„Die Türkei ist ein asiatisches Land“

CDU-Politiker Wolfgang Schäuble im Interview

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profil: Laut einer Umfrage sprechen sich nur zehn Prozent der Deutschen für eine Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush aus. Zählen Sie sich zu dieser Minderheit?
Schäuble: Ich finde, wir sind immer klug beraten, wenn wir jedes Land seine Wahlen selbst durchführen lassen. Wir haben aber ein großes Interesse daran, mit jedem, der vom amerikanischen Volk zum Präsidenten gewählt wird, eng zusammenzuarbeiten. Im Übrigen sagen viele, dass ein Präsident Kerry die deutsche Politik stärker unter Druck setzen würde, Dinge zu tun, die die deutsche Regierung bisher abgelehnt hat.
profil: Etwa Soldaten in den Irak zu entsenden?
Schäuble: Zum Beispiel.
profil: Während der vierjährigen Amtszeit von Präsident Bush hat sich zwischen den USA und Europa ein tiefer Graben aufgetan. Wo liegt der Fehler?
Schäuble: Nicht nur auf einer Seite des Atlantiks. Meine Aufgabe ist es, mich vor allem mit der deutschen Politik zu beschäftigen. Wir hatten leider eine deutsche Bundesregierung, die in einer entscheidenden Phase vor dem Irak-Krieg erklärte, was immer der Sicherheitsrat der UN beschließt, Deutschland werde sich nicht daran beteiligen. Das trug nicht dazu bei, diejenigen in den USA zu ermutigen, die sich dem Sicherheitsrat anvertrauen wollten. Da zeigte die deutsche Regierung einen Mangel an Respekt gegenüber den Vereinten Nationen.
profil: Der Mangel an Respekt gegenüber den Vereinten Nationen ist wohl nirgendwo größer als bei den amerikanischen Republikanern. Auf deren Parteitag gossen Redner Spott und Hohn über die UN. Was halten Sie davon?
Schäuble: Das zeigt, dass die Schwächung der UN, zu der die deutsche Politik leider beigetragen hat, schlimme Folgen hat. Ich halte das für ganz falsch.
profil: Stimmen Sie UN-Generalsekretär Kofi Annan zu, der zuletzt gesagt hat, der Krieg gegen den Irak sei illegal gewesen?
Schäuble: Kofi Annan hat gesagt, es war falsch, dass nicht eine Entscheidung des Weltsicherheitsrats maßgeblich war. Die CDU hat immer gesagt, es sollte nur aufgrund von Entscheidungen des Weltsicherheitsrates gehandelt werden, und dass es nicht zu einer Entscheidung gekommen ist, war nicht nur der Fehler der Amerikaner.
profil: Der Weltsicherheitsrat hat durchaus entschieden – nämlich, dass es keinen hinreichenden Grund gab, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen. Damit hatte er rückblickend wohl Recht.
Schäuble: Er entschied: „noch nicht“. Und danach war er blockiert.
profil: Wenn Sie sich an die legendäre Sitzung des Sicherheitsrates erinnern, in der US-Außenminister Colin Powell die Beweise für die Massenvernichtungswaffen des Irak vorlegte – fühlen Sie sich nachträglich getäuscht?
Schäuble: Offensichtlich haben Informationen nicht gestimmt. Powell selbst hat das ja inzwischen gesagt. Es haben sich offenbar alle getäuscht, auch unsere Nachrichtenquellen.
profil: Was nun bleibt, ist ein schwerer Schaden am multilateralen System.
Schäuble: Deshalb stimme ich UN-Generalsekretär Annan zu, wenn er sagt, alle müssen sich im Inland und in den internationalen Beziehungen an Recht und Gesetz halten, gerade auch die USA, die große Führungsmacht der Welt.
profil: Ist da eine US-Militärdoktrin, die Präventivkriege beinhaltet, nicht fatal?
Schäuble: Die Debatte darüber, wie wir das Völkerrecht weiterentwickeln müssen angesichts neuer Gefahren durch Massenvernichtungswaffen, zerfallende staatliche Autoritäten und internationalen Terror, ist absolut legitim.
profil: Wenn Sie eine Bilanz des Kriegs gegen den Terror ziehen, der Hauptaktivität von Bushs erster Amtszeit: Wie fällt diese aus?
Schäuble: Zwiespältig. Aber wir haben im Kampf gegen den Terrorismus Erfolge erzielt. Das Taliban-Regime ist beseitigt. Die Möglichkeit, in Afghanistan Terroristen auszubilden, ist reduziert. Wir haben im Irak das verbrecherische Regime von Saddam Hussein nicht mehr …
profil: Sehen Sie da einen Zusammenhang mit dem Terrorismus?
Schäuble: Ja, sicher. Das muss ja kein direkter Zusammenhang mit al-Qa’ida sein. Wir haben weiters positive Entwicklungen in Libyen. Und zum Positiven gehört, dass die Entschlossenheit in der zivilisierten Völkergemeinschaft groß ist, den Terrorismus ernst zu nehmen und mit allen Mitteln zu bekämpfen, nicht nur mit militärischen.
profil: Ein Merkmal des Kriegs gegen den Terror ist doch, dass Regierungen für jeden Anschlag internationale Terroristen verantwortlich machen und davon absehen, dass es in vielen Fällen um regionale Konflikte geht.
Schäuble: Eine der Entwicklungen scheint zu sein, dass der islamistische Terrorismus zunehmend versucht, regionale Konflikte auszunutzen in seinem Kampf für eine andere Weltordnung oder was immer die Ziele dieser Verbrecher sind. Ganz offensichtlich entsteht aus regionalen Konflikten eine immer gefährlichere Mischung.
profil: Nun gibt es mit der Türkei ein islamisches Land, das in die EU möchte, und viele sehen das als eine Chance zu zeigen, dass der Islam europäischen Werten nicht entgegenstehen muss. Die CDU sieht das anders. Warum?
Schäuble: Das Miteinander zwischen der islamischen Welt und Europa und anderen Teilen der Welt kann nicht dadurch gelöst werden, dass alle sozusagen „guten“ islamischen Länder nach Europa kommen. Da müssten wir ja dringend Indonesien in die EU aufnehmen.
profil: Es geht nicht um die „guten“ islamischen Länder, sondern um ein „gutes“ europäisch-islamisches Land.
Schäuble: Moment, da sind wir bei der entscheidenden Frage: Was ist ein europäisches Land? Bosnien-Herzegowina ist ganz sicher ein europäisches Land mit einer starken islamischen Komponente. Die Türkei ist zum allergrößten Teil ein asiatisches Land. Unsere Überzeugung ist, dass wir das Ziel einer politischen Einigung Europas nicht erreichen, wenn wir die Grenzen des Kontinents weit überschreiten.
profil: Es ist also ein rein geografisches Problem?
Schäuble: Die Aufgabe besteht darin, mit der EU eine wirkliche politische Union zu schaffen, die die Menschen erreicht. Sie müssen sich mit einer solchen Identität verbunden fühlen können. Die Türkei ist so etwas wie eine Brücke zur islamischen Welt. Aber eine Brücke gehört nicht nur zu einer der beiden Seiten.
profil: Wie es aussieht, kann die Mehrheit der europäischen Regierungen sich durchaus vorstellen, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Und plötzlich bemängeln Christdemokraten, dass der Ehebruch in der Türkei unter Strafe gestellt werden soll – ein Tatbestand, den christliche Politiker in Europa mit Zähnen und Klauen verteidigt haben, solange es ging.
Schäuble: Wenn ich mich richtig erinnere, war es EU-Kommissar Günter Verheugen, also kein Christdemokrat, der gesagt hat, angesichts eines solchen Gesetzes könne es keine Verhandlungen mit der Türkei geben.
profil: Kennen wir in Europa das Problem nicht allzu gut, dass eine Religion versucht, überkommene Traditionen fortzuschreiben – mit dem kleinen Unterschied, dass es sich bei uns um das Christentum handelt?
Schäuble: Wir haben uns in Jahrhunderten die Einsicht erworben, dass man Geistliches und Weltliches voneinander trennen muss. Das hat auch viel mit der christlichen Religion zu tun. Wer religiöse Überzeugung zum weltlichen Recht machen will, landet im Fundamentalismus. Und der ist im Christentum so falsch wie im Islam, aber im Christentum haben wir die Aufklärung schon hinter uns, und der Islam muss die noch weit gehend leisten. Wir sind da in Europa schon weiter, und deswegen werben wir dafür, auch in der Türkei, dass man nicht hinter das zurückfällt, was Atatürk erreicht hat. Deshalb ist ja die Türkei ein modernes Land, weil sie Staat und Religion getrennt hat.
profil: Mit Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, hat die Europäisierung begonnen. Zeigt das nicht, dass sich die Türkei auch politisch und kulturell zusehends zu einem europäischen Land entwickelt?
Schäuble: Da handelt es sich um eine missverständliche Verwendung des Begriffs „Europäisierung“. Denn so gesehen, wäre auch Australien ein europäisches Land. Gemeint sind europäische Werte, nicht Europa.
profil: Wir sagen also den Türken: Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass der Großteil eures Staatsgebietes doch in Asien liegt, tut uns leid?
Schäuble: Es wurde immer gesagt, dass die Entscheidung, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei begonnen werden, noch nicht getroffen worden ist – auch 1999, in der Erklärung des Gipfels in Helsinki. Wenn also tatsächlich Verhandlungen beginnen sollten, muss man auch darüber reden, welche Form der Partnerschaft die beste ist. Unsere Position ist, dass eine privilegierte Partnerschaft die beste Option ist.
profil: Das hat man der Türkei damals aber nicht gesagt: dass es bloß um eine privilegierte Partnerschaft geht und nicht um eine Vollmitgliedschaft.
Schäuble: Das ist schon wahr, deshalb muss man es jetzt sagen. Da ist 1999 ein Fehler gemacht worden. Aber genau das spricht ja dafür, es wenigstens jetzt zu sagen, sonst wird man in ein paar Jahren wieder von einem profil-Redakteur den Vorhalt bekommen, warum man es nicht damals schon gesagt hat. Ich glaube auch, dass die Menschen das in Österreich ähnlich sehen. Meine Vermutung ist, dass auch die meisten Regierungen der Position der CDU/CSU viel näher stünden, wenn sie ehrlich wären. Wir haben es da mit einem Fall von Political Correctness zu tun, wo man etwas nur sagt, weil man sich nicht traut, die Wahrheit zu sagen.
profil: In der CDU hört man seit den massiven Stimmenverlusten bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen den Satz: „Es darf keine Personaldiskussion geben.“ Traditionell ist das der Startschuss zu einer Personaldiskussion.
Schäuble: Nach Wahlen gibt es immer Debatten, dafür haben wir ja eine breite Medienlandschaft. Aber im Osten herrscht viel Unzufriedenheit, Verunsicherung, Protest, und all das hat sich auch gegen uns gerichtet, weil wir den Reformprozess der Regierung grundsätzlich unterstützen. Das ist tragisch für unsere Freunde in den Bundesländern, aber kein Anlass für eine Personaldebatte.
profil: Das letzte profil-Interview mit Ihnen führten wir vor der Bundestagswahl 1998. Damals sagten Sie sehr selbstbe-wusst: „Wir werden gewinnen!“ Würden Sie diese Prognose noch einmal wagen?
Schäuble: Wir haben in Deutschland genug Probleme. Würde ich mich jetzt mit der Wahl in zwei Jahren beschäftigen, bekämen die Menschen den Eindruck, dass das Einzige, was in den Köpfen der Politiker vorgeht, die jeweils nächsten Wahlen seien.