Gifte & Krebserreger im Wiener Donaukanal

Donaukanal mit Krebserreger verseucht: Rathaus wollte Ergebnisse geheim halten

Exklusiv: Rathaus wollte Ergebnisse vertuschen

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Wenn der Wiener Krebsforscher Siegfried Knasmüller Gewässer nach krebserregenden Stoffen untersucht, unterzieht er die entnommenen Wasserproben drei verschiedenen Tests. Sobald einer der Tests auf eine Probe positiv reagiert, spricht der Experte von einem „Treffer“. Bei Wasserproben, die er aus dem Wiener Donaukanal entnommen hatte, erlebte Knasmüller allerdings eine seltene Überraschung: Alle drei der angewandten Tests waren mehrfach positiv, sodass der Forscher nicht mehr von „Treffern“ spricht, sondern von einem „Jackpot“.

Knasmüller beschäftigt sich schon seit den achtziger Jahren mit krebserregenden Stoffen im Boden und in Gewässern. Als Leiter der Arbeitsgruppe Umwelttoxikologie des Instituts für Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien – internationale Bezeichnung: Research Unit Chemical Safety and Prevention – bekommt er immer wieder Untersuchungsaufträge, vorzugsweise von öffentlichen Stellen. So hatte er im Zeitraum 1996 bis 1999 von mehreren Ministerien den Auftrag erhalten, die Qualität des Grundwassers in der Mitterndorfer Senke zu untersuchen. Knasmüller und seine Kollegen sollten die Frage klären, ob bei der Verwendung von Grundwasser aus diesem Gebiet Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht.

Die Mitterndorfer Senke ist eines der größten Grundwasserreservoirs Österreichs. Sie zieht sich etwa vom Raum Neunkirchen im südlichen Niederösterreich bis in den Raum Fischamend östlich von Wien. Dieses Grundwasserreservoir wurde durch die Altlast der so genannten Fischer-Deponie, den wohl größten Umweltskandal in der Geschichte Österreichs, massiv mit chlorierten und aromatischen Kohlenwasserstoffen kontaminiert. In die Fischer-Deponie wurden im Lauf von anderthalb Jahrzehnten etwa 550.000 Kubikmeter unterschiedlichste Abfälle aus Haushalt, Gewerbe und Industrie gekippt, darunter auch giftige Chemikalien.

Enorme Belastung. Um für ihre Grundwasseranalysen Vergleichswerte zu erhalten, entnahmen die Forscher in den Jahren 1999 und 2000 auch an zwei Stellen Proben aus dem Hauptstrom der Donau sowie an vier Stellen Proben aus dem Donaukanal (siehe Karte auf der nächsten Seite). Während das biologische Testmaterial auf die Proben aus der Donau nicht reagierte, zeigte es bei allen Proben aus dem Donaukanal positive Reaktionen. Und dieses ­Testergebnis ließ sich in der Folgezeit mehrfach wiederholen. Wenn alle Proben positiv sind und sich das Ergebnis über einen längeren Zeitraum mehrfach wiederholen lässt, dann bedeutet das laut Knasmüller eine erhebliche Belastung mit krebserregenden Stoffen.

Zwar war schon bisher bekannt, dass der Donaukanal ein belastetes Gewässer ist, aber ein derart eindeutiges Ergebnis hinsichtlich des Vorhandenseins von Kanzerogenen hatten die Forscher noch in keinem anderen Oberflächengewässer oder Grundwasser Österreichs erzielt. Selbst bei der bekanntermaßen erheblich belasteten Mitterndorfer Senke zeigten weniger als 30 Prozent der entnommenen Proben eine positive Reaktion – und auch die fiel so schwach aus, dass die Wissenschafter hinsichtlich einer eventuellen Gesundheitsgefährdung durch die Nutzung des Grundwassers Entwarnung geben konnten.

Die Wiener Krebsforscher verwenden bei ihren Analysen drei international anerkannte Verfahren – einen Bakterientest, einen Pflanzentest sowie einen Test mit Leberzellen von Ratten. Dabei suchen sie nach „gentoxischen Wirkungen“, das heißt, sie prüfen, ob das untersuchte Wasser beim jeweiligen biologischen Testmaterial Chromosomen- oder andere Erbgutschäden hervorruft. Es sind verhältnismäßig einfache Testverfahren, die klären sollen, ob in der Probe krebserregende Stoffe vorhanden sind oder nicht. „Der Bakterientest war in einer ganz speziellen Form positiv“, berichtet Knasmüller. „Und der Pflanzentest detektiert vieles nicht, aber wenn er etwas findet, dann ist das ein deutlicher Hinweis auf das Vorhandensein krebserregender Stoffe.“

Japanische Methode. Die Form der von den Forschern eingesetzten Tests ist ein spezielles Anreicherungsverfahren namens „Blue cotton“ oder auch „Blue rayon“. Die von dem Japaner Hikoya Hayatsu, Institutsleiter an der Fakultät für pharmakologische Wissenschaften der Okayama-Universität, entwickelte Methode fußt auf einer Art blauer Watte, welche das jeweilige biologische Testmaterial enthält. In dieser Watte, die einfach in die zu untersuchende Wasserprobe gehängt wird, reichern sich eventuell vorhandene gentoxische, also krebserregende Substanzen an.

Der in der Welt der Umwelttoxikologen sehr bekannte Hayatsu hatte seine Testwatte an befreundete Wissenschafter in aller Welt verschickt und sie aufgefordert, diese in ihre lokalen Flüsse zu hängen, um zu ermitteln, welche krebserregenden Stoffe dort zu finden wären. So landete die Testwatte unter anderem bei Forschern in New York, in Paris und auch bei Knasmüller in Wien. Die Toxikologen steckten die „blaue Watte“ in ihre Wasserproben und schickten das Testmaterial wieder zurück an Hayatsu, um es dort auf einen allfälligen kanzerogenen Inhalt analysieren zu lassen. Kein anderer Wissenschafter erzielte in den lokalen Fließgewässern derart eindeutige Ergebnisse wie die Wiener Krebsforscher im Donaukanal. Alle von Knasmüller eingesandten Proben zeigten eine deutliche Anreicherung mit Kanzerogenen. Es gibt etwa ein Dutzend Stoffe, die laut Klassifizierung durch die International Agency for Research on Cancer (IARC), das Internationale Krebsforschungsinstitut der Weltgesundheitsorganisation WHO mit Sitz in Lyon, als eindeutig humankanzerogen gelten, wie etwa Asbest oder ionisierende radioaktive Strahlung. Darüber hinaus kennt die WHO-Klassifizierung die so genannten 2B-Kanzerogene. Dazu gehören beispielsweise auch die heterozyklischen aromatischen Amine (HAAs) – krebserregende Stoffe, die entstehen, wenn sich Eiweiß unter Temperatureinwirkung mit Zucker verbindet. Solche Stoffe finden sich etwa im Tabakrauch, entstehen bei der Erhitzung von Fleisch unter hohen Temperaturen in der Gastronomie und in Fäkalien. Und genau diese Stoffe entdeckten die japanischen Analytiker in den Proben aus Wien.

Extreme Belastung. Die Wiener Forscher hatten an zwei Standorten Proben aus der Hauptdonau gezogen – einmal knapp unterhalb des Brigittaspitzes, also jener Stelle, wo der Donaukanal beginnt, und einmal knapp unterhalb des Praterspitzes, wo der Donaukanal wieder in die Hauptdonau fließt. Alle an diesen beiden Standorten in der Hauptdonau gezogenen Wasserproben waren negativ. Im Donaukanal selbst zogen die Wissenschafter Proben an vier Standorten: knapp nach Beginn des Donaukanals, im Raum Marienbrücke/Schwedenplatz, im Raum Praterbrücke sowie knapp vor dem Praterspitz, bevor der Kanal wieder in die Hauptdonau mündet.

Der wohl interessanteste dieser vier Standorte ist jener am Beginn des Donaukanals. Denn dort reagierten alle drei Tests auf die aus dem Kanal entnommenen Proben eindeutig positiv, nicht aber auf die aus der nahen Hauptdonau gezogenen Proben. Das bedeutet, dass die Quelle der Kontamination knapp oberhalb oder direkt im Bereich des beginnenden Donaukanals liegen muss. Und die Verursacher müssen erhebliche Mengen der kanzerogenen Stoffe in den Kanal ableiten, sodass deren Spuren über die ganze Strecke des Donaukanals nachweisbar sind.

Nun stellten sich die Wissenschafter folgende Fragen: Gibt es diese vor Jahren festgestellten Stoffe noch immer im Kanalwasser? Und wenn ja, woher kommen sie? Was bedeuten sie für Fauna und Flora des Donaukanals? Was bedeuten sie für die Gesundheit der Menschen, zumal dann, wenn – wie von den Grünen vorgeschlagen – der Kanal zum allgemeinen Badeplatz ausgebaut werden soll? Können diese Stoffe eventuell auch über die Haut aufgenommen werden? Um diese Fragen zu klären, bedürfte es weiterführender Forschungsarbeiten. Denn sicher ist vorderhand nur: Nach internationalen Standards haben krebserregende Stoffe in einem Oberflächenwasser, das für die Fischerei und als Badewasser genutzt wird, nichts verloren.

Brief an Häupl. Deshalb wandte sich Knasmüller schon im Mai des vergangenen Jahres brieflich an den Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl, erhielt aber keine Antwort. In dem Schreiben heißt es: „Unter anderem detektierten wir als eine mögliche Ursache heterozyklische aromatische Amine, die wahrscheinlich durch kommunale Abwässer eingebracht wurden, auch andere krebserregende Stoffe (polyzyklische Kohlenwasserstoffe, Nitroaromaten etc.) könnten beteiligt sein. Diese Verbindungen werden im Rahmen der Wasserun­tersuchungen, die routinemäßig durchgeführt werden, nicht erfasst“.

Erst nach einem zweiten, ebenfalls unbeantwortet gebliebenen Schreiben und nochmaliger telefonischer Urgenz wollten die für den Gewässerschutz zuständigen Magistratsstellen im vergangenen Frühjahr Unterlagen sehen. „Die waren gar nicht überrascht“, sagt Knasmüller. Die zuständigen Magistratsstellen hätten aber kein gesteigertes Interesse an allfälligen weiterführenden Untersuchungen gezeigt. Wenn, dann nur unter der Bedingung, dass die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden. Knasmüller hingegen wies laut eigener Angabe darauf hin, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse dazu da seien, publiziert zu werden. Im Übrigen sei es universitären Wissenschaftern per Merkblatt verboten, Knebelungsverträge abzuschließen. Der international renommierte Krebsforscher, in Österreich der Einzige, der derart spezialisierte gentoxische Untersuchungen durchführt, schlug vor, er würde solche Folge­untersuchungen eventuell gemeinsam mit anderen Stellen vornehmen.

Karl Wögerer, Sprecher von Umwelt-Stadträtin Ulli Sima („Die rote Stimme für die Umwelt“), stellt die Geschichte anders dar: „Knasmüller wollte einen Forschungsauftrag und hat gedroht, in die Medien zu gehen.“ Das Umweltreferat der Stadt habe aber inzwischen die EWS Consulting Wruss ZT GmbH des emeritierten TU-Chemikers Werner Wruss beauftragt, das Donaukanalwasser nach den von Knasmüller entdeckten Stoffen zu untersuchen. Ein „Endbericht“ werde zwar erst im Herbst vorliegen, aber so viel könne Wruss schon jetzt sagen: dass die Proben negativ waren – sagt Wögerer. Wruss, von profil mehrmals telefonisch und per E-Mail um Bestätigung von Wögerers Angaben gebeten, verzichtete auf eine Stellungnahme.

Von Robert Buchacher