Peter Michael Lingens

Die entzauberte Supermacht

Die entzauberte Supermacht

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Am selben Tag, an dem CNN das 700-Milliarden-Dollar-Rettungsprogramm der USA für ihre Banken verkündete, musste der Sender auch den Bombenanschlag auf das Marriott-Hotel in Islamabad melden, der einmal mehr demonstriert, wie erfolglos der „Krieg gegen den Terror“ in dieser Region verläuft. Die „einzige verbliebene Supermacht der Welt“ – wie sie seit der „Wende“ genannt wird – bietet zurzeit folgendes Bild: Die Wirtschaft geht einer schweren Rezession entgegen. Die traditionelle Industrie ist veraltet. Produktionsanlagen und Transportwesen sind dem gestiegenen Ölpreis so hilflos ausgeliefert wie kleine Hausbesitzer und Autofahrer. Internationale Reputation und Rechtsstaat wurden in Guantánamo zu Grabe getragen, die nationale Freiheit durch überschießende Antiterrorgesetze eingeschränkt. Weder im Irak noch in Afghanistan oder in Pakistan ist Frieden in Sicht. Die US-Armee kann zwar blitzartig jeden Krieg gewinnen, aber sie kann keinen Frieden durchsetzen. So wie einst in Mittelamerika die Guerilleros ziehen sich die Terroristen nach ihren Anschlägen sofort zurück und tauchen in einer teils sympathisierenden, teils eingeschüchterten Bevölkerung unter. US-Soldaten, die in fremden Ländern gegen unsichtbare Feinde kämpfen, werden sich niemals dauerhaft gegen Kämpfer durchsetzen, die jeden Felsen kennen und glauben, dass der Heldentod sie rascher ins Paradies bringt.

So müssen die unter diesen Voraussetzungen unverzichtbaren Lufteinsätze zwingend dazu führen, dass sich die Bevölkerung langsam, aber sicher von den USA abwendet, denn es ist unausweichlich, dass mehr unschuldige Bauern als Terroristen getroffen werden. Nicht dass es unmoralisch gewesen wäre, Krieg gegen die Taliban zu führen, aber es erweist sich, ähnlich wie in Vietnam, als unmöglich, ihn zu gewinnen. In Pakistan ist auch die moralische Legitimation fraglich: Zwar konnte man anfangs vielleicht glauben, in Musharraf einen zwar autoritären, aber doch halbwegs vernünftigen General mit US-Waffen und Geld erfolgreich gegen wahnsinnige Koranschüler zu stärken – aber dieser Glaube hätte spätestens verfliegen müssen, als man sah, wie wenig von dem Geld bei der Bevölkerung angekommen ist. Die US-These, dass man, wenn man die Wahl zwischen zwei autoritären Regimen hat, im Zweifel das prowestliche unterstützen soll, klingt vernünftig, hat aber ihre Tücken: Wenn ein solches Regime untergeht – und das abermals korrupte gegenwärtige Regime Pakistans wird untergehen –, verliert der Westen mit ihm. Deshalb frage ich mich manchmal, ob Jimmy Carters „naive“ Doktrin, sich grundsätzlich nicht mit üblen Regimen einzulassen, nicht die letztlich bessere war. Und vor allem die wesentlich billigere: Die US-Militärausgaben für Kriege gegen Feinde und Hilfe für „Freunde“ machen die halbe Finanzkrise aus.
Hintergrund ist immer wieder Öl: im konkreten Fall die Pipeline, die Öl aus dem Kaspischen Raum zu uns befördern soll. Die USA glauben, dass Länder, durch die Pipelines führen oder in denen gar Öl gewonnen wird, von „Freunden“ regiert werden müssen. Ich frage mich, ob man Öl nicht letztlich billiger einkauft, wenn man auf diese Freunde verzichtet und bloß versucht, sich weniger „Feinde“ zu machen. Denn nicht nur wir brauchen das Öl islamischer Länder – auch sie brauchen unser Geld und werden uns das Öl verkaufen, sofern wir uns weniger in ihre Angelegenheiten mengen. Nicht dass das Einmengen immer unmoralisch wäre – aber es funktioniert nicht.

Dass die Amerikaner diese Frage nicht etwas gelassener sehen können, liegt an ihrem wahnwitzigen Energieverbrauch. Während die hohen Energiekosten in Europa dazu geführt haben, Gebäude zu isolieren und effiziente Maschinen zu konstruieren, haben die niedrigen Energiekosten in den USA zum Gegenteil geführt. Das verschärft die gegenwärtige Finanzkrise dramatisch: Die USA stehen vor der gigantischen Aufgabe, ihre gesamte Volkswirtschaft blitzartig in Richtung Energieeffizienz umzustrukturieren. Sie sind es, die dringend „ihre Hausaufgaben machen“ müssen. Verschwenderischer Umgang mit Energie und billige Arbeitskräfte erlauben rückständige Produktionsanlagen. Das entpuppt sich als weiteres gravierendes US-Handicap: Ihre Anlagen für traditionelle Produktion sind veraltet. Vor allem deshalb gab es ein solches „Beschäftigungswunder“: Jedes Prozent Wirtschaftswachstum setzte sich in Beschäftigungswachstum um, während etwa in Deutschland nur die Roboter eine größere Auslastung erfuhren.

Die USA stehen also auch vor der „Hausaufgabe“ der Modernisierung ihrer traditionellen Industrie, seit die nicht mehr durch einen Boom auf Pump ausgelastet werden kann. Auch der viel gerühmte „weit größere Dienstleistungssektor“ , den die USA der EU scheinbar voraushaben, wird gewaltig schrumpfen: Ein Großteil davon waren Finanzdienstleistungen à la Lehman Brothers. Europa macht es in der Wirtschaft seit Jahrzehnten besser, nicht schlechter als die USA. Allerdings haben die Amerikaner ein ungeheures Talent, eine einmal erkannte Schwäche zu überwinden: Sie werden ihre Industrie erstaunlich schnell modernisieren, ihr Transportwesen reformieren, ihr Finanzwesen restrukturieren und ihre Häuser isolieren. Am Ende werden sie gestärkt aus der gegenwärtigen Krise hervorgehen – aber „erstaunlich schnell“ kann Jahre heißen.