Die verrückte Welt des George W. Bush

Die verrückte Welt des George W. Bush: Wie tickt der mächtigste Mann der Welt wirklich?

Bush-Besuch: Psycho- gramm eines Texaners

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Die meisten Menschen in Europa haben sich ihre Meinung über George W. Bush längst gebildet: Der Mann ist dumm – und gefährlich. Weil er die Welt mit dem Set eines Westerns verwechselt, in dem Gut und Böse sauber getrennt sind und das Böse praktischerweise immer unterliegt – vorausgesetzt natürlich, die Guten sind wild entschlossen, das Böse mit allen Mitteln zu bekämpfen. Der US-Präsident liest vor dem Einschlafen immer die Bibel und steht jeden Tag um 5.45 Uhr auf, weil er einen peniblen Ablauf braucht, der ihm Halt gibt im Leben. Alles Wesentliche über sich hat er im Grunde selbst gesagt, als er in seiner so unübertrefflichen Weise formulierte: „Eine der tollsten Sachen an Büchern ist, dass sich in ihnen manchmal fantastische Bilder finden.“

Es gibt allerdings auch gewichtigere Kritikpunkte. George W. Bush ließ seine Armee gegen den Willen großer Teile der Welt in den Irak einmarschieren. Seinen „Krieg gegen den Terror“ nannte er einen „Kreuzzug“, ohne zu begreifen, welche Assoziationen dieses Wort in der islamischen Welt auslösen musste. Die Bush-Administration hat den Anti-Folter-Konsens der zivilisierten Welt aufgeweicht. Wer nur irgendwie verdächtig erscheint, verschwindet in rechtsfreien Räumen zwischen Guantanamo Bay auf Kuba und der Bagram Air Base in Afghanistan.
Und und und.

Kurzum: Dieser Mann gilt nicht nur unter glühenden Antiamerikanern als weltpolitische Katastrophe. Stabil wie Stahlbeton steht das Gebäude an Meinungen und (Vor-)Urteilen über den mächtigsten Mann der Welt. Andererseits: Wäre Bush tatsächlich nur ein texanischer Tölpel, wie hätte er dann zum Präsidenten der Vereinigten Staaten aufsteigen können? Schließlich ist auch in den USA die Politik ein ziemlich harter Wettkampf, und selbst als Abkömmling einer traditionsreichen Dynastie und Sohn eines Ex-Präsidenten schafft man es nicht bis ganz nach oben, wenn man über keine andere Qualifikation verfügt als jene, unterbelichtet zu sein. Bush, der auf den ersten Blick so simpel gestrickt wirkt, ist „ein in Rätseln verpacktes Mysterium“, wie es der Washingtoner Psychiater Justin Frank in Anlehnung an ein Winston-Churchill-Wort sagt.

Wer also ist dieser 59-jährige George Walker Bush wirklich, dessen Präsidentenmaschine Dienstagabend auf dem Wiener Flughafen landen wird? Wie tickt der 43. Präsident der Vereinigten Staaten?

Instinkt. Die Leute, die mit ihm zu tun haben, sind sich in einem einig: Er ist ein netter Kerl. Oft macht er Witze, gern auch auf seine eigenen Kosten, sogar öffentlich. „Wir beide wurden ja nicht mit überwältigenden Mehrheiten gewählt“, flachste Bush etwa, als er Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel erstmals zu Gast hatte – immerhin war Bush nach dem Auszählungs- und Prozesskrimi in Florida im Jahr 2000 erst durch Höchstrichterentscheidung überhaupt ins Amt gekommen. Freilich, Bushs Humor ist nicht frei von Berechnung. „Er will gemocht werden, darum studiert er die Menschen“, sagt einer seiner ehemaligen Geschäftspartner. Bush weiß instinktiv, auf welchen Ton sein Publikum gestimmt ist, und versteht es auch, ihn zu treffen. Diese Kompetenz hat er lange und intensiv trainiert. Schon im Internat und auf der Universität tat er sich nicht durch besondere Leistungen hervor, sondern eher durch Späße und Clownereien. Später, in seinen trinkfesten Zeiten, konnte man mit ihm in den texanischen Bars viel Spaß haben. Als Politiker merkte Bush schließlich, dass ihm sein Witz doppelt zum Vorteil gereichte: Er steigerte seine Popularität und führte dazu, dass ihn seine Gegner unterschätzten. Bush selbst fand für diesen Umstand die beste Formulierung: Seine Kritiker hätten ihn immer „misunderestimated“ (missunterschätzt).

„Nonsens“ sei das Gerede vom stupiden Bush, meint auch Charles Schumer, Senator von New York und Parteigänger der Demokraten. „Er ist ein kluger Mann. Ist er der klügste, der jemals Präsident war? Nein. Aber er ist klug genug.“ William Quandt, der unter den Präsidenten Richard Nixon und Jimmy Carter im Nationalen Sicherheitsrat arbeitete, variiert diese Meinung: „Bush ist nicht dumm, aber er ist intellektuell faul.“ Vor einer Entscheidung ermutigt er seine Berater, alle Varianten durchzudenken. Dann entscheide er „instinktiv“, „aus dem Bauch heraus“ – wie Bush in den Interviews mit dem „Washington Post“-Starreporter Bob Woodward für dessen Buch „Bush at War“ mehr als einmal sagte. Die Technokraten im Apparat haben die Vorschläge, er dagegen das Gespür für politische Dynamik und den richtigen Zeitpunkt.

Managerstil. George W. Bush führt die Regierung wie ein Vorstandsvorsitzender ein Unternehmen: kurze Sitzungen, straffer Zeitplan, zielorientiert. Zyniker meinen, das hänge damit zusammen, dass er sich nicht lange auf ein Thema konzentrieren kann oder will. Andere verweisen darauf, dass Bush der erste Präsident ist, der ein MBA, ein Business-Diplom, hat: Sein Führungsstil ist der eines modernen Managers.

Bush ist, wie die meisten Spitzenpolitiker, ein machtkluger Charakter. Er weiß, was ihm nützt, und biegt auch seine Haltungen in die für ihn günstige Richtung. Selbst mit seiner demonstrativen Gläubigkeit hält Bush es so. Immer wieder sendet er starke Signale an die christliche Rechte, der er seinen Aufstieg verdankt (siehe Kasten Seite 113). Er redet dann etwa von der „Kultur des Lebens“ – ohne explizit zu sagen, dass er für das Verbot der Abtreibung sei. Selbst enge Mitarbeiter gestehen hinter vorgehaltener Hand, dass sie nicht wissen, wie rigide die religiösen Überzeugungen ihres Chefs wirklich sind. Ob er etwa meint, dass die Bibel als buchstäbliche Wahrheit auszulegen ist? Man weiß es nicht genau. So vermutet etwa Bill Wallis, Reverend und Chefredakteur eines christlichen Magazins, Bush glaube tatsächlich, „er sei von Gott zur Präsidentschaft erwählt“. Unsinn, erwidert dagegen Kribyjon Caldwell, ein mit Bush befreundeter Geistlicher. Der Präsident sei eigentlich ein „Durchschnittschrist“. Caldwell: „Er glaubt doch nicht, dass Gott ihm sagt, er soll irgendwo in der Welt Bomben abwerfen.“

Wahrscheinlich verhält es sich mit Bushs glaubensbasierter („faith-based“) Politik einfacher und komplizierter zugleich. Er ist kein Theologe. Dennoch untermauern seine religiösen Überzeugungen eine simple, reduktionistische Haltung zur Welt – und sie passen einfach zu seinem Charakter. Bush hat, darin sind sich alle einig, die ihn kennen, keinen Sinn für Unschärfen. Nichts irritiert ihn mehr als das, was die Amerikaner „ambiguity“ nennen, was mit „Mehrdeutigkeit“ nur unvollkommen übersetzt ist: Dass ein Sachverhalt mehrere Seiten haben kann, ist für Bush nur schwer erträglich. Die Religion, sagt ein Vertrauter, gibt ihm „Sicherheit in seinen Entscheidungen“ – aber vor allem deshalb, weil er Unsicherheit hasst.

Das muss nicht unbedingt eine schlechte Eigenschaft sein: Wenn Bush sich einmal für etwas entscheidet, ist er gewiss kein Zweifler. Dass er sich etwa dafür entschieden hat, Demokratie mit militärischen Mitteln zu exportieren und Despoten zu stürzen, sei ein Fortschritt gegenüber verlogener „Realpolitik“ und diplomatischer Prinzipienlosigkeit, meinen deshalb Bushs neokonservative Verbündete.

Erweckungserlebnis. Psychologen sehen dagegen gerade in Bushs Hang zur Vereinfachung das Symptom einer schweren Persönlichkeitsstörung (siehe Kasten Seite 117): Die komplizierte Wirklichkeit wird sortiert, sodass sie leicht beherrschbar erscheint. In den Augen Bush-kritischer Psychoanalytiker wird der US-Präsident von chronischer Unsicherheit geplagt, die auch in Megalomanie umschlagen kann – Resultat von Bushs lebenslangen Versagensängsten in einer ehrgeizigen Familie und, zumindest in den ersten Jahrzehnten seines Lebens, dem quälenden Bewusstsein, sich mit seinem Vater und seinem Großvater – einem Bankier und späteren Senator – nicht messen zu können. Diese Minderwertigkeitsgefühle ertränkte Bush bis zu seinem 40. Geburtstag in Alkohol – sie schlugen nach seinem christlichen Erweckungserlebnis in eine moralische Rigidität um, deren oberstes Ziel darin bestand, es allen zu zeigen, insbesondere seinem (Über-)Vater. Dieses – sehr simplifizierende – Bild zeichnet jedenfalls die angewandte Psychoanalyse von George W. Bush.

Populismus. Politik erklärt sich niemals nur aus der Psyche von Politikern. Diese sind schließlich auch Produkt ihrer politischen Basis und des herrschenden Zeitgeistes. Der amerikanische Konservativismus, früher elitär-aristokratisch, ist in den vergangenen Jahrzehnten populistischer geworden. Sein Gravitationszentrum hat sich von der Ost- zur Westküste und in den Süden verlagert. Der religiöse Fundamentalismus ist eine seiner bestimmenden Kräfte geworden. George W. Bush, der hemdsärmlige Texaner, der im Vorfeld des Irak-Krieges feixte, es werde Zeit, „einen Skalp zu präsentieren“, und der seine Regierungssitzungen mit einem Gebet beginnen lässt, bringt diese Verschiebung zum Ausdruck. Diese Welle hat Bush nach oben gebracht.

Ohnehin kann man Bush nicht verstehen, ohne Texas zu verstehen, das Land, in dem weder feine Leute noch Plantagenbesitzer den Ton angaben, sondern das „von Bauern im Dreck“ geformt wurde, wie die US-Politologen Michael Barone und Grant Ujifusa schreiben. Weit weg von Washington. Staubig und roh. Das blieb auch so, als der Reichtum einzog – mit der Ölindustrie, in der auch die Bush-Familie ihr Vermögen machte. Das Big Business ist hier noch etwas korrupter als anderswo – ein Umstand, dem George W. Bush seine bescheidenen ökonomischen Erfolge als Geschäftsmann verdankte und seine gut gefüllte Kampagnenkasse, als er in die Politik wechselte. In Texas entstehen Seilschaften, Politik- und Geschäftsinteressen vermischen sich, die Kultur des Filzes wuchert, die George W. Bush, zusammen mit seinem Vizepräsidenten Richard Cheney, bis ins Weiße Haus getragen hat. Vor allem ist Texas ein fruchtbarer Boden für Anti-Establishment-Populismus, dessen Jargon George W. Bush annimmt. Ihm verdankt er seinen Aufstieg – auch wenn das absurd erscheint für ein Patrizierkind aus reicher Familie, die von der Ostküste zuwanderte.

Revanche am Vater. Die Werte einer Selfmademan-Gesellschaft, wonach jeder seines Glückes Schmied und der Staat weit weg ist, sind prägend für Texas und wurden in den achtziger Jahren auch für die konservativen Milieus bestimmend. Bush hat sich antrainiert, sie zu verkörpern. Zur Überraschung aller erwies er sich als begnadeter Wahlkämpfer. Sein Vater erinnert sich an den Tag, als er 1994 erstmals zum Gouverneur von Texas gewählt wurde: „Man glaubt, ein Kind fällt in der Schule durch, und dann kommt es mit zwei Einsern heim.“

Vielleicht liegt in dieser demonstrativen Volkstümlichkeit aber schon eine Spur an Revanche am Vater, der immer als hölzern galt und nach nur einer Amtszeit abgewählt wurde, obwohl er im ersten Golfkrieg triumphiert hatte. Vielleicht hat Bush auch nur am Exempel seines Vaters seine Lektion gelernt: Populär sein ist alles. In jedem Fall gelang George W. Bush, dem ewigen Sohn, im Jahr 2004 erstmals etwas, woran sein Dad gescheitert war: Er wurde wiedergewählt.

Dennoch ist der Mann, der die Schwarzweißmalerei in der Politik perfektioniert hat, am Ende selbst zu ihrem Opfer geworden: Abgesehen von den wenigen, die in ihm einen „Guten“ sehen, halten ihn die meisten für einen „Bösen“. Möglicherweise hat ihn die Welt nach dem 11. September 2001 einfach vor zu große Aufgaben gestellt. Aber man kann auch, im unverwechselbaren Stil des George W. Bush, sagen: „Du weißt nicht, wie deine Geschichte aussehen wird, bis zu einem Zeitpunkt, an dem du schon lange weg bist.“

Von Sebastian Heinzel (New York) und Robert Misik