Doping: Risiken & Nebenwirkungen

Doping: Risiken und Nebenwirkungen

Der Kampf gegen illegale Substanzen in Athen

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Wie einer ausgeklügelten Choreografie gehorchend, standen sie im schwungvoll überdachten Olympiastadion in Athen: tausende der sportlich leistungsfähigsten jungen Menschen dieses Planeten, darunter 74 Österreicher. Nicht ohne Pathos schworen sie vergangenen Freitag bei der Eröffnung der Spiele kollektiv den olympischen Eid. Auf einen „Sport ohne Doping und ohne Drogen“ wurden sie verpflichtet, „im wahren Geist der Sportlichkeit“ gelobten sie, „die gültigen Regeln zu respektieren“. Noch bis 29. August werden in Griechenland die Olympischen Sommerspiele 2004 ausgetragen. Die Athleten müssen dabei dem Anspruch gerecht werden, Höchstleistungen zu erbringen und gleichzeitig mit sauberen Methoden zu arbeiten. Doch neben immer ausgefeilteren und extrem belastenden Trainingsprogrammen spielt, so sind sich Experten einig, stets auch Doping eine nicht unwichtige Rolle.

Noch vor Beginn der Spiele wurden denn auch prompt die ersten Fälle bekannt: Am Donnerstag der Vorwoche wurde verlautbart, dass drei russische Athleten sowie die spanische Mountainbike-Fahrerin Janet Puiggros Miranda positiv getestet worden waren.

„Der olympische Sport war immer ein gigantisches biologisches Experiment“, sagt John Hoberman, Soziologe an der Universität Texas. „Die physiologischen Grenzen des menschlichen Körpers wurden bereits vor Jahren erreicht und lassen sich nur noch durch pharmakologische Manipulationen erweitern.“ Freilich würden sich die meisten Athleten zu Recht gegen die Einschätzung wehren, dass Spitzenleistungen bloß auf Substanzen aus den Labors der Doping-Doktoren beruhen.

Tatsächlich fallen von gut 100.000 weltweit durchgeführten Dopingtests pro Jahr nur 1,5 bis zwei Prozent positiv aus. Unbestritten ist auch, dass viele Sportler ganz ohne Doping wissenschaftlich erklärbare Leistungen auf hohem Niveau erbringen.

Wirklich spektakuläre Erfolge lassen sich indes nicht ganz so leicht von schierer Muskelkraft allein herleiten. „Spitzensport ohne Doping ist nicht möglich, wenn man das Optimum herausholen will“, sagt der Tiroler Sportmediziner Kurt Moosburger. „Die Bevölkerung soll aufgeklärt werden, vielleicht verliert das Thema dann seinen Reiz.“ Studien der Columbia University gehen in manchen Sportarten von bis zu 90 Prozent gedopten Athleten aus.

„Die Gesellschaft erwartet absolute Spitzenleistungen vor einem idealisierten Fairnesshintergrund“, sagt der Sportpsychologe Günter Amesberger von der Universität Wien. Die vereinzelt geforderte Freigabe befürwortet er allerdings nicht: „Die gesundheitlichen Gefahren würden sich vervielfachen“, glaubt Amesberger. „Das Kontrollsystem ist wichtig.“ Und Olympia-Marathonläufer Michael Buchleitner meint schlicht: „Ich habe null Mitleid, wenn jemand erwischt wird. Letztlich ist Doping immer Betrug.“

Selbst im Breitensport werden verbotene und meist auch gesundheitsgefährdende Mittel in beachtlichem Ausmaß angewandt. Bei einer 1998 durchgeführten Umfrage der Universität Lübeck in norddeutschen Sportstudios gaben 24 Prozent der männlichen Sportler an, Medikamente zur Förderung des Muskelwachstums zu nehmen.

Milliardengeschäft. „Bei der Anbetung des Körpers und des Geldes gibt es keine Grenzen“, formuliert Joe Douglas, früherer Trainer der Leichtathletik-Ikone Carl Lewis. Der beharrlich propagierte, aber längst beschädigte Fairnessgedanke steht denn auch bei den Olympischen Spielen nicht immer im Einklang mit den erhofften Highlights – und die sind schließlich die Würze solcher Veranstaltungen.

Allein die TV-Rechte für Athen erbrachten die Rekordsumme von fast 1,5 Milliarden US-Dollar, eine weitere Dollar-Milliarde lukriert das Olympische Komitee durch Sponsoren. Der Erfolg bringt Bares für viele Beteiligte der Sportbranche, und Doping macht Erfolge wahrscheinlicher. „Ich heiße es nicht gut, habe aber sogar Verständnis dafür, wenn Sportler dopen“, meint Sportmediziner Moosburger.

Erst seit 1968 werden bei Olympischen Spielen Dopingkontrollen durchgeführt. In Athen erreicht die Zahl der Tests ein neues Hoch – bei den 10.500 Athleten sind rund 3000 Checks geplant, um 30 Prozent mehr als vor vier Jahren in Sydney. Jüngstes Instrument der technologisch immer besser ausgestatteten Dopingfahnder ist ein Nachweisverfahren für das Wachstumshormon HGH (Human Growth Hormone). Dieses auch natürlich im Körper vorhandene und in der Hirnanhangdrüse produzierte Hormon wird seit mindestens einem Jahrzehnt im Sport angewandt. Geschätzte 30 Prozent der offiziellen medizinischen Produktion sollen dabei auf dem Schwarzmarkt verschwinden.

Die Verheißungen von HGH: Abbau von Körperfett, Kräftigung von Sehnen und Bändern, Wachstum der Muskeln, Stärkung des Immunsystems. Das von außen zugeführte, auf gentechnischem Weg mithilfe von Kolibakterien synthetisierte Hormon ist bis auf geringfügige Abweichungen im Molekulargewicht mit dem körpereigenen HGH ident – und entsprechend schwer nachzuweisen.

Schlupflöcher. Bereits 1999 hat allerdings der Münchner Endokrinologe Christian Strasburger ein Nachweisverfahren entwickelt und im renommierten Medizin-Journal „The Lancet“ veröffentlicht. Das Olympische Komitee hat Strasburger – fahrlässig oder mutwillig – lange ignoriert. Jetzt wird, wie seit längerem angekündigt, mit dem HGH-Test offensichtlich doch Ernst gemacht.

Die Schlupflöcher für den Missbrauch sind aber weiterhin groß. Die Ausdauerdroge EPO (Erythropoietin) etwa spielt nach wie vor eine Rolle, obwohl seit vier Jahren ein Nachweisverfahren existiert: „Die Sportler haben einen Weg gefunden, EPO einzunehmen, ohne dass es festgestellt werden kann“, weiß der schwedische Anti-Doping-Experte Bengt Saltin.

EPO ist ein in der Niere erzeugtes Hormon, das die Bildung roter Blutkörperchen anregt. 1985 konnte es erstmals synthetisch hergestellt werden. Im Sport eingesetzt, verbessert EPO die Sauerstoffversorgung im Körper. „Es wirkt wie ein Turbo“, sagen Radfahrer. Alle Sportarten mit einer durchschnittlichen Belastungsdauer über zwei Minuten können enorm davon profitieren. Seit EPO nachweisbar ist, wird entweder niedriger dosiert, oder es wird mit verwandten Substanzen gearbeitet: Sauerstoffträger auf Hämoglobinbasis, wie sie für die Intensiv- und Notfallmedizin entwickelt wurden, haben ähnliche Wirkung, ohne im Dopingtest aufzufallen.

Zu einer neuen Qualität des systematischen Betruges hat die Skandaldroge THG geführt. Die ölige, durchsichtige Substanz wurde im kalifornischen Balco-Labor von Victor Conte eigens für Dopingzwecke entwickelt. Dieses „Designer-Steroid“ soll zu mehr Kraft und schnelle-rer Regeneration verhelfen. Interner Codename: „The Clear“.

Insidertipps. Dem gängigen Steroid Ges-trinon wurden synthetisch vier Wasserstoffatome hinzugefügt. Nach seiner chemischen Struktur nannte man den neuen Stoff Tetrahydrogestrinon, kurz THG. Bei Dopingproben war er aufgrund der modifizierten Struktur nicht nachzuweisen. Erst der anonyme Tipp eines Trainers brachte die Fahnder vorigen Sommer auf die Spur des bislang unbekannten Muskelmachers.

Seither strauchelten zahlreiche Sportstars über ihre Verbindungen zu Victor Conte und die Anwendung des vermeintlichen Geheimmittels. Mehrere Leichtathleten wurden überführt. Die zweifache Sprintweltmeisterin Kelli White musste zugeben, seit Jahren verbotene Anabolika und Hormone verwendet zu haben. Der Weltrekordhalter im 100-Meter-Lauf, Tim Montgomery, ist mit denselben Anschuldigungen konfrontiert. Seine Lebensgefährtin, die dreifache Olympiasiegerin Marion Jones, will mithilfe freiwilliger Lügendetektor-Tests die Reste ihrer angeschlagenen Reputation retten.

Trotz der Aufdeckung solcher Fälle befürchten Experten, dass THG in Zukunft noch extensiver zum Einsatz kommen wird. „Die mögliche Anzahl von Variationen ist praktisch unendlich“, warnt Peter Larkins, Sprecher des australischen Colleges für Sportärzte. „Man muss nur ein oder zwei Molekülketten verändern, und schon ist ein neues Mittel erzeugt.“

Der Großteil der verwendeten Mittel besteht aber weiterhin aus herkömmlichen Dopingsubstanzen, und das Repertoire reicht von aufputschenden Stimulanzien bis zu kraftspendenden anabolen Steroiden. Der treffsichere Nachweis ist dabei ein oft schwieriges Unterfangen. Wichtigste Methode der Fahnder ist die Massenspektrometrie. Dabei werden einige Tropfen der Dopingprobe des Sportlers – im Regelfall Urin – mit Elektronen „beschossen“. Die Moleküle zerfallen dadurch, darin enthaltene Substanzen können in der Folge eindeutig identifiziert werden.

Gezielte Suche. Entdeckt wird allerdings nur, wonach man sucht. Deshalb blieb THG lange unerkannt. Außerdem sind sämtliche Mittel nur innerhalb bestimmter Zeitfenster nachweisbar, weil sie im Körper binnen Tagen oder Stunden abgebaut werden. Hinzu kommen viele Substanzen wie Wachstumsfaktoren oder Insulin, für die es gar keine Tests gibt. Manche Sportler lassen zudem in privaten Labors vorsorglich überprüfen, ob sie eine Dopingkontrolle überstehen würden – darunter angeblich auch US-Leichtathletin Jones.

Wie komplex die Thematik ist, zeigen Dopingfälle, die auf Verunreinigungen in Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminen, Proteinen oder Mineralstoffen zurückzuführen sind – Präparate, die für jeden frei erhältlich sind. Untersuchungen der Dopingkontrolllabors in Köln und Seibersdorf haben ergeben, dass rund 20 Prozent der Fläschchen, Pulver und Pillen am österreichischen Markt so genannte „Prohormone“ – Vorläufersubstanzen von anabolen Steroiden – enthalten, die gar nicht am Etikett angegeben sind.

Der Kärntner Hürdensprinter und FPÖ-Parlamentarier Elmar Lichtenegger stolperte vor einem Jahr über den Konsum solcher Präparate und wurde positiv auf die anabole Substanz Norandrostendion getestet. Nach langem Verfahren wurde eine Sperre von 15 Monaten verhängt, die noch bis November 2004 dauert.

Wenngleich die Zahl der jeweils aktuellen Skandale immer wieder rekordverdächtig erscheint – neu ist die Problematik nicht. Schon von den antiken Olympischen Spielen in Griechenland ist überliefert, dass Sportler Schaf- und Stierhoden aßen – ein Versuch, den Testosterongehalt im Körper zu erhöhen und damit mehr Kraft und Aggressivität zu entwickeln. Im 19. Jahrhundert wurden den Athleten dann gar Mittel wie Alkohol, Nitroglyzerin, Opium oder Strychnin anempfohlen.

Dopingverbote traten erst in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Kraft – und wurden zunächst eher halbherzig exekutiert. In der Zeit des Kalten Krieges diente Sport auch zur symbolischen Demonstration nationaler Stärke, und entsprechend wichtig war den Regierungen der Erfolg. In der DDR wurde seit 1974 systematisches und staatlich gefördertes Doping betrieben. Bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 gestand eine Trainerin, dass 40 Prozent des US-Frauenteams Anabolika erhalten hatten.

Genetisches Doping. Der erwartete nächste Schritt heißt Gendoping. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass es in den nächsten fünf Jahren die ersten Fälle gibt“, so Hidde Haisma, Professor für therapeutische Genmodulation in Groningen, in einem Bericht für die niederländische Regierung.

Das Grundprinzip dahinter ist theoretisch einfach: Mithilfe so genannter Vektoren – beispielsweise Viren – soll gezielt DNA in Körperzellen eingeschleust und die Bildung bestimmter Proteine angeregt werden. Andererseits könnte das Hormon Myostatin, das zur Begrenzung des Muskelwachstums dient, mittels Antikörpern ausgeschaltet werden. Auch die Produktion von EPO und HGH ließe sich gentherapeutisch stimulieren. Ein Wachstumsfaktor namens VEGF wiederum würde neue Blutgefäße entstehen lassen, und erhöhte Endorphinausschüttung könnte die Schmerzwahrnehmung lindern.

Die Vorstellung, dass in absehbarer Zukunft sportliche Wettkämpfe genetischer Mutanten bevorstehen, mag übertrieben erscheinen. Dass der Kampf um Hundertstelsekunden mit immer raffinierteren Methoden ausgetragen und Sport vermehrt zum biologischen Experimentierfeld wird, ist aber mehr als bloße Spekulation. Der Berliner Philosoph und Sportwissenschafter Gunter Gebauer sieht darin gar ein Symbol für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen: „Man kann das Dopingverbot als Testfall dafür ansehen, ob es gelingt, die Manipulation des menschlichen Körpers innerhalb der Grenzen von menschlicher Natur und Kultur zu halten.“