Die Schwierigkeit der richtigen Worte

Die Schwierigkeit der richtigen Worte: Heinz Fischers Staatsbesuch in Israel

Heinz Fischers Staats- besuch in Israel

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Shimon Peres sprach frei, jedenfalls zu Anfang. Deutlich vom vorgelegten Redekonzept sei das israelische Staatsoberhaupt abgewichen, berichtet ein Mitglied des diplomatischen Korps. Plötzlich seien da nicht jüdische Österreicher wie Karl Popper im Mittelpunkt gestanden, sondern vielmehr der Kaiser Franz Joseph. Nach rund drei Minuten habe ein atemloser Mitarbeiter Peres einige Blatt frisch ausgedruckten Papiers in die Hand gedrückt. Ab da ging es präzise vom Blatt gelesen und daher auch in der erwarteten Version weiter.

Ein Malheur, wie es Peres am Montag der vergangenen Woche bei einem Staatsbankett für Heinz Fischer unterlief, kommt allenthalben vor: eine vergessene Unterlage für eine Rede; noch schlimmer: das falsche Manuskript. So soll der österreichische Bundespräsident seinem Amtskollegen auch gleich feixend erzählt haben, dass ihm Ähnliches vor zwei Jahren zugestoßen war. Beim Staatsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Wien habe er irrtümlich eine veraltete Version der Tischrede in Händen gehalten.

„Es gilt das gesprochene Wort.“ Dieser Satz auf den Vorabexemplaren wichtiger Politikerreden ist nicht nur ein Hinweis auf mögliche Abweichungen von den vorbereiteten Gedanken des Autors. Das gesprochene Wort ist vielmehr das Zentrum der Tätigkeit jedes Politikers, wenn er sich in offizieller Mission im Ausland befindet oder wenn er den Gastgeber für internationale Besucher gibt. Es sind nicht die Verträge, die unterzeichnet werden, da ohnehin stets lange zuvor ausverhandelt, nicht die Begegnungen mit dem jeweils gemeinen Volk, auch nicht das individuelle Programm der begleitenden Damen oder Delegationen. Was bei der Auslandsreise alleine noch zählt, sind die Feinheiten der Rede, denn nur diese können das bis ins Detail durchgeplante Protokoll spontan durchbrechen.

Wenn das bei einer der vielen Reisen des Bundespräsidenten besonders gegolten hat, dann bei seinem Besuch in Israel und den palästinensischen Gebieten in der dritten Dezemberwoche. Unvergleichlich heikler waren da die Fallstricke der Geschichte gespannt als zuvor zum Beispiel in Südamerika, in Schwarzafrika, Indien, der Türkei oder gar in Südkorea. Israel, das ist für Österreich Holocaust und Haider, aber auch der Nahostkonflikt und Kreisky.

Allein die Tischrede von Shimon Peres enthielt all den Zunder und zugleich das Löschwasser, die Österreichs Verhältnis zu Israel und zum gesamten Nahen Osten bestimmen können. Peres, der diesen bilateralen Balanceakt über Jahrzehnte aus verschiedenen Positionen beeinflusst hat, griff beide Probleme auf, das eine spektakulär, das andere subtil.

Überraschend war die Neubewertung von Bruno Kreisky. „Die größte Meinungsverschiedenheit trennte mich von Kreisky, dem österreichischen Kanzler jüdischer Herkunft“, sagte Peres. „Heftige Auseinandersetzungen brachen zwischen uns aus. Wenn ich jetzt allerdings an die Vergangenheit denke, sehr geehrter Herr Bundespräsident, muss ich das Gleichgewicht wiederherstellen.“ Und das begründete er so: „Kreisky griff die israelische Politik ständig an. Eines Tages fragte ich ihn, wie es möglich sei, dass er uns einerseits ständig behilflich war und uns andererseits auf so harsche Art und Weise kritisiere.“ Kreisky habe gelächelt und gesagt, „dass, wenn er uns nicht angriffe, er wohl kaum in der Lage wäre, uns zu helfen“.

Dies war nun wirklich eine „Wiederherstellung des Gleichgewichts“ gegenüber jenem österreichischen Bundeskanzler, der gegen den wütenden Widerstand von Peres und Israel Jassir Arafat und die PLO hoffähig machen wollte, der sich in einen allzu aggressiven Streit mit Simon Wiesenthal begeben hatte, der mit dem Waffen-SS-Offizier Friedrich Peter kollaborierte und ehemalige Nazis zu Ministern machte. In diesem Licht war die Rede des israelischen Präsidenten der historisch entscheidende Moment jenes Staatsbesuchs.

Wie reagierte Heinz Fischer auf den großen Schritt Israels in Richtung Österreich, auf diese persönliche Geste gegenüber dem österreichischen Staatsoberhaupt, das ja „damals mit Bruno Kreisky arbeitete“, wie Peres eigens erwähnte? Die Diplomatie im Umgang mit dem Nahostkonflikt im Rahmen eines Staatsbesuchs beginnt schon bei den Presseunterlagen. So werden zwei individuelle Mappen ausgehändigt, eine über den „Staat Israel“, die andere über die „Palästinensischen Gebiete“. In dieser Form wird subtil auf die Möglichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung hingewiesen, wiewohl die Israel-Information mit „Staatsbesuch“ übertitelt ist, die andere hingegen bloß mit „Besuch“. Ein kleiner Fehler im Umgang mit Worten und Symbolen könnte schnell große Spannungen heraufbeschwören.

In der schriftlichen Version der Antwortrede von Fischer auf Peres kommt der Name Kreisky nicht vor. Dort erschöpft sich die Beschreibung der österreichischen Position zum Nahostkonflikt in Bekanntem, also etwa in der „Hoffnung auf entscheidende Schritte in Richtung einer Zwei-Staaten-Lösung“. Die härteste Formulierung, die sich findet, ist die „Zurückweisung jeder Drohung gegen die Existenz des Staates Israel“. In der Realität hatte Fischer die Bedeutung der Worte über Kreisky aber wohl erkannt und, abweichend vom geplanten Text, nahm er zu Beginn seiner Replik kurz darauf Bezug. Mehr ist bei einem derart heiklen Thema in freier Rede eines Bundespräsidenten wohl auch nicht sinnvoll.

Nachhaltig erschließt sich allerdings nicht, warum Kreisky für Fischer auch im weiteren Verlauf der Reise ein Nebenstrang der Handlung blieb, wo dessen Persönlichkeit für den Außenstehenden doch als die historisch entscheidende Verbindung der beiden Staaten in der jüngeren Geschichte erscheint. In einem Pressebriefing etwa erwähnte der Bundespräsident eher kursorisch, was Peres formuliert hatte – und vor allem unvollständig: „Peres ist in der Tischrede durchaus kritisch mit Österreich und mit Kreisky umgegangen. Er bedankte sich für die Rolle Österreichs im Verhältnis Israels zu seinen Nachbarn.“ Und auch nach dem Gespräch zwischen Fischer und Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, kam Kreisky erst auf Nachfrage von profil in die Ziehung. Fischer: „Kreisky ist hier nach wie vor ein Asset. Bei Abbas ist er das uneingeschränkt, anders als bei Peres, der balanciert abgewogen hat.“ Bei Ari Rath, dem ehemaligen wie legendären Chefredakteur der „Jerusalem Post“ – durchaus ein Freund Österreichs –, führte der Peres-Vorstoß zu leiser Kritik am Bundespräsidenten. Er ist ratlos über dessen Äußerungen zum Nahostkonflikt: „Peres ist Fischer mit der Neubewertung Kreiskys derartig entgegengekommen. Da wären eindeutigere Positionierungen Österreichs angebracht gewesen.“

Freilich: Eine Neupositionierung der österreichischen Außenpolitik oder auch nur ein einschlägiger diplomatischer Vorstoß durch den Bundespräsidenten entspräche nicht der Rolle, die ihm die Bundesverfassung zugewiesen hat. Doch Ari Raths kritische Nachdenklichkeit nährt sich vor allem aus dem anderen komplexen Problem dieses Staatsbesuchs. Shimon Peres’ Tischrede enthielt eben auch jene andere Verbindung seines Landes zu Österreich, wiewohl wesentlich subtiler verpackt. Mittendrin hieß es da: „Verehrter Bundespräsident! Ich bin glücklich, feststellen zu können, dass die Beziehungen zwischen dem Staat Israel und der Republik Österreich, insbesondere in den letzten beiden Jahren, sich positiv angenähert haben.“

„In den letzten beiden Jahren.“ Das sind fünf Worte, in denen die Beteiligung Österreichs am Holocaust verpackt ist, ebenso wie der Umgang der Republik mit dieser Vergangenheit. „In den letzten beiden Jahren“ heißt nämlich nicht weniger, als dass die Beziehungen in den sechs Jahren davor schwer belastet waren, und zwar durch den Tabubruch des Jahres 2000, durch die Regierungsbeteiligung von FPÖ und BZÖ.

Wie stellt sich Heinz Fischer dieser im Lob verpackten Kritik Israels, dieser „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ der von ihm vertretenen Republik, wie es ein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde ironisch nennt? Die Kritik kommt nicht unvorhergesehen, und im Grunde ist Heinz Fischer mit seiner schnurgeraden Vita genau der Richtige, um diese abzufedern. Er tut dies, indem er sie aufnimmt. Zu Peres sagt er: „Wir wissen, wie unfassbar und unermesslich die Verbrechen des Holocaust waren. Die heutige Generation spricht es deutlich aus, dass Österreicher nicht nur Opfer, sondern auch Täter während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur waren.“ Es gebe eine gemeinsame Verantwortung im politischen und moralischen Sinn, der sich Österreich stelle. Noch deutlicher wird Fischer in einer Rede an der Universität Tel Aviv: „Insgesamt hatten allzu viele Österreicher während der NS-Zeit eine schreckliche und unverzeihliche Rolle gespielt.“

Vielleicht prägt er hier sogar einen Satz, der die Zeit überdauern wird, als er über belastete Österreicher spricht, die nach 1945 versucht hätten, „den Nationalsozialismus als eine Art höhere Gewalt darzustellen, die über das Land wie ein Naturereignis, dem man nichts entgegensetzen konnte, hereingebrochen ist“. Hier an der Universität wird Fischer berührend persönlich, als er über die Familie seiner Frau Margit spricht: „Auch mein Schwiegervater wurde 1938 in das KZ Dachau verschleppt.“ Das war alles sehr gelungen. Die richtigen Worte am richtigen Ort, ohne die Grenzen des Amtes zu überschreiten; nicht weniger deutlich als Franz Vranitzky 1993 bei einer Rede in Israel, vielleicht sogar einen Hauch intensiver.

Und dennoch muss auch über ein kleines Scheitern berichtet werden, ein Scheitern am Österreich des Jahres 2008. Im Tel-Aviv-Museum hatten sich am Dienstag der vergangenen Woche gut 600 aus Österreich geflüchtete oder emigrierte Juden eingefunden, gebrechliche Gestalten, gefurchte Gesichter, die unendliche Summe von Schicksalen. Deren Sprecher Gideon Eckhaus beklagte in seiner Rede die aktuelle politische Entwicklung: „Wie kann es kommen, dass 30 Prozent der Österreicher Rechtsradikale wählen? Wie kann es sein, dass der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf aus der schlagenden Verbindung Olympia kommt?“

Darauf muss Heinz Fischer nun replizieren, und er tut es, indem er den vorbereiteten Text weglegt und improvisiert. Jemand, so Fischer, der in Österreich heute antisemitische Worte verwendet, müsse mit massiver Ablehnung rechnen. Und Martin Graf habe sich in einer veröffentlichten Erklärung von den NS-Verbrechen distanziert. Das klang bei den Zuhörern dann doch zu sehr nach einer Exkulpierung jener 30 Prozent und des Dritten Nationalratspräsidenten. Noch einmal Ari Rath: „Leider hat der Bundespräsident eine gute Gelegenheit versäumt, deutliche Worte über die Situation in Österreich zu finden.“ Da verlangt der Publizist vermutlich zu viel vom obersten Repräsentanten des Staates Österreich. Aber hätte Heinz Fischer die Worte des Gideon Eckhaus nicht einfach stehen lassen sollen?

Von Christian Rainer