Dieter Chmelar

Dieter Chmelar: Mein Leben an der Kippe

Mein Leben an der Kippe

Drucken

Schriftgröße

Im Jahr 2000 versprach ich (etwa zu dem Zeitpunkt, als Schüssel „als Dritter in Opposition“ gehen wollte) öffentlich, das Rauchen aufzugeben. Ich hatte einen blassen Dunst davon, dass Rauchen nicht vitaminhältig ist, und plante, von der goldenen Kreditkarte meiner Gesundheit nicht mehr ausschließlich abzuheben. Begünstigt durch einen Werbevertrag mit einem Pharmakonzern und ermuntert von einem Freund (nom de guerre: „der G’selchte“), der nach dreißig Jahren mit täglich 40 Zigaretten davon abgelassen hatte – wohl aus Angst, es würde zur Gewohnheit –, sang ich das hohe Lied auf die Askese: Lunge, komm bald wieder!
Diese achtzehn Monate waren freilich atemberaubend. Mir blieb nichts erspart. Weder (wie verheißen) irgendein Geld noch Risiken oder riesige Nebenwirkungen. Nennen wir sie vor- und nachsichtig: Fehlleistungen und Fieberfantasien. Einen früheren TV-Intendanten etwa begrüßte ich als Ernst Wolfram Marlboro. Am Würstelstand überlebte jede zweite Debreziner, weil ich daran nur sog statt abzubeißen.

Ich hielt sie versonnen zwischen Zeige- und Mittelfinger und klopfte damit sogar gelegentlich auf den Aschenbecher. Ein verständnisvoller Beobachter zückte einmal sein Zippo: „Woin S’ ka Feuer? Die is jo scho ganz kalt.“ Und nachts träumte ich regelmäßig von vierzig verputzten Filterlosen. Ich erwachte oft mit Sauerstoffschuld, wenn auch im erfrischenden Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein: der erste Nichtraucher mit ausgesprochen hässlichem Raucherhusten. TV-Kollegin Martina Rupp nannte mich „Mein Partner mit der kalten Schnauze“ und litt unter meiner hechelnden Hypermotorik. Ihre offene Bewunderung für den Willensakt wich zunächst einer tiefen Besorgnis um ihre eigene Lebensqualität an der Seite ihres BAP (Bildschirmabschnittpartners) und verwandelte sich nachgerade in eine Nikotin-Nostalgie. Sie hatte bereits Jahrgangszigaretten (aus der häuslichen Schatulle für Gastraucher) im Handgepäck und, so gestand sie mir kürzlich, für den Fall standhafter Verweigerung sogar ein starkes, chefarztpflichtiges Zäpfchen, das sie mir äußerstenfalls auch on air verabreicht hätte. Diese Sendung wäre fraglos in die Annalen eingegangen.

Die erste Zigarette nach Monaten (zufällig zum Vertragsende mit dem Pharmakonzern) schien mir wie der Gehorsamssprung für ein Turnierpferd. Schafft man’s überhaupt noch? Ich zog daran wie der junge Clinton am einzigen Joint seines Lebens („I didn’t inhale“ – das erste Eis hat der nachmals weniger Unbeleckte ja vermutlich auch gleich wieder ausgespuckt). Ich hoffte inständig, es würde mir nicht mehr schmecken. Das bloße Paffen war ekelhaft. Der Genuss kam erst mit dem Lungenzug.

Heute sage ich gern: Mein Arzt hat mir geraten: „Nur noch eine Zigarette nach jeder Mahlzeit.“ Ich bin schon herunten auf 31 Mahlzeiten. Heute kaufe ich zum Zigarettenpackerl, um nicht den menschenverachtenden Einschüchterungsparolen wie „Sie haben noch zehn Minuten zu leben“ ins kalte Auge zu blicken, das formschöne Papp-Kondom dazu und frage mich, warum sich etwa „Marlboro“ nicht diese geniale neue Werbefläche sichert. Und dem unbekannten Epikureer verdanke ich den Wappenspruch für mein Leben an der Kippe: Man muss auch einmal auf ein Opfer verzichten können.

Warum rauche ich? Ich bin ratlos. (André Gide, der französische Literatur-Nobelpreisträger 1947, riet: „Vertrauen Sie denen, die nach der Wahrheit suchen, und misstrauen Sie denen, die sie gefunden haben.“)
Irgendwie sind Hitler, Churchill, Bogart, Kästner und Qualtingers „Herr Karl“ von einer Teilschuld an meinem Rückfall nicht freizusprechen. Hitler verhöhnte Churchill als „paffenden Trunkenbold“. Churchill besiegte Hitler.

Vegetarier, Hundestreichler und Antialkoholiker sind mir nicht zuletzt aus diesem historischen Blickwinkel heraus leidenschaftlich zuwider. Bogart („Got a match?“, fragt er Lauren Bacall zwei Dutzend Mal in „To Have and Have Not“) und Kästner wiederum, von denen ich fast nur Bilder mit Zigarette kenne, sind der Gegenbeweis für das plumpe Vorurteil, Raucher stürben unweigerlich an Lungenkrebs. Bogart starb an Kehlkopfkrebs, Kästner an Speiseröhrenkrebs. Und Helmut Qualtinger ließ den „Herrn Karl“ dereinst knurren: „Rauchen verboten? Wie soll denn da a Unterhaltung zustande kommen?“ Wie Sie vielleicht wissen, arbeite ich in der Unterhaltungsbranche. Got a match?