Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Die Pilzfabrik

Die Pilzfabrik

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Schon wieder Raasdorf? Jetzt, um diese Jahreszeit? Dorthin, ein paar Kilometer östlich vom Wiener Stadtrand, fahre ich für gewöhnlich im Frühjahr wegen des Spargels, im Frühsommer wegen der Erdbeeren und im Spätsommer wegen der Artischocken. Aber Raasdorf hat immer Saison; der Ort ist mittlerweile so etwas wie der Mittelpunkt einer Welt, die sich Jonathan Safran Foer oder Karen Duve erträumen. Deshalb bin ich schon wieder da – um Pilze zu finden, solche nämlich, die sich auch indoor das ganze Jahr über kultivieren lassen.

Hannes Edlinger sagt von sich, er sei Landwirt, aber er muss selbst schmunzeln dabei, als er mich durch seinen Betrieb führt. Dieser hat nämlich, dort, wo die entscheidenden Produktionsschritte stattfinden, viel eher den Charakter einer mikrobiologischen Versuchsanstalt. In Wahrheit wachsen hier jährlich 200 bis 300 Tonnen jener festen, leicht nussig oder würzig schmeckenden Pilzarten, die vor allem in der asiatischen Küche eine lange Tradition haben: Kräuterseitlinge, Edelausternpilze und Buchenraslinge; Letztere sind in Japan als Buna-Shimeji bekannt und begehrt.

Und dann räumt Hannes Edlinger endgültig mit der Legende auf, dass Pilze zu züchten darin besteht, Kisten voller mit Sporen versetzten Komposts in dunkle, feuchte Keller zu verfrachten und ein paar Tage später nachzusehen, was daraus geworden ist. Am Anfang der Geschichte stand der Gedanke, ein Produkt zu erzeugen, das nicht bloß ein paar Wochen Saison hat wie der Spargel. Edlinger flog nach Japan, knüpfte dort Kontakte zu Unternehmern, die Edelpilze erzeugen und auf dem europäischen Markt Fuß fassen wollten – und gründete 2006 mit deren Hilfe (die Japaner sind mittlerweile ausgestiegen und haben 2010 Koreanern Platz gemacht) eine Marchfelder Pilzfabrik, genauer gesagt: eine moderne Anlage zur Produktion biologisch zertifizierter saprophytischer Schwammerln. „Das klingt jetzt steril und überhaupt nicht emotional“, sagt Edlinger, „natürlich ist es schöner, in den Wald zu gehen.“ Aber asiatische Biopilze in großem Stil zu kultivieren sei nun einmal eine besonders heikle Angelegenheit: „Was wir hier machen, gibt es woanders in Europa noch nicht.“ Mit saprophytischen Pilzen meint Edlinger Gewächse, die auf abgestorbenen Organismen gedeihen; es sind jene, die hierzulande im Wald auf Totholz sprießen, weil sie die Nährstoffe von Zellulose aufspalten können. Die Raasdorfer Kulturen gedeihen auf 85 Prozent Sägemehl, versetzt mit etwas Biogemüse wie Mais, Erbsen oder Zuckerrüben.

Wir stehen zwischen Messgeräten, Stahlrohren und hermetisch abgeriegelten Druckkammern zur Sterilisation (das Bio-Zertifikat untersagt naturgemäß die einfachere chemische Keule). „Wenn Sie im SMZ Ost vor dem OP warten müssen, infizieren Sie sich eher mit Keimen als bei uns“, sagt Edlinger.

Schimmelpilze sind die größten Feinde der Kulturen, die in Plastikflaschen angesetzt und dann bei 25 Grad von Mycelen durchwachsen werden. Eine einzige kontaminierte Mutterbrut bedeutet den Verlust von 6,5 Tonnen Pilzen. Edlingers Belegschaft darf in den Arbeitspausen zum Beispiel keinen Gorgonzola oder Ähnliches jausnen, denn Schimmelpilzsporen können über Bärte, Kleider oder die Haut in die Pilzkulturen gelangen. Sind die Plastikflaschen voller Sägemehl dann von Mycelen durchwachsen, existiert das, was biologisch exakt den Pilz ausmacht, bereits. Im letzten Arbeitsschritt muss Edlinger nur noch „die Natur überlisten“, wie er sagt. „Wir lassen den Mycelen ein Schockerlebnis zukommen, indem wir sie in kühleren feuchten Hallen lagern. Dort denkt sich der Pilz, meine Art ist gefährdet, und bildet Fruchtkörper aus, um sich vor dem Untergang noch rasch zu vermehren.“ Und diese Fruchtkörper landen mittlerweile in den besten Küchen Österreichs – im „Steirereck“ ebenso wie bei Chefkoch Hiroshai Sakai in Wiens Edel-­Japaner „Unkai“.

Jetzt bleibt bloß noch die Frage, was man mit den Schwammerln alles anstellen kann.

Nächste Woche: Kochen mit den Raasdorfer Edelpilzen

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