E-Learning: Online-Uni entlastet Hörsäle

E-Learning: Uni online

Immer mehr Unis bieten Kurse via Internet an

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In der Aula der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt sitzen Studenten an verschiedenen Tischen und arbeiten an ihren Notebooks. Die handlichen Computer sind via Wireless LAN mit einem zentralen Server und einer Intranet-Plattform namens „Moodle“ verbunden. Auf diese Weise sind Studenten und Lehrpersonen untereinander vernetzt, sie treffen sich im virtuellen Hörsaal, tauschen Texte aus oder feilen daran, diskutieren Inhalte und Darstellungsformen, geben Urteile ab und lernen so in einem beständigen, für sie öffentlichen und transparenten Prozess.

Wenn es die Witterung gestattet, können sie mit ihren Laptops draußen in den Grünzonen des Campus auf Parkbänken sitzen, eventuell auch in einem Internet-Café in der Stadt oder einfach zu Hause – überall, wo es einen Internet-Zugang gibt, sind sie Teilnehmer der Online-Universität. Bis dato werden über „Moodle“ nur vereinzelte Kurse angeboten, aber schon bald sollen es mehr werden. Denn seit vergangenem Herbst verfügt die Alpen-Adria-Universität auch über einen eigenen, in Großbritannien ausgebildeten „E-Learning-Manager“ namens Wolfgang Greller, der die Aufgabe hat, Internet-Kurse nach und nach in der gesamten Universität zu etablieren. Greller führt dafür vor allem zwei Gründe an: Erstens sollte die in die Autonomie entlassene Universität „die ihr zur Verfügung stehenden Mittel effizienter nutzen“, zweitens müsse die Universität einer Welt flexibler begegnen, in der Lernen, Arbeit und Freizeit nicht mehr streng getrennt sind. Nach E-Commerce und E-Government nun also E-Learning.

Internationaler Trend. Die Klagenfurter Uni folgt damit einem internationalen Trend: Immer mehr Universitäten und Fachhochschulen gehen dazu über, einen Teil ihrer Lehrveranstaltungen in Form von E-Learning-Kursen anzubieten, weniger als Alternative denn als Ergänzung zum Studium im Hörsaal. Die neue Lernform entlastet überfüllte Hörsäle und bietet auch berufstätigen Personen eine faire Chance auf ein Studium. Florian Kulterer, 23-jähriger Student der Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Alpen-Adria-Universität, sieht darin bereits die Lernform der Zukunft: „Man ist einfach unabhängig, was Ort und Zeit des Lernens betrifft.“ Anfang März befasste sich auch die „2006 Worldwide Education and Research Conference“ in New York mit dem Thema E-Learning.

23.000 Nutzer an der WU. Während andere Länder, vor allem im angloamerikanischen Raum, schon frühzeitig begannen, Computer und Internet im Bereich der universitären Lehre zu nutzen und dafür auch die nötigen Mittel bereitzustellen, folgten die ersten Gehversuche im Bereich E-Learning in Österreich mehr einer Not als einem offensiven Programm: Als die Studentenzahlen an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) zur Jahrtausendwende sprunghaft in die Höhe schnellten, wurden dort Österreichs erste virtuelle Hörsäle eingerichtet. Inzwischen nutzen 23.000 Studierende die 28.000 Lernressourcen des Learn@WU-Systems, 6000 tun dies regelmäßig, berichtet Gustaf Neumann vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der WU, Gründer und Koordinator des Systems (siehe auch Interview).

Der Erfolg kann sich sehen lassen: Wo zuvor 50 Parallelkurse einer Lehrveranstaltung abgehalten wurden, sind heute nur mehr 25 nötig. Derzeit werden an der WU 410 Lehrveranstaltungen aus 135 Fachbereichen über das Internet angeboten, hauptsächlich aus dem überfüllten ersten Studienabschnitt. „Ohne Learn@WU wäre der Betrieb unserer Universität nicht mehr durchführbar“, sagt WU-Rektor Christoph Badelt.

Inzwischen gibt es österreichweit eine breite Palette von E-Learning-Angeboten, so etwa an der Johannes-Kepler-Universität in Linz, wo Präsenzunterricht mit Online-Studium ebenso kombiniert wird wie etwa an der Fachhochschule (FH) Wiener Neustadt. Am Zentrum für Multimediales Lernen der FH Joanneum Graz befindet sich sogar einer der Knotenpunkte für die Förderung von E-Learning in Österreich. Selbst das Skigymnasium Stams bietet E-Learning-Kurse für all jene Schüler an, die wegen der Teilnahme an Wettkämpfen dem stationären Unterricht fernbleiben müssen (siehe auch Verzeichnis der wichtigsten E-Learning-Institutionen auf Seite 124).

Multiple-Choice-Übungsfragen. Wie funktioniert das Online-Studium? Inskribierte Studierende können sich per Passwort in eine Homepage einloggen und finden dort nach Themen und Vorlesungen gegliederten Lehrstoff, in den jeder (nur für sich selbst sichtbar) Notizen und Links einfügen kann. Anhand tausender Multiple-Choice-Übungsfragen können Studenten ihren Lernfortschritt selbst überprüfen. Vielfach existieren eigene Diskussionsforen (Chatrooms) im Internet, in denen Fragen von Kollegen oder vom Moderator beantwortet werden.

Häufig gestellte Fragen werden in einer Liste von „Frequently Asked Questions“ beantwortet, ein Service, der das Uni-Personal entlastet. Wichtig sind schließlich auch Feedback-Formulare im Netzwerk, über die Professoren sich Anregungen holen können, welche Themengebiete besser erklärt werden sollten, im Internet oder im Hörsaal. In eine virtuelle Datei-Ablage können Professoren und Studenten relevante Texte allen anderen Netzteilnehmern zugänglich machen. Und es gibt Mailinglisten neben anderen Formen der Kommunikation.

Selbstbestimmtes Arbeiten. In dieses System lassen sich rasch neue Lehrinhalte einfügen, Studierende können nach individuellem Lerntempo vorgehen und dabei die Eigenverantwortung für selbstbestimmtes Arbeiten trainieren. Im virtuellen Hörsaal melden sich auch Studenten zu Wort, die im realen Hörsaal nie den Mund aufmachen. Zum interaktiven Lernen in einem permanent quasiöffentlichen Raum gehört aber auch Kritik, die sich der Einzelne gefallen lassen muss, etwa dann, wenn ein im realen Hörsaal gehaltener Vortrag eines Studierenden hinterher im Netz von Kollegen zerzaust wird. Freilich müssen auch Lehrende Kritik vertragen.

„Der optimale Einsatz von E-Learning ist auch für uns ein ständiger Lernprozess“, räumt die Psychologin Rima Ashour ein, die in Linz und Salzburg Wissensmanagement unterrichtet. E-Learning-Programme bedeuten nicht nur höhere Kosten für Hard- und Software oder etwa für Programmierer, sondern auch erhöhten Einsatz der Professoren. „Man könnte glauben, die Betreuung vieler Studenten sei online einfacher. Aber der Aufwand der Umstellung ist beträchtlich“, sagt Bernad Batinic, Professor für E-Learning, Lehren und Lernen mit neuen Medien an der Linzer Kepler-Universität. Die Professoren müssen sich Hardware- und Software-Kompetenzen aneignen, soziale Fähigkeiten entwickeln und genügend Reflexionsvermögen besitzen, um die sozialen Auswirkungen ihrer Aktionen im Netz abschätzen zu können.

Die Angst, dass persönliche Kontakte oder Freundschaften unter den Studierenden leiden, wenn nur mehr im einsamen Kammerl studiert wird, scheint nach Aussagen von E-Learning-Studenten unbegründet. „Jeder kann einen Teil der Vorlesungen vor Ort besuchen, sodass die Kontakte erhalten bleiben“, sagt Rainer Hahnekamp, Student der Wirtschaftsinformatik an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Sein Linzer Fachkollege Nenad Baotic besucht zwischendurch vor allem auch deshalb immer wieder Vorlesungen in realen Hörsälen, weil er beim E-Learning die mitreißende Begeisterung vermisst, die gute Professoren oft in ihren Vorträgen vermitteln.

Note per SMS aufs Handy. Prüfungen werden ohnedies auch bei virtueller Lehre im Hörsaal abgehalten. Immerhin gibt es an der Wiener Wirtschaftsuniversität das freiwillige Angebot, die Note für schriftliche Examen per SMS auf das Handydisplay gesendet zu bekommen, wodurch oftmaliges Nachschauen an Aushangtafeln der Institute entfällt. Korrigierte Prüfungsbögen sind mit Passwort als PDF-Files abrufbar, was den Sekretariaten enorme Arbeit erspart, da die Originale nun nicht mehr unter tausenden anderen herausgesucht werden müssen, wenn Studierende Einsicht nehmen wollen.

Das an der WU Wien verwendete Online-Lehrmaterial wurde ab Herbst 2001 in monatelanger Arbeit von 36 eigens dafür angestellten, aus Mitteln der „Universitäts-Milliarde“ bezahlten Mitarbeitern entwickelt. Seit dem Versiegen dieser Finanzmittel müssen Professoren die von ihnen verwendeten Lehrmaterialien selbst erstellen oder sich wissenschaftliche Lehrunterlagen von einer internationalen Internet-Tauschbörse namens EducaNext besorgen. Da im Herbst 2006 vom Magisterstudium auf Bakkalaureat und Masterstudium umgestellt wird, muss das Online-Lehrmaterial nun mit viel Arbeitsaufwand an die neuen Erfordernisse angepasst werden.

Mobile Learning. Der Klagenfurter E-Learning-Manager Wolfgang Greller sieht eine höhere, für Online- und Offline-Studierende möglichst gleichwertige Service- und Ausbildungsqualität als eines der Ziele der E-Learning-Offensive. „Österreich ist bei der Einrichtung von E-Learning-Systemen eher langsam“, kritisiert Greller. In Ländern wie Australien und Kanada sei man wesentlich weiter, was nicht nur an den großen Entfernungen innerhalb dieser Länder liege, sondern auch an solider Finanzierung. Auch das britische Joint Information Systems Committee (JISC) erhalte seit Jahrzehnten enorme öffentliche Budgetmittel, während die finanzielle Dotierung von E-Learning-Projekten in Österreich eher bescheiden sei.

Die nächste Entwicklungsstufe werde Mobile Learning (M-Learning) sein, glaubt der Experte. Anstatt über einen festen Internet-Anschluss oder eine drahtlose LAN-Verbindung mit dem Computersystem der Universität zu kommunizieren, könnten dann Lerninhalte überall und zu jeder Zeit auf tragbare Geräte heruntergeladen werden, sodass Studierende völlig unabhängig von Ort und Zeit am Studium teilhaben könnten.

Der E-Learning-Manager hofft auf mehr staatliche Mittel für den Aufbau innovativer Studiensysteme und für eine dichtere Internet-Versorgung, die in manchen Teilen Österreichs noch äußerst mangelhaft sei. „Ein breiter Zugang zum Internet sollte in der Wissensgesellschaft zu einem Grundrecht der Bürger werden“, fordert Greller.

Von Gerhard Hertenberger