Druck auf Gusenbauer wird immer stärker

Sozialdemokraten in schwerer Depression

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Gegen Ende der turbulenten Woche war der Sündenbock klar ausgemacht: Dass Wiens Altbürgermeister Helmut Zilk via Fernsehen und sein ideologisches Leitmedium „Kronen Zeitung“ eine Art Privatfeldzug gegen den ohnehin taumelnden Kanzler führte – das nervte selbst Alfred Gusenbauers mächtigste Kritiker.

Solchen Störfunk von außen brauchen die Akteure an der Spitze der österreichischen Sozialdemokratie derzeit so dringend wie Zahnweh: Ihre Aufgabe in den kommenden Sommerwochen ist ohnehin heikel bis zum Abwinken. Die Ausgangslage: Praktisch alle Landesvorsitzenden der SPÖ sind der Meinung, die SPÖ könne mit Alfred Gusenbauer an der Spitze keine Wahlen mehr gewinnen – weder im Bund noch in den Ländern (was die regionalen Granden natürlich besonders beunruhigt). Es sieht nicht so aus, als könnte der Kanzler sie noch vom Gegenteil überzeugen. Allerdings sind sich alle einig, dass der Übergang zu einem Nachfolger ohne Wirbel ablaufen muss, um die waidwunde Partei nicht noch weiter zu schwächen. Also müsse Alfred Gusenbauer freiwillig das Handtuch werfen. Dieser denkt jedoch nicht daran. Es gibt einfachere Konstellationen. Klar, dass solche Gemengelagen der Gerüchteküche ordentlich Zunder geben. Bis Freitag vergangener Woche hatten folgende Ondits die Runde gemacht, ohne handfeste Bestätigung zu finden:

Gerücht Nummer 1: Alfred Gusenbauer werde dem am Montag tagenden SPÖ-Präsidium vorschlagen, Infrastrukturminister Werner Faymann zum stellvertretenden Parteivorsitzenden zu machen. Kolportierter Hintergedanke: Gusenbauer wolle seinen Rivalen auf diese Art in die Verantwortung nehmen.

Gerücht Nummer 2: Gusenbauer wolle Sozialminister Erwin Buchinger durch einen Gewerkschafter ersetzen. Kolportierter Hintergedanke: Gusenbauer versuche auf diese Weise, die frustrierte rote ÖGB-Fraktion als Bündnispartner zu gewinnen.

Gerücht Nummer 3: Sollte Innenminis­ter Günther Platter nach Tirol wechseln und in der ÖVP eine Regierungsumbildung notwendig werden, würde auch Gusenbauer sein Team umbilden, und zwar so: Sicherheitssprecher Rudolf Parnigoni würde dann Verteidigungsminister, Norbert Darabos übernähme sein früheres Amt als Bundesgeschäftsführer, der jetzige Bundesgeschäftsführer Josef Kalina ginge statt Parnigoni als Sicherheitssprecher in den Nationalrat. Kolportierter Hintergedanke: Darabos hatte als Bundesgeschäftsführer an Gusenbauers unerwartetem Triumph im Oktober 2006 mitgewirkt. Für den Kanzler sei er auch jetzt die letzte Hoffnung.

Gerücht Nummer 4: Michael Häupl, Wiener Bürgermeister und roter Königsmacher, werde schon demnächst, vielleicht schon bei der Präsidiumssitzung am ­Montag, die Kür Werner Faymanns zum geschäftsführenden Parteivorsitzenden ­beantragen. Gusenbauer bliebe Kanzler, und es gäbe bis auf Weiteres eine Ämtertrennung. Kolportierter Hintergedanke: Die schmerzhafte Debatte wäre vorerst einmal beendet, die SPÖ wäre nicht das Sommerthema der Medien.

Gerücht Nummer 5: Die SPÖ-Granden würden Gusenbauer bei der Montagssitzung deutlicher als bisher vermitteln, er möge eine friedliche Hofübergabe im Stil seiner Amtsvorgänger Fred Sinowatz und Franz Vranitzky vorbereiten. Man werde ihm klarmachen, dass ihm bei einem Antreten am Parteitag sogar die Abwahl drohe – und das wäre eine für einen regierenden Kanzler noch nie da gewesene Demütigung. Kolportierter Hintergedanke: Gusenbauer habe dann Zeit, sich auf die neue Situation vorzubereiten.

Gerücht Nummer 6 betrifft nicht die SPÖ, sondern die ÖVP: Sollte Platter nach Tirol wechseln, würde Wirtschaftsminister Martin Bartenstein sein Nachfolger als Innenminister, Landwirtschaftsminister Josef Pröll übernähme das Wirtschaftsministerium. Kolportierter Hintergedanke: Hoffnungsträger Pröll könne sich in seinem Ressort nicht profilieren. Die Landwirtschaft fällt in die Kompetenz von Brüssel, und Umweltpolitik ist ein No-win-Thema.
Manche dieser Spielvarianten sind durchaus denkbar und sogar sinnvoll. Andere wieder sind völlig aus der Luft gegriffen. So hat die Idee einer Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft in der roten Spitze praktisch keinen Anhänger. „Wer, bitte, würde denn den Parteivorsitzenden machen wollen, wenn Gusenbauer weiter Kanzler bleibt?“, fragte ein roter Präside vergangenen Freitag im Gespräch mit profil eher rhetorisch.
Wohin die Sache wirklich läuft, weiß – wie meist in so kniffligen Situationen – in Wahrheit niemand.

Fest steht nur so viel: Alfred Gusenbauer denkt derzeit nicht daran, kampflos aufzugeben. Das berichten Vertraute, die in den vergangenen Tagen mit dem derzeit Medienkontakte meidenden Kanzler gesprochen haben. Dazu passt auch, dass Gusenbauer seit Tagen sachpolitische Argumente sammeln lässt, mit denen er seinem Parteivorstand den Ernst der Lage verdeutlichen will.

Horrorszenario. Beispiel Gesundheitsreform, die am Tag des beginnenden Ärztestreiks auch die SPÖ-Gremien beschäftigen wird: Sollte das Projekt tatsächlich am Widerstand der roten Länder und des schwarzen ÖAAB scheitern, müsste, so Gusenbauers interne Unterlage, die Wiener Gebietskrankenkasse im Februar 2009 Konkurs anmelden, die Gebietskrankenkassen Niederösterreich und Steiermark würden wenige Monate später folgen. In diesem Fall müssten die Patienten alle Arztkosten selbst tragen und könnten dann versuchen, 60 bis 70 Prozent davon aus der Konkursmasse zurückzubekommen.

Ein Horrorszenario, das die Stimmung im SPÖ-Vorstand auch nicht unbedingt heben wird. Dabei ist die Wirklichkeit schlimm genug. Die Feinanalyse der Landtagswahlergebnisse von Niederösterreich und Tirol zeigte nicht weniger als die partielle Auflösung der Sozialdemokratie in diesen Ländern. In Niederösterreich hat jeder dritte SPÖ-Wähler von 2003 diesmal eine andere Partei oder gar nicht gewählt. In Tirol ist den Sozialdemokraten sogar jeder zweite Wähler abhandengekommen. Der SPÖ läuft das Stammpublikum davon: In Niederösterreich haben nur 32 Prozent der Arbeiter rot gewählt, in Tirol gar bloß 23 Prozent. So kippen selbst für uneinnehmbar gehaltene Bastionen, wie St. Pölten und Wiener Neustadt, wo die ÖVP zum ers­ten Mal in der Geschichte stärkste Partei ­wurde. In Tirol war es nicht anders: In Landeck – die SPÖ war dort 2003 stärkste Partei – gingen 19 Prozentpunkte verloren, in der Eisenbahnerstadt Wörgl 15 und im Industrieort Schwaz 14.

Prognosen. Alles weist darauf hin, dass dieser Trend auch bei den im kommenden Jahr stattfindenden Wahlen anhalten wird. In Salzburg ist sogar die 2004 von Gabi Burgstaller errungene Mehrheit in Gefahr. Damals war die SPÖ acht Prozentpunkte vor der ÖVP gelegen. Die jüngsten Umfragen in Salzburg zeigen die ÖVP leicht in Front. In Kärnten, wo ebenfalls im Frühjahr 2009 gewählt wird, fällt die SPÖ immer weiter hinter Jörg Haiders BZÖ zurück. In einer im März durchgeführten Umfrage führte das BZÖ deutlich mit 44 Prozent vor Gabi Schaunigs Sozialdemokraten (34 Prozent). Seither dürfte sich der Abstand eher noch vergrößert haben.

Und ob die SPÖ bei den im Juni 2009 anstehenden Wahlen zum Europaparlament ihren ersten Platz verteidigen kann, ist höchst ungewiss: Nach den Turbulenzen um das Irland-Nein zum EU-Vertrag dürften die EU-Gegner Wind unter die Flügel bekommen und tief im roten, zunehmend europakritischen Lager nach Stimmen fischen. Im Herbst 2009 wird dann in Ober­österreich gewählt, wo der rote Traditionalist Erich Haider bei den Landtagswahlen 2003 der schwarzen Landeshauptmannpartei bis auf fünf Prozentpunkte nahegerückt war: 43 ÖVP zu 38 SPÖ war es damals gestanden. Im vergangenen April erhob das SORA-Institut die aktuelle Stimmungslage im Land ob der Enns. Ergebnis: Die ÖVP würde mit 44 Prozent ihren Stand halten, die SPÖ aber auf 30 Prozent zurückfallen.
Düstere Aussichten für die Sozialdemokraten, die im Herbst nicht besser werden dürften. Die ÖVP zeigt zwar unverhohlen ihr Interesse am Verbleib eines möglichst geschwächten Kanzlers Gusenbauer. Dennoch arbeitet der schwarze Koalitionspartner an einer Strategie, die den Sozialdemokraten nur noch den Absprung in eine ungewisse Zukunft lässt. So hat Finanzminister Wilhelm Molterer vergangene Woche die geplante Vermögenszuwachsbesteuerung zur Finanzierung der steigenden Gesundheitskosten wieder infrage gestellt. Aber nur das Versprechen dieser Steuer hat die SPÖ-Granden im vergangenen März dazu bewogen, auf Wunsch Alfred Gusenbauers den berühmten Osterfrieden mit der ÖVP zu schließen und auf das Vorziehen der Steuerreform auf 1. Jänner 2009 zu verzichten.

Überdies hat Molterer vergangenen Dienstag im Klub der Wirtschaftspublizis­ten eine Initiative für weitere Privatisierungsschritte ergriffen. Sowohl bei der AUA (Staatsanteil derzeit 42,75 Prozent) als auch bei der Verbundgesellschaft (Staatsanteil 51 Prozent) will der Finanzminister unter die 25-Prozent-Marke ­gehen. Kaum denkbar, dass die SPÖ dem zustimmt.

Parteitag früher. Ende vergangener Woche zeichnete sich ein realistisches Szenario für den weiteren Fortgang der Dinge ab: Der SPÖ-Bundesparteitag wird auf September vorverlegt, die SPÖ geht mit einem neuen Mann an der Spitze – wahrscheinlich Werner Faymann – in eine politische Herbstoffensive und macht damit der ÖVP den Absprung in Neuwahlen schwer. Denn obwohl Wilhelm Molterer vergangenen Mittwoch gemeint hatte, die ÖVP werde „die Situation neu bewerten“, wenn die SPÖ den Kanzler tauscht, gehen schwarze Insider davon aus, dass es innerhalb der ÖVP nur dann eine Mehrheit für eine Neuwahl geben wird, wenn die Partei in den Umfragen klar in Front liegt.
Im Kanzleramt fährt man inzwischen auf „Normalbetrieb“. Am Montag kommt die deutsche Amtskollegin Angela Merkel zum Ländermatch. Für den 2. Juli lädt Gusenbauer zum traditionellen „Kanzlerfest“ in den lauschigen Garten der roten Bildungsakademie in Wien-Altmannsdorf.

Wie es Gusenbauer wirklich geht, lässt sich nur aus den Reaktionen der wenigen Weggefährten ablesen, die dem Kanzler noch die Treue halten. Frauenministerin Doris Bures kritisierte am Freitag den „menschenunwürdigen Umgang“ mit dem Parteivorsitzenden: „Gerade die Sozialdemokratie, die für Solidarität steht und den Gruß ,Freundschaft‘ im Mund trägt, muss ihre Grundwerte geschlossen leben.“ Weitere Wortmeldungen dieser Art gab es nicht.

Von Herbert Lackner