Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Ein Gasthaus voller Geigen

Ein Gasthaus voller Geigen

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Tja, manche Dinge dauern eben. Es ist halb sechs, ich stehe wie vereinbart vor dem noch verschlossenen Gasthaus „Grünauer“, klopfe ans Fenster, und Brigitta Grünauer eilt zur Tür. Sie stochert mit dem Schlüssel eine Weile in dem winzigen dunklen Kabuff zwischen den beiden Eingangstüren herum, dann sperrt sie auf und sagt lachend: „In 25 Jahren haben wir’s nicht geschafft, hier eine Lampe zu montieren.“ Aber jetzt vielleicht, wo es doch noch eine Weile weitergeht …
In der Küche fährt Martha Grün­auers Küchenmesser durch das gesamte Spektrum an Texturen, das hier die Schweinsbrust zu bieten hat: von der klirrenden Kruste, die ohne jeden Aufgieß- und Einschmier-Firlefanz entstehen darf, durch das zarte Fleisch bis zur flaumigen Semmel-Gemüse-Fülle; für so etwas haben Martin Grünauer und sein Sohn Christian genau die richtigen Smaragde parat (ja, da würde ich einen kräftigen Wachauer nehmen). Ein Abend im „Grünauer“ beginnt – vielleicht ist es der 5427ste, wenn man Ruhetage und Urlaube einkalkuliert, aber so genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren.
Es waren jedenfalls reichlich bemerkenswerte darunter. Jener Anfang der neunziger Jahre zum Beispiel, als allen die Nerven flatterten, weil draußen plötzlich dieser bekannte Restaurantkritiker Platz nahm. Seit dieser Zeit führt der Grünauer eine Haube, „was ja damals nicht so leicht war für ein Wirtshaus“, wie Martin Grünauer sagt.
Jedenfalls war von da an immer was los. Da saßen an einem Tisch Angelika Kirchschlager, Bo Skovhus, Bryn Terfel und Michael Schade, was für ein gutes Wirtshaus ehren-, aber nicht weiter bemerkenswert ist. Bloß, sagt Martin Grünauer, „die waren nicht verabredet, die haben sich zufällig getroffen und dann halt ein bisserl gesungen“. Das ausgelassene Geburtstagskind mit der Ziehharmonika an einem anderen Abend war übrigens Starwinzer Angelo Gaja, ein sonst eher ruhiger Zeitgenosse, und jener Herr, der mit aufgekrempelten Hemdsärmeln tarockierte, Kanzler Alfred Gusenbauer, was deutsche Gäste am Nebentisch aber nicht glaubten, weil so einer nie ohne Bodyguards im Beisl sitzen würde. Ja, und dann waren da noch die vier Männer, die ihre Köfferchen bei Tisch keine Sekunde aus den Augen ließen. Aber das ist jetzt weniger bedrohlich, als es klingt. Kein Wiener Philharmoniker, der nach der Probe ins Gasthaus geht, würde seine Stradivari an die Garderobe hängen. Und außerdem kann es im „Grünauer“ gut sein, dass man sie im Lauf des Abends noch braucht.

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