Dritte Welt: Hurra, wir retten Afrika!

Das Ziel: Afrika aus der Armutsfalle zu befreien

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Bob Geldof sieht nicht so aus, als stehe er gern früh auf. Zuweilen jedoch schafft es der prinzipiell ungekämmte Ex-Frontman der Siebziger-Jahre-Punkband Boomtown Rats, pünktlich zum Frühstück zu erscheinen. Etwa, wenn er zum Eingang von Downing Street Nr. 10 schlurft, um am Amtssitz des britischen Regierungschefs mit Tony Blair einen Happen zu essen. Langweilig wird ihnen dabei nie, denn sie haben vieles gemeinsam. Laut Geldof trugen die beiden in den siebziger Jahren den schlechtesten Haarschnitt Großbritanniens, beide interessieren sich für Popmusik, auch wenn Geldof mit Blairs Vorliebe für die Softrock-Combo Genesis herzlich wenig anfangen kann, und beide teilen ein Anliegen: Afrika. Am 8. Jänner des vergangenen Jahres fand eines dieser Frühstückstreffen statt, Entwicklungsministerin Hilary Benn war auch dabei, und laut eines Statements von Downing Street drängte Geldof Blair beim morgendlichen Tee dazu, Afrika in den Mittelpunkt der britischen EU- und G8-Präsidentschaft im Jahr 2005 zu rücken.

Die Idee gefiel Blair. Er brauchte, um weltpolitisch nicht ausschließlich als Irak-Kriegskumpan von US-Präsident George W. Bush dazustehen, ohnehin eine neue Aufgabe. Knapp einen Monat später präsentierte der britische Premier die international besetzte „Commission for Africa“, die ein umfassendes Bild der aktuellen Situation und einen Plan zur Rettung des Kontinents erstellen sollte. Der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel und der äthiopische Premier Meles Zenawi gehören der Afrika-Kommission ebenso an wie Blair selbst – und auch Bob Geldof.

Das ungleiche Duo Blair-Geldof machte sich an die Arbeit. Blair begann, seine Kollegen in EU und G8 (der Gruppe der sieben reichsten Länder der Welt plus Russland) auf die enorme Aufgabe vorzubereiten, und Geldof, der 1985 das Benefiz-Event „Live Aid“ zur Bekämpfung der Hungersnot in Äthiopien organisiert hatte, rührte in dem ihm eigenen, eher saloppen Stil – „Give us your fucking money“ – die Werbetrommel. Daneben erarbeitete die Afrika-Kommission einen Bericht, der die Erste Welt gehörig in die Pflicht nimmt. Die wichtigsten Forderungen darin: Schuldenerlass für die ärmsten Staaten, Verdoppelung der Entwickungshilfe und Abschaffung der Handelsbarrieren, die afrikanische Güter von europäischen und US-Märkten fernhalten.

Die konzertierte Aktion scheint zu gelingen, ein neuer Hype ist jedenfalls geboren: Hurra, wir retten Afrika! Von erprobten Dritte-Welt-Kämpfern wie dem irischen U2-Sänger Bono oder dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu bis zu weniger erfahrenen Afrika-Sympathisanten wie Ex-Supermodel Claudia Schiffer und Schauspieler Brad Pitt will keiner fehlen. Geldof hat für den 2. Juli Simultan-Megakonzerte in London, Philadelphia, Berlin, Rom und Paris organisiert, bei denen alles auftritt, was in der Popmusik Rang und Namen hat – oder früher einmal hatte. Wer wie Pink Floyd nicht mehr existiert, unterbricht diesen Zustand für die Dauer des Charity-Gedröhns.

Ziel der Events ist nicht wie bei Live Aid anno 1985, Geld zu sammeln, sondern Druck auf die Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten zu erzeugen, damit die bei ihrem Treffen am 8. Juli im schottischen Gleneagles ein Hilfspaket beschließen, das mehr ist als ein Almosen.

Denn am Ende jenes Reports, der beschreibt, wie man Afrika aus der Katastrophenzone helfen könnte, steht eine Summe, die es aufzutreiben gilt. Geht es nach der Afrika-Kommission, soll das Gesamtvolumen an Hilfsgeldern, das derzeit pro Jahr nach Afrika fließt – etwa 25 Milliarden Dollar (20,6 Mrd. Euro) –, bis 2010 verdoppelt und bis 2015 verdreifacht werden. Penibel aufgelistet wird auch, wofür dieses Geld ausgegeben werden soll: von der HIV-Bekämpfung über den Aufbau von Bildungssystemen und Antikorruptionsprogrammen bis hin zu Infrastrukturprojekten und zur Schaffung eines Klimas, in dem Unternehmen Investitionen wagen.

Nur mithilfe eines solchen großen Schubes, so der Report, könne Afrika die UN-Millenniumsziele erreichen, die sich die internationale Gemeinschaft im Jahr 2000 in New York gesetzt hat: bis 2015 die Armut und den Hunger auf der Welt zu halbieren, die Kindersterblichkeitsrate deutlich zu senken und den Analphabetismus zu beseitigen. Die Zwischenbilanz nach fünf Jahren fällt für Lateinamerika und Asien gemischt aus – für Afrika aber ist sie deprimierend: Wenigen Fortschritten stehen große Rückschläge gegenüber.

Geldquellen. Aber woher sollen die im ersten Schritt notwendigen 25 Milliarden Dollar pro Jahr kommen? Für einen Teil der Summe gibt es zumindest schon Zusagen. Beim UN-Gipfel im mexikanischen Monterrey 2002 verpflichtete sich ein Großteil der reichsten Länder der Welt, die Entwicklungshilfe langfristig aufzustocken – von durchschnittlich 0,25 auf 0,70 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Kürzlich haben die EU-Staaten auch konkrete Zeitpunkte zur Erreichung dieses Zieles bekannt gegeben: Großbritannien will es bis 2012 schaffen, einige andere, darunter Österreich, bis 2015; die skandinavischen Staaten nähern sich ohnehin schon der 1-Prozent-Marke. Werden diese hehren Versprechen tatsächlich eingehalten, fehlen Afrika bis 2010 statt 25 nur noch 15 Milliarden jährlich.

Weitere ein bis zwei Milliarden pro Jahr könnte die Entschuldung der ärmsten afrikanischen Staaten bringen, auf die sich die G8 schon im Vorfeld des schottischen Gipfels geeinigt haben. 18 der ärmsten Länder, darunter 14 afrikanischen, werden mit sofortiger Wirkung ihre Schulden an die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Afrikanische Entwicklungsbank erlassen. Die Gelder, die sie bisher für Zinsen und Rückzahlungen aufwenden mussten, können nun sinnvoller eingesetzt werden. Weiteren 20 afrikanischen Ländern können die Schulden gestrichen werden, sobald sie ihre Budgets transparent machen und nachweisen, dass sie die Armut im eigenen Land wirkungsvoll bekämpfen.

Für die Erreichung der 25-Milliarden-Grenze bringt die Entschuldung freilich nur etwas, wenn die G8-Staaten sie nicht auf ihre bereits zugesagte Entwicklungshilfe anrechnen. Eveline Herfkens, die UN-Sonderbeauftragte für die Millenniumsziele, ist skeptisch: „Da muss man die Regierungen jetzt genau beobachten.“

Eine zusätzliche Geldquelle wäre eine zweckgebundene internationale Steuer auf Flugtickets – eine Idee, die von Frankreich und Deutschland immer wieder ventiliert wird. Doch selbst im besten aller Fälle klafft vor dem G8-Gipfel zwischen den Wünschen der Afrika-Kommission und der Realität ein Millardenloch, das wohl nur ein Staat füllen könnte: die USA.

Die Regierung von George W. Bush hat sich bezüglich Blairs Initiative bisher deutlich zurückgehalten. Sie dreht lieber ihr eigenes Ding und hat vor drei Jahren unter großem Trara den „Millennium Challenge Account“ gegründet. Doch den Worten folgten kaum Taten: Statt der knapp neun Milliarden Dollar, die sich seither über die Entwicklungsländer ergießen hätten sollen, flossen nur hundert Millionen. Zum Vergleich: Die Kosten der amerikanischen Besatzung im Irak belaufen sich auf geschätzte vier Milliarden Dollar pro Monat.

Blair, Geldof & Co hoffen, dass George W. Bush beim Gipfel in Schottland mit einer positiven Überraschung aufwartet. Bis zur letzten Sekunde werden die USA noch von Dritte-Welt-Fürsprechern beackert. U2-Frontmann Bono etwa ließ sich unlängst nach eigenen Angaben vom US-amerikanischen Multimilliardär Warren Buffet belehren, wie er die Amerikaner zu mehr Hilfe bewegen könnte. Buffet warnte Bono davor, an das Gewissen und die moralische Pflicht der USA zu appellieren und riet ihm, stattdessen die Großartigkeit der Nation hervorzuheben. „So können Sie es schaffen“, habe Buffet zu Bono gesagt.

Bono zeigt auch keine Berührungsängste, als irischer Christ die religiöse Rechte in den USA in den Kampf für Afrika miteinzubeziehen. Er isst mit dem prominenten Massenprediger Billy Graham zu Abend, zitiert gegenüber dem republikanischen Ex-Senator Jesse Helms Bibelverse und findet US-Präsident George W. Bush im persönlichen Gespräch „sehr witzig“.

Sind die ideologischen Grenzen zwischen linker Dritte-Welt-Romantik und rechter Nächstenliebe einmal überwunden, helfen alle zusammen. Der konservative US-Sender Fox TV stellt gratis Werbezeit zur Verfügung, das linke Hollywood von George Clooney bis Sean Penn wirft seine PR-Maschine an, die christliche Musikindustrie kämpft Seite an Seite mit dem Rapper P. Diddy für dieselbe gute Sache.

Bei einem Helfersyndrom derartigen Ausmaßes ist Skepsis angebracht. Hat der Hype echte Substanz? Sind die neue Hilfswelle, das neue „We Are the World“-Gefühl und die neue Entwicklungshilfe wirklich so anders als die bisherigen Anläufe, die letztlich allesamt enttäuschten?

Die Länder, die in den vergangenen 50 Jahren zu den reichsten der Welt aufgeschlossen haben – wie Südkorea, Taiwan oder Singapur –, schafften dies aus eigener Kraft. Die Entwicklungshilfe hingegen hat in ihrer Geschichte seit dem Beginn des Kalten Krieges, als im Zweikampf zwischen den USA und der Sowjetunion die Dritte Welt erstmals ins Blickfeld rückte, kaum Erfolgsstorys zu bieten. Wenn eines der früher beliebten Megaprojekte – Stichwort Staudämme – statt des erhofften Wirtschaftsaufschwungs nur Umweltprobleme hervorrief, spielte das keine besondere Rolle – Hauptsache, das betreffende Land blieb im eigenen weltanschaulichen Lager. Nach dem Ende des Kalten Krieges verlegte man sich auf radikale Marktrezepte, die den Entwicklungsländern von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds aufgedrängt wurden. Erst als diese auch nicht griffen, wurde allen Beteiligten langsam klar, dass Entwicklung eine ziemlich vertrackte Angelegenheit ist, bei der unzählige Faktoren mitspielen. Dementsprechend kompliziert sind Entwicklungsprojekte heutzutage: Eine eigene Wissenschaft mit Heerscharen gut bezahlter Spezialisten hat sich herausgebildet.

Einer der Einsichten aus der Entwicklungspraxis trägt nun der Bericht der Afrika-Kommission Rechnung: dass Entwicklung dann am besten funktioniert, wenn die Betroffenen selbst die Verantwortung dafür tragen. Laut dem Plan der Kommission sollen die einzelnen bilateralen Projekte der Dänen, Österreicher, Kanadier oder Japaner der Vergangenheit angehören – auch wenn das für die Geberländer schmerzlich ist, erläutert Myles Wickstead, Generalsekretär der Afrika-Kommission im profil-Interview.

Überweisung. Bisher verwaltet jedes Geberland seine Entwicklungshilfegelder selbstständig. Die Republik Österreich etwa stattet die Austrian Development Agency (ADA) mit Geld aus, das in Projekte fließt, die von der ADA für förderungswürdig befunden worden sind. Den Empfängerländern kommt im Wesentlichen die Rolle der dankbaren Bedürftigen zu. Nach dem Willen der Afrika-Kommission soll sich das ändern und das Geld aller Geberländer direkt an jene Staaten überwiesen werden, die sich durch transparente Politik dafür qualifiziert haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das erhöht ihre Verantwortung, nimmt aber im Gegenzug den Geberländern die Möglichkeit, stolz auf ihre Projekte zu verweisen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Hilfe auf diese Weise besser eingesetzt wird? Der äthiopische Premier Meles Zenawi, selbst Mitglied der Afrika-Kommission, begrüßt die neue Strategie natürlich, schließlich gilt seine Regierung als potenzieller Nutznießer. Besser gesagt, sie galt als potenzieller Nutznießer, denn als kürzlich nach umstrittenen Wahlen in Äthiopien hunderte Oppositionelle verhaftet wurden und 36 Personen bei Zusammenstößen mit der Polizei ums Leben kamen, stellte Großbritannien die Hilfe an das ostafrikanische Land vorübergehend ein.

Das Beispiel Äthiopiens zeigt, welchen Beitrag die afrikanischen Länder leisten müssen, damit die Rettung des Kontinents gelingt. Ihre Aufgabe ist es, demokratische Systeme zu schaffen, die Korruption zu bekämpfen und die Verwendung ihrer Budgets offen zu legen. Die UN-Sonderbeauftragte Herfkens berichtet, dass etwa in ugandischen Dörfern Plakate aufgehängt werden, die die Bevölkerung informieren, wie viel Geld im Budget für Schulen zur Verfügung steht. Die Bürger könnten bei ihren Regierungen Einspruch erheben, wenn das Geld nicht sinnvoll verwendet worden sei.

Dass bei dieser Vorgangsweise Rückschläge zu erwarten sind, ist allen Beteiligten klar. Wem kann man schon vorbehaltlos vertrauen? Offenbar nicht einmal Bob Geldof selbst. Während er sich abmüht, einen Kontinent auf die Beine zu bringen, wollen ihn die Mitglieder seiner früheren Band Boomtown Rats verklagen, weil er ihnen angeblich Tantiemen schuldet. Niemand ist perfekt.

Von Sebastian Heinzel und Robert Treichler