Hitler in Österreich: Die Wurzeln des Kults

Die Wurzeln des Hitler-Kults in Österreich: Waren Österreicher die radikaleren Nazis?

Hitoriker geben neue erstaunliche Antworten

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Von Norbert Regitnig-Tillian

Auf der jüngsten Liste des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles stand er noch auf Platz eins der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher: Aribert Heim, 1914 in der Steiermark geboren, operierte als Lagerarzt in Konzentrationslagern Häftlinge bei vollem Bewusstsein. Im KZ Mauthausen soll er als berüchtigter „Dr. Tod“ Häftlinge per Injektion ins Herz getötet haben. Nach dem Wiesenthal Center äußerten Anfang Mai auch deutsche Ermittlungsbehörden Zweifel an der von ZDF und „New York Times“ verbreiteten Darstellung, Heim sei bereits 1992 in Kairo an Darmkrebs gestorben.

Genauer bekannt sind die Todesumstände eines anderen NS-Kriegsverbrechers. Der 192 Zentimeter große und 120 Kilo schwere SS-Mann Amon Göth aus Wien starb 1946 am Galgen in Krakau. Göth ­hatte in mehreren Vernichtungslagern mindestens 500 Menschen eigenhändig um­gebracht. Als „Schlächter von Plaszow“ (Zwangs­arbeiterlager bei Krakau) machte er mit ­Gewehr und Zielfernrohr Jagd auf Häftlinge oder ließ sie von seinen beiden Doggen zerfleischen.

Etliche Ränge über diesen Schlächtern gab es Schreibtischtäter wie Ernst Kaltenbrunner, aus Ried im Innkreis stammender Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), der für die Ermordung von mindestens einer Million Menschen in Osteuropa verantwortlich zeichnet. Wie Adolf Eichmann, in Solingen geborener, in Linz sozialisierter SS-Obersturmbannführer, der die Vertreibung oder Deportation von hunderttausenden Juden organisierte. Wo immer ab 1942 in Ost- und Südosteuropa die Sonderkommandos der NS-Vernichtungsmaschinerie hinter den Frontlinien rollten, waren Österreicher involviert – auffallend häufig im Verhältnis zum Anteil der „Ostmärker“ an der Bevölkerung Großdeutschlands, wie viele Historiker meinen.

Waren die Österreicher die radikaleren Nazis? Antisemiten durch und durch, die für Hitler willfährig in den Vernichtungskrieg zogen? Oder ist die Geschichte zu einem Mythos geworden, der einer näheren Überprüfung nicht standhält? Ein neues Buch mit dem Titel „Unser Hitler – Die Österreicher und ihr Landsmann“, das diese Woche erscheint, versucht darauf eine Antwort zu geben wie auch auf die dahinterliegende Frage, was die historischen, politischen, sozialen und psychologischen Wurzeln dafür waren, dass sich so viele Österreicher um ihren Führer Adolf Hitler scharten und ihn samt seinen verbrecherischen Wahnideen vergötterten.

„Hitler war kein Magus, kein Hexer, der mit satanischer Zauberkunst Unschuldslämmer in reißende Wölfe verwandelt hätte. Er hatte lediglich die Eigenfrequenz seiner Zeit zielgenau getroffen“, schreiben die beiden Autoren, der Wiener Ö1-Wissenschaftsjournalist und Zeithistoriker Martin Haidinger, und Co-Autor Günther Steinbach, Verfasser des vor drei Jahren erschienenen Erste-Republik-Bestsellers „Kanzler, Krisen, Katastrophen“. Und weiter heißt es im Buch: „Seine rednerischen Suggestionskräfte, Krieg und andere prekäre Zeitumstände mögen für manches herhalten – für Pogrome, Kriegsverbrechen an und hinter den Fronten und den Massenmord in den Konzentrationslagern zählt die Ausrede von wider Willen dämonisch verführten Tätern nicht. Verbrecher begehen ihre Taten immer persönlich, ob vom Schreibtisch aus oder ob sie selbst Hand an ihre Opfer legen.“

Daten fehlen. Trotz jahrzehntelanger Forschung stellt die Frage nach dem österreichischen Anteil an den NS-Gewaltverbrechen Historiker noch immer vor Rätsel. Gesicherte Daten, die den Anteil der Österreicher an den Wachmannschaften in Vernichtungslagern sowie in SS- und Waffen-SS-Verbänden eindeutig beziffern, fehlen bis heute. Einigermaßen genaue Schätzungen existieren nur für das von Adolf Eichmann geleitete, für die Judendeportationen zuständige Referat des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA): 70 bis 80 Prozent des dortigen Mitarbeiterstabs waren Österreicher. Ansonsten klaffen die Angaben weit auseinander: Sie reichen von einer Unterrepräsentanz der „Ostmärker“ bis zu Schätzungen, wonach 40 Prozent der KZ-Mannschaften gebürtige Österreicher gewesen seien.
Dass unter den KZ-Aufsehern viele Österreicher waren, erklärte Simon Wiesenthal unter anderem mit der Stationierungspraxis von Heeresleitung und SS, welche die Auffassung vertraten, dass sich die Österreicher aufgrund ihrer in der Vielvölkermonarchie gemachten Erfahrungen für den Einsatz in Osteuropa und am Balkan besonders eignen würden.

Im Gedenkjahr 2005 führte die Frage der österreichischen Beteiligung an NS-Gewaltverbrechen zu einem heftigen „Historikerstreit“. Die Wiener Zeitgeschichtlerin und Journalistin Helene ­Maimann hatte für den Ausstellungskatalog „Das neue Österreich“ Zahlenangaben des Salzburger Historikers Ernst Hanisch übernommen. Demnach habe „Österreich bei einem Anteil von acht Prozent an der Bevölkerung des Großdeutschen Reiches 14 Prozent der SS-Männer und 40 Prozent der Täter insgesamt“ gestellt. Daraufhin empfahl der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber die „Verschickung des Ausstellungskatalogs in den Reißwolf“. Denn wenn man, so Sandgruber, den gesamten Täterkreis mit einbeziehe, schrumpfe die Anzahl der an NS-Verbrechen beteiligten Österreicher auf eine unauffällige Größe zusammen.

Doch auch Sandgrubers Quellen hielten einer eingehenden Überprüfung nicht wirklich stand. In akribischer Recherche verfolgte der Wiener Zeithistoriker Bertrand Perz die Entstehungsgeschichte aller Angaben – und stieß dabei auf Ungereimtheiten: Unterschiedliche Studiendesigns, divergierende Definitionen des Täterkreises, unzulässige Verallgemeinerungen – und ein Ringelspiel an wechselseitigem Zitieren, das sich über Jahrzehnte hinzieht. Perz betont zwar die prominente Beteiligung von Österreichern an NS-Verbrechen, kritisiert aber die jenseits wissenschaftlich haltbarer Kriterien geführte Debatte.

So bezog sich beispielsweise die Angabe, 40 Prozent der in diverse Verbrechen – von der „Euthanasie-Aktion T4“ bis Auschwitz – involvierten Täter seien Österreicher gewesen, ursprünglich auf die von Odilo Globocnik angeführte „Aktion Reinhardt“, bei der fast zwei Millionen Juden und 50.000 Roma in den Konzentrationslagern Belzec, Sobibor und Treblinka getötet wurden. Der in Triest geborene und in Kärnten aufgewachsene Globocnik bediente sich dabei der noch in der Illegalität gesponnenen Netzwerke, aus denen er unter anderem auch ­seinen Adjutanten Ernst Lerch aus der gleichnamigen Klagenfurter Cafetiersfamilie rekrutierte.

Mitschuld der Österreicher. Doch selbst dort sind die 40 Prozent für Perz nicht nachvollziehbar. Zwar steht eine genaue Analyse der Täter nach nationaler Herkunft noch aus, man kann aber laut Perz davon ausgehen, dass von den 450 an der „Aktion Reinhardt“ beteiligten Personen etwa 60 bis 90 aus Österreich stammten. Das entspricht zwar immer noch einem überproportionalen Anteil von 13 bis 20 Prozent, ist aber weit von 40 Prozent entfernt. Und wenn man, so Perz, die „freiwilligen“ ukrainischen Hilfskräfte, die so genannten Trawniki, in den Täterkreis mit einbeziehe, dann liege der Anteil der österreichischen Täter nicht mehr bei 13 bis 20, sondern zwischen zwei und neun Prozent, was allerdings über die Frage von Verantwortlichkeiten nichts aussage, so Perz.

Freilich ist die Mitschuld der Österreicher an den Verbrechen des Nationalsozialismus nicht auf diese Frage zu beschränken. Deshalb geht es den Buchautoren vor allem darum zu zeigen, aus welchem „Mindset“ die Idee des Nationalsozialismus entsprungen ist. Dabei rufen die Autoren auch Tatsachen in Erinnerung, die im kollektiven Österreich-Gedächtnis immer schlecht verankert waren. Zum Beispiel den „Traum vom Reich“, der sich besonders nach dem Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie quer durch alle politischen Lager zog.

Hitler war wohl schon um diese Zeit ein begehrter Redner, aber die Nationalsozialisten erreichten 1919 bei den Wahlen zur österreichischen Nationalversammlung gerade einmal 0,78 Prozent. Einzig die Stadt Salzburg war ein Ausreißer. Dort stimmten bereits 13,75 Prozent für die frühen Nationalsozialisten. Aber die autoritären Züge im „Mindset“ der Österreicher sind unverkennbar da: Gerade erst der alten feudalen ­Ordnung entronnen, ist der Ruf nach dem „starken Mann“ so alltäglich wie paramilitärische Übungen linker und rechter Provenienz.

Lagerfeuer. Ende der zwanziger Jahre mischt die Weltwirtschaftskrise die Karten neu. Zuerst, so die Autoren, sind es die konservativen Eliten, deutsch-(katholisch)-nationale Bürgerliche, die sich für die nationalsozialistische Idee empfänglich erweisen. Wer die Demokratie für eine überholte Form des politischen Zusammenlebens hält, liegt im „Zeitgeist“. Studenten vollziehen als Erste den Schwenk. Aus deutschnationalen Burschenschaftern werden nationalsozialistische Aktivisten. Sie finden es cool, dass sich der NS-Führer gegen die Demokratie wendet, sich schroff despotisch gibt und die Rebellion gegen die herrschenden Verhältnisse für sich und seine Anhänger reklamiert.

Im Buch kommen österreichische Zeitzeugen und NS-Parteigänger zu Wort, die schon frühzeitig zur Hitlerjugend (HJ) oder zum Bund Deutscher Mädchen (BDM) gestoßen waren. Gelockt werden sie durchs Abenteuer, gemeinsames Zelten und Lagerfeuer. Ein ehemaliger Hitlerjunge erzählt offen über seine Beteiligung an terroristischen Sprengstoffanschlägen in den dreißiger Jahren. Der heute 90-Jährige glaubt sich zu erinnern, er habe bei Sprengungen von Telefonzellen Passanten den Zutritt verwehrt, damit niemand zu Schaden käme. Doch die Statistik spricht eine andere Sprache. 800 Menschen wurden in Österreich in den Jahren 1933 bis 1938 Opfer des Terrors der illegalen NSDAP. 164 Personen kamen – vor allem während des Juliputsches – ums Leben, 636 wurden zum Teil schwer verletzt oder materiell erheblich geschädigt, schreiben die Historiker Winfried Garscha und Georg Kastner.

Der Terror ist im Juni 1933 auch der Anlass für das vom Dollfuß-Regime verhängte Verbot der NSDAP. Nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland streichen sowohl Österreichs Sozialdemokraten als auch die Christlichsozialen den Anschlussparagrafen. Den geringsten Eindruck machen Hitler und die Nationalsozialisten anfangs auf Arbeiter und Bauern. Es gibt noch funktionierende politische Organisationen. Hier die Sozialdemokraten, dort die katholische ­Kirche. Doch mit der Krise bröckelt auch diese Bastion. Beim letzten Wahlgang in Österreich, den Innsbrucker Gemeinderatswahlen am 23. April 1933, schafft die NSDAP einen fulminanten Erfolg von 41 Prozent. Ein Grund mehr für Dollfuß, alle Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Zu diesem Zeitpunkt hat sich Hitler Österreich bereits gedanklich einverleibt. Als Speerspitze für militärische Aktionen ist die Österreichische Legion vorgesehen. Sie bildet sich nach dem NSDAP-Verbot im Juni 1933 als SA-Truppe illegaler österreichischer Nazis im benachbarten Bayern. Tausende Nationalsozialisten fliehen in dieser Zeit über die Grenze nach Deutschland. In den überfüllten Kasernen der SA stehen zu Spitzenzeiten an die 10.000 Illegale aus Österreich parat. Hitler-Deutschland lässt sich das österreichische Söldnerheer auch einiges kosten. Bis zu 27 Millionen Reichsmark fließen jährlich in die Legion.

Goebbels-Tagebücher. Die eigentlich treibende Kraft hinter dem Juli-Putsch 1934, so zeigen neue Auswertungen der Goebbels-Tagebücher durch die Zeithistoriker Kurt Bauer und Peter Longerich, sei „Hitler und sonst niemand“ gewesen. Am Sonntag, dem 22. Juli 1934, also drei Tage vor dem Putschversuch, sind höchstrangige Wehrmachtsgeneräle, Kanzlerstabs- und Parteistellenvertreter sowie die obersten österreichischen Nationalsozialisten Theo Habicht plus sein Konkurrent und SA-Führer Hermann Reschny bei Hitler. Goebbels notiert in seinem Tagebuch: „Sonntag: beim Führer (…) Gen. v. Reichenau, dann Pfeffer, Habicht, Reschny. Österreichische Frage. Ob es gelingt? Ich bin sehr skeptisch.“ Bauer: „Allein die Tatsache einer derartig hochrangigen Besprechung zeigt, dass die Putschvorbereitungen unter Hitlers direkter, persönlicher Anteilnahme abliefen.“ Hitler glaubte, dass Teile des österreichischen Bundesheeres auf der Seite der Putschisten stünden und dass Mussolini, mit dem er sich zwei Wochen zuvor in der Villa Pisani in Stra bei Venedig getroffen hatte, nichts unternehmen würde. Eine Fehleinschätzung: Das Bundesheer läuft nicht über. Ein Legionärs­trupp – darunter auch der Vater Jörg Haiders –, der entgegen Hitlers Stillhaltebefehl nach Linz marschieren will, wird an der Grenze zurückgeschlagen. Und Mussolini stellt sich demonstrativ hinter Österreich. Der Putsch scheitert kläglich. Goebbels notiert Hitlers Reaktion am Abend des Putschversuchs: „Es ist aus mit Italien. Die alte Treulosigkeit. Der Führer ist innerlich fertig damit. Danach lange mit Hitler debattiert (…) Wutanfälle gegen Italien. Aus. Aus. Aus! (…) Entscheidende Wendung. Besser Treulosigkeit jetzt als in einem Kriege noch mal bestätigt.“ Nach dieser Pleite wird die Legion in eine Reihe von Lagern in Westfalen verlegt.

Im März 1938 wendet sich das Blatt. Als immer klarer wird, dass ein Einmarsch Hitlers in Österreich bevorsteht, wird das Söldnerheer wieder aus der Versenkung geholt. Unter den Legionären erwachen alte Hoffnungen. Wenn Hitler in Österreich einmarschiert, dann, so haben sie den Führer noch im Ohr, werden für die Loyalen goldene Zeiten beginnen.
Als der Tag des Einmarschs naht, ist das schon nicht mehr so klar. Denn nicht nur die österreichischen Nationalsozialisten erwarten sich durch die Einverleibung von Hitlers Heimat fette Beute. Deutsche NS-Karrieristen sehen ebenso Chancen auf einen größeren Schreibtisch. Und jene bisher illegalen Nationalsozialisten, die nie ausgewandert sind, glauben ohnehin, dass sie es sind, die ab nun das Sagen haben werden. Manche haben damit Recht. Einer davon ist Odilo Globocnik. Er wird später zum Gauleiter von Wien avancieren, kläglich und korrupt scheitern und sich später zum Verantwortlichen für die Tötung der europäischen Juden in den Vernichtungslagern in Ostpolen entwickeln.

Doch am Vorabend des Einmarschs, am 11. März, so erforschte der Zeithistoriker Hans Schafranek, zerrt ihn noch die Gier. Als Organisationsleiter versucht er Hitlers Generalfeldmarschall Hermann Göring zu überzeugen, dass die Legionäre bleiben sollen, wo sie hingehörten. In Deutschland, in den Kasernen. Gleich viermal hintereinander jammert er Göring an, bis dieser ihm zusichert, dass die Legionäre erst später losgeschickt werden. Von Globocnik vorgeschützte Begründung: Die Legionäre würden in Österreich die Wut der vergangenen Jahre abreagieren, und das könnte die Akzeptanz der einmarschierenden NS-Truppen in der Ostmark verringern. In Wirklichkeit wollen Globocnik und Konsorten einen zeitlichen Vorsprung, um Nägel mit Köpfen zu machen.

Als die Legionäre zwei Wochen nach Hitler – propagandistisch untermalt und freudestrahlend – in Österreich einmarschieren, haben sich dort Deutsche und Daheimgebliebene bereits wohnlich eingerichtet. Die wichtigen politischen Posten sind verteilt, die Legionäre haben das Nachsehen. Sie werden, wenn überhaupt, mit Posten zweiter Wahl abgespeist und tun sich mit besonders rabiatem Antisemitismus hervor. Dass sie quasi als „Wiedergutmachung“ Unternehmen jüdischer Eigentümer arisieren dürfen, sehen Legio­näre als Selbstverständlichkeit an, so Zeithistoriker Schafranek. Allerdings verfügt die große Mehrzahl der Rückkehrer weder über das entsprechende Fachwissen noch über genügend Betriebskapital.

Diese Radikalität bei den Arisierungen nahm man sich in Deutschland zum Vorbild, sagt der deutsche NS-Historiker Hans Mommsen. Die deutschen November-Pogrome des Jahres 1938 hatten dann zwar nicht den Effekt, dass wie in Österreich die Parteikasse durch den Raub jüdischen Eigentums gefüllt werden konnte. Aber die Absicht dazu bestand. Mommsen: „Organisationssoziologisch ließe sich nachweisen, dass die österreichische Radikalisierung Vorläufer der deutschen war.“

Stefan Karner, Leiter des Ludwig-Boltz­mann-Instituts für Kriegsfolgenforschung, hält diese Vorgeschichte für eine brisante Mischung. Die These des Grazer Zeithistorikers: Ein großer Teil der Legionäre startet erst 1941, mit Beginn des von Hitler vom Zaun gebrochenen Russland-Feldzugs, eine späte Karriere. Nun finden sich immer mehr der ehemals Illegalen an zentralen Stellen der SS und in den Wachmannschaften der Konzentrationslager, aber auch bei der Polizei in Krakau und Lublin, in Polen, Weißrussland und in der Ukraine. Karner will nun seine These wissenschaftlich belegen.

Zweifel. Bertrand Perz zweifelt an der Generalisierbarkeit dieser These. Bei Globocnik in Lublin waren schon kurz nach Kriegsbeginn viele Österreicher tätig, eine Steigerung dieser Zahl in der Mitte des Kriegs sei nicht zu beobachten. Für die KZs seien ab 1942 wegen Personalmangels vor allem so genannte Volksdeutsche und später auch Wehrmachtsangehörige rekrutiert worden, die Österreicher, zum Teil Legionäre, seien längst dort ge­wesen.

Auch der in Solingen geborene und in Linz aufgewachsene Adolf Eichmann war kurzfristig Mitglied der Österreichischen Legion. Im Juli 1933 gehörte seine SS-Einheit in Klosterlechfeld organisatorisch zur Legion. Kurze Zeit später absolviert Eichmann eine 14-monatige SS-Ausbildung in Dachau. Über die Legionärsnetzwerke stößt auch der Wolfsberger Franz Novak zu ihm. Dieser flieht nach dem Juli-Putsch 1934 und tritt der Legion bei. 1938 meldet er sich zur SS und wird in Eichmanns Stab aufgenommen. Nach dem Krieg taucht der „Fahrdienstleiter des Todes“ – Novak war Eichmanns Experte für Fahrpläne und Waggonbeschaffung – unter. Erst nachdem Eichmann 1960 von Agenten des israelischen Geheimdienstes in Argentinien festgenommen und nach Israel entführt worden war, wo er 1961 zum Tod verurteilt und 1962 gehenkt wurde, wird auch Novak gefasst. Seine von einem österreichischen Gericht verhängte Strafe beträgt sechs Jahre Haft.

Etliche Karrieren von Angehörigen der Österreichischen Legion führen in die NS-Vernichtungsmaschinerie. Der Grazer August Meyszner beispielsweise war 1942 als SS- und Polizeiführer nach Belgrad beordert worden, wo innerhalb seines Verantwortungsbereichs im KZ Sajmiste bei Belgrad 15.000 Frauen und Kinder ermordet wurden. 1947 wird Meyszner in Belgrad hingerichtet. Der Klagenfurter Legionär Hans Rauter wiederum wird unter Arthur Seyss-Inquart, dem Reichskommissar in den Niederlanden, Verantwortlicher für die Judendeportation. Er wird 1949 im holländischen Scheveningen hingerichtet. Auch Amon Göth war Legionär. Der von Steven Spielberg in „Schindlers Liste“ Porträtierte war allein im Lager Plaszow und im Krakauer Ghetto für die Ermordung von 10.000 Menschen verantwortlich.

Doch nicht alle Legionäre nehmen diesen Weg. Der Wiener Zeithistoriker Kurt Bauer, der seit Jahren den sozialen Hintergrund österreichischer Nationalsozialisten erforscht und derzeit die Personalakten aus dem Bestand der Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit im Staatsarchiv über das austrofaschistische Anhaltelager Wöllersdorf, Niederösterreich, auswertet, sieht auch die andere Seite. „Viele Legionäre stammten aus ländlichen Regionen, waren jung, arm und hatten während der Wirtschaftskrise nichts zu verlieren.“ Schon der sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky, der sich 1937 nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe im Kärntner Gitschtal aufhielt, bemerkte damals, dass er kaum auf junge Männer traf. „Die meisten hatten, um der Armut zu entrinnen“, so Kreisky in seinen Memoiren, „einen einfachen Weg gefunden. Sie malten auf eine Kapelle oder einen Felsen ein großes Hakenkreuz und hatten damit Anlass zur Flucht nach Deutschland, wo sie in die Legion eintraten. Man musste sich nur illegal betätigen, und schon konnte man in das ersehnte Deutschland gehen.“

Doch manche der Dorfburschen, Handwerker, Knechte und Bauernsöhne wandten sich von der Legion, wo Drill und Langeweile herrschten, bald wieder enttäuscht ab und flohen schon vor 1938 aus den deutschen Kasernen zurück nach Österreich. Bauer: „Viele wollten sich offenbar lieber im Konzentrationslager Wöllersdorf einsperren lassen, als den Drill in bayerischen SA-Kasernen noch länger zu ertragen.“

Bücher
Martin Haidinger, Günther Steinbach: ­Unser Hitler – Die Österreicher und ihr Landsmann. Ecowin Verlag, Salzburg 2009, 324 S., EUR 24,–

Kurt Bauer: Nationalsozialismus. ­Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall. Böhlau/UTB, Wien, Köln, Weimar 2008,
616 S., EUR 25,60

Christian Klösch: Des Führers ­heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal. Czernin Verlag,
Wien 2007, 256 S., EUR 23,50

Hans Schafranek: Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte ­Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934.
Czernin Verlag, Wien 2006, 356 S., EUR 24,60