Justizskandal: Internationale Solidarität mit profil

Die strafrechtliche Verfolgung zweier profil-Redakteure löst europaweit Empörung aus

Medien. Die strafrechtliche Verfolgung zweier profil-Redakteure löst europaweit Empörung aus

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Jetzt ist es also amtlich: „Bezugnehmend auf Ihre Anfrage teile ich Ihnen mit, dass infolge Überlastung in der Urlaubsvertretung irrtümlich der Polizei angeordnet wurde, Ihre Mandanten als Beschuldigte im Rechtshilfeverfahren zu vernehmen. Die Rechtshilfe wird abgelehnt und die aufgenommenen Protokolle werden vernichtet.“ Dies ist der Wortlaut eines mit 29. September 2010 datierten Schreibens, das die Staatsanwaltschaft Wien profil-Anwalt Hubert Simon übermittelte.

Wie ausführlich berichtet, mussten die profil-Redakteure Ulla Schmid und Michael Nikbakhsh, Mitautoren dieses Beitrags, Mitte September beim Landeskriminalamt Wien als Beschuldigte vorstellig werden. Wegen eines strafrechtlichen Delikts, das in Österreich gar nicht existiert, folglich hier auch nicht geahndet werden kann: das Zitieren aus Gerichtsakten.

Nachdem dieser Justizskandal publik wurde, gingen auch jenseits der Grenzen die Wogen hoch. profil erhielt Solidaritätsadressen von ausländischen Kollegen (siehe Zitate-Kasten), darunter der Chefredakteur des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, Georg Mascolo: „Das Vorgehen der deutschen Staatsanwaltschaft gegen die profil-Redakteure ist nicht akzeptabel. Wenn Journalisten stets alle Rechtsnormen jener Länder beachten müssten, in denen ihr Produkt gedruckt oder digital vertrieben wird, könnten sie die Arbeit einstellen.“

Auch vom in Wien ansässigen International Press Institute (IPI) kam Kritik am Vorgehen der deutschen Justiz. „Jede Art von Bestrafung von Journalisten, die ihre Arbeit korrekt machen, hat eine einschüchternde Wirkung auf Medien, die wir klar ablehnen“, erklärte IPI-Sprecherin Naomi Hunt.

Seit 27. Juli dieses Jahres ermittelt die Staatsanwaltschaft München I gegen die beiden Journalisten, Autoren zahlreicher Artikel zum Kriminalfall Hypo Alpe-Adria, wegen des Verstoßes gegen Paragraf 353d des deutschen Strafgesetzbuchs, wonach die „Mitteilung über Gerichtsverhandlungen“ durch Zitate aus Akten mit Geld- oder gar Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr geahndet wird.

Mittlerweile wird auch gegen weitere österreichische Redakteure im Zusammenhang mit deren Hypo-Berichterstattung juristisch vorgegangen: Neben Kurt Kuch von „News“ stehen auch Günter Fritz und Kid Möchel vom „Wirtschaftsblatt“ auf der schwarzen Liste der Münchner Justiz.

Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Wien das deutsche Rechtshilfeersuchen einfach durchwinkte – angeblich wegen „Überlastung in der Urlaubsvertretung“ –, löste ein mittelschweres innenpolitisches Erdbeben aus. Mit Ausnahme der ÖVP, auf deren Ticket die Justizministerin sitzt, hagelte es von allen Seiten heftige Kritik. Claudia Bandion-Ortner blieb nichts anderes übrig, als die Rechtshilfe ex post aufzuheben.

Aus österreichischer Sicht ist die Angelegenheit damit vorerst erledigt. Die „beschuldigten“ Redakteure sind aber noch lange nicht aus dem Schneider. Die deutsche Justiz führt das Verfahren weiter – und wirft damit Fragen auf, die letztlich nur auf EU-Ebene gelöst werden können. Wie kann es sein, dass Journalisten, die in Österreich gesetzeskonform publizieren, dafür in einem anderen EU-Staat strafrechtlich verfolgt werden?

Die bayerische Justiz argumentiert, profil sei auch in Deutschland zu lesen – etwa im Abonnement, vor allem aber auch über das Internet – daher gälten die deutschen Strafbestimmungen.

Dieses Argument nennt Jürgen Möth­rath, Präsident des Verbands deutscher Strafrechtsanwälte, „an den Haaren herbeigezogen“. Die Staatsanwaltschaft in München mache es sich „in diesem Punkt sehr einfach. Wesentlich ist die Frage: Wo liegt die Tathandlung? Und die Tathandlung liegt nicht im Vertrieb, sondern in der Herstellung und Veröffentlichung eines Textes. Und das ist ja wohl in Österreich passiert.“

Auch die Strafrechts-Professorin an der Universität Innsbruck, Verena Murschetz, erkennt Schwächen in der Argumentation der deutschen Justiz. „Wird alleine auf die Möglichkeit des Lesens der Veröffentlichung im Inland abgestellt, so führt dies im Grunde zu einer ausufernden inländischen Gerichtsbarkeit einerseits und zu einer unklaren Rechtslage für ausländische Rechtsanwender andererseits. Gerade innerhalb der EU ist dieser Zustand unbefriedigend. Presse, Funk, Fernsehen und Internet müssten sich über die unterschiedlichsten Rechtslagen innerhalb der EU informieren. Ob das verlangt werden kann, ist fraglich.“

Ähnlich formuliert es auch der Wiener Anwalt Meinhard Novak: „Es ist lebensfremd, dass ein Journalist bei seiner täglichen Arbeit die Rechtsordnungen aller Staaten beachtet, in denen das Medium erhältlich ist. Damit unterliegt er immer dem denkbar strengsten Recht und wird mundtot gemacht. Keiner traut sich mehr, ,heiße Kartoffeln‘ anzugreifen.“ Doch es gibt auch Juristen, die da skeptischer sind. „Das Zitieren aus gerichtsanhängigen Akten ist eine unerlaubte Handlung, und weil das Magazin auch in Deutschland erhältlich ist, greift das deutsche Strafrecht“, meint der Berliner Medienanwalt Johannes Wederling. Er setzt aber hinzu: „Ein österreichischer Journalist ist verpflichtet, das österreichische Medienrecht einzuhalten. Und er muss sich nicht erkundigen, ob hier Strafbestände im Ausland verletzt werden.“

Das österreichische Medienrecht wurde von den beschuldigten Journalisten jedenfalls nicht verletzt, da die Publikation von Gerichtsdossiers hierzulande legal ist. Einzige Einschränkungen: Die zitierten Dokumente dürfen nicht durch die so genannte Anstiftung zum Amtsmissbrauch beschafft werden. Und der Inhalt darf die schutzwürdigen Interessen Betroffener nicht verletzen – darunter fiele etwa die Veröffentlichung der Einvernahmeprotokolle von Natascha Kampusch. Im Fall Hypo Alpe-Adria – die Bank musste Ende 2009 mit Steuergeldern vor dem Kollaps bewahrt werden – greift diese Bestimmung nicht. Darüber hinaus stiftet profil selbstredend niemanden zum Amtsmissbrauch an. Trotzdem drohen jetzt eine strafrechtliche Verfolgung und möglicherweise sogar eine Verurteilung im Nachbarland – auch wenn die heimische Justiz diesen Weg nach öffentlichem Druck erschwert hat.

Die österreichische Rechtshilfe wurde fürs Erste sistiert. Die Staatsanwaltschaft München I scheint dies nicht weiter zu bekümmern. So ist davon auszugehen, dass die fünf Journalisten demnächst nach Bayern geladen werden, um sich dort – im Falle von Schmid und Nikbakhsh – erneut einer Einvernahme zu stellen.

Sanktionen.
Hilfe von der heimischen Justiz ist nicht in Sicht. „Es ist international übliches Prinzip, dass jeder Staat sein Strafrecht auf Sachverhalte anwendet, die Auswirkungen auf sein Staatsgebiet zeigen“, heißt es aus dem Büro der Justizministerin. Klartext: Journalisten und vor allem deren Rechtsanwälte sind dazu verdonnert, sich mit den Mediengesetzen respektive dem Strafrecht weltweit auseinanderzusetzen – andernfalls laufen Redakteure Gefahr, persönlich haftbar gemacht zu werden.

Die Palette der möglichen Sanktionen reicht von Geldbuße bis zu 10.000 Euro über ein Einreiseverbot bis hin zu Gefängnisstrafe im Wiederholungsfall. Denn profil wird auch weiterhin über den Fall Hypo Alpe-Adria berichten und dabei, so wie bisher, auch ausführlich aus Akten zitieren. Sollte es tatsächlich zu einem Strafverfahren in München kommen, wird profil die Causa vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg tragen.

Schon demnächst will der weltgrößte Verband der Printmedien, WAN-IFRA (World Association of Newspapers and News Publishers), das Verfahren gegen profil dort melden, „um es mit Urteilen in ähnlichen Fällen zu vergleichen“, kündigte Virginie Jouan, Executive Director von WAN-IFRA, gegenüber profil an.

Nur die österreichische Justiz hat nicht vor, sich auf europäischer Ebene für eine praktikable Lösung einzusetzen. „Grundsätzlich wäre es Aufgabe der nationalen Justizbehörden, derartige Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH, Anm.) heranzutragen, wenn sie Zweifel haben, dass eine Strafbestimmung des nationalen Rechts mit Grundwerten der Union nicht vereinbar ist. Dafür sehe ich keinen Anlass, weil es in mehreren europäischen Staaten Bestimmungen gibt, die eine mediale Einfluss­nahme auf Gerichtsverfahren zu verhindern suchen“, so Claudia Bandion-Ortner vergangene Woche in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber profil.
Mit anderen Worten: Pech gehabt – Österreichs Journalisten haben das zu akzeptieren.

profil stellte daher Anfragen an EU-Institutionen.
Der Sprecher der für Grundrechte zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding verwies darauf, dass dies „eine Angelegenheit der betroffenen Mitgliedsstaaten“ sei: „Wir kommentieren dies nicht.“

Auch die in Wien ansässige EU-Agentur für Grundrechte erklärte sich für nicht zuständig, „weil wir nur die Verletzung von EU-Recht prüfen“. Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn verweist auf den Status quo: „Die Situation ist unbefriedigend. Aber in der EU gibt es eben im Straf- wie im Medienrecht unterschiedliche Rechtskulturen, und die EU-Staaten hatten bisher kein Interesse an einer Harmonisierung durch eine europäische Regelung. Laut EU-Vertrag hat daher auch die EU-Kommission in diesem Bereich keine Zuständigkeit übertragen bekommen.“ Der Kommissar will sich aber für eine Initiative einsetzen. „Ich schlage vor, dass eine europäische Organisation von Journalisten oder Herausgebern prüft, wie viele Fälle von grenzüberschreitender Verfolgung von ­Journalisten es aufgrund unterschiedlicher Rechtslagen in der EU gibt. Sollte dies flächendeckend vorkommen, werden sich wohl auch die Mitgliedsstaaten auf EU-Ebene damit beschäftigen müssen.“

Die unterschiedlichen Rechtsnormen in der EU führten immer wieder zu Problemen. Im Jahr 2005 wurde der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer von der griechischen Justiz wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ durch sein Jesus-Buch zu sechs Monaten Haft verurteilt. Erst in zweiter Instanz wurde das Urteil aufgehoben.

Die strafrechtliche Verfolgung von investigativen Journalisten durch die Justiz eines anderen EU-Landes stellt freilich eine Premiere dar. Im Europäischen Parlament wurde erst vor einem Monat eine Entschließung über „Einschränkungen der Informationsfreiheit sowie die staatliche Kontrolle über die Medien“ angenommen. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, „endlich einen Umsetzungsplan für die umfassende Gewährung der Pressefreiheit zu präsentieren“.

Der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok, der enge Kontakte zum Bertelsmann-Konzern hat, gab gegenüber profil eine klare Empfehlung ab: „Ich bin der Auffassung, dass das Presserecht des Heimatlandes des Presseproduktes gelten soll, weil sonst unerträgliche Rechtsunsicherheit gegeben ist“, so der CDU-Politiker. „Im Übrigen meine ich, dass Journalisten alles veröffentlichen sollen, was sie ohne eigenes strafrechtlich relevantes Zutun erfahren haben.“