Reportage: Drogen, Terror, Taliban

Drogen, Terror, Taliban: Eine Reportage aus dem Kriegsgebiet im Süden Afghanistans

Martin Staudinger aus Kandahar, Afghanistan

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Sie sind aus dem ganzen Tal in die Festung von Ghorak heraufgekommen: aus den Lehmumfriedungen geduckter Gehöfte, aus verstreuten Weilern, aus Dörfern, deren Name auf keiner Landkarte verzeichnet ist. Die Beine alterskrumm, die Gesichter wie aus den Felsen der umliegenden Berge gehauen, kaltes Feuer in den Augen – so traten sie durch das Tor herein, streiften ihre zertretenen Schuhe ab und ließen sich auf bunten Teppichen nieder.

Und jetzt warten die Stammesältesten des Distrikts Ghorak im Nordwesten der südafghanischen Provinz Kandahar unter blühenden Mandelbäumen auf ungebetene Gäste.

Der dumpf vibrierende Bass von Rotorblättern kündigt ihre Ankunft an: Fünf Hubschrauber donnern von Südosten her im Tiefflug über den Talboden, lassen eine erste Verteidigungslinie aus gepanzerten Humvees der US-Armee weit draußen im Gelände hinter sich und kurven um einen Hügel, auf dem weitere Jeeps mit schussbereiten Maschinengewehren Stellung bezogen haben. Gelber Rauch markiert die Landezone, Soldaten springen aus den Bäuchen der Maschinen und zirkeln mit Präzisionsgewehren misstrauisch Halbkreise ab.

Der Staat Afghanistan wagt sich zum ersten Mal seit seiner Neugründung nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 offiziell herauf nach Ghorak, hart an der Grenze zur Provinz Helmand: In den Helikoptern sitzen Vertreter der Regierung in Kabul, begleitet werden sie von hochrangigen Offizieren und Diplomaten der von der Nato geführten Schutztruppe Isaf (International Security Assistance Force), die für Stabilität in Afghanistan sorgen soll. Sie wollen bei den Clanchefs des strategisch höchst bedeutsamen Ghorak-Tales um Loyalität und Unterstützung werben.

Der demonstrativ starke Auftritt der Delegation beweist vor allem eines: Nervosität. Die Gegend hier ist nicht sicher. Erst im März sind amerikanische Isaf-Einheiten nach Ghorak vorgestoßen und haben die Festung eingenommen. Das Fort liegt am Eingang eines Passübergangs, die Schutztruppe kontrolliert damit eine wichtige Ost-West-Verbindung der Taliban von Kandahar nach Helmand, wo seit Wochen blutige Kämpfe stattfinden.

Vor Sonnenaufgang haben Späher der Amerikaner verdächtige Bewegungen an den Berghängen registriert: In ihren Nachtsichtgeräten zeichneten sich die grünlichen Umrisse schleichender Gestalten ab. „Keine Erlaubnis bekommen, sie anzugreifen“, knurrt einer der US-Soldaten, die an der Brüstung des Forts lehnen und die karge Landschaft mit Feldstechern absuchen: „Leider.“

Möglich, dass Taliban auf die Schura, also die Versammlung, aufmerksam geworden sind, die heute hier stattfindet. Möglich auch, dass sie versuchen, das Treffen durch Waffengewalt zu verhindern. Und auf welcher Seite die Stammesältesten stehen, wissen nur sie selbst und Allah. Wenn überhaupt.

Alles Gründe, vorsichtig zu sein.

„Wir möchten die Einheimischen davon überzeugen, dass wir keine Besatzer sind“, sagt Gajus Scheltema, während er zwischen seinen zwei Leibwächtern den Hügel zur Festung hinaufeilt. Der Niederländer, ein ruhiger, kluger Mann, lange Jahre Botschafter in Jordanien, fungiert derzeit als politischer Berater von General Ton van Loon, dem Kommandanten der Isaf in Südafghanistan: „Wir wollen ihre Herzen und Hirne gewinnen“, macht er sich selbst Mut: „Das Wichtigste ist aber erst einmal zu hören, was sie uns sagen wollen.“

Die Offiziellen nehmen artig an weißen Plastiktischen Platz, die Clanchefs kauern mit stolzer Herablassung zu ihren Füßen auf den Teppichen.

„Lasst uns mit einem Gebet beginnen“, murmelt einer der Alten, es ist Haji Pasha, der Wortführer unter den Stammeschefs, und öffnet seine Handflächen zum Himmel.

Von Helmand her rollt das dumpfe Echo einer detonierenden Artilleriegranate durch die Schlucht.

Irak am Hindukusch. Frühling in Südafghanistan: Im vergangenen Winter hat es zum ersten Mal nach mehreren Jahren der Dürre wieder geregnet und geschneit. Dann kam die Hitze, und was noch vor ein paar Tagen knöcheltiefer Morast war, ist jetzt puderfeiner Staub, den jeder Windhauch vom Boden hochbläst.

Er weht aus der roten Wüste herein, er weht in die karge Ebene südlich der Stadt Kandahar, aus der Berge aufragen wie rostige Klingen, er weht über die dunkelgrünen Rechtecke, die aus der sandfarbenen Einöde herausstechen. Auf ihnen wachsen die unstillbaren Sehnsüchte der Drogenkranken und ihre trügerische Erfüllung: Schlafmohnpflanzen, Ende März gerade einmal kniehoch. Bald werden sie blühen.

Für den Frühling hatten die Taliban eine Großoffensive gegen die afghanische Regierung und die Truppen der Isaf angekündigt: „Der Angriff steht unmittelbar bevor“, drohte ihr militärischer Führer Mullah Dadullah: „Die Zahl der Kämpfer, die bereitstehen, hat 6000 erreicht und wird auf 10.000 steigen.“

Das war im Februar, und eine erste Welle von Selbstmordattentaten ließ befürchten, dass es keine leeren Worte waren.

Im Lauf des vergangenen Jahres haben die radikalislamischen Gotteskrieger, die nach dem Sturz ihres Regimes durch eine Allianz aus US-Truppen und lokalen Kriegsfürsten im Jahr 2001 längst am Ende schienen, wieder an Einfluss gewonnen. Im paschtunisch dominierten Süden des Landes, vor allem in den Provinzen Kandahar, Helmand, Zabul und Uruzgan, übernahmen sie die Kontrolle über ganze Landstriche.

Dort brachten sie über den Sommer ihre mächtigste Waffe in Stellung – papaver somniferum, besser bekannt als Schlafmohn, Rohstoff für Opium. Mehr als 90 Prozent der weltweit produzierten Menge kamen 2006 aus Südafghanistan, heuer dürfte der Anteil noch steigen (siehe Kasten Seite 100).

Die fast 40.000 Mann starke Isaf versucht nun, den Gotteskriegern zuvorzukommen. Anfang März startete sie mit mehr als 5000 Soldaten die „Operation Achilles“, ihre eigene Frühjahrsoffensive. Amerikanische und kanadische Verbände rückten von Süden, britische von Südwesten, niederländische von Norden her in die unzugänglichen Bergregionen von Kandahar und Helmand vor. Sie kämpften einen Staudamm frei, in dem 40 Prozent der afghanischen Wasservorräte gespeichert sind, schafften es, die Milizen durch ständige Scharmützel zu binden und einige ihrer hochrangigen Führer auszuschalten. Auf den Stabskarten der Isaf markieren vier rote Ovale um die größeren Städte der Region jene Zonen, die als gesichert gelten. Sie sollen nach und nach ausgeweitet und miteinander verbunden werden. Noch aber wirken sie klein und verloren.

Glaubt man der Isaf, läuft momentan aber alles prächtig. „Wir sind nicht mehr mit konventioneller Kriegsführung konfrontiert wie zu Beginn“, analysiert Squadron Commander Dave Marsh, Sprecher der Nato, bei einem Briefing auf der Militärbasis Kandahar Airfield, der größten in Südafghanistan.

„Von der angekündigten Taliban-Frühjahrsoffensive war bisher nicht viel zu bemerken, bis auf ein paar Selbstmordattentate und improvisierte Sprengfallen“, sagt Lieutenant Colonel Robert Walker, der das 2. Bataillon des Royal Canadian Regiment kommandiert, eine Kampfeinheit mit 1150 Soldaten.

Die Zahl dieser „sicherheitsrelevanten Vorfälle“ hat sich im Vergleich zum ersten Vierteljahr 2006 allerdings nahezu verdoppelt. Seit Jänner wurden mehr als 130 Polizisten und Regierungssoldaten getötet, die meisten davon im Süden des Landes.

Die Isaf macht Terrain. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Taliban deshalb verlieren.

Heute Bauer, morgen Krieger. Oben in der Festung von Ghorak sind die Gebete verrichtet, jetzt bemühen sich die Vertreter der Regierung und der Isaf aus ihren Plastiksesseln heraus um gute Stimmung. Es sprechen: ein General der afghanischen Nationalarmee, ein General der afghanischen Nationalpolizei, ein Oberst der britischen Armee und Botschafter Scheltema.

Sie sagen im Wesentlichen alle das Gleiche. „Diese ehrenwerten Männer haben ihre Familien und Häuser verlassen, um euch zu helfen“, ruft der Polizeigeneral: „Sie sind nicht als Besatzer hier, und sie werden auch nicht auf Dauer bleiben.“ Es geht um Stabilität und Sicherheit, um Aufbauhilfe und Subventionen. „Wenn wir zusammenhelfen, wird es hier bald prosperierende Dörfer geben und Wohlstand für alle“, appelliert der Armeegeneral.

Die Stammesältesten streichen über ihre Bärte, sie wiegen bedenklich ihre Häupter, sie nippen an dunklem Tee. Sie sehen nicht aus, als würden sie auch nur ein Wort von all dem glauben. Ab und zu spuckt einer gemessen aus.

„Die Leute hier sehen Ausländer wahrscheinlich zum ersten Mal seit dem Ende der sowjetischen Besatzung“, flüstert ein britischer Offizier. Gut möglich: Immer noch macht ein altes Minenfeld der Roten Armee den Weg aus dem Tal für Fahrzeuge schwierig.

Die Sonne kriecht höher, die Europäer schwitzen, die Afghanen blicken gegen den grellen Himmel, ohne zu blinzeln. In ihrem Rücken steht ein US-Soldat, das Sturmgewehr schussbereit, und lässt die Versammlung nicht aus den Augen.

Er sieht weiße Turbane, sandfarbene, graue und schwarze.

Schwarz: Ist das nicht die Farbe der Taliban, das Privileg der Nachfahren des Propheten Mohammed? Man kommt nicht weit mit Unterscheidungsmerkmalen wie diesem. Wie viele Gotteskrieger es in Afghanistan tatsächlich gibt, weiß niemand. Es mögen ein paar hundert sein, vielleicht auch einige wenige tausend, die zum harten Kern zählen: Aufgewachsen während der sowjetischen Besatzungszeit in den Flüchtlingslagern jenseits der pakistanischen Grenze, ausgebildet in fundamentalistischen Koranschulen, oft genug Kriegswaisen ohne Bindung an Familien oder Clans – das sind ihre Kader.

Daneben gibt es die Söldner aus der einheimischen Bevölkerung, die sich gegen gutes Geld als Kämpfer verdingen, für ein paar Tage oder Wochen, vielleicht auch nur für einen Angriff oder einen Hinterhalt. Eine Waffe hat hier jeder, fremde Soldaten mag keiner. Heute Bauer, morgen Krieger, den einen Tag am Schlachtfeld, den nächsten am Acker: „Die Guerilla bewegt sich im Volk wie der Fisch im Wasser“, schrieb einst Mao Tse-tung, und hätten es die Afghanen gelesen, sie würden sich als seine Brüder im Untergrundkampf fühlen.

Wer von den Clanchefs, die hier in der Festung von Ghorak sitzen, hat gemeinsame Sache mit den Gotteskriegern gemacht? Wer tut es noch immer? Wer zählt möglicherweise selbst zu den Taliban?

Vor den undurchschaubaren Mienen der Alten reden die Vertreter von Isaf und der Regierung auch gegen ihre eigene Unsicherheit an. Sie reden schon fast zwei Stunden lang, und Haji Pasha reicht es langsam.

Die Straße der Selbstmörder. Jeden Morgen um halb fünf Uhr Früh legt Kandahar vor Gott aufs Neue Zeugnis seiner Rechtgläubigkeit ab. Hundertfach steigt der Name des Herrn aus der Dunkelheit empor, die rauen Stimmen dutzender Muezzins wetteifern um seine Gunst und Gnade, schier endlose Lobpreisungen hüllen die Stadt ein, durcheinander, nebeneinander, übereinander: Allahu Akbar, Gott ist groß.

Kandahar ist die Hochburg der Taliban. Hier wurden sie nach dem Abzug der Sowjets 1994 vom legendären Mullah Omar gegründet, von hier aus übernahmen sie binnen weniger Jahre die Macht in Afghanistan und ersetzten die Anarchie der Kriegsfürsten durch eine brutale, mittelalterliche, aber immerhin berechenbare Ordnung. Nach dem Fall ihres Regimes tauchte Mullah Omar unter. Er soll aber bis heute das Oberkommando führen. Manche vermuten ihn immer noch in Kandahar.

Die Sicherheitslage in der Stadt ist angespannt. Selbst die Soldaten des kanadischen „Provincial Reconstruction Team“, das sich um den zivilen Wiederaufbau der Infrastruktur Kandahars kümmert, können ihr Camp nur unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen verlassen.

„Gentlemen, Abfahrt in zehn Minuten“, sagt der Kommandant des Schützenpanzer-Konvois, der sich an diesem Morgen auf den knapp 20 Kilometer langen Weg zum Flughafen von Kandahar macht, wo die Isaf ihre größte Basis in Südafghanistan betreibt.

„Bedrohungen entlang der Route: Selbstmordattentate, Sprengfallen, Angriffe mit Panzerfäusten. Sollte ein Fahrzeug angegriffen werden, Weiterfahrt mit maximaler Geschwindigkeit in die nächste sichere Zone. Sollte es nicht mehr fahrtüchtig sein, blockieren die anderen die Straße und sichern es. Überprüfen Sie, dass Ihre Waffe geladen ist. Aufsitzen. Viel Glück.“

Noch schnell eine Zigarette, dann schließen sich die Klappen der Panzer, die Fahrzeuge rumpeln durch das Tor hinaus, an den Geschütztürmen montierte Kameras liefern der Besatzung Bilder von der Umgebung. Im Fadenkreuz taucht ein verdächtiger Wagen auf.

„Toyota am Kreisverkehr, scheint auf etwas zu warten.“
„Verstanden, sehe ihn auch.“

Der Konvoi nähert sich dem Auto, die Bordkanone fixiert die Fahrertür, ein Knopfdruck würde genügen, um tödliche Feuerkraft zu entfesseln, aber dann ist die Gefahrenstelle passiert, ohne dass etwas geschehen wäre.

Die Kamera schwenkt weg und stellt auf das nächste Objekt scharf, eine Kiste am Straßenrand. Dann auf einen Mann am Fahrrad. Auf die Windschutzscheibe eines entgegenkommenden Lasters. Auf die Obstkisten eines Straßenhändlers. Es ist das dauernde nervöse Abtasten einer potenziell tödlichen Außenwelt. Die Strecke von Kandahar zum Flughafen trägt inzwischen den Spitznamen „Suizidstraße“. Notdürftig geflickte Stellen im Asphalt erinnern an mehr als zwei Dutzend Anschläge in den vergangenen Wochen und Monaten.

„Wir müssen in der gesamten Provinz Kandahar jederzeit mit Selbstmordattentaten und Hinterhalten rechnen“, wird Nato-Sprecher Dave Marsh später auf der Basis sagen: „Damit versuchen die Taliban zu verhindern, dass die Einheimischen Kontakt zu uns aufbauen, weil es einfach zu gefährlich ist, sich in unserer Nähe aufzuhalten.“ Jedes Isaf-Fahrzeug, das außerhalb der Militärstützpunkte unterwegs ist, trägt vorne und hinten ein großes, rotes Schild mit der Silhouette eines Soldaten, der warnend die Hand hebt. Es signalisiert: Abstand halten.

Vor dem Konvoi, der Richtung Flughafen schnaubt, weichen Autos eilfertig an den Straßenrand aus. Die Bordkanone hat sie immer im Visier.

Unheilige Dreieinigkeit. Oben in der Festung von Ghorak hat sich Haji Pasha, Wortführer der Clanchefs, aus dem Schneidersitz erhoben. „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Allerbarmers, er ist gepriesen und erhaben“: Der Alte steht vor den Leuten von der Regierung und der Isaf, nach all den schönen Worten ist es Zeit für ein paar unangenehme Wahrheiten. Er rafft seinen Shawl zusammen, reckt widerspenstig das Kinn und schleudert den Fremden seinen Zorn entgegen.

„Ich will euch sagen: Ich wurde in diesem Tal geboren und habe es nur selten verlassen, es ist ein gutes Tal. Aber jetzt sind die Amerikaner hier und fahren mit ihren Jeeps herum. Sie kommen in unsere Dörfer, sie kommen zu unseren Häusern, sie erschrecken unsere Frauen und Kinder. Sie sind zu nahe, das ist nicht gut. Sie sollen draußen in den Bergen bleiben und die Taliban suchen, wir brauchen sie hier nicht.“

Die Isaf-Offiziere nicken verständnisvoll.

„Und ich will euch sagen: Man behauptet, dass wir al-Qa’ida sind. Die Amerikaner sind jetzt drei Wochen hier, sie sollen Zeugnis ablegen: Haben sie einen Taliban bei uns gefunden? Einen Terroristen? Hat jemand auf die Amerikaner geschossen? Hat jemand eine Bombe gelegt? Sind wir schlechte Menschen? Wir fürchten uns vor den Taliban, aber wir fürchten uns genauso vor der Regierung, denn diese Regierung ist korrupt, sie steckt sich alles in die eigenen Taschen.“

Der afghanische Polizeigeneral Ismatullah Alizei und sein Nebenmann stecken die Köpfe zusammen, tuscheln und feixen.

„Ich sage euch: Ja, wir bauen Opium an. Wir würden gerne etwas anderes pflanzen. Aber die Dürre hat unsere Obstbäume und Felder zerstört, und wir bekommen kein anderes Saatgut. Es waren Leute hier mit Stiften und Büchern, sie haben alles aufgeschrieben und Hilfe versprochen, und dann sind sie in die Stadt zurückgefahren. Aber nie wieder haben wir etwas von ihnen gehört. Und deshalb sind wir nicht auf eurer Seite.“

Dann lässt er sich wieder auf dem Teppich nieder und nimmt einen Schluck Tee. Er hat gesagt, was gesagt werden muss.

Das Drogengeschäft bringt den Gotteskriegern nicht nur Geld, es sichert ihnen auch den Einfluss auf die Bevölkerung: Wer keine anderen Alternativen hat, kauft auf Kredit Mohnsetzlinge und gerät so in die Abhängigkeit von Drogenbossen, Kriegsfürsten oder Taliban-Kommandanten – oft genug eine unauflösbare Dreieinigkeit. Da nutzt es auch wenig, dass Regierung und Isaf den Suchtgifthandel einzudämmen versuchen, indem sie Mohnfelder umpflügen. „Was ich jetzt machen werde?“, schreit ein Bauer nahe Kandahar, dessen Saat gerade vernichtet wurde, wütend: „Ich gehe zu den Taliban.“

„Die Leute da draußen unterstützen ganz einfach die Stärkeren, ob das nun die Regierung ist, die Isaf oder die Taliban“, sagt Haji Abdul Baqi, der Provinzverantwortliche für Stammes- und Grenzangelegenheiten, am Tag danach in einem Hinterzimmer in Kandahar trocken gegenüber profil.

Polizeigeneral Alizei sieht, zurück in seinem Büro, die Sache weitaus optimistischer: „In dieser abgelegenen Gegend wurde uns von den Menschen versichert, dass sie mit der Regierung kooperieren. Und wir haben ihnen gezeigt, dass sie nicht vergessen sind. Wir werden ihre Probleme lösen, jetzt, wo dank der Isaf im Distrikt Ghorak endlich Sicherheit herrscht.“

Fastfood und Teddybären. Sicherheit: Das ist ein Tor, das sich vor dem Schützenpanzer-Konvoi öffnet und Einlass zum Flughafen von Kandahar gewährt. Es gibt wenige Orte in Südafghanistan, in denen es sich komfortabler leben lässt – selbst wenn Taliban-Sympathisanten alle paar Tage eine Rakete auf das Gelände abfeuern.

Die Basis heißt im Jargon der Militärs kurz KAF, „Kandahar Airfield“, und sie würde nicht weniger in die Wüste passen, wenn Außerirdische gelandet wären.

Hier gibt es einen Supermarkt, in dem Teddybären in Tarnuniformen verkauft werden und Thermoskannen, auf denen unter einem Totenkopf mit gekreuzten Gewehren der Slogan „Operation Enduring Freedom – one Shoot, one Kill“ eingraviert ist. Es gibt eine Kantine, die zwölf Stunden am Tag offenhält. Auszug aus dem Mittagsmenü vom Montag, 26. März: Beef Fajitos, Enchiladas, Baked Fish, Mexican Rice, Chicken Tenders, Hot Dogs. Fünf Salate, sechs verschiedene Dressings. Cola oder Pepsi, ganz nach Gusto. Frisches Obst. Kaffee und Kuchen.

Für den Hunger zwischendurch: Restaurants von Burger King, Pizza Hut und Subway. Für die Erholung: ein Reisebüro, das Urlaube in Dubai anbietet. Für diejenigen, die vom Krieg nicht genug kriegen: Paint-Ball-Wettbewerbe und Tontaubenschießen.

Es gibt einen Sportplatz, auf dem Baseball gespielt wird. Duschen mit sauberem Wasser. Es gibt Klosprüche: „Woody ist schwul.“ – „Amerikaner sind die besten Schwanzlutscher.“ – „Holt mich hier raus.“

Die Basis blinkt und piept, sie faucht und knattert, sie heult und röhrt: 24 Stunden am Tag starten Hubschrauber, landen Flugzeuge, brummen Jeeps und rasseln Panzer. Manchmal schießen die Truppen mit schwerer Artillerie ins Leere oder feuern von Hubschraubern Raketen in die Wüste, um ihren unsichtbaren Gegner zu beeindrucken.

Die Basis wächst und schrumpft, sie verändert sich von Tag zu Tag, wo gestern eine Zeltreihe war, ist heute eine leere Fläche und morgen ein neues Gebäude.

Sie ist der absolute Gegenentwurf zur Welt da draußen.

Ferner Donner. Oben in der Festung von Ghorak wird jetzt ein Mahl aufgetragen, Fladenbrot, Lamm und Reis, dazu Mirinda-Orangenlimonade. Die Leute von der Regierung und der Isaf essen an den Tischen, die Stammesfürsten am Boden. Danach umringen die Alten den Oberst der britischen Armee, die im Sommer den Kommandobereich Südafghanistan übernehmen wird: „Die Nachricht, die ich meinem General mitbringe, ist, dass ihn die Ältesten von Ghorak unterstützen“, versucht der Offizier sich selbst vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was er gerade gehört hat: „Ihr weisen Männer, die ihr länger hier seid als ich: Ihr wisst, dass es in diesem Land lange braucht, alles perfekt zu machen.“

Die Clanchefs lachen. „Es geht nicht darum, wann uns geholfen wird, es geht darum, dass es überhaupt geschieht“, ruft einer.

„Ich muss jetzt leider weg, mein Transport wird gleich aufbrechen“, sagt der Oberst.

„Was ich von diesem Tag mitnehme? Besorgnis über die große Frustration der Menschen hier“, resümiert Botschafter Scheltema am Weg zu den Hubschraubern: „Ich habe den Eindruck, dass sie tatsächlich von den Drogenbaronen abhängig sind, die sie zwingen, Opium anzubauen. Dass sie jenen folgen werden, von denen sie sich am meisten versprechen. Und dass sie eines sicher nicht wollen: die Präsenz westlicher Truppen.“

Dann heben die Helikopter ab und fliegen südwärts, Richtung Kandahar, in die fragwürdige Sicherheit der Basis, während sich die Stammesältesten in ihre Dörfer, in die Weiler und Gehöfte zurückbegeben, mancher von ihnen noch mit einer Dose Mirinda-Orangenlimonade in der Hand, und es still wird im Tal.

Der Kondensstreifen eines hoch fliegenden Düsenjets ritzt den Himmel an.

In den Frühlingsbäumen Vogelgezwitscher.
Aus den Bergen von Zeit zu Zeit Geschützdonner.

von Martin Staudinger, Kandahar