Die Traum-Tänzerin

Die Traum-Tänzerin

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Als bekannt wurde, Marika Rökk sei am Sonntag, den 16. Mai, in Baden bei Wien gestorben, verblüffte am meisten, dass sie erst 90 Jahre alt war.

Denn ihre Unverwüstlichkeit hatte sie seit gut vierzig Jahren zu ihrem Markenzeichen gemacht, in einem Alter, in dem andere Schauspielerinnen und Sängerinnen bequem ins Charakterfach umsteigen. Doch die stupende Tänzerin brauchte ihren begnadeten Körper, um im Showbiz zu bleiben, souveräner Hintergrund war ihre Position nie; sie hatte sich stets rein- und vorgedrängt, sie galt in der Traumfabrik UFA des Dritten Reichs als „Kolleginnen-Fresserin“. Die 120-prozentige Ungarin, die auf Wunsch des Propaganda-Ministers Joseph Goebbels zusammen mit dem Holländer Johannes Heesters die pseudo-kosmopolitische Nazi-Antwort auf das US-Filmpaar Ginger Rogers und Fred Astaire sein sollte, graulte den späteren „Danilo“ aus den Studioseparees: „Ich muss atmen“, keuchte er, „ich drehe keinen Rökk-Film mehr.“

Sie war kokett („Leute wollen lachen, Puzikam“) und grell (ihre Filmseufzer erinnerten daran, dass sie große Bühnensäle gewohnt war) und präsent bis zur Perfektion: Wenn andere drei Stunden tanzen übten, übte sie fünf und ging danach in den Gesangsunterricht; sie erkannte sich als „eine Tänzerin, die die Frechheit besitzt, auch noch zu singen“.

Sie steppte im Land des Stechschritts die Nation in deren düsterster Epoche traumtänzerisch in die Idyllen ihrer Operettenfilme. Sie war keine ätherische Garbo, keine verruchte Dietrich, sie war das verlässliche Schwungrad. Es hat die Parade-Pfundsfrau, mit der die UFA Herzen stehlen konnte, zutiefst getroffen, dass nicht sie zu dem deutschen Filmstar aufgebaut wurde, sondern der schwedische Import Zarah Leander. Ohne sich auf die Verhasste zu beziehen, die noch eindringlicher wusste, dass einmal ein Wunder geschehen würde, konzedierte sie in ihren Memoiren („Herz mit Paprika“): „Ich brauche Menschen, die nicht widerfunkeln, wenn ich funkle.“

Immerhin brauchte sie die Gunst der bösen Stunde. Denn wohl war die in Kairo geborene Tochter eines Budapester Architekten, der verarmte, als sie dreizehn war, im Turnen und Tanzen trefflichst unterrichtet; wohl war sie in der Pariser „Moulin Rouge“ als Mitglied der „Hoffmann Girls“, danach mit ihnen am Broadway und auf einer USA-Tournee um 60 Dollar pro Woche aufgetreten; wohl konnte sie reiten und auf dem Trapez schwingen, was ihr in der Wiener Zirkus-Revue „Stern der Manege“ Erfolg und einen UFA-Vertrag einbrachte.

Aber in Berlin wurde ihr Gewicht für zu groß, ihre Deutschkenntnis für zu klein gehalten, und nur weil nach Hitlers Machtergreifung so viel künstlerisches Personal geflohen oder mit Berufsverbot belegt war, wurde sie 1934 zur noch konkurrenzlosen Ikone. 1940 heiratete sie ihren Regisseur Georg Jacoby, der zielsicher ihr „Temperament“ vermarktete. 1944 kam ihre Tochter Gaby zur Welt, die später Schauspielerin wurde, zu deren eigenständiger Persönlichkeit die Mutter kein inniges Verhältnis fand.

Marika Rökks herzeigbare Welt war kapriziös, doch monogam keusch; sie hatte den richtigen Augenaufschlag zur rechten Zeit, sie durfte im ersten UFA-Farbfilm (Agfacolor) bunt beweisen: „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ (1941), als schwarz auf weiß nur von Krieg berichtet wurde; und sie war, sagte sie, ihr Lebtag lang apolitisch („Ich wähle nie“).

Sie konnte gar nicht begreifen, warum die USA ihr und ihrem Mann nach dem Krieg Berufsverbot erteilten (sie allerdings vor US-Soldaten tanzen ließen), denn „ich war doch immer viel zu beschäftigt, um mich um Politik zu kümmern“. Tatsächlich erinnerte sie sich an ihren Führer so: „Zu mir sagte er: ‚Was, kleine Frau, können Sie eigentlich nicht?‘ Ich platzte heraus: ‚Deutsch, Herr Hitler!‘ Alle lachten, er am lautesten. ‚Was glauben Sie, wie viel Deutsche kein richtiges Deutsch können?‘, fragte er. Dann ging er.“

Tja, so war er, immer für einen Scherz gut. 1947 wurden die Rökk und ihr Mann von einem Ehrengericht der österreichischen Schauspielervereinigung freigesprochen, und sie machte, wie der deutsche Film, exakt da weiter, wo sie vor dem politischen Ende aufgehört hatte. Doch das Paprikahendl schmeckte aufgewärmt. Als sie sich 1950 erstmals in einem Film dem Alltag stellte („Das Kind an der Donau“), scheiterte sie folgerichtig. Nach Jacobys Tod lebte sie mit dem Pianisten Theo Neuhaus, dann in zweiter Ehe mit ihrem Manager Fred Raul bis zu dessen Tod 1985 zusammen.

Seit 1961 erstaunte sie ein jüngeres Theater- und TV-Publikum als eiserne Oma in Operetten und dem Musical „Hello, Dolly“. In einem Film spielte sie sowohl die brave als auch die böse Zwillingsschwester („Kora Terry“, 1940); natürlich obsiegte die brave Mara, doch als lasziver Vamp Kora zeigte sie ein einziges Mal, dass Frauen mehr ausmachen kann als lange Beine. Ironischerweise hätte sie womöglich die interessantere Karriere gemacht, wäre sie dem Tonfall ihres ersten Films gefolgt: „Kiss me, Sergeant.“