Am Ende der Vernunft

Donaufestival Krems: Am Ende der Vernunft

Musik. Das Kremser Donaufestival wandert beharrlich auf dem Grat zwischen Politik, Pop und Provokation

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Ob Peter Weibel nun eigentlich ein politischer Künstler sei oder nicht, kann Peter Weibel wahrscheinlich selbst am besten erklären, wobei man ihm allerdings sehr aufmerksam zuhören müsste, denn Peter Weibel spricht erstens sehr schnell, zweitens ziemlich viel und drittens relativ sprunghaft. Das ist freilich eine künstlerische Praxis, die bereits ins Politische tendiert, denn ein klassischer Avantgardeansatz geht ja so: Verweigerung von Sinnzusammenhang sprengt Bürgerlichkeit. Weiters gilt: Krach essen Spießertum auf. Insofern gab es keinen passenderen Eröffnungsact für Thomas Zierhofer-Kins diesjähriges Donaufestival (Motto: „Krems Brûlée“) als den Wiener Medienkunst-Avantgardisten und Karlsruher ZKM-Leiter Weibel, der am 25. April sein Hotel Morphila Orchester wiederbeleben und in der Kremser Minoritenkirche ein „3D-Rausch-Konzert“ aufführen wird.

Passend erscheint das deshalb, weil das Festival unter der Leitung von Zierhofer-Kin beharrlich an der Grenze von Performance und Pop, von Medientheorie und -praxis herumgeistert und bei aller Zukunftsbegeisterung auch gern ein, zwei Blicke zurück riskiert in die gute alte Zeit der Avantgarde. Das meint im Pop- und Medienkunstbereich vor allem die 1970er- und frühen 1980er-Jahre und etwa Künstler wie Michael Rother, den einflussreichen Mitbegründer der Krautrockband Neu!, der in Krems einen Querschnitt durch das eigene Werk präsentieren und damit eine Fährte legen wird zu zeitgenössischen Kraut-Fans wie Geoff Barrow von Portishead (der seine neuen Projekte Beak> und Drokk vorstellen wird).

Vom Krautrock zur Psychedelik ist es üblicherweise nicht besonders weit, und das Donaufestival geht diesen Schritt heuer mit großem Engagement, beispielsweise hin zu dem obskuren, aber die Grenzen der Wirklichkeit erfolgreich zerdehnenden Londoner Duo Hype Williams; oder zu der frei improvisierenden New Yorker Free-Krach-Kapelle Zs; oder zum kalifornischen DJ The Gaslamp Killer, in dessen hippiesk verpeiltem Beat-Forschungslabor das Alphabet eindeutig mit den Buchstaben LSD beginnt. Und wieder gilt: Am Ende der Vernunft steht die Revolution, und Geschichten, denen eine Moral anhängt, heißen Fabel und sind vielleicht für Tiere interessant, aber ganz bestimmt nicht für politisch denkende Menschen.

Schwindelgefühle drohen in Krems traditionell aber nicht nur aus dem Oberstübchen, sondern auch von unten, aus der Bassregion. Heuer zeigen etwa die Leute vom Berliner Experimental-Label PAN, der von London aus in Richtung outer space tanzende Rave-Psycho Actress sowie, besonders prominent, eine Altmeister-Supergroup aus Mark Stewart (The Pop Group), Russell Haswell (Mego), Mika Vainio (Pan Sonic) und Adrian Sherwood (On-U), dass Sounds ganz gut auch als Waffen taugen. Der Theoretiker nennt so etwas vermutlich Frequenzpolitik, aber das wäre wieder eine Frage für Peter Weibel. Auch zu klären wäre in diesem Zusammenhang allerdings, ob die Praxis Provokation-als-Politik überhaupt noch funktioniert. An Krems haben sich nämlich schon ganz andere die Zähne ausgebissen. Im Vorfeld des diesjährigen Festivals war eine Plakataktion der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera spektakulär gescheitert. Unübersehbar war da im Kremser Ortsgebiet ein Fotomotiv aus der Wachau mit dem Zusatztext „A Magical Place where Migrants lose their Rights“ affichiert worden. Und was tut die zuständige Poliik? Sie findet das auch noch toll! Andreas Nunzer, Bürgermeister von Spitz, diktierte den „Niederösterreichischen Nachrichten“: „Das Plakat stellt keinen Angriff auf Spitz oder die Wachau dar, sondern ein Kunstprojekt, das aufrütteln und provozieren will.“ Reinhard Resch, Kremser Ortschef, ebenda: „Die Künstlerin provoziert mit dieser Aussage, dass wir uns mit Fragen der Gleichberechtigung, Anerkennung und des gegenseitigen Respektes auseinandersetzen.“ Ja, schon, aber: Kann man sich darüber nicht wenigstens ein bisschen aufregen?

www.donaufestival.at

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.