Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Helix Superstar

Helix Superstar

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Im durchsichtigen Plastiksackerl von Andreas Gugumuck klappert es, als würden die Osterratschen schon loslegen, aber es sind die Kalkschalen seiner Weinbergschnecken, die aneinanderstoßen, als er sie in die Kochschule „art cooking“, weit draußen im Westen Wiens, bringt. Zwölf Teilnehmer haben sich angesagt, aber weil das abendliche Meeting offen und ehrlich als Schneckenkochkurs ausgeschrieben war, wird das nichts mit dem indignierten Grusel, der noch immer einen Großteil der Bevölkerung befällt, wenn von Speiseschnecken die Rede ist; man weiß ja, was jetzt kommt, und man wollte es so. Vor allem aber weiß man, wer doziert. In einem Land wie Österreich mit seiner monarchistischen Hintergrundstrahlung wird man mit ein wenig Empathie für eine Sache schnell in den Hochadelsstand erhoben. Und wenn Erich Stekovics der Paradeiserkaiser ist, ist Andreas Gugumuck allemal der Schneckenkaiser.
Innerhalb von etwa drei Jahren hat es der ehemalige IT-Fachmann geschafft, Helix pomatia, die echte Weinbergschnecke, und ihre nahe Verwandte Aspersa maxima, die gefleckte Weinbergschnecke, in einem Ausmaß auf den Speisekarten des Landes zu platzieren, von dem ­andere Produzenten von Nischenprodukten nur träumen können. Mehr als 70 Küchenchefs gehören schon zu seiner Kundschaft; und kein Gang, vom Amuse- Gueule bis zum Dessert, ist mehr vor Schneckenbefall sicher. Ein paar Köche haben mir erzählt, sie würden schön langsam ein Problem kriegen, wenn alle nur noch mit Schnecken kochen, aber da sind auch solche darunter, die nichts dabei fin-den, plötzlich Ochsenschwanz und Rote Rüben auf die Karte zu setzen, nur weil es die anderen auch tun.

An diesem Abend helixifiziert Peter Zinter, seit etwa einem Jahr Küchenchef im Wiener Restaurant „Vincent“ und dort von erheblichem Ehrgeiz beseelt, mit den Kursteilnehmern ein ganzes Menü – mit Szegediner Schneckengulasch, einem Weichtier-Tatar, das er unter die Haut eines Sulmtaler Kapauns spritzt, und einer Schnecken-Crème-brulée.
Gugumuck hat unterdessen die nächste Stufe der Helixifikation gezündet. Er propagiert die kommende Fastenzeit als Schneckenzeit und darf sich dabei auf mönchische Traditionen berufen; die geistlichen Brüder taten nämlich immer nur so, als müsse von Aschermittwoch bis Karfreitag Selbstkasteiung herrschen. In Wahrheit mästeten sie dann die Kriechtiere in ihren Schneckengärten noch einmal mit Thymian, auf dass es den Klosterinsassen wohlergehe. Der „Schneckenkaiser“ ist auch bemüht, der kulinarisch aufgeschlossenen Gemeinde zu erklären, dass eine Schnecke nicht nur aus dem so genannten Kopffuß besteht, sondern noch mehr zu bieten hat: die Leber etwa, einen kleinen braunen Kringel, dessen Konturen sich der Spitze des Gehäuses angepasst haben und tatsächlich verblüffend der geschmacklichen Anmutung von Säugetierlebern ähneln.

Und schließlich ist da noch der Kaviar. Gugumuck hält ein 50-Milliliter-Gläschen mit weißen, fast transparenten Kügelchen hoch. „Das ist die Jahresproduktion von fünf Schnecken“, sagt er. Dann dürfen alle Kursteilnehmer kosten und assoziieren. Der Kaviar schmeckt nach Erde, Moos, Spargel, Paprika, jungen Brokkolitrieben, Cassis und traditionell ausgebautem Barolo – also rundum vielfältig und interessant. Das fand auch Roland Trettl vom Salzburger Restaurant „Ikarus“, der vor einiger Zeit gleich ein ganzes Kilo davon kaufte. Aber Schneckenkaviar durften die Kugeln im Menü dann doch nicht genannt werden. Da war der Chefkonsulent des „Ikarus“ dagegen. Eckart Witzigmann findet nämlich, dass Kaviar nur vom Stör kommen darf. „Aber Schneckenperlen“, sagt Gugumuck, „klingt ja eh auch wertvoll."

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