E-Wirtschaft: Stromungslehre

Jetzt steht die gesamte Branche am Pranger

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Paulus Stuller hat ein Problem. Vor zwei Wochen erhielt der Wiener Unternehmer Post von seinem Stromlieferanten. Die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) teilte Stuller mit, dass er sich einen neuen Stromlieferanten suchen soll. Die EnBW werde die Energielieferung an ihn einstellen. Mit vier Konditoreien und dem dazugehörigen Produktionsbetrieb müsste Stuller eigentlich ein attraktiver Stromkunde sein. Die EnBW sieht das anders. Der deutsche Energiekonzern zieht sich aus diesem Kundensegment zurück und wird in Österreich nur noch Unternehmen beliefern, die mehr als drei Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr verbrauchen. Stuller benötigt bloß ein Sechstel dieser Menge und ist dem Stromriesen somit zu klein.

Also machte sich der Unternehmer auf die Suche nach einem alternativen Energielieferanten und stieß auf einen Stromdiskonter, der jedoch auf Stullers E-Mail nicht einmal reagierte: „Bräuchte ich einen Mobilfunkvertrag, stünden morgen von jedem Anbieter zwei Vertreter in meinem Büro.“ Stuller ist vom Wettbewerb unter den Stromlieferanten hörbar enttäuscht. Weil die Zeit drängt, wird der Unternehmer einen Liefervertrag mit der WienEnergie abschließen. Mit jenem Versorger, dem er vor drei Jahren den Rücken gekehrt hatte.

Kurzschluss. Am 1. Oktober 2001 hatte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein alle Stromkunden im freien Markt willkommen geheißen. Mit der vollständigen Liberalisierung bekamen auch die Haushalte und Gewerbebetriebe die Möglichkeit, sich ihren Stromlieferanten selbst auszusuchen. Der Preis für die gelieferte Energie unterlag von da an den Gesetzen des freien Marktes. Theoretisch. Der Minister stieß auf den bevorstehenden Wettbewerb unter den Stromversorgern an, beglückwünschte die Kundschaft zu den zu erwartenden Preisreduktionen und machte Lust auf mehr, indem er jeden Strombezieher einlud, „die Spielregeln des freien Marktes“ zu seinen Gunsten zu nutzen.

Genau drei Jahre später ist von der Magie des freien Strommarktes nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Anstelle einer Geburtstagsfeier kommt es zu einer Branchenprüfung durch die Bundeswettbewerbsbehörde. Die Vorwürfe haben es in sich. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl ließ vorvergangene Woche ordentlich Dampf ab und unterstellte der heimischen E-Wirtschaft, diese habe die Spielregeln des freien Marktes längst durch ihre ganz eigenen Spielregeln ersetzt: „Der Wettbewerb am Strommarkt existiert doch nur auf dem Papier“, polterte der Präsident und sprach von „monopolähnlichen Strukturen“, die Stromkunden und somit auch der gesamten Wirtschaft viel Geld kosteten. Denn „wenn sich ein Stromkunde um das Angebot eines anderen Lieferanten bemüht, findet er keinen“, will Leitl wissen. „Wer Strom braucht, ist von seinem Regionalversorger abhängig.“

Rückfall. Leitls Befund schmerzt den Wirtschaftsminister, der bei jeder Gelegenheit stolz auf die Liberalisierung verweist. Bartenstein will den Sachverhalt daher geprüft wissen, und er forderte den obersten Wettbewerbshüter Walter Barfuß auf, die gesamte E-Wirtschaft auf Preisabsprachen abzuklopfen. Bartenstein mit spitzem Zeigefinger in Richtung der Strombosse: Drei Jahre funktionierender Strommarkt seien kein Anlass, „jetzt in alte Verhaltensmuster zurückzufallen und monopolartig zu agieren – zulasten der Verbraucher“.

In den Vorstandsetagen der Energiekonzerne wurde der Fehdehandschuh aufgenommen. „Wenn man solche Vorwürfe in den Raum stellt, dann muss man auch Beweise auf den Tisch legen“, zeigt sich der mächtige Generaldirektor der niederösterreichischen EVN, Rudolf Gruber, gereizt. „Ansonsten war es eine Verhetzung der Öffentlichkeit.“ Angesprochen fühlte sich auch Verbund-Chef Hans Haider, der sicherheitshalber die Endverhandlungen für die Kooperation mit der EnergieAllianz stoppte, womit sich der ebenso mächtige Energieboss wiederum einen Rüffel von Verbund-Eigentümervertreter Bartenstein einhandelte.

Die Power-Ranger stehen im Herbst 2004 unter Strom.

Was ist dran am Vorwurf, die großen Energieversorger würden über Preisabsprachen ein so genanntes Verhaltenskartell bilden?

Fest steht, dass die Stromversorger – allesamt mehrheitlich in öffentlichem Eigentum – ihre Kunden seit mehr als zwei Jahren mit Preisanpassungen nach oben beglücken. Effektvollstes Timing glückte heuer dem steirischen Landesversorger Steweag-Steg: Der komplette Vorstand des steirischen Energiekonzerns Estag war gefeuert, und die Affäre um millionenschwere Fehlentscheidungen hatte gerade auch dem zuständigen Landesrat den Kopf gekostet, da bedauerte die Estag-Stromtochter Steweag-Steg, ihren Kunden mitteilen zu müssen, dass ab 1. Juli der Strompreis erhöht wird. Provokant, aber kalkuliert. Wenn der Landeskonzern ohnehin jeden Tag zerrissen wird, serviert man die schlechte Nachricht gleich mit, anstatt sich Monate später noch einmal prügeln zu lassen. So waren die steirischen Stromkunden die Ersten, die sich in diesem Jahr über eine Strompreiserhöhung ärgern mussten. Die Einzigen bleiben sie freilich nicht.

Die großen Landesversorger vor allem aus Ostösterreich werden noch im Herbst nachziehen und den Energiepreis anheben. Die Energielieferung macht zwar bloß ein Drittel der Kosten für eine Kilowattstunde Strom aus, drastische Preiserhöhungen schlagen sich dennoch spürbar auf der Stromrechnung nieder. Der Löwenanteil der Stromkosten entfällt weiterhin auf den verordneten Netztarif, den die Versorger kassieren, um damit das Leitungsnetz zu erhalten. Der Rest sind Steuern und Abgaben, wobei der Finanzminister zum größten Gewinner der Marktöffnung wurde, nachdem die Bundesregierung im Jahr 2000 die Energieabgabe verdoppelt hatte.

Marktpreise. Die Stromlieferanten erklären die Preiserhöhungen stets mit gestiegenen Großhandelspreisen, die an den Strombörsen gebildet werden. An den Börsen wird aber bloß ein Zehntel jener Energiemenge gehandelt, die tatsächlich durch die Netze fließt. Die meisten Versorger betreiben eigene Kraftwerke oder haben ihre Erzeugungskapazitäten an Gesellschaften ausgelagert, in denen Strom zu Kosten deutlich unter dem Großhandelspreis erzeugt werden kann. Im Wettbewerb würden die Versorger mit einer Mischkalkulation die Konkurrenz im Preis zu unterbieten versuchen, um damit am Markt zu reüssieren. Passiert aber nicht: „Ein Ausfluss des geringen Wettbewerbs“, merkt Walter Boltz, der Geschäftsführer der Regulierungsbehörde E-Control, an.

Der Regulator hätte das dreijährige Jubiläum im freien Strommarkt auch gerne anders begangen. Die unabhängige Behörde soll darüber wachen, dass der Kampf um Stromkunden in geregelten Bahnen abläuft. Weil aber überhaupt kein Wettbewerb auszumachen ist, versucht die E-Control mit einer Werbekampagne etwas Schwung in den komatösen Markt zu bringen. Die Truppe um Boltz legt den Konsumenten in Inseraten wieder einmal den kostenlosen Tarifkalkulator ans Herz. Motto: nicht jammern, wechseln.

So ähnlich lauteten auch die Werbeslogans der Stromdiskonter, die 2001 in den freien Markt gestartet waren. Im Mittelpunkt des Interesses standen die vermeintlichen Billiganbieter allerdings nur einmal. Da protestierte die Arbeiterkammer gegen die dubiosen Keilermethoden, mittels derer bei Haustürgeschäften 80-jährigen Großmüttern ein neuer Stromliefervertrag aufgeschwatzt wurde. Zumindest die Vertriebsmethode entsprach den Spielregeln des freien Marktes. Mittlerweile haben auch die Diskonter ihre Tarife aufgrund der – erraten – gestiegenen Großhandelspreise deutlich hinaufgesetzt. Switch etwa, die Tochter der EnergieAllianz, hält nach drei Jahren am Markt bei einer mageren Beute von 16.000 Haushaltskunden. Geschäftsführer Rene Huber: „Ein freier Markt lebt von vielen Teilnehmern, aber der Wettbewerb ist heute eine rein innerösterreichische Veranstaltung.“

Mit dem Rückzug der EnBW aus dem Massenkundengeschäft verliert der Strommarkt seinen einzigen ausländischen Wettbewerber. Ein fatales Signal. „Es gibt keinen Wettbewerb auf dem Strommarkt, weil die Netztarife viel zu hoch sind“, so Heinz Machacek von der EnBW. Ein Problem, das auch dem Regulator bekannt ist. Wann immer die Regulierungsbehörde Netztarifsenkungen ankündigt, stößt sie auf Widerstand. Als Eigentümervertreter versuchen gerade die Landespolitiker, jeden weiteren Kostendruck auf „ihre“ Stromkonzerne zu vermeiden, und bringen damit gleichzeitig die Konsumenten um die Früchte des freien Wettbewerbs. Aus diesem Grund sprach sich der Präsident der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, vergangene Woche für weitere Privatisierungsschritte in der E-Wirtschaft aus. Eine Liberalisierung ohne Privatisierung sei zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.

Wahlzuckerl. Den steirischen Stromkunden wird das egal sein, sie müssen sich für die Spielregeln des freien Marktes nicht mehr interessieren. Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (ÖVP) hat nämlich angekündigt, die im Estag-Trubel ausgesprochene Strompreiserhöhung im nächsten Jahr in Form einer Strompreisgutschrift rückzuvergüten. Gestiegene Großhandelspreise hin oder her, 2005 findet in der Steiermark die Landtagswahl statt. Ein Mitarbeiter der Regulierungsbehörde traute ob der Bonusankündigung seinen Ohren nicht: „So etwas führt doch die gesamte Liberalisierung ad absurdum.“

Richtig erkannt.