolg. Und es gibt ein warnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Prozess der Demokratisierung aus Angst vor fundamentalistischen Majoritäten gestoppt wird: In Algerien wurde Anfang der neunziger Jahre eine Wahl unter dem Applaus des Westens abgebrochen, als sich zeigte, dass eine islamistische Partei die Mehrheit erringen würde – mit der Konsequenz, dass der Islamismus sich radikalisierte und in einem jahrelangen Krieg des Militärs gegen die terroristischen Fundis über 100.000 Algerier ihr Leben ließen.

Man mag nun mit Skepsis in die Zukunft Pakistans blicken. Noch sitzt Musharraf im Präsidentenpalast. Er will ihn auch nicht verlassen. In diesem Bestreben unterstützt ihn Washington. Und die zwei nun siegreichen Parteien waren beide schon in der Vergangenheit an der Macht. Sie haben sich als überaus unfähig und korrupt erwiesen. Dennoch ist den Pakistanis zu gratulieren, dass sie entschlossen und mutig sowohl dem Militärmachthaber als auch den Islamisten eine schwere Abfuhr erteilt haben.